Neue Kollegen

[221] In den Jahren bald nach meiner Berufung zum Generaldirektor konnte die Leitung der meisten wichtigen Sammlungen der Museen in andere, jüngere Hände gelegt werden. Als Nachfolger Lessings schien mir Otto von Falke der berufene Mann. Er kannte die Sammlungen des Kunstgewerbemuseums von der Zeit, als er hier Assistent war, hatte sich in der Aufstellung, Leitung und Vermehrung des ihm durch etwa zwölf Jahre anvertrauten Kölner Museums für Kunstgewerbe als Mann von Geschmack, Kritik, Qualitätssinn und Energie erwiesen und hatte in seinen wissenschaftlichen Arbeiten eine Klarheit und Sicherheit des Urteils, ein Verständnis für die Entwicklung und einen Fleiß bekundet wie kein anderer Kunsthistoriker in diesem Fache. Seine Berufung, die (trotz der Anstrengung in Köln, ihn dort als Generaldirektor der Kunstsammlungen[221] zu halten) noch 1907 erfolgte, wird gewiß nie bereut werden. Schon nach wenigen Jahren ist das Kunstgewerbemuseum in jeder Beziehung ein ganz anderes geworden und steht wissenschaftlich an der Spitze aller ähnlichen Sammlungen, die des Auslandes eingeschlossen.

Schwerer wurde mir die Wahl bei dem Ersatz für Dr. Voß, der 1906 gestorben war. Es konnte zwar keinem Zweifel unterliegen, daß endlich ein Archäologe zum Leiter der prähistorischen Abteilung berufen werden müßte. Von verschiedenen Seiten, namentlich durch Alexander Conze, wurde ich auf Schuchhardt hingewiesen. Aber ich fürchtete, daß ein klassischer Archäologe unsere vor- und frühgeschichtliche Kultur von vornherein durch die Brille der klassischen Kultur und daher mit Voreingenommenheit betrachten und behandeln würde. Ich sah mich daher zunächst nach einem Germanisten um und unterhandelte mit Professor Much in Wien. Als dieser nach längerem Zögern schließlich ablehnte, trat ich doch mit Schuchhardt in Verbindung und erfuhr schon aus einer Besprechung mit ihm in Hannover und aus dem Einblick in seine Arbeiten, daß jene Befürchtungen ihm gegenüber durchaus unberechtigt waren, daß er vielmehr von der Überzeugung ausgeht, die altgermanische Kultur sei auch die Mutter der altgriechischen und italienischen und sei erst später von dieser aus in verschiedenartiger Weise beeinflußt worden. Seine Berufung erfolgte bald nach der von Falke. Seine bisherige Tätigkeit an seinem Institut, die Wahl seiner Mitarbeiter, die Umordnung und Vervollständigung der Sammlungen und die systematischen Grabungen, wie die wissenschaftliche Bearbeitung der Resultate scheinen mir zu beweisen, daß der rechte Mann an der rechten Stelle steht.

Der Rücktritt des Dr. Lehrs von der Leitung des Kupferstichkabinetts infolge seiner Rückberufung nach Dresden machte auch hier fast gleichzeitig die Ernennung eines neuen Direktors notwendig. Ich zögerte nicht, dafür den zweiten Direktor der Gemäldegalerie, Max Friedländer, in Vorschlag zu bringen, obgleich ich die Leitung der mir noch immer unterstellten[222] Galerie auf die Dauer ihm allein zu übertragen wünschte. Ich war überzeugt, daß er als Lieblingsschüler meines Kollegen Lippmann, auch nach seiner ruhigen, sicheren Art, ein würdiger Nachfolger desselben werden würde.

Durch seinen Übertritt in das Kupferstichkabinett mußte für seine bisherige Stellung am Kaiser-Friedrich-Museum Ersatz geschafft werden, namentlich für die Leitung der Abteilung der Bildwerke christlicher Epochen. Für diese eine völlig geeignete Persönlichkeit zu finden, war außerordentlich schwer, da sie drei ebenso umfangreiche wie verschiedenartige Abteilungen umfaßt: die der altchristlich-byzantinischen, der italienischen und der deutschen Bildwerke. Jede dieser Sammlungen gehört zu den bedeutendsten ihrer Art. Ihre wissenschaftliche Verarbeitung wie ihre Vermehrung, zum Teil auch ihre Aufstellung verlangt hervorragende Spezialkenntnisse, wie sie sich in einer Person nur sehr schwer vereinigt finden, namentlich seitdem die außerordentlichen Preissteigerungen und die unheimliche Zunahme geschickter Fälschungen die Anforderungen an die Kritik sehr gesteigert haben. Jede dieser Abteilungen, die ich unter sehr viel günstigeren Verhältnissen durch Jahrzehnte allein im Nebenamt verwaltet, ja erst geschaffen hatte, einem eigenen Direktor zu unterstellen, war unmöglich. Eine derartige Anhäufung selbständiger Dirigenten wird nie durchzusetzen sein, ist aber nicht einmal wünschenswert bei der Schwierigkeit, die sich dadurch für die Verteilung der Fonds wie für die ganze Leitung der Museen ergibt. Bei der rapiden Abnahme käuflicher guter Stücke in den meisten Kunstgattungen ist für die Zukunft wohl eher, nach dem Vorbild der großen Londoner Museen, eine Beschränkung in der Zahl der Direktoren und Assistenten anzustreben.

In meiner Abteilung der christlichen Bildwerke hatte ich an Oskar Wulff einen ausgezeichneten Kenner der altchristlichen und byzantinischen Abteilung, an Wilhelm Voege einen ebenso eifrigen Forscher auf dem Gebiete der mittelalterlichen und Renaissanceplastik des Nordens. Beide[223] arbeiteten damals schon an den großen illustrierten Katalogen, die in ihrer Art noch lange die besten sein werden. Für die italienische Abteilung konnte ich nach wie vor wesentlich allein sorgen, die frühmittelalterliche Sammlung glaubte ich zusammen mit Dr. Wulff weiter ausbauen zu können. Aber für die deutsche Abteilung, deren mög lichste Erweiterung, nicht nur bei dem in Angriff genommenen Neubau, dringend wünschenswert erschien, wollte ich einen dafür besonders geeigneten, praktischen Beamten gewinnen.

Meine Wahl fiel auf Karl Koetschau, den ich gelegentlich einer Ausstellung in Dresden, wie durch seine theoretischen Studien von vorteilhaftester Seite kennengelernt hatte und der mir von allen Seiten empfohlen war. Koetschau willigte ein, aber erst zum April 1909 konnte er die Stellung als zweiter Direktor am Kaiser-Friedrich-Museum unter mir übernehmen. Koetschau bewies seine besondere Begabung in der Art, wie er sich mit der praktischen und theoretischen Unterweisung in dem damals von uns eingerichteten zweijährigen Volontärkurse junger Kunsthistoriker befaßte. Er allein hat sich dieser Aufgabe ernstlich und mit bestem Erfolg angenommen. Auch meinem Wunsch, die Erweiterung der Sammlung deutscher Originalskulpturen energisch in die Hand zu nehmen, hat er von vornherein zu entsprechen gesucht. Leider hatte er dabei das Unglück, schon vor Antritt seines Amtes einer ihm in Weimar unterstellten Dame, die nicht lange vorher eine tüchtige Spezialarbeit über deutsche Plastik veröffentlicht hatte, zu weitgehende Freiheit bei den Erwerbungen zu geben. Die völlig minderwertigen Stücke, die sie für unser Museum kaufte, wurden von den jüngeren Kollegen Koetschau allein angerechnet, was ihm schon bei seinem Antritt eine schiefe Stellung gab. Diese verschlechterte sich mit der Zeit noch dadurch, daß ihm sein energisches Eintreten für mich im Floraskandal von allen mir feindlichen Elementen übel ausgelegt wurde. Leider zeigte er bei einzelnen späteren Ankäufen keine glückliche Hand. Auch ließ sich Koetschau nicht bewegen, mit den Sammlern deutscher Bildwerke, namentlich mit Benoit Oppenheim[224] und James Simon, deren Sammlungen und Einfluß für uns von höchster Bedeutung war, und die zugleich unsere Sachverständigen waren, in Verkehr zu treten oder nur ihre Sammlungen zu besuchen. Kurz, ich sah, daß ich ihn in den höheren Stellungen an den Museen, insbesondere im zukünftigen Deutschen Museum für die leitende Stellung nicht würde empfehlen können.

Dagegen schien sich nach anderer Richtung eine Aussicht für ihn zu bieten. Schon lange haben wir Kunsthistoriker bitter empfinden müssen, daß für unsere praktische Ausbildung nach vollendetem Universitätsstudium nichts geschieht, während für die Archäologen in den Instituten in Rom, Athen seit mehr als einem halben Jahrhundert, seit neuerer Zeit auch in Kairo aufs beste gesorgt ist und von Preußen und dem Reich dafür bedeutende Mittel – jetzt jährlich fast 250000 Mark – aufgewendet werden. Da von Staats wegen jede Besserung noch wenig aussichts voll erschien, weil man Jahrzehnte hindurch – mit einer gewissen Berechtigung, wie ich zugeben will – die Kunsthistoriker nicht für voll ansah, so hatten wir uns selbst zu helfen gesucht. Der von uns gebildete Verein zur Bildung und Erhaltung des Deutschen kunsthistorischen Instituts in Florenz um das Jahr 1900 war der erste Schritt auf diesem Wege. Ein zweites Institut verdankt Deutschland in neuester Zeit der Stiftung von Fräulein Hertz, die Hertziana in Rom, und schon vorher hatte Geheimrat Kehr an das ihm unterstellte Preußische Historische Institut eine kunsthistorische Abteilung angegliedert. Für die italienische Kunstgeschichte ist dadurch in mehr als ausreichender Weise gesorgt. Es galt jetzt, vor allem auch das Studium der deutschen Kunst in gleicher Weise zu fördern. Den ersten erfolgreichen Schritt dazu haben wir durch Begründung des »Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft« getan, aber zur weiteren Förderung des Kunststudiums nach dieser nationalen Richtung wie behufs richtigen Zusammengehens mit den Instituten in Italien bedarf es einer Oberleitung, der auch die Sorge für eine praktische Ausbildung der jungen Kunsthistoriker anvertraut werden[225] müßte. Kurz, wir brauchen eine dem Archäologischen Institut verwandte Kommission, die, ähnlich wie dort, in einem staatlichen Sekretär ihre Spitze haben müßte.

Zu dieser Stellung hatte sich Karl Koetschau namentlich durch seine Tätigkeit als Schriftführer des Deutschen Vereins legimitiert. Einen solchen Posten vorzubereiten, war ich bemüht, und Koetschau war bereit, ihn anzunehmen, glaubte ihn aber mit der Stellung als Direktor der Abteilung der christlichen Bildwerke und später des Deutschen Museums verbinden zu können. Da mir daran lag, noch selbst die richtigen Nachfolger für meine Stellung an den Museen wählen zu können, hatte ich vom Oktober 1912 ab die Direktion der plastischen Abteilung Professor Koetschau, die der Gemäldegalerie Dr. Friedländer übertragen lassen, zunächst, auf Wunsch des letzteren, der das Kupferstichkabinett noch nicht aufgeben wollte, nur provisorisch. Dies hatte Koetschau offenbar sehr verstimmt; denn als gleich darauf, unter sehr günstigen Bedingungen, der Ruf an ihn erging, die Oberleitung der Düsseldorfer Kunstsammlungen zu übernehmen, lehnte er nicht sofort ab, sondern behielt sich die Prüfung der Düsseldorfer Verhältnisse an Ort und Stelle vor. Bald darauf befiel ihn ein schwerer Typhus, der ihn fast drei Monate lahmlegte. Da ich in dieser Zeit die Abteilung wieder allein leitete, überzeugte ich mich, daß eine definitive Übertragung der Oberleitung der Sammlung von Bildwerken christlicher Zeit an Koetschau weder im Interesse der Sammlungen noch in seinem eigenen Interesse lag. Ich riet ihm daher, als er nach seiner Wiederherstellung zu einer Entscheidung drängte, er möge in Düsseldorf annehmen, ich würde dann in den nächsten Jahren die Errichtung eines kunsthistorischen Zentralinstituts unter seiner Leitung durchzusetzen suchen. Eine Vereinigung mit der Leitung des Deutschen Museums hielte ich aber für ausgeschlossen; auch glaubte ich, daß jene Aufgabe viel mehr seinen Anlagen entspreche. Koetschau, der, trotz der ungünstigen Aussichten, viel lieber in Berlin geblieben wäre, nahm dies für ein Mißtrauensvotum und entschied sich nur deshalb für Düsseldorf. Ich erfuhr dabei zum[226] ersten Male, wie schwer es ist, sich von einem guten Freunde trennen zu müssen, mit dem man jahrelang zusammengearbeitet hat und dessen Ansichten man in wichtigen Punkten teilt.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 221-227.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon