Gewohnheit

[242] Gewohnheit (lat. consuetudo) ist die durch öftere Wiederholung desselben Vorstellens und Tuns entstandene Neigung und Fertigkeit, unter gleicher Veranlassung dasselbe vorzustellen und zu tun. Jene Wiederholung heißt Gewöhnung und kann willkürlich oder unwillkürlich sein. Auf der durch Gewöhnung erworbenen Gewohnheit, welche die willkürlichen Bewegungen in unwillkürliche, die Entschließungen in Triebe umwandelt, und die uns[242] zur zweiten Natur wird, beruhen alle leiblichen und geistigen Geschicklichkeiten. Durch Gewohnheit lernen wir stehen, laufen, turnen, reiten, sprechen, zeichnen, schreiben. Gewohnheitsmäßig gebrauchen wir gewisse Formeln des Grußes, der Konversation und Korrespondenz. Auf Gewohnheit beruht fast alles Tun der Menschen im Beruf und Verkehr, ja oft auch ihre Moral und Religion. Da die Gewohnheit alles Geistige allmählich mechanisiert, d.h. alles Willkürliche in Unwillkürliches verwandelt, ist sie von höchster Wichtigkeit für die Erziehung. Ebenso wichtig ist sie für die Moral; denn Gewohnheit macht uns zum Herrn oder zum Sklaven der Dinge, je nachdem wir uns zum Guten oder zum Schlechten gewöhnen. Hume (1711-1776) hat versucht, alle Kausalitätsschlüsse auf Gewohnheit zurückzuführen (Inquiry concerning Human Understanding, Sect. IV). Kant (1724-1804) hat ihn in der Kr. d. r. V. zu widerlegen versucht.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 242-243.
Lizenz:
Faksimiles:
242 | 243
Kategorien: