I. Verhaftet.

Nachdem ohne mein Wissen schon lange der Verdacht auf mich gefallen war, daß ich zugunsten anderer mich gegen das Gesetz vergangen, traf mich eines Tages fern von meiner derzeitigen Heimat meine Verhaftung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Zunächst allerdings war mir der Vorgang nicht ganz klar geworden. Gänzlich unbekannt mit Strafprozessen und allem, was damit in Zusammenhang steht, machte auch ich mir gleich anderen in meiner Lage ziemlich romanhafte Vorstellungen von einer Verhaftung. Nach meinem Dafürhalten mußte ein Beamter in Uniform vor den Delinquenten hintreten, ihm den Haftbefehl vorhaltend, mit der feierlichen Anrede: »Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!«

Der Gedanke, es könne sich um eine Verhaftung handeln, lag mir daher durchaus fern, als eines Abends gegen neun Uhr mein Gastgeber mit einem fremden Herrn in Zivil bei mir eintrat, der mich,[1] wie er sagte, zu sprechen wünsche. Der Besucher entschuldigte sich sofort in der höflichsten Weise, daß er mich so spät noch stören müsse. Kaum aber waren wir allein, so trat er schon auf mich zu, mir sein Marke mit den Worten vorzeigend: »Ich bin Kriminalbeamter. Sie müssen jetzt mal mitkommen.«

Obgleich der Beamte nunmehr meine Reisetasche und alle mir gehörigen Habseligkeiten nach belastenden Schriftstücken durchsuchte, wurde mir immer noch nicht klar, was mir bevorstand. Erst als mein Gastgeber auf seine Frage nach meiner Rückkehr von dem Beamten statt meiner die Antwort erhielt: »Heute kommt die Dame nicht zurück –« da erst begann die Ahnung von etwas Schrecklichem in mir aufzusteigen. Wie im Traum, ohne ein Wort der Entgegnung folgte ich dem Beamten, der sich mit meiner Tasche belud, aus der Wohnung, und bald führte uns die Straßenbahn nach dem Polizeigefängnis, wo ich zunächst untergebracht werden sollte.

Das war am 24. März 1900.

Hätte ich voraussehen können, was alles mir bevorstand, wie lang und schwer meine Untersuchungshaft werden, daß ich überhaupt erst nach jahrelanger Einkerkerung die Freiheit wiedererlangen sollte – ich würde bei diesem Abschluß einer einwandsfreien Vergangenheit noch von ganz anderen Gefühlen erschüttert worden sein.

Quelle:
Hoff, Marie: Neun Monate in Untersuchungshaft. Erlebnisse und Erfahrungen, Dresden, Leipzig 1909, S. 1-2.
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