[129] eines ihrer Kinder ist eins der schönsten Feste, welche zu begehen den Eltern beschieden ist, – zumal die Verlobung einer Tochter. Ohne Zweifel werden sie sich an dem Glücke des Sohnes auch innig freuen, werden die neue Tochter, die er ihnen zuführt, herzlich willkommen heißen; allein er ist vielleicht seit lange von ihnen entfernt gewesen, hat seine Wahl vielleicht getroffen – und in der Ferne treffen müssen – ohne sie um Rat zu fragen; so bewegt das Ereignis sie nicht so mächtig, greift nicht so tief in ihr[129] Leben ein, wie die Verlobung der Tochter. Diese hat bisher unter ihrem Dache gelebt, hat mit der Mutter die Arbeit und Sorgen des Tages, so gut wie seine Freuden geteilt; jetzt soll sie an der Seite des erwählten, und mit Zustimmung der Eltern erwählten Gatten einen eigenen Hausstand gründen, Mittelpunkt einer neuen Familie werden, – und das ist ja, was die Eltern gewünscht, erstrebt, das erfüllt sie mit tiefer Befriedigung, wenn in die Freude sich auch der Wermutstropfen des Scheidens mischt.
Aber ist es wünschenswert, daß die Tochter sich so früh verlobe, daß zwischen Konfirmation und Kopulation oft nur zwei, drei Jahre liegen?
Das ist eine wohl zu erwägende Frage. Die meisten Eltern werden sie bejahen; die Mütter besonders setzen ihren Stolz darein, die Tochter früh verheiratet zu sehen. Mit achtzehn Jahr Verlobung, mit neunzehn Hochzeit! Sie nach dem zwanzigsten Jahr noch auf die Bälle führen zu müssen, zumal wenn jüngere Schwestern heranwachsen, erscheint ihnen schrecklich.
Nun, wenn das achtzehnjährige Mädchen nicht gar zu sehr Kind ist, – d.h. nicht kindisch ist, denn kindlich zu bleiben, wird ihr nur zur Zierde gereichen – so braucht ihre Jugendlichkeit nicht als Hindernis angesehen zu werden. »Jung gefreit hat niemand gereut,« sagt das Sprichwort; und gewiß ist, daß die Jugend sich leichter ineinander fügt, einander anpaßt, ineinander einlebt, als der reifere, fertigere Mensch. Freilich ist die Jugend auch »schnell fertig mit dem Wort«: sie übereilt sich leichter, ist weniger urteilsfähig und deshalb mehr Täuschungen ausgesetzt; allein die Liebe macht ja in jedem Alter blind, und für die späteren Jahre liegen andere Gefahren nahe. Das achtundzwanzigjährige Mädchen wird entweder, wenn sie ihre Zukunft nur auf eine Heirat gebaut hat, oder eine Versorgung ihr[130] notwendig ist, den ersten besten nehmen – der sich dann oft durchaus nicht als »der beste« herausstellt! – oder aber, wenn sie sich geistig fort entwickelt hat, so hohe Ansprüche stellen, daß diese nur schwer sich befriedigen lassen.
Wir haben also nichts gegen eine frühe Verlobung der Tochter einzuwenden; da sie aber, ob früh, ob spät, wegen der erwähnten Blindheit der Liebe, selten imstande ist, so objektiv zu, »prüfen«, wie der, welcher sich »ewig bindet«, es thun soll, so ist es eine der wichtigsten Pflichten der Eltern, dies für sie zu thun.
Die Mutter hat die Tochter in die Gesellschaft eingeführt, hat sie auf Bällen, Landpartien und sonstigen Vergnügungen meist begleitet. Sie wird mit dem scharfen mütterlichen Blick sehr bald bemerkt haben, wenn ein junger Mann ihrer Tochter mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit erwies, wird auch, noch ehe diese ihr schüchtern das Geständnis macht, erkannt haben, ob jenes Entgegenkommen in dem jungen Herzen wärmere Gefühle hervorgerufen hat, oder nicht. Da bedenke sie denn, daß die Liebe des unerfahrenen Mädchens meist ein Echo ist, welches leicht geweckt wird; daß sie, eben in das Leben eingetreten, ja noch nicht Gelegenheit hatte, zu vergleichen, auch noch nicht den Unterschied kennt zwischen der Liebe, die auf tiefer, wahrer Sympathie, auf Bewunderung für ihren Gegenstand, auf unerschütterlichem Vertrauen zu ihm beruht, – und jenem oberflächlichen Gefallen an einem guten Tänzer, einem unterhaltenden Gesellschafter, dessen Huldigungen ihrer Eitelkeit schmeicheln, vielleicht ihre Sinne gefangen nehmen.
Noch andere, verwerflichere Beweggründe können die Tochter zu einer Verlobung bestimmen. »Ich wollte mich nur aus dem Kopf haben,« sagte einmal mit mehr Offenheit als Zartgefühl ein junges – wirklich noch junges – Mädchen, als man ihr zu ihrer Verlobung gratulierte. Sie[131] hatte mehrere Ballsaisons mitgemacht, hatte mit mehreren Verehrern kokettiert, mehrere ihrer Freundinnen sich verheiraten sehen; sie wünschte zur Ruhe zu kommen, und das, wußte sie wohl, war nur durch ihre Verlobung möglich. Sehr schmeichelhaft für den Bräutigam, sehr glückverheißend für die Ehe ist dies Motiv nun freilich nicht!
Vielleicht auch fühlt sich das junge Mädchen unglücklich in dem Hause, wo sie, etwa nur als geduldete Verwandte, lebt, und nimmt deshalb den ersten Antrag an, der ihr gemacht wird. Aber jenes Haus konnte sie verlassen, – das des Gatten nicht. Sie hat nun ihren Willen; doch des Menschen Wille kann, wie der Volksmund sagt, sein Himmel oder seine Hölle sein! Und wie oft wird der Frau das eigene Heim zur Hölle, wenn nicht die Liebe sie hineingeführt hat!
Einer der häufigsten Beweggründe für eine Verlobung, resp. eine der wichtigsten Erwägungen bei einer solchen aber bildet in unserer materiellen Zeit die Geldfrage. Und zwar ist dies sowohl seitens des Mannes wie des Mädchens der Fall. Ein junger Beamter, ein Offizier möchte seine Einnahme, die zum standesgemäßen Leben nicht ausreicht, verbessern, ein Kaufmann sich selbst etablieren, sein Geschäft vergrößern; das einfachste Mittel dazu ist eine reiche Heirat. Die junge Dame ihrerseits, mit großen Ansprüchen erzogen, wünscht eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, ihrer hübschen Person einen eleganten Rahmen zu geben; sie erreicht diesen Zweck am besten durch eine reiche Heirat!
Ja, Luxus, Glanz kann erheiratet werden, aber Glück auf diese Weise nicht! Der Mann, welcher sich von dem Geldbeutel seiner Frau abhängig macht, beeinträchtigt dadurch schon seine Stellung im Hause; nach den Eigenschaften ihres Geistes und Herzens hat er nicht gefragt, so darf er sich nicht wundern, wenn sie ihm wenig sympathisch[132] sind. Und sie, die Frau, welche sich für Rang und Reichtum verkauft hat, sie wird nur zu bald die Erfahrung machen, daß diese Besitztümer niemals wahre Befriedigung, und selbst eine oberflächliche nur auf kurze Zeit gewähren. Das Herz, dies von ihr verspottete und mißachtete Ding, verlangt schließlich doch sein Recht; aber sie hatte dem Gatten ja keins geboten, das seine nicht begehrt. Und wie, wenn es, nun erwacht, seine Neigung einem anderen Manne zuwendet, wenn Liebe und Pflicht in Streit geraten? ... Dann erkennt sie zu spät, daß sie ihre Freiheit, sich selbst für ein Schemen dahingegeben, daß es höhere Güter gibt, als die sie früher erstrebt, Güter, die ihr jetzt allein wünschenswert erscheinen, und die doch für immer aus ihrem Bereiche entrückt sind.
Sehen wir uns um in der Gesellschaft: solche Fälle treten uns nur zu häufig entgegen. Und doch erblicken wir nur die, welche die Oeffentlichkeit nicht haben vermeiden können; die Tausende von häuslichen Tragödien, welche in der Stille sich abspielen, entgehen uns. Man weiß von ihnen nur: der Mann geht seine, die Frau ihre Wege; aber gerade Wege sind es nicht. Die Kinder leiden natürlich schwer unter dem Zwiespalt der Eltern, und der Engel des Hauses wendet trauernd sein Antlitz ab.
Aber, fragt man, sollen die äußeren Verhältnisse denn keine Rolle bei einer Verlobung spielen?
Ohne Zweifel sollen sie das. Unser Glück hängt viel zu sehr von materiellen Bedingungen ab, als daß wir sie außer acht lassen dürften.
Wenn die Armut zieht ins Haus,
Fliegt die Liebe zum Fenster hinaus,
heißt ein altes Wort, das sich noch täglich bewahrheitet. Wir nehmen es also dem Manne nicht übel, wenn er, in[133] unserer so materiellen Zeit, bei den so hoch geschraubten Ansprüchen an das äußere Leben, eine Vermehrung seines Einkommens durch die Mitgift der Frau als etwas Wünschenswertes betrachtet; allein diese Mitgift sollte niemals seine Wahl bestimmen! Er selbst sei der Ernährer der Familie, und wenn es ihm nicht gelingt, ihr Reichtum zu verschaffen, nun, so wird sie auch glücklich sein in bescheidenem Wohlstand, dem innige Zuneigung die Weihe verleiht.
Für die Tochter aber haben die Eltern die Pflicht, bei der Wahl des Gatten auch äußerlich ihre Zukunft zu sichern. An ihnen ist es, sich nach seinen Verhältnissen zu erkundigen, sich zu vergewissern, daß er imstande ist, eine Familie zu ernähren. Ja, sie sollten in ihrer Fürsorge noch weiter gehen. In England besteht bekanntlich seit einigen Jahren ein Gesetz, welches den Frauen das Eigentumsrecht über alles, was sie mit in die Ehe bringen und während derselben ererben oder erwerben, zusichert. Bei uns dagegen wird, falls nicht andere Bestimmungen bei der Verheiratung getroffen werden, der Mann durch dieselbe Besitzer sowohl der Mitgift seiner Frau, wie alles dessen, was ihr in der Ehe etwa durch Erbschaft oder eigene Arbeit zufällt.
In normalen Verhältnissen nun mag sich das als zweckmäßig erweisen; in einer guten Ehe ist ja überhaupt von dem »Mein« und »Dein« keine Rede; allein Gesetze werden nicht für die Regel, sondern für die Ausnahme gemacht, und die Ausnahmen von der guten Ehe sind leider sehr häufig! Da in Deutschland also in solchen Fällen das Gesetz die Frau und ihre Kinder nicht schützt, sollten die Eltern die Tochter bei der Verheiratung durch Ehepakten schützen, indem sie das ihr mitzugebende Vermögen auf ihren Namen schreiben lassen. Der Mann kann das eigentlich so wenig übelnehmen, wie sie es übelnehmen darf,[134] wenn man ihr erklärt, was sie bisher besessen, sei jetzt nicht mehr ihr Eigentum, sie dürfe ohne die Erlaubnis ihres Gatten keinen Pfennig davon ausgeben. Doch, wie gesagt, ist die Ehe eine glückliche, so kommen die gesetzlichen Rechte, ob auf seiten des Mannes, ob auf seiten der Frau, nicht in Betracht; stellt sie sich aber als eine der Ausnahmen heraus, so kann die Fürsorge der Eltern durch die Ehepakten ein großer Segen für die Tochter und ihre Familie werden.
Wie aber, wenn ohne Wissen der Eltern das Töchterchen ihr Herz verschenkt, ihre Hand versprochen hat? Das kann trotz Papas Strenge und Mamas Wachsamkeit vorkommen, denn
Durch Meeresfluten
Und Ströme so breit,
Durch Wüstengluten
Und Steppen so weit;
Durch Bergesklüfte
Ohne Pfad noch Steg,
Durch Totengrüfte
Findet Liebe den Weg!
Ja, was dann? ... Nun, dann werden die Eltern erst recht zu prüfen haben, ob der Erwählte würdig sei; und leisten sein Charakter, seine Aussichten eine Garantie für das Glück, das er der Tochter gewähren kann, so werden sie sich wohl erweichen lassen und ihren Segen erteilen. Ist das aber nicht der Fall, stellt sich auch nur heraus, daß der Bewerber lange Jahre wird warten müssen, ehe er imstande ist, eine eigene Häuslichkeit zu gründen, dann dürfte von einer Verlobung nicht die Rede sein.
Die jahrelangen Verlobungen sollten von den Eltern nie gestattet werden, denn sie sind gewöhnlich der Tod der Liebe, und gar manches einsame, verbitterte Mädchen hat ihr Leid auf eine solche zurückzuführen. Dennoch kommen[135] sie in keinem Lande so häufig vor, wie in Deutschland. In den meisten Kulturländern wirbt kein junger Mann um ein Mädchen, ehe er ihr ein gesichertes Los zu bieten hat; bei uns dagegen sind die »Jakob- und Rahelverhältnisse« sehr häufig und gelangen nicht immer zum glücklichen Abschluß. Ist die Liebe der beiden jungen Leute wahr und echt, nun, so wird sie auch ohne bindendes Versprechen die Jahre überdauern, und der Mann wird ohne Zweifel doppelt eifrig sein, die ersehnte sichere Lebensstellung zu erlangen. Daß aber die Wahl dieser jungen, oft noch so unerfahrenen Herzen unbedingt maßgebend sein soll; daß auf das heroische: »Er oder keiner!« der Tochter die Eltern wohl oder übel nachgeben müßten, – das ist sicher nicht zu verlangen, noch zu wünschen. Ist die Tochter unvernünftig, so müssen die Eltern Vernunft für sie haben; mag dann der erste Schmerz auch groß sein, sie wird es ihnen einst danken, daß sie eine Verbindung abgebrochen haben, die nur zu Täuschungen und Leid hätte führen können.
Nachdem wir alle diese Eventualitäten besprochen haben, wenden wir uns nun zu dem eigentlichen Akte der Verlobung. Nehmen wir also an, ein wirklich heiratsfähiger junger Mann hat sich einem jungen Mädchen genähert, ist von ihr wie von den Eltern ermuntert worden, wie hat er dann den formellen Antrag zu machen?
Nun, darüber bestehen keine Gesetze. Ohne daß es seine Absicht war, ist ihm vielleicht das Geständnis seiner Liebe dem Gegenstande derselben gegenüber entschlüpft, und ihre geflüsterte Antwort, vielleicht auch nur ihr Erröten, ihre Verwirrung haben ihm die beglückende Gewißheit gegeben, daß seine Gefühle erwidert werden. Dann wird er nicht säumen, sich von dem Vater, oder, falls dieser nicht mehr lebt, von der Mutter, dem Vormund der Erwählten die Bestätigung ihres Versprechens zu erbitten.[136]
In feierlicher Toilette, d.h. im Frack mit Cylinder und hellen Glacehandschuhen begibt er sich zur Besuchszeit, also wohl zwischen halb zwölf und ein Uhr, dorthin. Er bittet um die Ehre, in die Familie aufgenommen zu werden, versichert, daß das Glück der Tochter, von dem das seinige abhänge, seine Lebensaufgabe sein werde, legt seine Verhältnisse dem Vater dar. Dieser wird auf den Besuch vorbereitet sein und gibt die gewünschte Zusage; dann ruft er die Mama, diese die Tochter, und die Verlobung findet dann meist mit dem ersten Kusse (für dieses »erste« leisten wir aber keine Garantie!) statt.
Ist der Bewerber sehr ängstlich, so zieht er vielleicht vor, seinen Antrag schriftlich zu stellen; im allgemeinen aber traut man dem gesprochenen Wort mehr überredende Kraft zu, er kann leichter auf etwaige Einwände antworten, leichter im Gespräch das Wohlwollen des Vaters gewinnen. Für diesen letztern läßt sich das »Nein« freilich besser schriftlich als mündlich aussprechen; das aber ist und bleibt für beide Teile, so oder so, höchst peinlich.
Gewiß, ein Korb ist unter allen Umständen eine recht bittere Pille; selten aber wird er erteilt, ohne daß[137] den Empfänger oder die Geberin dabei eine Schuld träfe. Ein Mann muß sehr von sich eingenommen, sehr siegesgewiß sein, wenn er um die Hand einer Dame anhält, die ihn in keiner Weise dazu ermuntert hat; nicht selten aber liegt einer solchen Aufmunterung von seiten des Mädchens keine Neigung, sondern nur Koketterie zu Grunde, die Huldigungen des Mannes sind nur Triumphe, die ihre Eitelkeit feiert: dann natürlich ist sie die Schuldige. Bedächten unsere jungen Mädchen doch, daß jeder in dieser Weise erteilte Korb einen Schatten auf sie wirst, daß es unehrenhaft ist, einen Mann anzulocken, um ein kurzes Spiel mit ihm zu treiben und ihn dann abzuweisen; das aber, scheint es, kommt ihnen selten zum Bewußtsein, und die Gesellschaft läßt sie ihr Unrecht auch nicht genug empfinden. Vielmehr werden gerade diese Koketten doppelt umworben, wie auch die Don Juans auf das weibliche Geschlecht die größte Anziehung auszuüben scheinen. Die Triumphe beider aber währen nur eine Zeit. Der Ruf des Mädchens leidet allmählich unter ihrem unweiblichen Betragen, und sollte sie gar die Unzartheit begehen, sich der erteilten Körbe zu rühmen, so wird die Männerwelt schon Sorge tragen, ihr keine weitere Gelegenheit dazu zu geben. Der Don Juan seinerseits findet früher oder später auch wohl seinen Komtur, der ihn zwar nicht direkt in die Hölle schickt, ihm aber als vernünftiger Vater die Hand eines wirklich geliebten Mädchens abschlägt, oder ihn zur Verbindung mit einer nicht mehr geliebten Donna Elvira zwingt.
Kehren wir aber nun zu unserem Bewerber zurück, der sich keinen Korb, sondern ein »Ja« geholt hatte. Die Eltern der Braut werden das frohe Ereignis im Kreise ihrer wie des Bräutigams Familie in den nächsten Tagen feiern. Zugleich werden die nötigen Anzeigen erlassen.[138] Solche in die Zeitungen zu setzen ist in seinen Kreisen nicht Sitte; die Eltern der Braut zeigen das Ereignis durch ein auf seines Papier lithographiertes oder gedrucktes Cirkular an, das in passendem Couvert an alle Freunde und Verwandte versandt wird.
Die gewöhnliche Form für ein solches ist etwa folgende:
Die Verlobung unserer ältesten Tochter Emma mit Herrn Gerichtsassessor Karl A. beehren sich ergebenst anzuzeigen
Dr. B. und Frau
(Datum)
geb. C.
Der Bräutigam erläßt eine ähnliche Anzeige:
Meine Verlobung mit Fräulein Emma B., ältester Tochter des Herrn Dr. B. in X., beehre ich mich ergebenst anzuzeigen.
Karl A.
Gerichtsassessor.
Diese letzteren Anzeigen sind aber nur für die Freunde des Bräutigams bestimmt, seine Verwandten erhalten dieselben von den Eltern der Braut, da sie künftig ja mit zur Familie gehören.
Aeltere alleinstehende Damen oder Witwen, die ihre Verlobung also selbst mitzuteilen haben, bedienen sich dazu der früher allgemein üblichen Karten. Diese enthalten nur die Namen der Verlobten – der der Braut steht voran – nebst ihren Wohnorten und dem Datum.
Auf die Anzeige einer Verlobung hin werden die Empfänger derselben den Eltern der Braut und des Bräutigams, sofern sie der Familie nahe stehen, einen Besuch machen, um ihnen ihre Glückwünsche darzubringen. Ferner Stehende begnügen sich damit, dies schriftlich zu thun.
Gleich nach der Verlobung hat der junge Mann seine Braut seinen nächsten Angehörigen zugeführt. Wohnen[139] diese nicht an einem Orte mit ihr, so wird die Mutter des Bräutigams zuerst an die Braut schreiben, um sie als Tochter willkommen zu heißen; kennen sich die beiden aber schon, und ist die Braut von den freundlichen Gefühlen ihrer künftigen Schwiegermutter überzeugt, so kann sie ihr auch durch einen Brief zuvorkommen.
Nachdem Freunde und Verwandte ihre Gratulationsvisite gemacht, statten Braut und Bräutigam nun auch diesen ihren Besuch ab. Der letztere erscheint dabei in seiner Gesellschaftstoilette; die erstere ebenfalls in elegantem Anzug, aber wie er zu Besuchen am Tage üblich ist, d.h. ohne Schleppe. Selbst wenn sie sich dabei eines Wagens bedienen, ist das kurze Kleid üblich.
Diese Besuche werden natürlich erwidert. Sie gelten jetzt dem Brautpaar, das zu den Tageszeiten, wo es solche erwarten kann – z.B. Sonntags vor Tisch – im Hause der Braut zusammen zu sein sucht. Dem Bräutigam statten nur die Herren, in deren Hause er Besuch gemacht hat, einen solchen in seiner Wohnung ab; von der Dame des Hauses oder gar der Tochter kann ein Junggeselle diese Aufmerksamkeit nicht erwarten.
Die Eltern der Braut geben dann gewöhnlich eine größere Gesellschaft, in welcher die Freunde und Verwandten der beiden Verlobten sich kennen lernen. Darauf folgen Einladungen von den letzteren, das Brautpaar eilt von Fest zu Fest, erhält überall den Ehrenplatz, wird überall gefeiert. Die Plätze der beiden werden von den Gastgebern meist mit Blumen geschmückt, und die Braut erscheint selten ohne einen Strauß oder einen der so beliebten Blumenzweige an der Brust, die Gabe des Bräutigams.
Doch seine Geschenke beschränken sich nicht auf Blumen. Zuerst hat er die Verlobungsringe zu besorgen: einfache, aber massive Goldreifen, in deren innerer Seite[140] das Datum der Verlobung eingraviert ist, sowie in dem Ring der Braut seine Initialen, in dem seinen die ihrigen. Später wird das Datum der Hochzeit hinzugefügt. Während des Brautstandes wird dieser Ring am vierten Finger der linken, nach der Trauung an dem der rechten Hand getragen.
Seltener gibt der Bräutigam zur Verlobung einen mit Steinen besetzten Ring; in dem Fall werden natürlich die Trauringe besonders angefertigt.
Außer dieser obligatorischen Gabe verehrt der Bräutigam seiner Erwählten bald nach der Hochzeit meist ein anderes Geschenk: ein schönes Schmuckstück, eine Uhr, wenn sie eine solche noch nicht besitzt, werden immer willkommen sein. Sie, ihrerseits, wird für ihn eine jener hübschen Stickereien arbeiten, mit denen in mehr eleganter als zweckmäßiger Weise unsere jungen Damen alle Schreib-, Rauch- und sonstige Apparate der Herren zu verzieren wissen; vielleicht auch schmückt sie ein Notizbuch mit ihrer Photographie, oder sie läßt diese in ein Medaillon fassen, das er an der Uhrkette trägt.
Der Verkehr der beiden Verlobten während des Brautstandes unterliegt natürlich auch keinen anderen Regeln, als welche Takt und Zartgefühl diktieren. Wohnen sie an demselben Orte, so wird der Bräutigam ein fast täglicher Gast im Hause der Braut sein. Die ängstliche Sorgfalt, mit der man es vermeidet, die beiden einen Augenblick allein zu lassen, scheint uns übertrieben, und muß jeden ehrenhaften Mann, jedes sittsame Mädchen beleidigen. Wir können nichts Unpassendes darin finden, wenn Brautleute allein zusammen spazieren gehen oder reiten, zusammen Theater, Konzerte und Vorlesungen besuchen; bei größeren gesellschaftlichen Vergnügungen allerdings, wie Bällen, wird die Mutter oder sonst eine ältere Dame die Braut begleiten. Eine Reise gemeinsam zu[141] machen, möchten wir dagegen einem Brautpaare nicht anraten, da sie dadurch leicht Anstoß geben und sich Verlegenheiten zuziehen könnten.
Ihrerseits müssen die Brautleute sich aber auch als seine, zartfühlende Menschen erweisen, und die Rücksicht auf andere, seien es auch die nächsten Angehörigen, nie außer acht lassen. Daß ein Liebespaar jedem Dritten langweilig erscheint, ist bekannt; allein gute Sitte ist es nicht, daß die beiden, ob im Familienkreise, ob gar in Gesellschaft, nur für einander Augen und Ohren haben, daß sie, statt an der Unterhaltung teilzunehmen, miteinander flüstern, daß der Bräutigam fortwährend die Hand der Braut in der seinen hält, oder gar den Arm um ihre Taille legt. Nein, solche Liebkosungen sollten ihnen zu wertvoll sein, um sie den Augen Fremder auszusetzen!
Ebenso sollten sie mit der innigsten Liebkosung, dem Kuß, nicht so verschwenderisch sein. Daß der Bräutigam beim Kommen und Gehen die Braut in dieser Weise grüßt, ist allerdings bei uns üblich; in Gegenwart von Fremden jedoch würde ein Handkuß genügen. Sehr peinlich aber berührt, auch im engsten Familienkreise, das häufige Küssen, das »Schnäbeln« der beiden; in solchem Fall hat die Mutter das Töchterchen auf das Unpassende dieses Benehmens aufmerksam zu machen. Denn in allen Fragen des Anstandes gibt das weibliche Wesen den Ton an, und jede Verletzung desselben fällt in erster Linie auf es zurück.
Der Bräutigam hat sich während dieser Zeit besonders zu hüten, daß er die allgemeinen Regeln der Höflichkeit nicht außer acht läßt. Das thut er nur allzu oft. An öffentlichen Vergnügungsorten, bei Gesellschaften z.B. hat man gar häufig Gelegenheit, zu beobachten, wie er aufmerksam für die Bedürfnisse seiner Braut sorgt, ihr beim An- und Ausziehen des Mantels behilflich ist u. dgl., aber[142] die Familie derselben, die älteren Damen, für sich selbst sorgen läßt; wie er abends beim Nachhausegehen die Braut am Arme führt und die Schwiegermutter in spe allein hinterher gehen läßt, statt ihr den anderen Arm zu bieten. Man sagt: wer die Tochter freien will, muß der Mutter den Hof machen; allein der wahrhaft gebildete Mann wird auch, nachdem er die Tochter errungen, in seiner Aufmerksamkeit gegen die Mutter nicht nachlassen, und hier, wie immer, der älteren Dame, die seiner bedarf, seine Fürsorge zuerst widmen.
Ob Brautleute, die getrennt an verschiedenen Orten leben, sich deshalb von der Geselligkeit zurückziehen sollen, ist eine Frage, die man nicht unbedingt mit Ja oder Nein beantworten kann. Die bisherigen freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Familien werden von beiden Seiten fortgesetzt werden und mit ihnen der gesellige Verkehr. Der junge Mann wird auch nicht umhin können, hier und da an einer größeren Festlichkeit teilzunehmen; der Braut aber würde es allerdings vom Bräutigam wie von der Welt als ein Mangel an Liebe gedeutet werden, wenn sie nach wie vor alle Bälle und sonstige Vergnügungen in größeren Kreisen besuchen wollte. Man nimmt mit Recht an, daß sie ohne den Verlobten weniger Freude an solchen Lustbarkeiten findet, daß die bevorstehende Wendung ihres Lebens sie ernster stimmt, daß ihr Sinn auf andere Dinge als diese äußeren Zerstreuungen gerichtet ist.
Und das wird in der That der Fall sein, wenn es auch nicht immer höhere oder innere Angelegenheiten sind, die sie beschäftigen. Die Aussteuer ist es, welche ihre Gedanken in dieser Zeit besonders in Anspruch nimmt.
Abweichend von der Sitte vieler anderer Länder, z.B. Englands, Frankreichs, Nordamerikas, haben bei uns die Eltern der Braut alles, was zur Einrichtung des künftigen[143] Haushalts dient, zu liefern. Und das ist in unserer Zeit keine kleine Ausgabe. Der Luxus ist ja in dieser wie in jeder anderen Beziehung außerordentlich gestiegen. Wie das frühere Wohnzimmer, in welchem man aß und trank, arbeitete und Besuch empfing, als das Zimmer »für alles« abgekommen ist, so hat auch die einfache Ausstattung: mit einem Rips-und einem Kattunsofa, einem polierten und einem eichenen Tisch etc. dem eleganten, komplizierten Möblement für die jetzt als notwendig erachteten fünf bis sieben Räume weichen müssen. Daß die ehemaligen leichten Möbel – oft wirklich sehr leichte Ware – durch die weit solideren »altdeutschen« ersetzt sind, ist, wenn auch eine bedeutende Mehrausgabe, doch insofern vorteilhaft, als die letzteren weit längere Dauer versprechen. Hoffen wir nur, daß die Mode sich hält, sonst würde die Dauerhaftigkeit sie schwerlich vor der Rumpelkammer oder dem Auktionshammer schützen!
Und dann die Wäsche! Diese Stoffe und besonders diese Spitzen und Stickereien! Nun, wir wollen kein Anathema dagegen schleudern, denn aller Luxus fördert ja die Industrie; auch ist er berechtigt, solange er mit den Mitteln des Luxustreibenden in Einklang steht. Dies letztere aber ist durchaus nicht immer der Fall. Hat die Tochter des Kommerzienrats Valenciennes an ihre Leibwäsche gesetzt, so will ihre Freundin, die Tochter des Geheimerats, nichts Geringeres haben; das Beispiel wirkt auch hier verderblich und schraubt die Anforderungen von Jahr zu Jahr in die Höhe. Dagegen ist man hinsichtlich der Quantität bescheidener geworden: diese enormen Vorräte von Leinenzeug und Damast, die man früher für notwendig hielt, würden ja viel mehr Platz fordern, als man jetzt, wo die Korridore nur selten noch Schränke aufnehmen, dafür einräumen kann; und dann wechselt die Mode auch in diesen Dingen![144]
In Bezug auf Silbergeschirr ist man vielleicht jetzt weniger anspruchsvoll als früher. Man hat so reizende Sachen in Alfenide; warum also Gegenstände, welche nicht für den täglichen Gebrauch bestimmt sind, die wohl nur ein halbes Dutzend Mal im Jahre bei Gesellschaften zum Vorschein kommen, nicht von diesem Metall nehmen? Reiches Silbergeschirr ist ein totes Kapital, und schließlich liegt der Wert nur in der Idee; wenn die Sachen hübsch aussehen und sich gut halten, so ist kein Grund vorhanden, warum wir nicht dem Alfenide das Bürgerrecht in unseren Haushaltungen erteilen sollten. Allerdings dürfen wir es für nichts anderes ausgeben, als was es ist.
Die Garderobe der Braut muß sich natürlich nach dem übrigen richten. Auch für diese macht sich ein Steigen in der Qualität, ein Fallen in der Quantität bemerkbar. Wie die Leibwäsche nicht mehr nach Gros, die Strümpfe nicht mehr per Schock beschafft werden, so bemißt man die Garderobe auch nur höchstens auf zwei Jahre, da sie nach dieser Zeit der so rasch wechselnden Mode doch nicht mehr entsprechen würde. Alles aber, was zur Aussteuer gehört, – nur die Wohnung selbst hat der Bräutigam zu beschaffen – diesen ganzen reichen »trousseau«, an dem früher Jahre hindurch im Hause gearbeitet, für welchen gesponnen und gewebt wurde, lange, ehe der Bräutigam für die Tochter nur in Sicht war, – kann man jetzt, in unserer Zeit der Fabriken und Nähmaschinen, in wenigen Tagen beschaffen!
Es gehört nur, sagt der Papa, das nötige Kleingeld dazu!
Ehe wir nun zu dem Feste übergehen, das den Brautstand in den Ehestand verwandelt, müssen wir noch den Fall erwähnen, durch welchen er in anderer, trauriger Weise zuweilen einen Abschluß findet, nämlich durch Aufhebung der Verlobung.[145]
Wir gedachten vorhin der verschiedenen äußerlichen Gründe, die eine Verlobung herbeiführen können. Ohne die schlimmsten: den Wunsch, Wohlleben oder Rang dadurch zu erlangen, als maßgebend anzunehmen, ja selbst bei gar manchen Verlobungen aus gegenseitiger Neigung fehlt doch oft den Beteiligten eine genauere Kenntnis des Charakters des anderen. Sie haben sich vielleicht nur in Gesellschaften kennen gelernt, – auf einem Ball verlobt. Da ist es denn nicht zu verwundern, wenn es sich bei dem nun beginnenden häufigen Verkehr herausstellt, daß die Grundsätze, Ansichten, Neigungen der beiden Verlobten durchaus nicht zusammen harmonieren, ihre Charaktere nicht zu einander passen. Dann sollten sie, so peinlich es auch sein mag, nicht säumen, den übereilten Schritt rückgängig zu machen. Jetzt können sie es noch, haben jetzt nur kurze Zeit darunter zu leiden; ist das »Ja« vor dem Altar erst gesprochen, dann ist es zu spät, und ein elendes Leben straft sie für die Uebereilung eines Augenblicks.
Allerdings aber müssen es solch' wichtige innere Gründe sein, die zur Aufhebung einer Verlobung Anlaß geben. Handelt es sich nur um einen kleinen Streit, einen Eigensinn von der einen oder anderen Seite, dann sollten beide bedenken, daß zwei Menschen, die erst kurze Zeit in so inniger Weise miteinander verkehren, unmöglich schon ganz eines Sinnes sein können, daß, je selbständiger die Charaktere sind, sie auch um so mehr Zeit bedürfen, um sich ineinander einzuleben. Da wird dann der Klügere, oder der am meisten Liebende von beiden die Hand zur Versöhnung reichen, und die kleine Wolke wird ohne weitere Folgen vorüberziehen.
Hat man aber den Bruch für notwendig erkannt, so geschehe er so geräuschlos wie möglich. Eine darauf bezügliche Erklärung in die Zeitung zu setzen, ist eine Taktlösigkeit[146] und zugleich eine Beleidigung gegen den anderen Teil, deren sich kein gebildeter Mensch schuldig machen wird. Die vielzüngige Fama bemächtigt sich ja solcher Neuigkeiten ohnehin mit Vorliebe; dieselben Personen, welche das Glück des jungen Mädchens – denn als ein solches wird jede Verlobung angesehen – mit Neid erfüllt hatte, werden die ersten sein, die Kunde zu verbreiten. »Eine höchst fatale Geschichte,« heißt es dann, »allein sie hätten das immer vorausgesehen, da Fräulein N ... sich dem jungen Mann auch gar zu sehr an den Hals geworfen habe!«
Ja, dem Gerede böser Zungen werden die Entlobten nicht entgehen, besonders das Mädchen nicht, auf das die Welt gewohnt ist, in solchen Angelegenheiten den meisten Tadel zu werfen. Allein solches, »Gerede« darf niemand maßgebend für seine Handlungen sein, und die wahren Freunde werden die so schwer Geprüften ohne Zweifel durch doppelte Liebe, durch die zarteste Schonung zu trösten suchen. Diese Schonung liegt darin, daß sie das peinliche Ereignis gar nicht erwähnen, wenn die Betroffenen es nicht gegen sie thun, am wenigsten sie bemitleiden. Mitleid ist immer schwer zu ertragen; in solchen Fällen aber, wo die Selbstachtung, wo der jedem tüchtigen Menschen inne wohnende Stolz zu dem Schritte geführt hat, würde es tief verletzen.
Am leichtesten kommt das junge Mädchen wohl über das schmerzliche Erlebnis hinweg, wenn sie für einige Zeit den Ort verläßt. Kann sie das nicht, so wird sie sich vorerst von der öffentlichen Geselligkeit fern halten, bis die erregten Gefühle in der eigenen Brust, sowie die geschäftigen Zungen der Welt sich beruhigt haben. Hat sie aber etwa eine, »Saison« hindurch in dieser Weise eingezogen gelebt, so wäre es übertrieben, wenn sie ihre früheren Beziehungen nicht wieder aufnehmen, und unberechtigt von der Gesellschaft,[147] wenn sie ihr einen Vorwurf daraus machen wollte. Ihre einstige Unbefangenheit freilich, die harmlose Freude an den Vergnügungen der Jugend wird sie wohl für alle Zeit eingebüßt haben!
Hoffen wir indessen, daß diese Entlobungen nur Ausnahmen sind, und folgen wir dem gewöhnlichen Gang der Ereignisse, der den Brautstand durch die Hochzeit abschließt.
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