Schein

[522] Schein bedeutet zunächst einen Lichtglänz, z.B. Sonnen-, Mondenschein u. dgl., dann das Bild des Wirklichen und endlich den Gegensatz zum Wirklichen, die Täuschung. Man kann zwischen subjektivem und objektivem, metaphysischem und logischem Schein unterscheiden. Der subjektive Schein beruht auf einem falschen Schlüsse von der Folge auf den Grund, indem man entweder einen Grund setzt, den eine Erscheinung überhaupt nicht haben kann, oder indem man behauptet, daß sie ihn überall und stets habe. Übereilung oder Mangel an Urteil und beschränkte Kenntnis der Verhältnisse veranlassen diesen Irrtum. – Oft aber liegt ein objektiver Schein vor, nämlich da, wo man den Irrtum als solchen erkennt, ihn aber nicht verbessern kann, weil er gleichsam an den Gegenständen zu haften scheint. Hierher gehören die Sinnestäuschungen, bei denen der Schein ganz individueller Natur ist. Entweder sind die Sinnesorgane in eine ungewöhnliche Lage gebracht, oder sie sind krank, oder ihre Energie wird durch einen ganz ungewöhnlichen [522] Reiz hervorgerufen. Ferner gibt es einen sinnlichen Schein, der sich ohne krankhafte Affektion der Organe aufdrängt, z.B. die scheinbare Größe entfernter Gegenstände (optischer Schein). Auf dem objektiven Schein beruht auch die Wirkung der Künste, besonders der Malerei, Musik und Poesie. (Vgl. Illusion.) – Der metaphysische (transscendentale) Schein ist die unserem Wesen notwendige und doch falsche Vorstellung von der Welt, die entsteht, indem wir Ideen für Wirklichkkeit, Subjektives für Objektives, Vorstellungen für Dinge nehmen. Ihn zu berichtigen ist die Aufgabe der Philosophie, insbesondere der Metaphysik. – Unter logischem Schein endlich versteht man die Ableitung formell richtiger Folgerungen aus falschen Voraussetzungen oder falscher Folgerungen aus richtigen Voraussetzungen. Hierauf beruht die Kraft der Trug- und Fehlschlüsse, (s. d.) Vgl. Erscheinung, Irrtum, Widerlegung, Illusion, Sinnestäuschungen.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 522-523.
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