Thomas, S. (3)

[515] 3S. Thomas, Aquin. Conf. Eccl. Doctor (7. März). Die Hauptquelle für die nachfolgende Darstellung bilden die Bollandisten, insbesondere die von ihnen autore Guilielmo de Thoco, ord. Praed. (gest. 1323) gegebene Lebensbeschreibung. In Deutschland sind drei größere deutsche Bearbeitungen dieses Lebens erschienen; die erste führt den Titel: Thomas von Aquino und seine Zeit von Harry Hörtel, Augsburg 1846; [515] die andere ist eine Bearbeitung, eigentlich Uebersetzung des im gleichen Jahre zu Löwen erschienenen Buches von Baraille: histoire de St. Thomas d' Aquin von Dr. Mettenleiter, und zu Regensburg bei Pustet im J. 1856 herausgekommen. Die demselben als Anhang beigegebenen Actenstücke erhöhen noch seinen Werth. Das Büchlein von Contzen: Thomas von Aquino als volkswirthschaftlicher Schriftsteller, Leipzig 1861, haben wir nicht gesehen, und liegt sein Vorwurf dem H.-L. zu ferne, als daß wir dieses bedauern müßten. Das Gleiche gilt von Jellinek: Thomas von Aquino in der jüdischen Literatur, Leipzig 1853. Das Großartigste und Beste ist das dreibändige Werk von Werner: der hl. Thomas von Aquin, Regensb. 1858 und 59; der erste Band führt den Titel: Leben und Schriften des heil. Thomas. Auch in sämmtlichen Legenden, insbesondere in dem großen Werke von Räß und Weiß, ist der Heilige mit verdienter Auszeichnung behandelt. Die betreffenden Artikel in den theologischen Encyclopädien von Wetzer-Welte und Aschbach haben wir gleichfalls beigezogen. Zunächt beschäftiget uns das Elternhaus und die erste Jugend des Heiligen. Er war der jüngste Sohn Landulfs, Grafen von Aquino, und seiner Gemahlin Theodora Caraccioli, Gräfin von Theato und wurde auf dem Schlosse zu Rocca-Secca (lat. sicca) am Anfange des Jahres 1225 geboren26. In seiner Kindheit blieb er von einem Blitzstrahle, welcher in den Thurm des Schlosses einschlug, und eine seiner Schwestern und die Pferde im Stalle tödtete, mit seiner Amme wunderbar verschont. Er war noch sehr klein, als ihn die Mutter nach Neapel ins Bad mitnahm. Als die Kindsfrau den Knaben entkleidete, bemerkte sie, daß er ein Zettelchen (cartulam) in der Hand hielt, welches er durchaus nicht hergeben wollte und auch nach dem Bade sorgfältig bewahrte. Mutter und Kindsfrau, hiedurch aufmerksam gemacht, suchten das Papier zu bekommen, und es fand sich, daß auf demselben die Worte: Ave Maria geschrieben standen. So oft der Kleine später der Beruhigung bedurfte, und man ihm das Zettelchen in die Hand gab, fing er sogleich an, es nach Kinderart in freudiger Erregung in den Mund zu nehmen. Niemand wußte, wer ihm das Papier gegeben hatte, aber die Anhänglichkeit des noch ganz unentwickelten Kindes an dasselbe wurde als Vorbedeutung seiner künftigen Liebe und Verehrung zur heiligen Gottesmutter aufgefaßt. Seine Mutter soll eine sehr andächtige und abgetödtete Frau gewesen sein (multae dicitur devotionis fuisse et abstinentiae). Theodora, seine ältere Schwester, war wegen ihrer großen Mildherzigkeit gegen die Armen bekannt, und übte eine ungewöhnliche Bußstrenge bei Tag und Nacht. Von seinen Brüdern wird gleichfalls eine streng gläubige und kirchliche Gesinnung gerühmt. Er zählte fünf Jahre, als ihn die Eltern nach Monte Cassino, wo ein Verwandter ihres Hauses, Landolf Sinebaldo, Abt war, in die Schule schickten. Hier entwickelten sich seine Anlagen unter dem sichtbaren Einflusse der göttlichen Gnade immer weiter. Sein Fleiß war so groß, daß er selbst in den Stunden der Erholung oft lesend oder schreibend angetroffen wurde. Man fand ihn, während andere Zöglinge spielten und schrieen, meistens in Gedanken vertieft. In seinem Aeußern hatte er etwas Gesetztes, fast Männliches an sich; besonders in den Fragen, welche sich auf Gott und göttliche Dinge bezogen, gab er die besten Antworten. Von andern Dingen hörte er schon in diesem zarten Alter nicht gern reden, und verließ regelmäßig die Gesellschaft, sobald ein Wort fiel, welches die Ehrfurcht gegen Gott zu verletzen oder sonst etwas Ausgelassenes zu verrathen schien. Der Abt des Klosters gab dem Vater den Rath, den Knaben, nach einem längern Aufenthalte auf ihrem Schlosse zu Loretto (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen berühmten Wallfahrt) in den Abruzzen, wo der fromme Jüngling Wunder der Wohlthätigkeit verrichtete, behufs besserer Ausbildung nach Neapel bringen zu lassen. Es findet sich in seiner Lebensbeschreibung keine Andeutung, aus welcher sich schließen ließe, daß diese Universität schon damals der Unschuld große Gefahren bereitet27, oder daß die [516] Mutter diesem Rathe des Abts von Cassino widerstrebt, und von dem Besuche Neapels Nachtheiliges befürchtet hätte. Befand sich ja doch ihr Sohn, wie aus Allem hervorgeht, unter der beständigen Aufsicht und sorgfältigen Leitung der Predigerbrüder. Seine Lehrer waren Magister Martinus in der Grammatik und Logik, und Magister Petrus in den Naturwissenschaften. Er faßte Alles so gut auf, daß er das Gehörte klarer und gründlicher wiederzugeben vermochte, als die Lehrer es ihm gesagt hatten. Seine Fortschritte in den Wissenschaften waren der Art außerordentlich, daß man sie einer besondern göttlichen Erleuchtung zuschrieb. Dreimal sah ein Bruder des Prediger-Ordens sein Angesicht wie von Sonnenstrahlen übergossen. Als nun die Zeit der Berufswahl näher rückte, beschloß der Heilige aus freiem Antriebe, sich dem damals in der ersten Kraft- und Gnadenfülle befindenden Orden des heil. Dominicus anzuschließen. Schon früher, als er erst 14 Jahre zählte, scheint er sich hierüber mit dem damaligen Prior Johannes berathen und dieser ihm den Eintritt als eine göttliche Fügung empfohlen zu haben. Im J. 1243, als er neunzehn Jahre erreicht hatte, führte er diesen Entschluß aus. Der Bruder Thomas Agni von Lentino, welcher in diesem Jahre das Priorat inne hatte, gab ihm das Ordenskleid. Ob er seine Eltern28 hierüber vorher befragt hatte, sagt die Biographie des Wilhelm von Thoco (Thou), welche wir als die älteste und sicherste benutzen, allerdings nicht, läßt oder deutlich erkennen, daß die Mutter übereinstimmte, indem diese selbst eine deßbezügliche Vorhersagung schon zur Zeit ihrer Schwangerschaft von einem Einsiedler zu Rocca-Secca erhalten haben wollte. Es läßt sich denken, daß sie dem Sohne hievon Mittheilung gemacht habe und seinem Entschlusse nicht in den Weg gestanden sei. Daher ist es ganz glaublich, daß sie deßhalb den heil. Thomas in Neapel beglückwünschen und ihn zur Beharrlichkeit ermahnen wollte. Als aber die Predigerbrüder sie nicht zu ihm ließen und sie in dieser Absicht vergeblich von Neapel nach Terracina, Anagni und Rom gereist war, in welcher Stadt man ihn bei St. Sabina untergebracht hatte, wurde sie mit Recht sehr aufgebracht, und sah es gerne, daß ihre andern Söhne sich um sie annahmen, und den Sohn, welchen sie auf ihre Bitten nicht sehen durfte, mit Gewalt zu ihr zu bringen unternahmen. Die angezogene Biographie sagt, daß die Dominicaner Solches gleich Anfangs befürchtet hatten. Daß diese Befürchtung, wenigstens was die Familie des Heiligen betrifft, ihren guten Grund hatte, aber auch eine unberechtigte Einwirkung der Dominicaner auf den freien Willensent schluß des Heiligen nicht stattgefunden hatte, sollte bald klar werden. Unter stillschweigender Gutheißung des Kaisers Friedrich II, dem der Sachverhalt mitgetheilt worden war, nahmen ihn nämlich seine Brüder Landulfus und Rainaldus bei Acqua Pendente, als er eben von der Reise ausruhte, gefangen und vereitelten auf diese Weise seine schon jetzt beabsichtigte Uebersiedelung nach Paris. Im Thurme zu Rocca-Secca bestand der Heilige eine strenge Probezeit, welche die Mutter, um seinen freien Entschluß unzweifelhaft zu machen, über ihn verhängte. Er war durchaus nicht zu bewegen, auch nur sein Ordensgewand auszuziehen. Besonders lag ihm seine ältere Schwester Marotta an, aber mit dem entgegengesetzten Erfolge, indem sie selbst die Welt verließ und zu Capua in den Orden des heil. Benedictus eintrat, wo sie später Abtissin wurde. Seine Gefangenschaft benutzte er gewissenhaft zu weiterer Ausbildung. Er las und betrachtete die heiligen Schriften und die Bücher des Aristoteles, welche ihm seine Ordensgenossen aus Neapel zugeschickt hatten, und befestigte seinen Entschluß durch anhaltende und feurige Gebete. So geschah es, daß er in dem Gefängnisse die Freiheit eher befestigte, als daß sie ihm genommen worden wäre. Da seine Brüder merkten, daß die Gefangenschaft nichts helfe, nahmen sie zu Gewaltthätigkeiten und Rohheiten Zuflucht. Den Habit, welchen er freiwillig nicht ablegen wollte, zerschnitten sie ihm in Fetzen, so daß er ein anderes[517] Kleid zu nehmen genöthiget war. Nichtsdestoweniger behielt er auch die abgerissenen Stücke, soweit dieß möglich war, an seinem Leibe. Er ehrte in denselben die Armuth Christi. Zur Vergeltung hiefür verlieh ihm der Herr in einer Versuchung, wo es zwar viele Kämpfer, aber wenige Sieger gibt, wie der Biograph sinnig bemerkt, die Gnade des Sieges. Der junge Mönch kannte keine andere Liebe als die zur himmlischen Weisheit, die er sich zur Braut erkoren hatte. Dennoch fühlte er beim Anblicke einer reizenden Person, welche die Brüder in der schlimmsten Absicht in seine Kannmer gelassen hatten, eine fleischliche Versuchung. Da nahm er aus dem Kamin ein brennendes Scheit, und verjagte die Dirne. Nach ihrer Entfernung brannte er das Kreuzzeichen in die Wand, innig und inständig betend, daß der gütige Gott ihn für die Zukunft vor allen solchen Versuchungen bewahren möge. In der folgenden Nacht sah der fromme zwanzigjährige Jüngling im Traume zwei Engel, die ihn gürteten, wobei er aber so heftige Schmerzen verspürte, daß er laut aufschrie, mit dem Versprechen, daß dieser »Gürtel der Keuschheit«29 nie, so lang er lebe, eine Verletzung erfahren würde. Von jener Zeit an mied er kräftig jedes Beisammensein mit dem weiblichen Geschlechte, ja sogar jeden Anblick und jede Unterredung, außer wenn es sich um eine nothwendige, das Heil der Seelen und den Dienst Gottes betreffende Sache handelte. So verstand es die göttliche Vorsehung, ihm aus diesen so schweren Versuchungen einen herrlichen Ausgang zu gewähren. Wahrscheinlich bald nach diesem Vorfalle erhielt er einen Besuch des Bruders Johannes von St. Juliano, welcher ihm heimlich andere Ordenskleider brachte. Seine Mutter konnte an den Qualen, die ihm ihre andern Söhne auferlegten, keine Freude haben und darum sah sie gerne seine Befreiung. Endlich schlug die Stunde der Erlösung. Die zwei Schwestern Marotta und Theodora (Letztere wurde nachher Gräfin von Marsico und San Severino) ließen den hart geprüften Bruder in einem Korbe den Thurm hinunter, wo schon einige hievon in Kenntniß gesetzte Brüder aus Neapel ihn erwarteten, und ins Kloster zurückbrachten. Diesen Liebesdienst seiner Schwestern vergalt ihnen der Heilige später durch seine andächtige Fürbitte, welche die eine von ihnen aus dem Fegfeuer erlöste, wie ihm in einem Gesichte geoffenbart wurde. Die Heimlichkeit, mit welcher die Flucht bewerkstelliget werden mußte, spricht nicht dafür, daß Papst Innocenz IV. und der Kaiser Friedrich II. die Befreiung des Heiligen betrieben hatten. Wenn es wahr ist, daß Ersterer ihn zu Rom selbst prüfen und von der Freiheit seines Entschlusses sich überzeugen wollte, muß er im Gegentheil auf Seite seiner Brüder gestanden sein. Das Schloß und die Stadt Aquino wurden im J. 1250 wie zur Sühne für die an dem Heiligen begangenen Frevel von Grund aus zerstört (Mettenleiter). Wie lange er jetzt noch im Convente zu Neapel verweilte, wissen wir nicht. Man beeilte sich aber, ihn die Gelübde ablegen zu lassen, um ihn gegen weitere Verfolgungen besser zu sichern. Wahrscheinlich um jene Zeit sah ein junger Klosterbruder einen Stern in das Fenster seiner Zelle hineintreten und über dem Haupte des zukünftigen großen Lehrers der Christenheit sich niederlassen, eine Erscheinung, deren Wirklichkeit der Bruder in seinem hohen Alter eidlich bestätigte. Ungefähr im J. 1245 kam der hl. Thomas nach Rom. Der damalige vierte General-Magister Johannes Teutonicus nahm ihn mit nach Deutschland, damit er zu Cöln unter dem berühmten Lehrer Albertus Magnus seine Studien fortsetze und vollende. Aus seinem Aufenthalte hier erzählt man sich, daß einer seiner Mitbrüder sich eines Tags erbot, ihm eine Repetition über eine Lection zu halten. Man schloß nämlich aus dem fast beständigen Stillschweigen des jungen Theologen auf große Verstandes- und Geistesschwäche. Der Heilige, welcher inzwischen schon eine große Lebensschule durchgemacht hatte, schien es nicht zu merken, und zeigte sich nicht im mindesten gekränkt, wenn seine eingebildeten Mitschüler ihn spottweise »den stummen Ochsen« nannten. Die besagte Repetition klärte aber Vieles auf. Der Heilige hörte nämlich in seiner Demuth aufmerksam zu, allein als der Repetitor stecken blied, setzte [518] er zum Erstaunen der Uebrigen die Lection in so vollendeter Weise fort, daß er selbst Einiges, was der Lehrer lückenhaft vorgetragen hatte, zu ergänzen verstand. Als der große Albertus davon hörte, sagte er: »Wir heißen ihn einen stummen Ochsen, er wird aber dereinst als Lehrer noch ein derartiges Gebrüll von sich geben, daß die ganze Welt den Schall hören wird« (Nos vocamus istum bovem mutum; sed ipse adhuc talem dabit in doctrina mugitum, quod in toto mundo sonabit) Nach ungefähr einem Jahre empfahl derselbe selige Albertus dem Ordens-General den jungen Theologen zu besonderer Berücksichtigung, da dessen Gelehrsamkeit und Lebensweise ihn zum Baccalaureus, ja zum Magister der Theologie befähige. Man berief ihn also nach Paris und trug ihm auf, die Sentenzen des Petrus Lombardus zu erklären. Er that es mit so großem Erfolge, daß sein Lob in Aller Munde war, indem er selbst die erfahrensten Lehrer weit hinter sich zurückließ und die bisherige Lehrweise nach Inhalt und Form verbesserte und mit neuen Gedanken bereicherte, die er dem Schatze der weltlichen Wissenschaften zu entnehmen verstand. Daher beförderte man ihn, ungeachtet er sein Alter und den Mangel gründlicher Bildung vorschützte, zum Magister der Theologie. Im Gehorsame nahm er das Amt an Bald darauf lag er demüthig betend auf seinem Angesichte, Gott möge in seiner Barmherzigkeit ihm Wissenschaft und Gnade eingießen, wie er bisher seiner Unwürdigkeit gnädig begegnet sei, und fuhr so lange fort zu beten bis er einschlief. Da hatte er eine Erscheinung, in welcher ein alter Ordensbruder ihn tröstete und zu ihm sprach: »Siehe du bist erhört, übernimm das Lehramt, denn Gott ist mit dir.« So wurde der hl. Thomas, indem er Gebet, Betrachtung, eifrigstes Studium und tiefste Demuth in sich vereinigte, »der englische Lehrer.« Worauf er aber vor Allem fußen und was das Ziel seiner Bestrebungen sein müsse, erfuhr er in derselben Erscheinung. Als oberster Grundsatz solle ihm das Wort des Psalmes gelten: »Du befruchtest die Berge von deinen Höhen; von der Frucht deiner Werke wird die Erde gesättiget.« So that er. Er schöpfte aus den Quellen jener Berge, welche die ewige Weisheit von ihren Höhen speiset, und sättigte mit den Früchten, die er auf dieser Weise auf dem Acker der Kirche mittelst des göttlichen Samenkorns erzielte, die ganze Erde – er wurde ein anderer Paulus, ein Lehrer der Völker. Der liebe Gott fügte es, daß er zuerst in Cöln, (seit dem J. 1248) an dem nämlichen Orte, wo er, »der welsche Ochse«, war verachtet worden, Theologie zu lesen berufen wurde. Wahrscheinlich empfing er hier auch die Priesterweihe; die obige Jahreszahl ist nicht sicher, jedenfalls war es noch vor dem J. 1250. Aus allen Theilen der Erde eilte die wißbegierige und heilsbeflissene Jugend zu seinem Lehrstuhle. Was er lehrte, war so einfach, klar und faßlich, und doch so ungewöhnlich und erhaben, daiß man seine Lehren göttlicher Eingebung zu schrieb. Aus dem reichen Schatze der heil. Schriften, der apostolischen Ueberlieferung, der Lehre der Vater und Concilien, ja selbst der heidnischen Philosophen sammelte er jedesmal was das Schönste, Passendste, Zeit und Umständen Angemessenste war. Zu Paris trat er an demselben Tage des J. 1253 als Lehrer der Theologie auf, an welchem auch der hl. Bonaventura aus dem Franciscaner-Orden den theologischen Lehrstuhl bestieg. Die beiden Heiligen hatten mit einander öftere Unterredungen, die eine zarte Freundschaft zur Folge hatten. Er hatte dieses Mal die Reise über Löwen gemacht, wo die Herzogin Adelheid von Brabant seines Rathes bedurfte. Kurze Zeit nachher lauschte eine auserlesene Schaar Zuhörer auf seine lichtvollen Vorträge. Bei Abfassung seiner Werke war er geistig in sich versunken und schien nichts Anderes zu sehen, zu hören oder zu bedürfen. Innerhalb zwanzig Jahren schrieb oder dictirte er eine so große Zahl Bücher, daß nicht bloß die Zeitgenossen darüber die größte Verwunderung aussprachen, sondern sich auch die nicht unbegründete Sage verbreitete, er habe über verschiedene Gegenstände zu gleicher Zeit drei und bisweilen vier Schreibern dictiren können. Ueberall, auch wenn er äußerlich beschäftigt war, z.B. aß oder trank oder sich mit seinen Mitbrüdern unterhielt, versank er, ohne daß er es selbst wollte und bemerkte, in Nachdenken darüber, was er etwa in der nächsten Zeit zu dictiren [519] und worüber er zu disputiren habe. Einst wurde er zur Tafel des Königs Ludwig IX. eingeladen, entschuldigte sich aber mit der Unmöglichkeit, jetzt das Studium seines Hauptwerkes, welchem er eben oblag, verlassen zu können und es bedurfte eines Befehles seines Obern, bis er der Einladung Folge leistete. Er ging also, den Kopf voll Gedanken, zur königlichen Mahlzeit. Plötzlich, als er glaubte, das Rechte gefunden zu haben, schlug er auf den Tisch mit den Worten: modo conclusum est contra haeresim Manichaei, d. i. jetzt ist der Schluß gegen die Manichäische Ketzerei gemacht! Der Prior weckte ihn aus seinen Gedanken, indem er sagte: »Bedenket doch Magister, daß ihr jetzt am Tische des Königs von Frankreich sitzet« und zupfte stark an seiner Cappa. Darauf bat der Heilige den König demüthig um Verzeihung wegen seiner Zerstreutheit, aber dieser hielt dieselbe für so wichtig, daß er sogleich einen Schreiber kommen ließ, welchem der hl. Thomas seinen Schluß dictiren mußte, damit er nicht etwa seinem Gedächtnisse wieder entfiele. Ueber seine dogmatischen und philosophischen Schriften schreibt ein Ungenannter, wahrscheinlich Dr. Weiß, (hist.- pol. Bl. 1874, Heft 8) schön und wahr: »Der Herr hat seinen Geist auf ihn gelegt und er selber hat nicht geruht, bis er das Recht zum Siege gebracht hatte, das Recht des Glaubens gegenüber der Vernunft.« Und damit war auch die Möglichkeit gegeben, eine Wissenschaft des Glaubens herzustellen und ein Lehrgebäude der Theologie zu schaffen, welches die höchsten Anforderungen, welche man bis dahin an die wissenschaftliche Behandlung der Glaubenslehren stellen zu können meinte, weit hinter sich zurückließ, und dennoch dem Glauben nicht zu nahe trat. Diese Aufgabe zuerst in ihrem ganzen Umfange und zugleich in höchster Vollkommenheit zu lösen, war dem heil Thomas vorbehalten. Wahrscheinlich größtentheils in Paris in den Jahren 1256–1261 entstanden seine Werke: »über die vier Bücher der Sentenzen,« und das Buch zur Unterstützung der Missionsthätigkeit des heil. Raymund von Pennaforte (s. d.) in Spanien (vgl. W. W. K.-L. X. 918) »gegen die Heiden.« In diesem wollte er Alles zusammenfassen, was die menschliche Vernunft zu Gunsten des Glaubens aufbringen kann, um die Heiden anzuregen, das Wort des Glaubens wirklich zu hören und durch das Gehör zum Glauben selbst zu gelangen. Dazu kam später, noch vor dem J. 1264, die »goldene Kette«, nämlich eine Erklärung der Evangelien, die ganz aus aneinander gereihten Stellen der berühmtesten, ihm zugänglichen Exegeten des Alterthums bestand, und wodurch er zugleich zeigte, daß die katholische Schrifterklärung nur auf dem Boden der beständigen kirchlichen Ueberlieferung ihren Beruf sicher und heilbringend üben kann. Wie viele Klöster und Bibliotheken mußte er durchsuchen, und wie viele unsägliche Mühe auf Abschreiben verwenden, um nur dieses eine Werk, das für beinahe wunderbar gehalten wurde, zu Stande zu bringen. Außerdem verfaßte er eine tief durchdachte und überaus geistvolle Postille über das Evangelium des heiligen Johannes und einen Commentar über sämmtliche Briefe des hl. Paulus. Dazu kam eine Auslegung über einen großen Theil der Psalmen und eine wörtliche Erklärungdes Buches Job. Andere größere und kleinere Schriften, welche durch besondere Ereignisse, Anfragen, Briefe etc. veranlaßt waren, übergehen wir und nennen nur noch das Officium vom Leibe Christi, das er auf Befehl des Papstes Urban IV. zusammenstellte und mit herrlichen Hymnen und Preisgesängen ausstattete, in welchen die strengste dogmatische Schärfe und Erudition mit der zartesten Frömmigkeit und Andacht um die Palme ringt. Wie anfänglich sich selbst, so mußte er später seinen Orden, ja sogar die Bettelorden im Allgemeinen gegen unberechtigte Angriffe schützen. Ein Pariser Doctor erklärte sie, um ihnen das Universitätsleben unmöglich zu machen, für »Vorläufer des Antichrist.« Er schrieb also (vgl. hist.- pol. Bl. l. c. S. 581) vollständige Lehrabhandlungen von dem Stande der Vollkommenheit, von dem Ordensleben, als dem besten Mittel diese zu erreichen, von der wahren Wissenschaft, und von dem Wege, auf welchem diese sicher erreicht werden kann, so daß sie nicht weniger für die Orden eine Apologie, als für alle, welchen eine vollendete kirchliche Wissenschaft am Herzen liegt, eiu wahres Lehrbuch [520] bilden. Auch in diesem Kampfe treffen wir den Heiligen an der Seite des heil. Bonaventura. Persönlich vertrat er die Orden beim Papste zu Anagni mit dem schönsten Erfolge. Gleichwohl wurde der Streit durch zwei Pontificate, unter Alexander IV. und Clemens IV. heftig fortgeführt. Namentlich bekämpfte der heil. Thomas auch die Fraticellen (eigentlich fratres zelatores), d. h. eine Partei zelotischer Franciscaner, welche die Kirche Gottes nach der Weise älterer Ketzer in zwei Theile schieden, die »Fleischeskirche«, zu welcher der Papst und seine Anhänger, und die »Geisteskirche«, zu welcher natürlich sie selbst gehörten. Ihnen gegenüber zeigte der Heilige, daß die Kirche Christi jetzt und immer dieselbe sei und sein müsse wie im Anfange, nämlich die Vermittlerin der Gnade und die Vorschule der dereinstigen Verherrlichung. Auch der Papst, »welchem es zukommt, die Ketzereien zu verurtheilen« (ad quem pertinet haereses condemnare), wie die alte Lebensbeschreibung sagt, verwarf diese Lehre der Fraticellen. Gegen die schismatischen Griechen bewies er die Pflicht der Vereinigung und Uebereinstimmung mit dem Stuhle des hl. Petrus aus den Schriften ihrer eigenen Kirchenväter (contra errores Graecorum) Letzteres soll auf besondern Befehl des Papstes Urban IV. geschehen sein, welcher ihn im J. 1201 wieder nach Rom berief. Sein berühmtestes Werk: »die Summe der christlichen Theologie« (Summa theologiae christianae) begann er im J. 1265 zu Rom; der erste Theil erschien im J. 1267; der zweitezu Bologna im J. 1271. Dazwischen schrieb er eine große Zahl kleinerer, aber ihrem Inhalte nach äußerst werthvoller Schriften. Wo immer die Zeit ihre schwachen Seiten hatte, da war der heil. Thomas der Erste im Kampfe für die Wahrheit, und nie hat er den Kampf gegen eine Irrlehre begonnen, ohne daß er ihn vollständig zu Ende gekämpft und mit Ehren und Sieg aus demselben hervorgegangen wäre. Auch den künftigen Geschlechtern hat er in Bekämpfung auftauchender Ketzereien nicht bloß dadurch vorgearbeitet, daß er die beste Kampfesweise zeigte, sondern auch dadurch, daß er so zu sagen alle irgendwie möglichen Irrthümer im voraus widerlegt hat. Dieß ist der Grund, warum auch die neue Secte, die sich altkatholisch nennt, gleich in ihrem Beginne daran ging, den hl. Lehrer herabzusetzen und zu verunglimpfen. Freilich, jede Ketzerei entspringt aus dem Hochmuthe, der hl. Thomas aber war und blieb in seinem ganzen Leben die Demuth selbst. Er war nicht zu bewegen, kirchliche Würden anzunehmen. So lehnte er z.B. das ihm angebotene Erzbisthum Neapel, die Cardinalswürde etc. beharrlich ab. Im Jahr 1265 hatte Papst Clemens IV. die betreffende Bulle schon ausgefertiget, als das rührende Flehen des demüthigen Ordensbruders ihn nöthigte, dieselbe wieder zurückzunehmen. Noch gleichgültiger war er gegen weltliche Ehrenbezeugungen, obwohl z. B. der heil. König Ludwig IX. sein und seines Ordens voxzüglicher Gönner war, und auch in Angelegenheiten der Regierung seinen Rath erholte, indem er ihm auftrug, über diese oder jene Sache nach zudenken und sich an einem darauf folgenden Tage darüber zu äußern. Wenn schon der Heilige sich fast ununterbrochen mit göttlichen Dingen beschäftigte und allen zeitlichen und weltlichen Sorgen behutsamst auswich, bewährte sich auch in solchen die Schärfe seines Urtheils, und seine große, unüberwindliche Demuth, welche ihn durch sein ganzes Leben begleitete. Sein Ruf hatte bereits die Welt erfüllt, als einst in Bologna, wo er seit dem J. 1267 Theologie lehrte, ein fremder Klosterbruder den Prior bat, ihn auf einem Gange in die Stadt durch denjenigen Bruder begleiten zu lassen, welchen er zuerst treffen würde. Gott fügte es, daß der hl. Thomas dieser Bruder war. Aber der Heilige vollzog ohne Widerrede, sondern vielmehr mit der größten Freundlichkeit, ungeachtet er damals an einem Fußübel litt, diese Dienstleistung. Erst spät wurde der fremde Bruder aufmerksam gemacht und kehrte dann alsbald ins Kloster zurück. Aeußerst liebevoll war der hl. Thomas in der Leitung der Seelen. Obwohl er gegen Sünden und Sünder mit äußerster Strenge zu verfahren pflegte, verwandelte sich dieselbe bei ihm sogleich in große Milde, wenn er Reue und Besserung wahrnahm. Er verwendete sich daher auch für Verbrecher und wurde auf diese Weise öfter der Verfolger der Uebelthat und der Retter des Uebelthäters. [521] Uebrigens glaubte er nicht leicht, daß ein Mensch böse sei, sondern hielt vielmehr alle für so gut, selbst für besser als er selbst war. Wer ihn sah, empfand schon durch seinen Anblick etwas von überirdischem Troste und so zu sagen himmlischer Süssigkeit. Daher wetteiferte auch in ihm die Liebe zur Armuth mit der Liebe zu den Armen: er hätte sich Sünden gefürchtet, für den andern Tag zu behalten, um was ein Dürftiger am nämlichen Tage ihn gebeten hatte. Auch wenn er speculative oder gelehrte Untersuchungen zu pflegen hatte, war er gewohnt, vorher etwas aus dem Leben der frommen Altväter zu lesen, um den Geist der Frömmigkeit, ohne welchen er das Wahre nicht finden zu können erklärte, in sich neu zu erwecken. Er unternahm überhaupt kein Geschäft, ohne vorher zu beten; jede Disputation, selbst die gelehrteste, hielt er für nutzlos, wenn nicht die göttliche Gnade dieselbe unterstütze Auf diese Art bekehrte er zwei gelehrte Juden, die er allerdings gründlich über die Messianische Würde Christi zu unterrichten gesucht hatte, indem er den göttlichen Heiland bat, er möge ihm auf das Fest seiner Geburt die Freude ihrer Bekehrung schenken. In eben dieser Erkenntniß wies er jede Regung innern Hochmuthes, wenn er etwa eine solche empfand, ernstlich zurück, denn es wäre ihm unmöglich gewesen, sich geistig zu den höchsten Geheimnissen der Gottheit emporzuschwingen, wenn er nicht hiefür einen tiefen Grund der Demuth in allen menschlichen Dingen gelegt hätte. Daher war dieser berühmte Lehrer im Umgang äußerst leutselig und gegen Alle liebenswürdig. Eine gründliche Vertiefung in die Lehre Christi, sagte er, habe eine ebenso gründliche Vertiefung in das demüthige Leben Christi zur nothwendigen Voraussetzung. Die Demuth sei es, um welcher willen im Orden ein Mensch dem andern sich unterwerfe, wie der Sohn Gottes dem Menschen um des Menschen willen gehorsam war. Hiemit ging seine Liebe zur Keuschheit Hand in Hand. Den Versuchungen gegen diese Tugend suchte er durch eifrige Betrachtung und beständige Beschäftigung zuvorzukommen. Nicht einen Augenblick fand man ihn müssig, indem er stets entweder las oder betete oder dictirte oder predigte. Letzteres scheint oft geschehen zu sein. Das Volk hörte ihn so ehrfurchtsvoll, wie wenn Gott selbst durch ihn redete; seinerseits aber redete er nur, was ihm Gott gleichsam auf die Zunge legte und was er selbst im Werke vollzog. Alle rein speculativen Gegenstände, so viel er sich sonst mit ihnen abgab, hielt er von seinen Vorträgen fern. Alle Redensarten, welche dem gemeinen Manne nicht ganz verständlich sein konnten, vermied es sorgfältig. Nicht die Neugierde der Zuhörer, sondern ihren geistlichen Nutzen hatte er im Auge. Wenn er predigen wollte, fing er seine Vorbereitung mit Gebet an; was er im Gebete gelernt hatte, trug er vor, worauf er wieder betend schloß, wie er betend begonnen hatte. Als er in der Peterskirche zu Rom, wo er im St. Sabinakloster wohnte, vom Leiden des Herrn predigte, rührte er die Zuhörer zu schmerzlichen Thränen, indem er sie ermahnte, die Schmerzen der heil. Jungfrau unter dem Kreuze mitzuempfinden, während er am Ostertage sie aufforderte, sich wie sie über die Auferstehung Jesu zu freuen. Mit innigster Liebe und Verehrung hing er auch selbst an der Mutter Jesu. Er liebte sie so sehr, daß sie sich würdigte, ihm zu erscheinen und mit ihm zu reden, und ihn der Erhörung seiner Bitten bei Gott durch sie zu versichern. Das Gebet war ihm so zu sagen zur zweiten Natur geworden, daß er jede freie Zeit unverweilt seine Gedanken und sein Herz zu Gott emporhob, als hätte er körperliche Bedürfnisse nicht zu befriedigen. Täglich pflegte er außer der Messe, welche er selbst las, noch einer andern beizuwohnen, und dabei den Meßdiener zu machen. Beim hl. Opfer schien er von Thränen wie übergossen und manchmal wie außer sich. Nicht selten sah man ihn viele Stunden der Nacht vor dem Allerheiligsten beten, indem er nur so viel Ruhe und Erholung genießen wollte, als zur Erhaltung der Gesundheit und des Lebens unumgänglich nöthig war. Wenn er gebetet hatte, fand er leicht die Lösung der schwierigsten Fragen; hatte er sich über eine Sache zweifelnd zum Gebete begeben, so kam er gewiß und sicher von demselben zurück. So waren in ihm die An dacht und die Wissenschaft so zu sagen in ein höheres Ganzes verschlungen; die eine diente dem Wachsthum und der Vollendung der andern. Oefter fügte er dem Gebete behufs sicherer Erhörung irgend ein Bußwerk, [522] meistens Fasten hinzu. Neben den großen Völkerlehrern Petrus und Paulus, welche ihm öfter erschienen, ehrte er mit besonders inniger Liebe die heilige Gottesgebärerin und erhielt durch ihre Fürbitte die Gnade der Standhaftigkeit im Orden, um welche er dieselbe oft angerufen hatte. Sie hörte ihn, wie die Lebensbeschreibung sagt, um so bereitwilliger, als die Lilie eines beständig jungfräulichen Lebens seine Andacht ihr wohlgefälliger machte. Die abgeschiedenen Seelen im Himmel und im Fegfeuer erschienen ihm öfter, eben so sah er im Geiste die geheimen Versuchungen, denen ein Bruder ausgesetzt war, während er im Chor die heil. Messe hörte, und warnte ihn, in dieselben einzuwilligen, da er gesehen habe, wie der Teufel vor ihm her getanzt sei. Wenn er geistig abwesend, in Betrachtung und Nachdenken vertieft war, konnte man ihn zwar meistens durch Stoßen oder Zupfen an den Kleidern wecken, aber es gelang dieß nicht immer. Einmal merkte er nicht, daß eine Kerze, welche er in der Hand hielt bis sie ganz hinuntergebrannt war, ihm die Finger verletzte. Ein anderes Mal wurde ihm im Zustande seiner Geistesabwesenheit zur Ader gelassen, ohne daß er davon etwas spürte. Er war überhaupt stets mit göttlichen Dingen beschäftiget, so daß er sich höchlich wunderte, wie Jemand, namentlich aber ein Religiose, von andern als göttlichen und erbaulichen Dingen reden könne. Die Belohnung, welche ihm Gott dafür schon in diesem Leben zu Theil werden ließ, war die strenge Genauigkeit, womit er die erhabensten Geheimnisse des Glaubens in klare und kurze Worte zu fassen und gemeinverständlich darzustellen verstand. War es ja auch eine hauptsächliche Bitte, die er in seinen Andachten einflocht, daß er nie etwas lehre oder schreibe, was mit dem reinen katholischen Glauben nicht vollständig übereinstimme. Ebendeßhalb lag ihm die Erhöhung und Ausbreitung seines Ordens sehr am Herzen. Auf seinen Betrieb schickte derselbe seine Botschafter zu den Christen in Palästina und tief in den Orient hinein. An den General-Capiteln nahm er thätigen Antheil. Bei dieser Gelegenheit kam er im J. 1269 noch einmal nach Paris, wo er sich mit der Widerlegung verschiedener Irrlehren beschäftigte und kehrte Anfangs 1271 wieder nach Bologna zurück. Im folgenden Jahre wohnte er dem General-Capitel zu Florenz bei. Von da mußte er einige Zeit zu Rom Vorlesungen halten und hierauf einem Rufe nach Neapel folgen. Unter seiner Lehrkanzel sammelte sich »eine zahllose Menge von Schülern zum Ruhme und Glücke seiner Zeit«. Je älter er wurde, desto höher stieg sein Gebetseifer. Zweimal, zu Salerno und in Neapel, sahen ihn die Brüder betend in der Luft schweben. Als er in letzterer Stadt in der Capelle des hl. Nicolaus betete, sprach zu ihm Christus aus dem Crucifixbilde: »Thomas, du hast gut über mich geschrieben, was für einen Lohn möchtest dafür empfangen?« Er antwortete: »Mein Herr, keinen andern als dich.« Darauf schrieb er über die Geheimnisse des Leidens und der Auferstehung Christi, hörte aber allmählich auf und durfte noch im zeitlichen Leben der Beschaulichkeit des Himmels und seiner Wunder sich erfreuen. (Post quam scripturam parum scripsit propter miracula, quae sibi Deus mirabiliter revelavit) In dieser Zeit wiederholte der hl. Thomas oft die Worte: »Wer wird mich von den Banden dieses Todes befreien? Ach, wie sehr verlange ich, aufgelöst und bei Christus zu sein!« Im J. 1273 hatte er eine Vision, über welche er sagte: »Gott hat mir solche Dinge geoffenbart, gegen welche Alles, was ich von Ihm geschrieben und gelehrt habe, nur wenig zu sein scheint!« Eine andere, lang dauernde Verzückung hatte er bei einem letzten Besuche seiner Schwester Theodora auf dem heimatlichen Schlosse. Davon konnte er nur sagen: »Was ich gesehen und gehört habe, kann ich nicht in Worten aussprechen.« Dann setzte er hinzu: »Wie mein Lehramt, so wird mein Leben schnell zu Ende sein.« Nicht lange vor seinem seligen Ende berief ihn Papst Gregor X. durch ein besonderes Breve zum Concil von Lyon. Auf dem Wege fiel er einmal gegen einen Baumstamm, ohne sich jedoch erheblich zu verletzen. Zu Magena wurde er plötzlich so schwach, daß er nicht mehr weiter gehen konnte. Er litt an einer gänzlichen Appetitlosigkeit, nur Hechte, die er in Frankreich so gerne gegessen, meinte er auf Befragen des Arztes noch genießen zu können. [523] Solche waren aber nicht aufzutreiben. Als aber durch ein Wunder andere Fische (Sardinen) sich in Hechte verwandelten, weigerte er sich, sie zu genießen, weil er durch zu sinnliches Verlangen nach dieser Speise gefehlt zu haben glaubte und es ihm besser anstehe, sich der Vorsehung Gottes, ohne einen persönlichen Wunsch zu äußern, rückhaltslos zu überlassen. In der That genas er nochmals so weit, daß er die Reise bis zum Kloster Fossa Nuova fortsetzen konnte. Hier erkrankte er zum zweiten Male. Es wurde ihm geoffenbart, daß er hier sterben werde. Man wies ihm das Zimmer des Abtes zur Wohnung an, während die übrigen Begleiter nach Thunlichkeit in andern Zellen untergebracht wurden. Die dortigen Cistercienser rechneten es sich zur größten Ehre, den Diener Gottes in ihren Mauern beherbergen zu dürfen, so daß sie alle ihm nöthigen Dinge, z.B. Holz, nicht durch die Klosterdiener herbeischaffen ließen, sondern persönlich aus dem Walde holten. Ueber diese Liebe innig gerührt, willfahrte der heil. Thomas mit Freuden der Bitte einiger Mönche, ihnen irgend ein Andenken von sich zu hinterlassen, und dictirte eine kurze Erklärung des hohen Liedes. Er wollte damit, an der Schwelle der Ewigkeit stehend, vor dem Eintritte in den himmlischen Hochzeitsaal die Süssigkeit des Beisammenseins mit Jesus seinen Mitbrüdern und der Nachwelt deutlich machen. Dieser Liebesgesang entsprach am besten seiner gegenwärtigen Stimmung, da seine Seele die Braut war, die demnächst mit Jesus, ihrem Geliebten, auf ewig vermählt werden sollte. Auf dem Boden liegend empfing er bei vollstem Bewußtsein, nachdem er zuvor nochmal mit lauter Stimme seinen Glauben an die wesenhafte Gegenwart Jesu im heil. Sacramente bekannt hatte, die heil. Wegzehrung und am andern Tage die letzte Oelung, und gab bald nachher den Geist auf. Sein Grab erhielt der Heilige zu Fossa-Nuova; dabei ereigneten sich wunderbare Heilungen. Die Dominicaner hörten aber zu bitten nicht auf, bis sie durch Urban V. in den Besitz der ihnen so theuren Ueberreste gesetzt waren. Da Italien bereits so glücklich war, den Leib des heil. Dominicus zu besitzen, kamen dieselben nach Frankreich, wo er so lange gelebt und gelehrt hatte. Sie wurden in der Ordenskirche zu Toulouse beigesetzt, welche in der großen Revolution geschlossen wurde. Dermalen befindet sich der heil. Leib bei St. Saturnin. – Ein Arm des Heiligen wurde den Dominicanern in Paris zugetheilt, wo er in der dem Heiligen geweihten Kapelle beigesetzt ist. Ein Bein des andern Armes erhielten im J. 1372 auf vieles Bitten die Dominicaner von Neapel. Im J. 1288 brachte seine Schwester Theodora einige derselben nach San Severino; nach deren Tode kamen dieselben in das Ordenshaus zu Salerno. Die Canonisation des Heiligen vollzog im J. 1323 Papst Johannes XXII.; Pius V. erhob ihn im J. 1567 unter die Kirchenlehrer. Im Aeußern war der hl. Thomas ein großer Mann mit aufrechter Haltung, entsprechend der Aufrichtigkeit seines Innern; er halte eine schwach gelbliche Farbe, ein Zeichen seiner gemäßigten Gemüthsverfassung; einen großen Kopf, denn die Thätigkeit einer ausgebildeten Vernunft verlangt möglichst vollkommene Organe ihres Sitzes; ein klein wenig war er kahl und sein ganzer Körper sehr zart gebaut, wie das wieder die Beschaffenheit seines Geistes zu fordern schien. Dabei besaß er genug männliche Kraft, um auch Beschwerden zu ertragen, wofür er sich auch besonders übte, indem er keiner Arbeit auswich, in seiner Demuth Nichts für niedrig ansah, und eifrig um den göttlichen Beistand betete. Dabei fürchtete er keine Gefahr, wie er denn einmal auf der Ueberfahrt von Italien nach Frankreich bei einem heftigen Sturme unter allen Passagieren, dem Schutze Gottes vertrauend, allein auf dem Verdecke des Schiffes aushielt, während selbst die Schiffsleute in Furcht waren. Er war, wie Papst Clemens VI. von ihm sagte, ein Muster aller Tugenden und alle seine Glieder waren offenbare Zeugen derselben in seinen Augen sah man die Einfachheit, in seinem Angesichte die Güte, in den Ohren die Demuth, im Gaumen die Nüchternheit, in der Zunge die Wahrheit; Mäßigkeit im Geruche, Unbescholtenheit in der Berührung; Freigebigkeit in den Händen, anstandsvollen Ernst in der äußern Haltung; Ehrbarkeit im Betragen, Frömmigkeit im Innern. Im Verstande Klarheit, im Gemüthe Wohlwollen, im Herzen Liebe, im Geiste Heiligkeit, so daß sein ganzes schönes Aeußere ein Abbild seiner Seele, [524] und ein Lebensbild der Tugend war. Seine Werke sind eben so bedeutend dem Inhalte wie der Zahl und dem Umfange nach; die hauptsächlichsten derselben haben wir in seine Lebensbeschreibung eingeflochten. Ihr Studium ist dem gründlichen Theologen unentbehrlich; man findet in denselben nicht nur die beste und genaueste Erklärung und Begründung der christlichen Glaubens-und Sittenlehren, sondern auch eine überaus reichhaltige Rüstkammer der kräftigsten und schneidigsten Waffen gegen die Irrthümer aller frühern und der jetzigen Zeiten. Als die Gesandten des Königreichs Neapel bei Johann XXII. seine Canonisation erbaten, antwortete ihnen der Papst, welcher sie bei vollem Consistorium empfing. »Er hat die Kirche mehr als andere Lehrer verherrlichet; mit seinen Büchern wird man in einem Jahre weiter kommen, als mit den Büchern Anderer im ganzen Leben.« Als einmal während seines Heiligsprechungs-Prozesses Jemand bemerkte, er habe keine Wunder gewirkt, antwortete der Papst: »Er hat so viele Wunder gewirkt, als er Artikel geschrieben hat.« Der Cardinal Bessarion pflegte von ihm zu sagen, er sei unter den Heiligen der Gelehrteste und unter den Gelehrten der Heiligste. Seine wundervolle Fürbitte wird zudem Alle, die ihn anrufen, im Glauben befestigen und vor aller Zweifelsucht und allem Irrwahn gründlich bewahren. Sein tägliches Gebet war: »Barmherziger Gott, ich bitte dich, verleihe mir, alles dir Wohlgefällige heiß zu begehren, mit Klugheit zu erforschen, wahrhaft zu erkennen, und zum Lobe und zur Ehre deines Namens vollkommen zu erfüllen.« Abbildungen zeigen den Heiligen in seinem Ordenshabit, ein offenes Buch, einen Kelch, manchmal eine Monstranz in der Hand, die Taube, das Symbol des heil. Geistes, am Munde oder am Ohre schwebend. Noch bezeichnender sind die Abbildungen, die ihn mit einem Sterne oder mit der Sonne auf der Brust vorstellen, denn »er vereinigte in der That alle Lichtstrahlen, welche vor ihm die göttliche Gnade durch die Väter und andere große Männer auf die Kirche fallen ließ, in seinem Geiste, und spiegelt sie alle vereiniget zu einem großen Lichtmeere auf uns zurück.« Sehr oft sieht man den Heiligen vor einem Kreuzbilde beten, dabei die entsprechenden Spruchbänder. Als Sinnbild seines englisch reinen Lebens dient die Lilie; Insul, Stab und Cardinalshut zu seinen Füßen zeigen an, wie er alle kirchlichen Ehren und Würden standhaft von sich gewiesen hat. Viele Bilder zeigen ihn, wie er das heil. Sacrament in innigster Liebesglut anbetet. Eines der schönsten Bilder von Fiesole stellt ihn dar in Mitte der Evangelisten, Propheten, Kirchenlehrer und heidnischen Philosophen. Ein Reliquiarium zu Orvieto stellt ihn dar, wie er das Officium auf das Frohnleichnamsfest dem Papste Urban IV. überbringt. Wir schließen mit einer kurzer Notiz über die im Leben des heil. Thomas wichtigsten Jahresdaten: Geburt, 1226; zur Erziehung nach Monte Cassino, 1231; bezieht die Universität, 1236 bis 1243; Eintritt in den Orden und Gefangenschaft bis zum J. 1244; Reise über Rom nach Deutschland und Cöln, 1245; von da bis zum J. 1248 Aufenthalt und Studien in Paris; er empfängt die Priesterweihe und lehrt als Gehilfe Alberts des Großen in Cöln bis zum J. 1251 und kömmt wieder nach Paris, lehrt und verfaßt verschiedene Streitschriften; 1256, Reise nach Anagni; 1257, er empfängt die Doctorswürde; 1259, General-Capitel in Valenciennes; 1261, Uebersiedelung nach Rom; 1263, General-Capitel in London; 1267, Reise über Mailand nach Bologna zum General-Capitel; Aufenthalt daselbst bis zum Jahr 1269; Reise nach Paris, 1271; Rückkehr nach Bologna; General-Capitel in Florenz 1272, von welchem er wieder nach Neapel geschickt wird. Er stirbt am 7. März 1274.


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 5. Augsburg 1882, S. 515-525.
Lizenz:
Faksimiles:
515 | 516 | 517 | 518 | 519 | 520 | 521 | 522 | 523 | 524 | 525
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon