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[156] In diesen und den nächstfolgenden Jahren hatte ich, bis endlich für die wachsenden Arbeiten in den verschiedenen Abteilungen die dringend nötigen Assistentenstellungen durchgesetzt waren, mehrfach die Verwaltung des halben Museums, da Conze wie Curtius durch die Ausgrabungen in Pergamon und Olympia regelmäßig lange abwesend und Meyer jahrein, jahraus monatelang durch Krankheit behindert war; eine Gelegenheit, die ich dazu benutzte, um mich auch unter den Kunstwerken dieser Abteilungen möglichst zu orientieren. Wirklich tätig eingreifen konnte ich hier natürlich nur ausnahmsweise, indem ich das eine oder andere Stück, das mir im Handel aufstieß, zur Anschaffung empfahl. So konnte ich für das Antiquarium schon damals mehrfach nützlich sein. Einmal brachte ich aus Dresden die kleine archaische Bronzestatuette einer Kanephore mit frühäolischer Inschrift mit, die ich vom jungen Semper um 400 Mark erworben hatte. Curtius war entzückt über das Stück – verdankt ihm doch das Kabinett gerade eine Reihe seiner besten Bronzen –, aber es bedrückte ihn schwer, daß ich dem Besitzer so wenig dafür gezahlt hätte, und er ließ sich auch damit nicht beruhigen, daß sie ja Semper selbst in Paestum um eine Lire erworben, also ein ganz glänzendes Geschäft gemacht habe.
Das kindliche Gemüt, das diesem feinsinnigen, kunstbegeisterten, aber weltfremden Mann eine ganz eigentümliche Anziehung verlieh, trat bald darauf auch in einem Handel zutage, bei dem ich mithelfen konnte. Einer der Antiquare von Athen, der damals alljährlich nach Berlin kam, hatte eine Anzahl kleiner Tonfiguren angeboten, die Curtius kaufen wollte, die aber seinem Assistenten Treu verdächtig erschienen. Treu rief mich zu Hilfe. Auch mir schienen die Figürchen aus Fragmenten zusammengesetzt und ergänzt, ich riet daher Curtius, dem Gauner nicht zu trauen. Curtius brauste auf und warf mir vor, ich sei auch in die Verschwörung gegen den armen Mann hineingezogen. Treu stellte trotzdem den Händler, der sehr entrüstet tat und ihm gestattete,[157] die Figürchen ins Wasser zu legen; sie würden sich dabei als ganz unberührt erweisen. Das tat Treu, sofort. Zufällig blieben sie zwei Tage im Wasser liegen, und als wir wieder danach sahen, war das Wasser ganz weiß und undurchsichtig, eine flüssige Gipsmasse, auf deren Boden disjecta membra von alten Tonfiguren lagen. Der Händler hatte kleine Bruchstücke von alten Figuren und Gruppen durch gefärbten und gehärteten Gips ergänzt. Er wurde herbeigerufen und trotz seiner Beteuerung, daß er davon nichts geahnt habe und selbst betrogen worden sei, wurde er unter Androhung sofor tigen gerichtlichen Einschreitens veranlaßt, einige ähnliche Stücke, die er früher dem Antiquarium teuer verkauft hatte, zurückzunehmen und dafür u.a. eine herrliche mittelgroße archaische Bronzestatuette in Tausch zu geben. Als Treu dann Curtius den Ausgang des Handels mitteilte, war dieser entrüstet, daß wir den »braven Mann« so abscheulich behandelt hätten, er glaube bestimmt, daß er eines Betruges gar nicht fähig sei.
Bei einer gemeinsamen Anwesenheit in Paris 1878 oder 1879 leitete Lippmann den Ankauf der ausgezeichneten Dürer-Sammlung Posony-Hulot ein, deren Erwerb um den geringen Preis von 110000 francs ihm bald darauf gelang. Freilich nicht ohne große Mühe und auf einem eigentümlichen Hintertreppenwege. M.A. Hulot, Direktor der Münze in Paris (aus dessen Nachlaß-Versteigerung wir 1892 durch Dr. v. Tschudi die beiden Meisterwerke von Lucas van Leyden und vom Flémalle-Meister ganz billig erwarben), hatte diese durch den Kunsthändler Posony in Wien in langen Jahren zusammengebrachte Sammlung bald nach dem Krieg 1866 gekauft; zum großen Kummer von Lippmann, der damals vergeblich seine Bekannten in Österreich dafür zu interessieren suchte. In Paris hatte er die Sammlung, die einige vierzig Zeichnungen Dürers und fast das vollständige Werk seiner Stiche und Holzschnitte in trefflichen Abdrücken ent hielt, wiederholt bei Hulot wiedergesehen. Durch einen Pariser Bekannten, Charles Ephrussi, der eine Zeitlang in Wien ansässig war und die gleiche Begeisterung für die primitive Kunst, namentlich für Dürer,[158] hegte, erfuhr er, daß die Sammlung vielleicht zu haben sei. Die Nachricht beruhte auf einer Mitteilung von Hulots Mätresse, die nun ins Vertrauen gezogen wurde. Ein Versprechen von 10000 francs Belohnung verlockte sie, dem alten Freunde in einer schwachen Stunde die Sammlung um 100000 francs abspenstig zu machen. Aber M. Hulot hatte die heikle Bedingung gestellt, daß die Sammlung nicht nach Deutschland verkauft werden dürfe. Ein französischer Händler in London, mit dem Lippmann in guten Beziehungen stand, übernahm daher pro forma die Sammlung, und wenige Tage später kam sie über London in Berlin an. In ähnlich geschickter Weise erwarb er bald darauf die in ihrer Art hervorragendste Ornamentstichsammlung Destailleur für das Kunstgewerbemuseum.
In der Gemäldegalerie hatten wir während des Frühlings 1877 einen unangenehmen Zwischenfall, durch den die Sammlung um ein Haar einen empfindlichen Verlust erlitten hätte. Vom Lustgarten aus kamen damals, vor allem im Sommer, massenhaft Gauner oder Stromer ins alte Museum. Vergebens hatte ich die Ausweisung der Strolche beim Generaldirektor beantragt. Eines Tages benutzte solch Gauner den Umstand, daß unsere Bilder, auch die kleinsten, nicht besonders an die Wand angeschraubt waren, um die kleine Eycksche Madonna in der Kirche abzunehmen und sie unter seinem Rocke versteckt unbemerkt davonzutragen. Durch Wochen hörten wir, trotz aller Bekanntmachungen und Recherchen, nichts über den Verbleib des Bildes, so daß wir die Hoffnung auf Wiedererlangung schon fast aufgegeben hatten. Da erfuhr ich eines Tages im Büro, daß eben ein Handwerker ein kleines Bild gebracht und gefragt habe, ob es das durch Anschlag an den Säulen gesuchte Gemälde sei. Man hatte ihn daraufhin gleich in Untersuchungshaft genommen, weil die Vermutung nahelag, er sei selbst der Dieb. Doch konnte er sich als rechtmäßiger Käufer des Bildes legitimieren. In eine Kneipe, in der er mit Bekannten beim Biere saß, – so erzählte er –, sei ein Mann eingetreten, der ein paar Bilder herumgereicht und angeboten habe: das fragliche Madonnenbild und[159] eine obszöne Photographie. Niemand habe ein Gebot darauf gemacht, bis schließlich die Wirtin beide »Bilder« für 75 Pfennig erworben habe, wobei der kleine Eyck auf 25 Pfennig gerechnet sei. Beim Fortgehen habe er dann dieses Bildchen um 50 Pfennig erstanden, habe es bei sich in dem Kasten gelegt und es schon ganz vergessen gehabt, bis ihn ein Bekannter vor der Litfaßsäule darauf aufmerksam gemacht habe, daß die Abbildung auf dem Anschlag ja ganz seinem kleinen Bilde gleiche. Wir waren froh, gegen einen Finderlohn von 300 Mark wieder in den Besitz des kostbaren Juwels zu kommen. Leider büßten wir aber dabei den trefflichen, vom Künstler selbst bemalten Rahmen ein, in dem auf farbigem Steingrunde eine Inschrift mit erhaben gemalten Lettern ringsumlief. Der Dieb, der nicht entdeckt wurde, hatte ihn wahrscheinlich fortgeworfen, um sich durch den Rahmen nicht noch leichter zu verraten.