Identitätsphilosophie

[280] Identitätsphilosophie wird diejenige Philosophie genannt, für die Denken und Sein oder Subjekt und Objekt oder Materie und Geist identisch ist. Diese Philosophie, die auch Philosophie des Absoluten heißt, ist der dritte monistische Standpunkt neben dem Realismus (siehe da) und Idealismus (s. d.). Wenn der Realist die Materie, der Idealist den Geist zur Existenzweise der Welt macht, sucht der Vertreter der absoluten Philosophie die Einheit von Körper und Geist in einem letzten Urgrunde der Dinge, in dem die Gegensätze beider verschwinden und die selbständige Existenz derselben aufgehoben wird. Der Schöpfer der Metaphysik des Absoluten, soweit man diese Richtung nicht etwa schon im Altertum bei den Eleaten suchen darf, ist Spinoza (1632-1677), der Gott (Natur) (deus sive natura) zur einzigen Substanz, Geist und Körper zu Gottes Attributen machte und den modernen Pantheismus ins Leben rief. Seine philosophischen Nachfolger sind außer Herder und Goethe (»Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, als daß sich Gott-Natur ihm offenbare, wie sie das Feste läßt zu Geist zerrinnen, wie sie das Geisterzeugte fest bewahre!« Bei Betrachtung von Schillers Schädel.) Schelling (1776-1854), Schleiermacher (1768-1834) und v. Hartmann (1842-1906). Schelling verschmilzt die Fichtesche Ichlehre mit dem Spinozismus und erklärt Objekt und Subjekt, Reales und Ideales, Natur und Geist für identisch im Absoluten. – Für Schleiermacher, der Platon, Kant und Spinoza verbindet, schließt sich die Vielheit zu einer Objekt und Subjekt umfassenden Einheit zusammen. Die Totalität alles Existierenden ist die Welt, ihre Einheit Gott; Gott-Welt ist also für Schleiermacher das letzte Prinzip des Daseins. E. v. Hartmann, der an Schelling, Hegel und Schopenhauer anknüpft, schafft einen Panpneumatismus, dessen oberstes Prinzip das Unbewußte mit den Funktionen des unvernünftigen Willens und der kraftlosen [280] Idee ist. – Die Philosophie des Absoluten ist zwar vielleicht der höchste Standpunkt, den die Metaphysik einnehmen kann; aber das Absolute hat doch nie eine selbständige Farbengebung erhalten, selbst nicht bei Herder und Goethe, die den substantiell beharrenden Gott Spinozas in Anschluß an Leibniz durch den tätigen, belebten und sich entfaltenden Gott des mehr naturwissenschaftlichen Pantheismus ersetzten. Wo das Absolute von Philosophen, Theologen und Dichtern aufgenommen ist, hat es seine Merkmale immer entweder dem Realismus oder dem Idealismus entlehnt oder bei beiden eine Anleihe gemacht. Etwas anderes als äußere, oder innere Erfahrung steht den Denkern des Absoluten nicht zu Gebote, und die vermeintliche besondere Erkenntnisgabe für das Absolute (intellektuelle Anschauung, höherer Empirismus usw.) ist in Wahrheit nicht vorhanden. Es dürfte also bei aller Anerkennung für Spinoza und seine Nachfolger doch der Idealismus die höchste ausführbare Metaphysik sein und die Identitätsphilosophie ein bloßes Ideal bleiben.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 280-281.
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