Scham

[521] Scham bedeutet zunächst die Unlust, welche aus der Unbedecktheit gewisser Körperteile entspringt, dann in weiterer Bedeutung das Mißvergnügen über irgend eine Unvollkommenheit der eigenen Person, welches die Vorstellung in sich einschließt, von anderen darum verachtet zu werden. Diese Furcht vor Schande kann sich entweder bloß auf die äußere Ehre beziehen und hat dann nur geringen Wert, oder sie entsteht aus dem Absehen vor dem Schlechten und hat dann höheren Wert. In diesem Falle schämt sich der Mensch, weil seine innere Ehre leidet oder in Gefahr ist, zu leiden; er empfindet Mißvergnügen, weil er etwas Tadelnswürdiges, und wäre es auch nur ein schlechter Gedanke, an sich wahrnimmt. Die Furcht vor äußerer Schande erzeugt oft falsche Scham, d.h. die Neigung, sich solcher Dinge zu schämen, die an sich notwendig und gut, aber bei gewissen Leuten verrufen sind. Die wahre Scham dagegen leitet nicht irre und fällt mit Ehrgefühl und Gewissenhaftigkeit zusammen; der Mensch schämt sich vor sich selbst, vor seinem besseren Ich, vor Gott. Lieber erträgt er Schmach und Schande vor den Menschen, als daß er etwas gegen sein Gewissen täte. (Vgl. Schillers Jungfrau von Orleans und E. v. Wildenbruchs Claudia.)

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 521.
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