rührend

[515] rührend (eigtl. bewegend) heißt dasjenige wirkliche oder nur in der Darstellung der Kunst gegebene Leiden, welches uns zum sanfteren Mitleid bewegt. Während das Pathetische kräftigere Gefühle weckt, wiegt beim Rührenden die weichere Empfindung vor. Rührend ist z.B. die schöne, wahnsinnige Ophelia in Shakespeares Hamlet, rührend der schuldlose Königssohn Arthur in Shakespeares König Johann, der den harten Hubert anfleht, ihm nicht die Augen auszubrennen. Das Rührende ist in der Kunst nicht zu verwerfen; aber es gerät leicht ins Rührselige und Tränenreiche (Sentimentale) und schlägt dann wie das Erhabene ins Lächerliche um. So wirken[515] z.B. die fortwährenden Ausrufe des Schmerzes und die Tränen in Klopstocks Lyrik komisch. Das nur Rührende löst uns auf, macht uns schwach und bringt uns zum Weinen. Freilich wirkt es nicht auf alle. Es gehören vielmehr Empfindungsvermögen, Phantasie und eine gewisse Naivität dazu, um überhaupt gerührt zu werden. Der rohe, der abgehärtete und der blasierte Mensch wird selten gerührt; der sich selbst beherrschende will nicht gerührt erscheinen, weil er es fälschlich für Schwäche ansieht. Kinder und Frauen werden leichter gerührt als Männer, weil jene lebhafter empfinden und vorstellen.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 515-516.
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