8. Brief.

[52] In meinem heutigen Briefe werde ich Dir, lieber Wilhelm, eine Maxime in Erinnerung bringen, die ich Dir so oft und dringend empfohlen habe, weil die Bildung und das Glück eines jungen Menschen von ihrer Beobachtung abhängt; sie ist auch ein sehr gutes und bewährtes Mittel zur seinen Lebensart. Sie heißt:

Vermeide alle schlechte Gesellschaft und suche nur die gute. So wie schlechte Gesellschaft Dich unausbleiblich verdirbt, wie der unreine, trübe Fluß das klare Quellwasser, welches er aufnimmt, so läutert, bessert, bildet Dich die gute. In dieser wirst Du, unvermerkt, [52] die Eigenheiten Deiner Erziehung, die Vorurtheile der Jugend, die rauhen Ecken Deiner bisherigen Einsamkeit, die widrigen Aeußerungen Deines Temperaments, die Bequemlichkeiten und eigenen Angewohnheiten Deiner bisherigen Lebensart ablegen und abschleifen lassen, Deine Sitten, Dein Betragen, Dein ganzes Aeußere, werden dem Betragen der gebildeten Personen, mit denen Du umgehest, gleich werden, Du wirst nichts widrig Auffallendes und Hervorstechendes haben, Du wirst Dich unter ihnen verlieren, wirst eben so höflich und anständig als sie handeln, und wirst gefallen.

Aber was ist gute Gesellschaft? Wenn man den vielleicht noch hie und da herrschenden Vorurtheilen gewisser Menschenklassen folgen sollte, so würde man die gute Gesellschaft nur in sehr wenigen und engen Cirkeln suchen müssen. Es gibt Hofleute, welche behaupten, die gute Gesellschaft finde sich nur an den Höfen; es gibt hohen Adel in großen Residenzen, der dieselbe nur auf seinen Cirkel einschränkt; es gibt wohl noch manchen Stiftsadel, der sich einbildet, eine bessere Gesellschaft zu machen, als her neue ahnenlose; [53] es gibt wohl noch manche adeliche Damen, welche keine Gesellschaft für gut halten, die nicht aus lauter Adelichen bestehet, so, daß bey ihnen der rohe, unwissende, ungebildete Junker mit einem Stammbaume zur guten, der seine, gebildete, nicht adeliche Weltmann mit schönen, persönlichen Verdiensten, nicht zur guten Gesellschaft gehört. Bey diesen Personen scheint gut eben die Bedeutung zu haben, als wenn sie von guten Familien sprechen, wo es so viel als alt, mit der gehörigen Anzahl von Ahnen versehen, heißen soll. Daß aber gut und alt nicht einerley bedeuten können, beweisen so viel Beyspiele von Familien, welche, ob sie gleich sehr alt waren, aus Mangel von Erziehung und Bildung, durch ihre übeln Sitten, durch Verschwendung, Unwissenheit, herabgekommen und zu Grunde gegangen sind, und wieder andere, ganz neue Familien, welche sich durch Rechtschaffenheit, Edelmuth, Verdienste um den Fürsten und das Vaterland, empor geschwungen haben, und sich auf den höchsten Posten mit Würde behaupten; daher diese eigentlich den Namen guter Familien führen sollten.

[54] Doch diese Vorurtheile werden immer seltener und nach und nach ganz verschwinden.

Nur der Hofmann hat gewissermaßen nicht Unrecht; die Gesellschaft an den Höfen kann unter den guten Gesellschaften die beste genannt werden, zumal wenn es auf den äußern Anstand ankommt. Der Hofmann hat vor jedem Andern den Vortheil, daß er sich in allem besser und angenehmer ausdrückt; auch der Schwachkopf am Hofe wird seine Plattheiten immer mit mehr Feinheit sagen, als der Schwachkopf in der Provinz. Der gute, seine Ausdruck ist am Hofe hergebracht, den schlechten kennt man nicht. Der höchste Anstand, das Talent der Conversation bildet sich am Hofe vielmehr, als anderswo, weil Jeder täglich erscheint, immer sprechen muß, ohne viel zu sagen, und daher die Wendungen seines Ausdrucks so vervielfältigen und abmessen muß, daß nie unangenehme Nebenbegriffe hineingelegt werden können. Ohne Zweifel ist der ausgebildete, geistvolle, kenntnißreiche, rechtschaffene Hofmann, so wie Du ihn in dem K** von K*** kennst, der vollendetste, liebenswürdigste Mann und Gesellschafter. Ich sage: der [55] gebildete, geistvolle; denn der leere Kopf, der Unwissende, ist auch am Hofe nichts als eine blos repräsentirende Pyramide im Garten. Der öffentliche Beamte, der blos für seine Geschäfte entfernt vom Hofe lebt, der Gelehrte, der sich seinen einsamen Studien widmet, der Reiche, Begüterte in der Provinz, der selten oder nie in die Residenz kommt, werden nie die Geschmeidigkeit, Vielseitigkeit, die Universalität erreichen, die der vollendete Hofmann hat, sie werden in Vergleichung mit diesem, in ihrem Betragen, sogar in ihren Gesprächen, immer eine gewisse Einseitigkeit blicken lassen. Aber sollen sie ihre Geschäfte verlassen oder vernachlässigen, um sich in den täglichen Cirkeln der besten Gesellschaft herumzudrehen, und zu seinen Hofleuten zu bilden? Sollen sie sich von ihren fleißigern Subalternen abhängig machen, auf Kosten und zum Nachtheil des Staats, blos um die liebenswürdigsten, vollendetsten Gesellschafter zu werden?

Indeß folgt auch hieraus gar nicht, daß die wahre gute Gesellschaft nicht auch außer den Gränzen des Hofs und der Residenz angetroffen werde. Unabhängig von Rang und Stand wird [56] sie überall von Personen von guter Erziehung gebildet, welche mit einem richtigen, aufgeklärten Verstande und mit den Grundsätzen von Rechtschaffenheit und Edelmuth, gute, seine Sitten verbinden. Diese Personen findet man in allen gebildeten Standen, und seit dem Viele des gebildeten Mittelstandes mit jenen Vorzügen noch denjenigen von angenehmen, interessanten Kenntnissen vereinigen, so findet man in denselben vorzüglich gute Gesellschaften, welche sogar der bessere, geschmackvollere Theil des höchsten Standes sehr gerne besucht, um hier wahren Genuß für Geist und Herz zu finden, dessen er in seinen Cirkeln, wo gemeiniglich blos repräsentirt wird, oft entbehren muß.

Diese gute Gesellschaft, lieber Wilhelm, suche mit allem Fleiße, suche sie immer im Cirkel von Personen, welche besser, aufgeklärter, verdienstvoller sind, als Du: dann wirst Du immer mehr Bildung erhalten. Man wird Dich da sehr gerne aufnehmen, sobald Du eine wahre Begierde Dich zu bilden, einen Abscheu vor allen schlechten Sitten, einen Fleiß, Deinen Verstand [57] durch gute, seine Kenntnisse zu bereichern und ein Streben nach wahrem Verdienste beweisen wirst.

Wenn man sagt, daß der Umgang mit Frauenzimmern vorzüglich beyträgt, junge Leute zur seinen Lebensart zu bilden, theils wegen unserer eignen Neigung, ihnen zu gefallen, theils wegen der ihnen besonders schuldigen Achtung und Aufmerksamkeit, theils wegen der ihnen, wenigstens sehr vielen, eigenen liebenswürdigen Eigenschaften: so meint man nur solche Frauenzimmer, welche einen durch gute Erziehung ausgebildeten Geist, und einen liebenswürdigen Charakter erhalten haben, welche, mit seinem Gefühle für alles Gute, Schöne und Anständige, sich durch eine edle Würde ohne Stolz, durch eine seine Zurückhaltung ohne Ziererey, womit sie jede Unaufmerksamkeit, jede familiäre Annäherung und Vergessenheit zu verhindern wissen, sowohl, als durch eine natürliche Unbefangenheit und wohlwollende, von aller Coquetterie entfernte, Freundlichkeit, womit sie ihrer Unterhaltung, ihrem ganzen Benehmen, hohe Anmuth ertheilen, die Ehrerbietung und die Ergebenheit junger Leute zu erwerben [58] und zu erhalten wissen. Also nicht diejenigen Frauenzimmer kann man zu diesem Umgange, wenigstens nicht zu nähern Verbindungen empfehlen, welche ohne Erziehung und Bildung, ohne moralisches Gefühl und Geschmack, leer an Kopf und Herz, für das Gute, Schöne und Edle keinen Sinn haben.

Denn so wie der Umgang mit den erstern ein wahres Glück ist, welches alle junge Leute suchen müssen, als die beste Schule ihrer Bildung, und die Du auch angelegentlichst suchen wirst, so würdest Du in nähern Verbindungen mit den letztern unausbleiblich verderbt werden.

Vom Umgange eines Menschen schließt man sehr richtig auf seinen Charakter, seine Grundsätze und Gesinnungen. –


[59] ** den 20. Julii 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 52-60.
Lizenz: