[290] Instinkt (von lat. instinctus = Antrieb) bedeutet soviel als Naturtrieb. Instinkte nennen wir Triebe (d.h. Gemütsbewegungen), die sich in solche Körperbewegungen umzusetzen streben, daß durch sie ein Lustzuwachs oder eine Unlustverminderung erreicht wird, und die ein tierisches Wesen als angeborenes Besitztum zur Welt bringt. Sie beruhen auf der von vorausgehenden Generationen erworbenen Bildung des Nervensystems, die durch Vererbung auf die jüngeren Generationen übergeht. Der Instinkt ist bei jedem Individuum in seiner ersten Äußerung ein Streben, welches sein Ziel noch nicht kennt, sondern sich desselben erst allmählich bewußt wird, indem es, vom Drange nach Befriedigung getrieben, äußere Eindrücke erfährt und verarbeitet. Aus dumpfem Gefühl entstanden, entwickelt sich das Streben bei seiner Erfüllung zur dunklen Vorstellung der Gegenstände, die sich ihm darbieten, und der Bewegungen, die zur Befriedigung führen. Obwohl also die Instinkte angeboren sind, so müssen die Bewegungen und Handlungen, die durch sie hervorgerufen werden, doch erst durch Sinnesreize angeregt werden, und alle instinktiven Handlungen vervollkommnen sich erst durch Übung. Die Natur zeigt uns, daß bezüglich der Instinkte die Tiere besser ausgestattet sind als die Menschen. Es stimmt dies mit der Regel überein, daß bei einfacher Organisation des zentralen Nervensystems[290] auch die ererbten Dispositionen sicherer vorgebildet sind. Für den Menschen hat der Instinkt dagegen geringere Bedeutung, und es gilt der Satz: Wo viel Instinkt ist, da ist wenig Denken! Der Instinkt behält stets etwas Blindes und Rücksichtsloses. Die Kultur verdrängt jenen in der Menschheit, bei Verwilderung oder Krankheit tritt er erst wieder hervor. Kant (1724-1804) erklärt den Instinkt »als ein gefühltes Bedürfnis, etwas zu tun oder zu genießen, wovon man noch keinen Begriff hat«, oder an anderer Stelle »als die innere Nötigung des Begehrungsvermögens zur Besitznehmung des Gegenstandes, ehe man ihn noch kennt«. Er nennt als Beispiele den Kunsttrieb der Tiere und den Trieb zum Geschlecht. (Religion innerh. d. Gr. d. bloßen Vernunft. S. 20, Anm. u. Anthrop. § 77. S. 225.) Darwin (1809-1882) sieht die Instinkte als vererbte Gewohnheiten an, die unter Fortwirkung konstanter Naturbedingungen verstärkt werden. Aber der Begriff Gewohnheit ist selbst zu dunkel, um zur Erklärung der Instinkte zu dienen. Wundt hat die oben entwickelte Erklärung gegeben (Grundz. d. phys. Psych. II, S. 412 ff.). Vgl. Burdach, Blicke ins Leben. Lpz. 1842. Autenrieth, Ansichten über Natur u. Seelenleben. Stuttg. 1836. Schütz, der sog. Verstand der Tiere. Paderborn 1880. H. Schneider, der tierische Wille. Lpz. 1880. Büchner, Aus dem Geistesleben der Tiere. Berlin 1877.