[424] Gewohnheit, ist jede in uns zur Fertigkeit gewordene Neigung, deren Unterbrechung, Unbehaglichkeit und oft selbst Schmerz und Krankheit zur Folge hat. Gewohnheit ist für den Körper, was für die Seele Tugend ist, die ebenfalls eine Fertigkeit, eine ausgebildete Neigung bei Ausübung des Guten genannt werden kann. Wo im gewöhnlichen Sprachgebrauche von guten und üblen Tugenden die Rede ist, sollte füglich die Bezeichnung Gewohnheiten gebraucht werden, da es nur eine Tugend, die allgemein wahre, aber tausend Gewohnheiten, gute und schlimme, gibt. Wer zählte alle Gewohnheiten der Menschen, nur seiner Umgebung, auf? Sie sind die kleinen Tyrannen der Gesellschaft, ihre Wechselwirkung ist der endlose kleine Bürgerkrieg der Familien, und die immer scharfe Opposition beim Einzelnen gegen seinen Vermögens- und Gesundheitsstand. Der freieste Mensch, der unabhängigste Beherrscher von Millionen, der tiefste Philosoph, wie der hochfliegende Poet, sind Sklaven der Gewohnheit, oft der lächerlichsten, [424] wenn nicht gar der verderblichsten; ja gerade die bedeutendsten Menschen fallen durch seltsame Gewohnheiten auf, entweder, weil sie an ihnen, durch den Contrast zu ihrem Geiste, schärfer heraustreten, oder, weil es ihnen an Zeit und Ruhe fehlt, über sich selbst zu wachen. Wie einzelne Familien, so haben einzelne Volker, anderen gegenüber, auffallende Gewohnheiten, die, einmal ganz eingebürgert, Lebensweise, Landessitte u. s. f. heißen. Ländlich sittlich!
Bl.