Scham

[87] Scham, 1) das unangenehme Gefühl, welches aus der Vorstellung, Andern Veranlassung zu einem mißbilligenden u. geringschätzigen Urtheile zu geben, unwillkürlich entsteht. Dieser Begriff paßt auch auf die Scheu, das, was sich auf den Geschlechtstrieb bezieht, Andern zum Anblick darzubieten, indem hierin eine Gleichstellung des Menschen mit dem Thiere liegt. Daher Schamhaftigkeit in Beziehung auf den Körper, in welchem Sinne dieses Wort vorzugsweise gebraucht wird, immer schon Ausdruck einer moralischen Cultur ist, welcher bei ganz roben od. ganz verwahrlosten Menschen nicht vorkommt. Ebenso muß der, welcher sich in sittlichen Verhältnissen schämen soll, in dem, vor welchem er sich schämt, irgend ein Urtheil über den Werth seines Betragens u. seiner Handlungen voraussetzen u. für die Rückwirkung desselben auf sein eigenes Gefühl zugänglich sein. Ob u. worüber sich der Mensch schämt, ist daher ein Kennzeichen seiner innern sittlichen Verfassung. Vor sich selbst schämt sich nur der, in welchem gegenüber den unsittlichen Anreizen das sittliche Urtheil vorhanden u. wirksam ist od. wenigstens später wirksam wird. Das sittliche Schamgefühl hängt daber genau mit der Art u. der Reizdarkeit des sittlichen Ehrgefühls zusammen. Die äußeren Zeichen der S., das Niederschlagen der Augen, die Schamröthe etc. sind zwar bekannte Thatsachen, aber in ihrem inneren Zusammenhange sehr dunkel. Die Personification der S. heißt griechisch Ädos. Das Gegentheil ist Schamlosigkeit, Unverschämtheit. Im gewöhnlichen Lebennennt man unverschämt oft den, welcher Anforderungen macht, auf deren Maßlosigkeit u. Zudringlichkeit hinzuweisen nicht erst nöthig sein sollte u. der vielleicht trotz dieser Hinweisung nicht davon abstebt. Die Personification der. Unverschämtheit, Anädia, hatte in Athen ein Heiligthum u. wurde verehrt, um ihrer Wirkung nicht ausgesetzt zu sein. 2) (Anat.), so v.w. Genitalien.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 87.
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