[505] rein heißt physisch, was frei von Schmutz, moralisch, was frei von Unsittlichkeit ist; im allgemeinen bedeutet es das, was ohne fremden Zusatz ist. So spricht man von reinem Golde, reinem Kunststil u. dgl. Rein nennt Kant (1724-1804) im transscendentalen Sinne alias, was den Gegensatz zum Empirischen bildet. So nennt er reine Vernunft im Gegensatz zur Erfahrung das Vermögen der Erkenntnis aus Prinzipien a priori; reine Anschauung bedeutet bei ihm die von Empfindung leere, formale Anschauung, wie sie Grundlage der Geometrie ist; sie ist bei Gegenständen des äußeren Sinnes der Raum, bei denen des inneren die Zeit. Reine Begriffe sind bei Kant die zwölf Kategorien, ohne die eine Erfahrung unmöglich ist (s. Kategorien) und die aus diesen Kategorien abgeleiteten Prädikabilien (s. d.). Das reine Ich bedeutet bei Kant die transscendentale synthetische Einheit der Apperzeption (vgl. Ich). Kants gesamte Erkenntnistheorie wurzelt in dem Gedanken, daß reine Erkenntnis möglich und nachweisbar sei. Im trat bei Lebzeiten namentlich, den Standpunkt des Empirikers verteidigend, C. G. Seile mit seiner Schrift, Grundsätze der reinen Philosophie, Berlin 1788, entgegen. Von den späteren Philosophen muß namentlich Comte (1798-1857) als Gegner der Lehre von der reinen Erkenntnis gelten. Auch die Gegenwart verwirft den rationalistischen Standpunkt Kants. – Reines Denken ist bei J. G. Fichte (1762-1814) und Hegel (1770-1831) das Denken, welches nur sich selbst, den »immanenten Inhalt der formbildenden Bestimmungen«, und insofern das Sein selbst zum Objekt hat. – Die schroffe[505] Isolierung der Vernunft von der Erfahrung, wie sie sich bei Kant und seinen Nachfolgern in der Idee der Reinheit findet, ist keine glückliche Wendung der Philosophie gewesen. Die Trennung des Erfahrungswissens von dem Vernunftwissen ist eine Zerreißung der natürlichen Tätigkeit des Menschen; die nicht der Wirklichkeit entspricht und zur einseitigen Überschätzung der spekulativen Vernunfttätigkeit führt.