II.

[176] Wieder war es Heine, dem ich zuerst begegnete. Sich viel umherzutreiben, war ihm in jungen gesunden Jahren Bedürfniß gewesen, auch hier schien es so zu sein. »Wie oft dürfen Sie uns denn hier heimsuchen?« frug er, als er meiner ansichtig wurde. – »Zwölfmal,« erwiderte ich – »allzuwenig, denn der größte Theil derjenigen, die ich verehrend liebte und liebe, ist hier – und da ist's fraglich, ob ich alle finden werde, abgesehen von so Manchen, die ich nur[176] aus ihren Thaten und Werken kenne.« »Wen Sie drunten nicht persönlich gekannt haben, der bleibt Ihnen hier unsichtbar,« sagte Heine, »aber Sie werden mehr Bekannten begegnen, als Ihnen lieb ist. Ein Vorschlag zur Güte! ich bin zwar vielleicht kein Virgil und Sie sind sicherlich kein Dante, aber ich könnte doch zuweilen Ihren Cicerone machen. Wenn Sie mich brauchen, bedarf es nur eines starken Meingedenkens, ich bin dann schnell bei Ihnen, wenn ich nicht gerade abwesend.« »Reisen Sie häufig,« frug ich, »ziehen Sie weit umher?« »Lieber Hiller,« sagte Heine mit der Gravität eines Schuldirectors, »seien Sie froh, daß Ihnen gestattet ist, uns hier zu besuchen, und geben Sie sich nicht die überflüssige Mühe, mehr erfahren zu wollen, als Ihnen zu wissen vergönnt ist. Sie kennen mich, ich war nie ein Geheimnißkrämer, doch es gibt Schranken, die ich nicht überspringe – weil ich nicht darf und weil ich nicht kann. Nur das muß ich Ihnen sagen, weil Sie sonst vielleicht zuweilen in Verlegenheit kommen könnten; – was unten vorgeht, das wissen wir – keiner Ihrer dummsten Streiche, wenn ich so sagen darf, bleibt dem verborgen, der sich noch halbwegs für Sie interessirt – aber – es schadet Ihnen nicht, wir sind hier eben so streng wie nachsichtig.« »Darf ich nicht eine Frage an Sie richten,« sagte ich, »eine sehr gerechtfertigte, denn ich habe von jeher ein starkes faible für Sie gehabt – sagen Sie mir – Frauen gibt es hier nicht?« »Keine,« antwortete er. Ich stockte einen Augenblick – dann sagte ich: »Wie können Sie es aber ohne weiblichen Umgang aushalten? Die Frauen haben Ihnen zwar viel zu schaffen gemacht –« »Ich habe ihnen viel zu schaffen gemacht«, unterbrach mich Heine, »und sie haben mich zuweilen dafür gestraft, aber doch sehr glimpflich sind sie mit mir umgegangen. Unter uns gesagt, ich war und bin noch immer der Meinung, daß die Frauen besser sind, als wir – sie kommen auch schneller voran!« »Wie meinen Sie das?« unterbrach ich ihn. »Ich meine gar nichts,« sagte Heine, »ich wollte nur sagen, daß ich für lange Jahre an meinen Erinnerungen, guten und schlimmen, genug habe und ihre Abwesenheit nicht beklage. Die Zeit vergeht hier unglaublich schnell – wenn auch nicht in Ihrem Sinne –[177] und von der Zukunft hoffe ich das Beste.« »Also das Hoffen haben Sie mit hieher gebracht,« sagte ich, »das freut mich ungemein, denn aufrichtig gesagt –« »Wen möchten Sie zunächst sehen?« unterbrach mich Heine mit sanfter Ungeduld, »ich wette, Felix Mendelssohn oder Chopin? Die verkehren hier viel mit einander. Bezüglich des erstern hatte ich einige Gewissensbisse, als ich eintraf, er kam mir aber überaus freundlich entgegen und wir verständigten uns sofort. Sehen Sie, dort steht er.«

»Ich wußte schon, daß du hier gewesen, altes Drama,« rief Mendelssohn, durch die scherzhafte Anrede heitere Zeiten unseres Beisammenseins bezeichnend, »sei willkommen!« »Es ist hübsch, daß dir die seltene Gunst zu Theil geworden, uns besuchen zu dürfen – Euch zu sehen und zu hören wird uns leicht gemacht. Aber Ihr seid leider selten anziehend genug, um uns anzulocken, nicht wahr, Chopinski?« Lächelnd trat dieser näher und sagte: »Du weißt, wie kritisch Mendelssohn von jeher war – Recht hatte er zwar, man gestand es ihm nur nicht gern zu. Uns freut es aber, daß du fortfährst, thätig zu sein, obschon dir nicht viel Ermunterung geschenkt wird.« »Altes Drama,« nahm Felix das Wort, »du schriftstellerst ja gewaltig, hast meine Briefe drucken lassen mit Haut und Haaren! Muß denn Alles unter die Leute? und Compositionen aus meinen Knabenjahren hat man herausgegeben, wozu? wozu? Das ist freilich nicht deine Schuld. Doch treiben sie es jetzt so, daß Ihr allwöchentlich ein Auto-da-fé veranstalten solltet, um Alles zu vernichten, was Ihr selbst nicht für lobenswerth haltet – es bleibt dann immer noch genug von dem, was Ihr dafür haltet und – was es doch nicht ist. Warum siehst du mich denn so sonderbar an?« »Ich freue mich Eures jugendlichen Aussehens,« sagte ich, ihm und Chopin zunickend, »wie gern möchte ich Eure Hände drücken! Das geht aber nun einmal nicht an. Warum mußtet Ihr so früh uns im Stiche lassen?« »Beide sind wir zur richtigen Stunde ausgewandert,« sprach Felix, »wie denn Jeder genau so lange athmet, als es ausreicht und gut ist – davon kannst du in Zukunft überzeugt sein, und daß es eben so thöricht, den Tod zu wünschen als zu fürchten.« »Ihr habt gut reden,« sagte[178] ich, »wenn man so fortlebt in den Seelen der Menschen wie Ihr, und sich davon obendrein täglich überzeugen kann! Wir fehlen Euch nicht, Ihr fehlt uns! Und wie sehr, das wißt Ihr selbst am besten.« Ich wollte dabei auch Heine einen Blick zuwerfen – doch er war verschwunden. »Das Beste von uns«, unterbrach mich Chopin, »ist Euch ja geblieben – machtet Ihr nur bessern Gebrauch davon! Sähe man hier die Sachen nicht so ruhig an, Ihr gäbet oft genug Gelegenheit zum Schelten. Was haben sie nicht gegen Felix schon Alles vorgebracht! Und wären es nur die dummen Jungen, die bêtards, die nicht acht anständige Tacte zusammenleimen können – mit der Dummheit muß man Mitleid haben! Aber auch gescheite Leute thaten mit, freilich nicht aus Ueberzeugung, sondern aus Neid.« »Laß doch das arme Drama ausschnaufen,« nahm Mendelssohn das Wort, »um das zu erfahren, braucht er nicht zu uns zu kommen. Sieh',« fuhr er fort, »es gibt ein Ewiges, wenn es auch da drunten oft schnell verschwindet, und es gibt ein Nichtiges, wenn es auch dort zuweilen durch Jahrhunderte zieht, und im erstern wohnt das Glück, ich meine das irdische Glück – Manche besitzen es, ohne es zu würdigen, und Manche vermissen es, ohne es zu erkennen. Das bedenke!« »Lieber Felix,« sagte ich, »ich kann nicht beurtheilen, auf welcher Höhe der Erkenntniß du jetzt stehst – du gibst dich ja, wie wenn gar nichts vorgefallen wäre, seit wir uns zuletzt gesehen. Und so scheint mir, du seiest immer noch in einem großen Irrthum (pardon!) befangen, indem du die Gaben, die dir verliehen worden, für eine Art von Gemeingut hältst. Du meinst, es sei unmoralisch, wenn man's nicht gut macht, während es doch Folge der Unfähigkeit ist.« »Da wären wir also wieder auf dem alten Punct angelangt,« erwiderte der Freund, »und was du Irrthum nennst, ist noch immer meine Ueberzeugung. Sieh umher, wie Viele findest du, die ohne Nebenabsichten handeln, handeln in der breitesten Bedeutung des Wortes! Sie wollen bedeutend sein, originell sein, Aufsehen machen, es Diesem oder Jenem nachthun, dies oder das erlangen, fortschrittlich erscheinen, der Himmel weiß, was noch alles sich in ihnen regt – haben sie sich aber ernst gefragt, was sie zu leisten im Stande[179] sind? Haben sie ihr Bestes gethan, um es leisten zu können? Unehrlich sind sie, betrügen sich und wollen die Andern betrügen. So lange sie nur sich betrügen, empfinden sie es nicht so bald – ist es ihnen aber gelungen, Andere hinter's Licht zu führen, dann kommt der Katzenjammer. Aber sie können nicht mehr zurück und kommen nicht wieder ins Reine!« »Du nimmst als selbstverständlich an,« sagte ich, »daß es Jedem gelinge, sich selbst zu erkennen, aber das ›Erkenne dich selbst‹ bleibt trotz alledem die höchste Stufe der Weisheit. Es mag nicht so schwer sein, zu erkennen, was man vermag im gegebenen Moment; aber es scheint mir unmöglich, zu ergründen, wie weit man gelangen könne, und zwar nicht nur in der Macht nach außen, auch in der nach innen.« »Das Leben,« erwiderte Felix, »die Gegenwart, die Zukunft setzen sich aus Momenten zusammen – wer in jedem gegenwärtigen Moment ehrlich ist, ist es für alle Ewigkeit. Nur aus der Ehrlichkeit erwächst die Persönlichkeit – die Lüge vernichtet sie. Aber im Grunde sind wir ja einig, Drama, dir blieb die Gewohnheit, mit mir zu streiten. Seit du alt geworden, scheinst du mir jedoch zahm geworden zu sein. Mit den Lebenden verkehrst du friedlich und von den Todten schreibst du nur Gutes.« »De mortuis,« unterbrach ich den Freund, »du weißt das – weißt auch, wie falsch es ist. Ich suche mir eben die aus, von denen ich hauptsächlich Gutes zu berichten habe. Diejenigen, deren schlimme Thaten die Nachwelt kennen muß, die habe ich nicht gekannt, ich danke dem Himmel dafür – und das nichtsnutzige Gesindel, dem Keiner sich entziehen kann, das vergesse ich, während es lebt, wie vielmehr, wenn es – kommt es denn hieher zu Euch?« »Es geht die Wege, die ihm vorgeschrieben sind,« sagte Chopin, »e più non dimandare.« »Wenn ich Euch so reden höre, fallen mir die Tage in Düsseldorf ein – da machte ich mir's auch bequem, während Ihr Euch zanktet, und dachte mir mein Theil dabei. Damals sprach ich freilich noch nicht so gut deutsch wie jetzt. Mit der Zeit macht man Fortschritte. Glaubst du, Hiller, daß ich deine Briefe gelesen habe?« »Wirklich, von A bis Z?« rief ich aus. »Es ging schneller, als du denkst,« sagte Chopin. »Was du von mir geschrieben hast –« Gern hätte[180] ich eine Meinung erfahren – aber die Gattin empfing mich mit der Frage: »Wo bist du denn heute so lange geblieben?«

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 176-181.
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