Paulinus, S. (12)

[710] 12S. Paulinus, Ep. Conf. (22. al. 23. Juni, 26. Juli). Dieser berühmte Heilige, dessen Lebensgeschichte außer von den Boll. vorzüglich durch Butler (Räß und Weis, VIII. 316–340) mit besonderem Fleiße bearbeitet wurde, hieß mit seinem vollständigen Namen: Pontius Maropius Paulinus, und stammte aus einem reichen und vornehmen Geschlechte in Bordeaux, wo er um d.J. 354 geboren wurde. Sein Vater Pontius Paulinus war Präfect (nicht Präfectus Prätorio, wie es in einigen Legenden heißt) von Gallien. Er erhielt eine seinen ausgezeichneten Geistesgaben, seiner hohen Abkunft und dem Reichthum seiner Eltern entsprechende Bildung, welche er zu Rom vollendete. Bald kam er in den Ruf eines Dichters und großen Redners, so daß er sogar seinen nur äußerlich etwas von christlichem Geiste angehauchten Lehrer Ausonius zu übertreffen schien. Schon als Jüngling erhielt er wichtige Staatsämter, die er mit Weisheit und strenger Gewissenhaftigkeit verwaltete. Um diese Zeit sah man aber noch keine Spur seiner zukünftigen Heiligkeit. Erst in seinem fünfunddreißigsten Lebensjahre empfing er auf Zureden seiner frommen Gemahlin Tarasia vom Bischofe Delphinus zu Bordeaux die heil. Taufe. Diese Verbindung war kinderlos; ein Sohn, der nach langer Unfruchtbarkeit den darüber empfundenen Kummer aufzuheben schien, starb bald nach der Geburt; die tief betrübten Eltern ließen ihn zu Complutum (Alcala) bei den Martyrern Justus und Pastor beisetzen. Der hl. Paulinus hatte offenbar die Bestimmung, in freier, durch kein irdisches Verhältniß gehemmter christlicher Liebe in den weitesten Kreisen zu wirken. Darum fügte es die Vorsehung, daß er des geräuschvollen Wirrwarrs und blendenden Schimmers der Welt noch zur rechten Zeit müde wurde. Da seine Familie fast in allen Provinzen des römischen Reiches begütert war11, hatte er keinen festen Wohnsitz. Doch blieben die frommen Eheleute, die von jetzt anfangen im Palaste wie im Kloster lebten, zumeist in Spanien und zwar in der Stadt Barcelona. Am liebsten hätte er in Palästina gelebt, wo damals der große Hieronymus glänzte, beruhigte sich aber, als dieser ihm zurückschrieb, Jerusalem sey eine Stadt wie jede andere; es gebe dort einen öffentlichen Senat, eine Curie, Officialen, Schauspieler, Gaukler, Huren, eine Unzahl Menschen aus allen Weltgegenden; er würde mit einem Wort hier Alles wieder finden, was er in einer andern Stadt gemieden hätte; der Einsiedler müsse nothwendig dem Geräusch der Städte fern auf dem Lande leben und »Christum in der Einsamkeit suchen.« Am Christtag des Jahres 393 ereignete es sich, daß er vom Volk gezwungen wurde, sich vom Bischof Eulampius (Lampius) zum Priester weihen zu lassen, wobei er jedoch die Bedingung durchsetzte, keiner bestimmten Kirche dienen zu müssen. Es ist aber sehr zu bezweifeln, daß er mit Ueberspringung der andern niedern Weihen sogleich Priester wurde, wie von Einigen erzählt wird. Aus seiner Aeußerung, daß er nicht bloß den Priesterstand nicht gering schätze, sondern selbst die Dienste eines Ostiarius nicht verschmähen würde, ist zwar [710] seine großen Demuth, nicht aber der Nichtempfang der Priesterweihe zu entnehmen. Bald darauf theilte er sein ganzes, in Spanien angelegtes Vermögen an die Armen aus, und machte selbst mit den liegenden Gütern keine Ausnahme. Besonders gab er Töchtern armer Familien hinreichende Aussteuer, kaufte viele Gefangene los, und erlegte für arme Schuldner Capital und Zinsen an deren Gläubiger. Daher wurde er von seiner ganzen Verwandtschaft bitter getadelt, verachtet und verlassen, was ihn zu dem Ausrufe bewog: »O selige Schmach, mit Christus zu mißfallen!« (O beata injuria, displicere cum Christo), und: »Schmach für Christus geduldet ist Wonne!« (Christi sub nomine probra placebunt). Hierauf ging er nach Mailand, wo ihn der hl. Ambrosius vergeblich festzuhalten trachtete. Zu Rom fand er von Seite des Klerus und selbst des Papstes Siricius eine mißgünstige, an Verachtung streifende Aufnahme. Von da begab er sich nach Nola, in dessen Umgebung seine Familie gleichfalls viele Güter besaß. Ein besonderer Verehrer des hl. Martyrers Felix12 von Nola, wollte er fortan an seinem Grabe beten, leben und sterben. Als Staatsbeamter, man glaubt als Statthalter von Campanien, war er Zeuge der außerordentlichen Verehrung gewesen, welche das Volk den Gebeinen dieses Heiligen erwies, und hatte daher auch zu Nola, nicht zu Capua, seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Jetzt wollte er ebenda sein Leben beschließen. Während aber der Heilige glaubte, etwa seit dem J. 394, in der einsamen Stille einer engen Zelle daselbst Gott dienen zu können, und so zu sagen der Pförtner an der Schwelle des Heiligthums zu seyn, berief ihn der Herr um das Jahr 409 zum Oberhirten dieser Stadt. Er führte auch als Bischof mit mehreren Gleichgesinnten, die er eine Gemeinde von Mönchen nannte, bei der von ihm neu erbauten Kirche des heil. Felix ein armes, zurückgezogenes Leben, aß aus irdenen und hölzernen Geschirren, trug ein rauhes Gewand, fastete und betete ohne Unterlaß. So that er, ohne den Widerspruch und die Verachtung der Welt zu fürchten. Im Uebrigen waren seine Besitzungen, deren er sich innerlich vollständig entäußert hatte, immer noch so groß, daß er zahlreiche Gäste und Fremdlinge, auch wenn sie höhere Ansprüche machten, aufzunehmen im Stande war. Er beherbergte z.B. die hl. Melania auf ihrer Heimkehr vom hl. Lande und zweimal den Missionär-Bischof Nicetas von Dacien. Wegen seiner Frömmigkeit und seines klugen Eifers stand der hl. Paulinus überall in hohem Ansehen. Der hl. Ambrosius in Mailand wünschte ihn um sich zu haben, und zwar unter Bedingungen, die er keinem Andern zugestanden hätte; der hl. Hieronymus richtete an ihn freundschaftliche Briefe; der heil. Augustinus, über dessen Erhebung zum Bischof von Hippo der heil. Paulinus und seine Gemahlin sich hoch erfreut zeigten, schätzte sich glücklich, ihn, »den Ruhm Christi«, zum Freunde zu haben, und zu wissen, daß dieser seine Schriften gut heiße und sogar bewundere, stellte ihn als Vorbild seltener Entsagung auf, da er dem Stolze der Welt entsagt habe, um die Demuth des Kreuzes zu umfassen, und die Schätze der Wissenschaft, die verloren seyen, wenn man sie nicht Gott weihe, von dem sie gegeben wurden, zur Verherrlichung Gottes gebrauche. Die heil. Melania hatte ihm eine Partikel des wahren Kreuzes von Jerusalem mitgebracht, deren er sich mit Erfolg zur Löschung eines Brandes einer mit Heu gefüllten Scheune bediente. Von Jugend auf hegte und behielt er, wie die Gläubigen aller Zeiten, das Vertrauen auf die mächtige Fürbitte der hhl. Martyrer in jeder Noth und ließ ihre Bildnisse und Namen in den Kirchen anbringen und wiederherstellen12; er nennt sie die Beschützer und Retter des Volkes, erzählt von den Wundern, die an ihren Gräbern geschahen und von der Hilfe, die man auch in zeitlichen Anliegen von ihnen zu gewärtigen habe, und wallfahrtete deßhalb oft nach Rom zu den Gräbern der hhl. Apostel; der heil. Felix war aber so zu sagen sein Schutzpatron, welchen er alljährlich durch schöne Preisgedichte verherrlichte. Alle Mittel, welche der Glaube bietet, um die christliche Vollkommenheit zu erreichen, glaubte er anwenden zu müssen, wie ein Mensch, der über einen Fluß schwimmen will, nicht bloß die Kleider ablegt, sondern alle seine Glieder, seine ganze Kraft in Thätigkeit setzt, um dem Strome zu widerstehen. Auf diese Weise erstieg er, wie der hl. Hieronymus bemerkt, nackt dem nackten Kreuze folgend, ungehinderter und leichter die Leiter Jakobs. Er übte, obgleich nicht Einsiedler im strengen Sinne [711] des Wortes, alle Abtödtungen der Einsiedler: Nachtwachen, Fasten, äußerste Entsagung in der Kleidung und Verzicht auf alle Bequemlichkeit des Lebens. So ward er arm am Geiste und arm an Erdengütern. Als Bischof bemühte er sich, die Anbetung und Liebe Jesu Christi, namentlich auch zum hl. Sacramente des Altars, unter seinen Angehörigen und durch Gedichte und Sendschreiben nach allen Weltgegenden zu verbreiten, zum demüthigen und kindlichen Vertrauen auf die unermeßliche Güte Gottes, der so zu sagen unser Schuldner werden wollte, während Er unser Gläubiger war, zu ermahnen, Niemanden Anlaß zur Feindschaft zu geben, Allen mit Liebe zuvorzukommen, genau in der Untersuchung, sanft im Urtheile zu seyn, den Rechten und Gütern der Kirche nichts zu vergeben, sie aber den Stiftungen entsprechend furchtlos zu verwenden, in Belehrung und Ermahnung seiner Untergebenen nicht nachzulassen, und wo er immer konnte zu helfen, zu trösten, geistliche und leibliche Gaben auszutheilen, so daß sein Ruf alle Länder durchdrang. Als die Gothen im J. 410 Italien verheerten, kam er eine Zeitlang in ihre Gefangenschaft, weil sie Geld bei ihm zu finden hofften, aber sie gaben ihm bald wieder die Freiheit. Sonst haben wir über sein bischöfliches Wirken keine besondern Nachrichten. Er war beflissen, so viel möglich ohne alles Aufsehen für das Reich Gottes thätig zu seyn, womit er aber nicht verhindern konnte, daß Personen aus den höchsten Ständen selbst aus sehr entfernten Gegenden ihn zu sehen verlangten. Als der hl. Alypius ihn bat, er möge ihm sein Bildniß zusenden, schrieb er ihm zurück, daß er dieses Verlangen unmöglich erfüllen könne, da seine Sünden das Ebenbild Gottes in ihm gänzlich entstellt und verzerrt hätten. (Stolberg-Kerz, Gesch. d. R. XVI. 140.) In diesem demüthigen Schuldbewußtseyn war er für empfangene Beleidigungen durchaus unempfindlich. Auf seinem Angesichte lag daher eine nie getrübte Heiterkeit. Gewiß war ihm während der ganzen Zeit seines bischöflichen Wirkens das schöne Wort seines Rathgebers und Freundes Hieronymus unaufhörlich gegenwärtig: »Der wahre Tempel Christi ist die Seele des Gläubigen; diese schmücke und kleide, ihr bringe Weihegeschenke, in ihr nimm Christum auf! Was hilft es, wenn die Wände von Edelsteinen erglänzen, wo Christus im Armen Hunger leidet! Was du jetzt noch hast, ist nicht dein Eigenthum, sondern nur die Verwaltung ist dir anvertraut.« In der That pflegte der hl. Paulinus auch als Bischof an erster Stelle die Sorge für die Armen, wie der Glanz und die Zierde der Kirche ihm am Herzen lag. Ebenso oblag er dem Studium der heil. Schrift in der Weise, daß er die äußere Schale der Worte zerbrechend in den Kern und Geist derselben eindrang13. So war er beiläufig 78 Jahre alt geworden, als ein heftiges Seitenweh ihm seine nahe Auflösung ankündigte. Die Bischöfe Symmachus und Acyndinus, wahrscheinlich auf benachbarten bischöflichen Sitzen, besuchten ihn. Am andern Tage feierte er mit ihnen vor seinem Sterbebette die heil. Geheimnisse. Als er hier in tiefer Andacht versunken war, erschienen ihm die hhl. Bischöfe Januarius und Martinus, welche er immer besonders verehrt hatte. Bald darauf erinnerte der Priester Posthumianus den Sterbenden, daß eine Kleiderschuld für Arme im Betrage von vierzig Goldstücken noch nicht bezahlt sey, worauf er zur Antwort gab: »sey unbesorgt, die Schuld der Armen wird schon Jemand übernehem.« Noch am nämlichen Tage wurde diese Hoffnung erfüllt. Hierauf schlief er ruhig bis Mitternacht. Die übrige Nacht verlief so schmerzvoll, daß die Aerzte vergeblich ihre Kunst aufboten, dem Kranken Linderung zu verschaffen. Gleichwohl verrichtete er am Morgen die gewöhnlichen Gebete und gab den umstehenden Klerikern heilsame Ermahnungen. Dann ruhte er bis zum Abend, wo er die Vespergebete verrichtete. Als man die Lichter anzündete, sprach er den Psalmenvers: »Ich habe meinem Christus ein Licht bereitet« (paravi lucernam Christo meo). Um 10 Uhr Nachts erschütterte ein Stoß, wie der eines Erdbebens, das Gemach, und in demselben Augenblicke gab er den Geist auf. Alles dieß hat ein Augenzeuge, der Presbyter Uranius, uns erhalten. Seine Leichenfeier war dem Leben des Heiligen entsprechend; die Bewohner der ganzen Gegend, auch Juden und Heiden strömten herbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Es sind uns von ihm 52 Briefe, 26 Gedichte, unter [712] welchen 15 das Leben des heil. Martyrers Felix befingen, und einige kleinere Schriften erhalten, deren beste Ausgaben in W. W. K.-L. VIII. 241 angemerkt sind. Andere seiner Schriften sind verloren gegangen, wenigstens noch nicht aufgefunden worden, so z.B. ein Buch über die Buße und ein anderes von der Herrlichkeit der Martyrer. Die berühmte, heldenmüthige Liebesthat, mit welcher er einen durch die Vandalen gefangenen Sohn einer Wittwe durch seine eigene Person auslöste, soll von einem jüngern Paulinus vollbracht und nur irrthümlich diesem heil. Paulinus zugeschrieben worden seyn. (S. S. Paulinus.16) Gleichwohl sind viele Schriftsteller geneigt, auch diese Perle in seiner Krone zu belassen. Sie setzen freilich statt der Vandalen die Gothen als Veranlasser des Liebeswerkes. Seine irdischen Ueberreste wurden in der St. Felixkirche zu Nola beigesetzt, werden aber dermalen in Rom zu St. Bartolomeo auf der Tiberinsel14, dann (Piazza, I. 533) zu St. Maria auf dem Capitol, und in der Loretokirche gezeigt und verehrt. Im Jahre 1712 wurden in der erstgenannten Kirche die heil. Reliquien aufgefunden und wieder reponirt. Zu Nola findet ihm zu Ehren alljährlich am 26. Juli ein fröhliches Volksfest mit sehenswerthen Aufzügen und Spielen statt. Daß der hl. Paulinus die Glocken erfunden habe, ist unrichtig, weil weder seine eigenen noch zeitgenössische Schriften darüber berichten, und der Name nola schon früher für die geschmiedeten Schellen vorkommt. Sicher aber ist, daß er alte Gemälde in den Kirchen erneuern und neue anfertigen ließ, um Ungebildete durch dieselben zu belehren und zu erbauen. (IV. 193–235.)


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 4. Augsburg 1875, S. 710-713.
Lizenz:
Faksimiles:
710 | 711 | 712 | 713
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon