In Trauer.

Der unerbittliche Tod ist über deine Schwelle getreten.

Hast du ihn auch vielleicht herannahen sehen, hast du auch Zeit gehabt, dich mit dem Gedanken an ihn vertraut zu machen, heute, wo der Gefürchtete nun in der That kam, trifft dich das Erwartete dennoch überraschend, und du sinkst nieder in fassungslosem Schmerz.

Und doch dringen die Forderungen der Lebenden, die Gesetze der Sitte, die Gebräuche des guten Tones auch bis in das Sterbezimmer, in dem du am liebsten allein mit deinem Schmerz bleiben möchtest.

Sobald der Arzt den Tod konstatiert hat, wird man telegraphisch alle diejenigen benachrichtigen, deren Kommen man zur Beerdigung wünscht. Für die übrigen Familien, besonders für ältere Personen, ist die Benachrichtigung in Briefform, weil weniger erschreckend und zugleich ausführliche Mitteilungen erlaubend, vorzuziehen.

An Verwandte, Nachbarn und Nahestehende am Ort sendet man mündliche Botschaft durch einen Bediensteten des Hauses in Trauerkleidung: »Eine Empfehlung von Frau Bernhard, und sie läßt das heute[428] morgen 10 Uhr erfolgte Ableben ihres Vaters, des Herrn Majors Seel, ansagen.« Oder: »Herr und Frau Baumeister B. lassen den Herrschaften mitteilen, daß ihr Töchterchen Marie soeben sanft entschlafen ist.«

Die Meldung auf dem Standesamt hat gleichfalls in den ersten Stunden zu erfolgen und geschieht durch ein nahestehendes männliches Familienmitglied. Dasselbe macht im Anschluß hieran auch demjenigen Pfarrer, dessen Mitwirkung bei der Trauerfeier gewünscht wird, seinen Besuch, teilt ihm den Wunsch der Angehörigen mit und bespricht mit ihm die Zeit der Beerdigung, welche in der Todesanzeige enthalten sein muß.

Fehlt dieselbe in einer Anzeige, die wir erhalten, so haben wir uns zu erkundigen, ob Beteiligung Fremder am Leichenbegängnis erwünscht ist.

Der Geistliche macht alsbald der trauernden Familie seinen Besuch, der unter allen Umständen, wenn auch nur von einem Glied derselben, angenommen werden muß.

Die Bekanntmachung des Todes erfolgt je nach der Ortssitte entweder durch die Zeitung allein oder durch Annonce und gleichzeitiges Versenden von Todesanzeigen.

Die Redaktion einer Todesanzeige verlangt Genauigkeit, was Namen, Titel u.s.w. betrifft, und verbietet allzuviel schmückende, den Verstorbenen lobende oder unsern Schmerz illustrierende Beiworte. Sie hat zu enthalten: Vollen Namen und Titel, Geburtsnamen bei einer Frau, erreichtes Alter, längere oder kürzere Dauer der Krankheit eventuell Art derselben, Ort und Zeit der Beerdigung.[429]

Hier ein Beispiel:


Heute starb nach langem, schwerem Leiden in seinem siebenundsechzigsten Lebensjahre


der Kgl. Generalmajor z. D. Majoratsherr auf Vorwerk

Freiherr Gert von Sanden

Komthur und Ritter hoher Orden.


Um stille Teilnahme bitten

Berlin, den 20. Februar 189..


Die trauernden Hinterbliebenen:

Therese von Sanden, geb. Freiin zur Lichten,

Hans von Sanden, Landrat des Kreises Plauen,

Werner von Sanden, Hauptmann und Kompagnie- Chef im Infanterie-Regiment Nr. 46,

Anna von Sanden, geb. von Buch, und

vier Enkel.


Eine Trauerfeier findet im Sterbehause, Kurfürstenstraße 140, am Sonnabend den 23. Februar um 11 Uhr vormittags und die Beerdigung in Vorwerk am 25. Februar um 4 Uhr nachmittags statt.


Viele lieben nicht ein namentliches Aufführen aller Familienmitglieder und setzen nur »Die trauernden Hinterbliebenen« unter die Anzeige, z.B.:


Gestern morgen entschlief nach längerem Leiden unsere teuere Mutter, Schwiegermutter und Tante, die verwitwete Frau Geh. Sanitätsrat


Amalie von Mehren

geb. Bernard

im 60. Lebensjahre.

Um stille Teilnahme bitten

Die tieftrauernden Hinterbliebenen.


Stuttgart, Danzig, Straßburg,

den 20. Februar 189..


Die Beerdigung findet in Stuttgart, Freitag, den 21. Februar nachmittags 31/2 Uhr auf dem Prag-Friedhofe statt.
[430]

Katholiken machen den Zusatz: »Wohlversehen mit den heiligen Sterbesakramenten.«

Die Todesanzeigen werden bei vornehmeren und angeseheneren Persönlichkeiten auf einen mit breitem Trauerrand versehenen großen Bogen (28 cm hoch, 22 cm breit), der zweimal gebrochen in großem Couvert versandt wird, gedruckt. Bei unverheirateten Damen, jüngeren Söhnen, Kindern wählt man den Oktavbogen und dazupassendes Couvert.

Zur pünktlichen Versendung der Anzeigen stellt man eine Liste auf, wobei das Verzeichnis der bei uns verkehrenden Personen von der Einladungsliste her nicht vergessen werde. Die Verwirrung, die in einem Trauerhause herrscht, entschuldigt es, wenn der eine oder der andere keine Anzeige erhielt. Uebelnehmerei ist hier wenig am Platze.

Die Todesanzeigen versendet man nicht nur an solche, mit denen der Verstorbene in gesellschaftlichen Beziehungen gestanden hat, sondern auch an unsere eigenen Freunde, an weitläufige Bekannte, Bekanntschaften in andern Orten, kurz überall dahin, wo man ein Interesse an der Person des Verstorbenen, auch noch von früher her, annehmen kann. Bei Personen, die im öffentlichen Leben gestanden, heißt es auch Rücksicht auf die verschiedenen Behörden, Gemeinwesen und Anstalten nehmen, denen der Verstorbene angehörte oder vorstand.

Die Beantwortung dieser Anzeigen hat umgehend zu erfolgen und richtet sich je nach dem Grade der Bekanntschaft.[431]

Wer in näheren Beziehungen zu dem Verstorbenen gestanden, wer bei ihm verkehrt hat, sendet einen Kranz oder ein Kreuz aus Blumen und Grün, dazu in geschlossenem Couvert die Besuchskarte mit einigen kurzen, herzlichen Worten, z.B. »Dr. B. mit dem Ausdruck aufrichtiger Teilnahme« oder »Mit herzlicher Teilnahme gedenkt Ihrer und Ihrer Familie in diesen schweren Tagen Ihr.....«

Eine Karte ohne Worte nur mit p. c. zu senden, ist unpassend. Das Befestigen der Karten am Kranze selbst gilt nicht für richtig. Werden derartige Kränze abgegeben, so sind die Karten zu entfernen, ehe die Gabe ins Sterbezimmer gelangt.

Wer keinen Kranz senden will, schreibt einen kurzen teilnehmenden Brief, adressiert an denjenigen Familienangehörigen, der die Anzeige unterzeichnet hat, oder der ihm, dem Absender, selbst am genauesten bekannt ist. Hier das Muster eines Kondolenzschreibens an Fernerstehende.


Stuttgart, den 1. März 189..


Euer Hochwohlgeboren

beehre ich mich, meine aufrichtige Teilnahme an dem schweren und unersetzlichen Verlust, der Ihre Frau Mutter und Sie betroffen hat, ganz ergebenst auszusprechen.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und der Bitte, mich Ihrer Frau Mutter empfehlen zu wollen, verbleibe ich Euer Hochwohlgeboren

ganz ergebener[432]

.........


Wer eine Todesanzeige erhielt und am gleichen Ort wohnt, wird sich an der Beerdigung beteiligen. Aber auch wer den Heimgegangenen sonst gekannt und verehrt hat, wird ihm, auch wenn ihn keine besondere Anzeige dazu auffordert, gern die letzte Ehre erweisen.

Zu diesem Zweck findet man sich pünktlich zu der in der Zeitung angegebenen Stunde ein, selbstverständlich in durchaus schwarzer Kleidung, mit Cylinder und schwarzen Handschuhen. Die Verwandten des Verstorbenen legen den Frack an. Durch die weite Entfernung der Friedhöfe von der Stadt hat sich die Sitte der Trauerfeier im Hause, wenigstens in größeren Städten, sehr eingebürgert. Die näheren Bekannten verfügen sich in das Haus, die fernerstehenden warten im Garten oder auf der Straße in leisem Gespräch und ernster Haltung, um sich alsdann dem Zuge anzuschließen.

Wer nicht die Absicht hat, bis zum Kirchhof mitzugehen, verläßt wohl an der Grenze der Stadt stillschweigend und unbemerkt den Leichenzug. Namentlich wird man es älteren kränklichen Herren oder Fürstlichkeiten, die dem Heimgegangenen die Ehre erweisen wollten, hinter seinem Sarge ein Stück zu Fuß zu gehen, nicht verübeln können, wenn sie sich entfernen. Nur darf dies »Abbiegen« nicht zu früh erfolgen.

Doch kehren wir noch einmal zur Ceremonie der Trauerfeier im Hause zurück. Die Aufbahrung der Leiche erfolge im größten, völlig ausgeräumten Zimmer. Man stelle den Sarg so, daß das Kopfende vor einem Fenster steht. Hinter dem Sarg bauen wir Pflanzengruppen[433] auf und bringen ein Kruzifix oder ein Bild des Erlösers an. Armleuchter mit brennenden Kerzen stehen zur Seite des mit den Kränzen der nächsten Verwandten bedeckten Sarges. Die Kranzspenden von Fürstlichkeiten, Deputationen und Vereinen werden an das Fußende des Sarges gestellt. Hier liegen auch auf einem niedrigen Schemel die auf schwarze Sammetkissen gehefteten Orden und Ehrenzeichen des Verblichenen. Noch sei erwähnt, daß die nächsten Verwandten, z.B. die Kinder, sich meistens vereinigen und eine Guirlande, die rings in den Sarg eingelegt wird, schenken.

Bei der Trauerfeier empfangen entfernter stehende Verwandte oder Freunde des Hauses. In einem dem Aufbahrungsraum benachbarten Zimmer hält sich die Familie auf. Der Pfarrer wird von dem nächsten männlichen Verwandten empfangen und zu der Familie geführt. Sobald die Ceremonie beginnt, treten die Teilnehmer an der Feier in die zum Trauerzimmer führenden Thüren resp. in dieses selbst. Die nächsten Anverwandten stellen sich zur Rechten des Sarges auf, die Witwe oder Mutter und die Töchter zunächst demselben, ihnen folgen die männlichen nächsten Verwandten und alsdann die übrigen Trauernden nach dem Grade der Verwandtschaft. Die Witwe wird von dem Sohn oder dem Vertreter der Familie, vielleicht auch von einem Freund oder dem Vorgesetzten des Gatten geführt. Sie erscheint in tiefer Witwentrauerkleidung, bestehend aus einem einfachen Kleide von stumpfer Wolle mit Besatz von englischem Krepp, Flebbe und Schleier aus gleichem Krepp und wollenen Handschuhen. Die[434] Töchter erscheinen ohne Kopfbedeckung. Damen, die sich an der Trauerfeier im Hause beteiligen, was neuerdings in ganz anderem Maße Sitte geworden ist wie in früheren Zeiten, erscheinen in Trauerkleidung.

Nach Beendigung der Trauerfeier wird die Witwe sich entweder ganz zurückziehen, wozu wir sehr raten, oder sich in ein anderes Zimmer führen lassen, wo sie Beileidsbezeigungen entgegennimmt.

Wer sich ihr naht, beschränke sich auf einen Händedruck oder wenige von Herzen kommende Worte. Längere Ansprachen, wohl gar mit Lobsprüchen auf den Verstorbenen, zerstören unfehlbar die mühsam erkämpfte Selbstbeherrschung der Hinterbliebenen.

Inzwischen wird der Sarg auf dem Leichenwagen Platz gefunden haben, und der Zug-setzt sich in Bewegung. Unmittelbar vor oder nach dem Leichenwagen, je nach der Ortssitte, fährt der Wagen des Pfarrers, der ihm sowohl zur Fahrt nach dem Trauerhause wie zur Rückkehr in seine Wohnung selbstverständlich von der Familie gestellt wird. Zur Seite des Leichenwagens gehen die schwarzgekleideten Dienstboten der Familie, Kränze und Blumenstöcke tragend. Hinter dem Sarge folgen die nächsten Verwandten, alsdann Freunde und Bekannte, alle in gemessener Haltung; nur eine leise geführte Unterhaltung ist allenfalls gestattet. Zuletzt kommen die Wagen, welche die Verwandten nach Hause zurückbringen sollen.

Für die Trauerversammlung werden von der Familie keine Wagen gestellt. Wer zurückfahren will, sorge daher selbst für einen Wagen. Es ist Sitte,[435] daß die Bekannten des Verstorbenen oder seiner Verwandten, welche einen Wagen besitzen, diesen hinter dem Leichenzuge herfahren lassen. Fürstlichkeiten z.B. schicken ihren Wagen, wenn sie den Heimgegangenen zu ehren beabsichtigen. Sind Vertreter von Fürstlichkeiten oder Deputationen und Vereine mit im Zuge, so gebührt den Ersteren der Platz unmittelbar hinter den nächsten Angehörigen eventuell hinter dem Sarge; eine Deputation geht vielleicht vor dem Leichenwagen her, und ein Verein beschließt den Zug vor der Wagenreihe.

Besteht der ganze Leichenzug nur aus Wagen, z.B. in Großstädten, so folgt der Wagen mit den Verwandten dem Leichenwagen u.s.w.

Auf dem Friedhof stellen sich wiederum die Verwandten und Freunde zunächst dem Grabe auf. Der Pfarrer spricht ein Gebet, und hinab senkt sich das, was sterblich war von unserem teuren Toten, in den Mutterschoß der Erde. Der Geistliche wirst die ersten drei Schaufeln voll Erde hinab. Alsdann folgen Verwandte und Nahestehende. Sich zu dieser Ceremonie hinzuzudrängen, ist unstatthaft. Damen nehmen nicht daran teil.

Mit einem Händedruck oder einer stummen Verbeugung verabschiedet man sich von den Hinterbliebenen und lenkt seine Schritte wieder zurück ins Reich der Lebenden. Sollen Reden am Grabe gehalten werden, so ist diese Absicht der Entscheidung der Hinterbliebenen zu unterbreiten. Sie erfolgen vor den Schlußworten des Pfarrers oder nach Beendigung der religiösen Feier.[436]

Damen beteiligen sich nach dem berechtigten Grundsatz, daß der Schmerz der Frau nicht in die Oeffentlichkeit gehört, an der Feier auf dem Kirchhof nicht.

Nur bei Beerdigungen im engsten Familienkreis (kleine Kinder, Beisetzung einer von weit her überführten Leiche in der Familiengruft) ist ihre Anwesenheit am Platze.

Daß jeder Gebildete sich auf dem Kirchhof inmitten der Grabstätten teurer Entschlafener und der ernsten Mahnzeugen an Vergänglichkeit ruhig und ernst zu benehmen und Gespräche mit andern zu vermeiden hat, versteht sich eigentlich von selbst. Jedoch zwingen uns selbsterlebte gegenteilige Scenen dazu, an dieses Grundgebot des guten Tones zu erinnern.

Findet eine Ueberführung der Leiche statt, so trennt sich die Trauerversammlung nach Beendigung der Trauerfeier im Hause.

Der Sarg verbleibt in demselben Raume bis zu der Ueberführung, die durch einen Verwandten erfolgt. Stirbt ein Familienmitglied in einem Badeort, in einer Anstalt u.s.w., so holen Familienangehörige die Leiche ab und begleiten sie bis zur Gruft. Zum Transport der Leiche vom Sterbehaus zum Bahnhof wähle man aus Pietätsgründen stets den Leichenwagen. Der Sarg findet in einem leeren, mit Plomben verschlossenen Güterwagen Platz. Die Begleitung fährt im gleichen Zuge. Vom Bahnhof der Endstation zur Leichenhalle oder Kapelle übernimmt wiederum der Leichenwagen den Transport. Derselbe erfolgt in früher Morgen-oder später Abendstunde ohne Gefolge. In der Kapelle des[437] Friedhofs erfolgt die Aufbahrung und Trauerfeier, wie wir sie oben beschrieben haben.

Die Sitte des Leichenschmauses, der Bewirtung des Trauergefolges, findet sich in vornehmen Kreisen nur auf dem Lande, wo die Bekannten meilenweit herkommen, um dem Freunde die letzte Ehre zu erweisen, und wo man ihnen daher unbedingt einen Imbiß anbieten muß.

Für die durch Kranzspende oder Beteiligung an der Beerdigung bewiesene Teilnahme dankt man entweder durch eine Danksagung in der Zeitung oder durch Karten. Erstere lautet etwa:

Für die uns bei dem Tode unseres unvergeßlichen Vaters, des Herrn Sanitätsrat Dr. Bernard, bewiesene Teilnahme sagen wir allen unsern aufrichtigen Dank.


Die trauernden Hinterbliebenen.


Die »trostreiche Rede des Herrn Pfarrer« besonders zu erwähnen, ist unpassend. Wir sprechen dem Geistlichen unsern Dank aus bei einem Besuch, den wir ihm bald nach der Beerdigung abstatten. Das ihm zukommende Honorar senden wir ihm mit unserer Besuchskarte in versiegeltem Couvert durch einen Dienstboten zu. Seinen Dank bei der Uebersendung des Honorars auszusprechen, ist nicht gebräuchlich. Man trenne den Begriff des Dankes von der Geldspende und danke besonders, ohne auf dieselbe mit einer Silbe Bezug zu nehmen.

Die Danksagung auf Karten aus weißem Karton mit Trauerrand hat etwa folgenden Wortlaut:
[438]

In Trauer

oder einfacher:


In Trauer

[439] Diese Karten sendet man statt Dankesbriefe an alle, die uns ihre Teilnahme in irgend einer Weise ausdrückten.

Die Sitte der Kondolenzbesuche ist je nach den Landesgegenden verschieden. Am gebräuchlichsten ist es, innerhalb der ersten sechs Wochen zur üblichen Besuchsstunde in völlig schwarzer Kleidung seinen Besuch zu machen. Auch Damen bester Kreise scheinen diese Forderung der Sitte, die fremde Trauer zur eigenen zu machen, manchmal zu vergessen. Nur Verwandte oder ganz nahe Freunde und Nachbarn sprechen schon in den ersten Tagen vor.

Anders ist es in den Hansastädten, wo es üblich ist, die Beileidsbesuche sofort nach dem Eintreffen oder Bekanntwerden der Todesnachricht abzustatten. Erscheint auch unserem Gefühl ein derartiges Hineinziehen weiterer Kreise in unsern ersten tiefen Kummer befremdend, so kann es anderseits als Vorzug betrachtet werden, daß nicht noch Wochen später, wenn die Wunde dem Vernarben nahe ist, durch Trauerbesuche der Schmerz immer wieder von neuem wachgerufen wird, und daß die erste Wiederbegegnung nicht am dritten Orte stattfindet.

Beileidsbesuche erwidert man, je nachdem es die persönliche Stimmung und Gesundheit erlaubt. Personen, denen man Rücksicht schuldet, dankt man für ihre Teilnahme in den ersten vier Wochen. Fernerstehende können einen Gegenbesuch nicht vor Ablauf des ersten Trauervierteljahrs erwarten.

Welche Vorschriften bestehen nun für die Art und die Dauer der Trauer?[440]

Das Trauerabzeichen für Herren besteht in dem Tragen eines Flors um den Hut und den linken Oberarm. Nur Offiziere trauern durch Anlegen eines Flors um den Unterarm. In dem ersten halben Jahr der Trauer wird der Betreffende schwarze Kleidung, schwarze Handschuhe, schwarze Uhrkette und schwarze Manschetten- und Hemdenknöpfe wählen. Später ist farbige Garderobe, immer aber mit Flor um Arm und Hut, gestattet.

Während die Sitte für den Witwer nur ein Jahr der Trauer fordert, trauert die Witwe zwei Jahre.

Während des ersten Jahres ist nur das Tragen von stumpfen, schwarzen Wollstoffen mit Ausputz von englischem Krepp, matte, also gewebte oder dänische Handschuhe (keine Glacés) gestattet. An dem ganz aus Krepp gearbeiteten Hut ist ein langer, bis in Kniehöhe reichender Kreppschleier befestigt. Vor dem Gesicht wird ein kurzer Tüllschleier mit Kreppsaum getragen. Außerdem gehört zur Witwentrauer die Flebbe, eine schneppenförmige Coiffure aus Krepp, die auf der Straße dem Capothut unterheftet wird und im Hause bei der Trauerfeier oder bei Besuchen hochgestellter Personen und Fürstlichkeiten getragen wird. Jeder Schmuck ist im ersten halben Jahr verboten. Die Uhrkette ist durch ein schwarzwollenes Schnürchen zu ersetzen. Später ist matter Schmuck, im zweiten Jahr Jettschmuck erlaubt. Nach Ablauf des ersten Trauerjahres wird auch der lange Schleier sowie der Kreppbesatz abgelegt, und matte Seide und Spitzen treten an die Stelle des letzteren. In der zweiten Hälfte des zweiten Jahres endlich geht man allmählich zu Grau, Lila und Weiß über. Daß[441] Toilettenrequisiten, wie Fächer, Schirm, Pompadour, sowie die Unterkleidung sich der Trauer anzupassen haben, sei noch erwähnt.

Aeltere Damen pflegen zumeist die schwarze Tracht der Witwenjahre mit Modifikationen für immer beizubehalten. Für Witwen schreibt das Gesetz eine Frist von drei Vierteljahren bis zur Wiederverheiratung vor. Die gute Sitte verlangt aber von einer gebildeten Frau, daß sie mindestens die obenerwähnte zweijährige Trauerzeit verstreichen läßt. Dem Witwer ist die Wiederverheiratung nach einem Jahre erlaubt. Eltern trauern um ein erwachsenes Kind ein Jahr, davon ein halbes Jahr in tiefer Trauer, die Mutter mit einem hinten bis zu den Hüften reichenden Kreppschleier. Um kleine Kinder, so unendlich tief ihr Verlust das Elternherz auch berühren mag, trauert man nur ein halbes Jahr, davon ein Vierteljahr tief.

Kinder trauern um die Eltern ein Jahr. Die verheiratete Tochter trägt langen, das erwachsene, junge Mädchen einen bis zu den Hüften reichenden Kreppschleier. Kinder trauern in ganz weißer Garderobe, wenn sie klein, in grauen oder weißen Kleidern mit schwarzem Ausputz, wenn sie größer sind. Knaben und junge Söhne folgen den Trauervorschriften für Erwachsene und tragen Flor um Hut und Arm. Um Geschwister trauert man ein halbes Jahr, eventuell noch ein halbes oder ein Vierteljahr in Grau (sog. Ab-oder Nachtrauer), um Neffen, Onkel, Schwager, Tante oder Schwägerin ein Vierteljahr.

Selbstverständlich wird man auch Trauer anlegen[442] können um Menschen, die unserem Herzen nahe stehen, trotzdem sie keine Blutsverwandte sind. Um den Bräutigam oder die Verlobte trauert man ein halbes bis ein ganzes Jahr, um Freunde sechs Wochen bis ein Vierteljahr.

Falls man Erbe eines bis dahin fremden oder entfernt lebenden Verwandten wird, hat man selbstredend die Trauer anzulegen. Dagegen ist es gestattet, daß man für entfernt wohnende Verwandte, die wir kaum kannten, und mit denen uns keinerlei Beziehungen verbanden, keine Trauer anlegt.

Wünscht eine Herrschaft, daß die Dienstboten des Hauses mittrauern, so hat sie selbstverständlich die Trauerkleidung zu stellen. Die Dienstmädchen erhalten schwarzwollene Kleider als Geschenk. Die männlichen Bediensteten bekommen Trauerlivree, welche dem Hausstande verbleibt. An besonders erprobte Dienstboten verteilt man außerdem Geldgeschenke oder Andenken, bestehend in Garderobestücken des Verstorbenen, Schmuck, Mobiliar oder dergleichen.

Während der Trauerzeit benutzt man schwarz geränderte Besuchskarten sowie Briefpapier mit Trauerrand. Wir gönnen dieser Sitte ihre Berechtigung besonders im Briefwechsel mit den übrigen trauernden Familienmitgliedern, möchten aber darauf aufmerksam machen, daß man in der Korrespondenz mit Kranken, alten und gebrechlichen Leuten, die leicht erschrecken und sich ängstigen, möglichst davon absieht. Ein ganz gleichgültiger Brief von uns in einem schwarz umränderten Umschlag regt sie namenlos auf und erscheint[443] ihnen im ersten Augenblick als eine neue Trauerbotschaft. Auch schreibe man einen Glückwunsch zur Verlobung, zur Geburt oder zum Geburtstage aus Rücksicht für den Empfänger auf gewöhnliches weißes Papier und benutze ein weißes Couvert.

Die Trauer abzulegen ist gestattet, wenn man an einem frohen Familienfest teilnehmen will. Damen werden alsdann aber das farblose Weiß bunten Kleidern vorziehen. Des Tanzes enthalte man sich jedoch auf jeden Fall.

Es erübrigt, uns noch daran zu erinnern, daß jeder, der Trauerkleider trägt, dessen eingedenk sei und sein Benehmen danach einrichte. Lautes Lachen und Scherzen, ein lustiges Gesicht in der Umrahmung des Kreppschleiers sind zu grelle Kontraste. Fern liegt es uns, den Trauernden zur Kopfhängerei zu verurteilen. Es wäre wenig im Sinne unserer teuern Verstorbenen gehandelt, wollten wir uns tagtäglich in unsere Trauer versenken und die Pflichten gegen unsere Umgebung vernachlässigen. Wir sollen gewiß von Herzen ihren Verlust betrauern und in steter Liebe und Anhänglichkeit ihrer gedenken, uns aber nicht völlig von der Welt abschließen. Der Besuch von Konzerten, Theatervorstellungen ernsteren Charakters, Ausstellungen, Reisen, Ausflüge, Verkehr mit Nahestehenden ist nicht nur nach dem ersten Vierteljahr erlaubt, sondern bei manchen Naturen sogar geboten.

Der Witwer, der den Verlust der Gattin noch so sehr betrauert, wird, wenn er eine erwachsene Tochter hat, nicht umhin können, falls er in der Welt lebt[444] und ein Haus macht, schon nach einem Vierteljahr eine Hausdame zu sich zu nehmen, welche die Stelle einer Repräsentantin und Begleiterin für die Tochter ausfüllt. Je nachdem er die Stellung dieser Dame auffaßt, wird er sie entweder nur im Familienkreise zuziehen oder ihr auch in der Gesellschaft einen Platz geben, indem er mit ihr und in Begleitung seiner Tochter Besuche macht. Sie im Hause die Honneurs machen zu lassen, ohne daß er sie den bekannten Familien zuführt, ist nicht angängig. An die Damen des bekannten Kreises wiederum tritt die Verpflichtung heran, die Hausdame zu einem Besuche aufzufordern.

Die jugendliche Witwe oder alleinstehende Waise wird sich ebenfalls entschließen müssen, eine Gesellschafterin ins Haus zu nehmen.

Ist unser Jahrzehnt auch schon von gerechterem und milderem Urteil über alleinstehende Damen wie die frühere Zeit, und gesteht sie ihnen auch größere Bewegungsfreiheit zu, so kann eine junge Dame, Witwe oder Waise, die Verkehr mit Familien oder Herren im eigenen Heim pflegen will, nicht umhin, um jeder leisen Mißdeutung, zu der die Welt so leicht bereit ist, zu entgehen, sich eine ältere würdige Dame (man verlange die besten Referenzen!), die sie begleitet und sie gesellschaftlich unterstützt, zu engagieren.[445]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 428-446.
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