[36] Schirmer war nicht mehr. Zu dieser Zeit wäre der Einfluß dieses tatkräftigen Künstlers für mich höchst wertvoll gewesen. Er war ein großdenkender Künstler, und so wußte er seinen Schülern Selbstvertrauen zu geben, er ging über Kleinigkeiten hinweg. Ich erinnere mich, wie Schick, der in Vertretung des Coudres die Malklasse leitete, mich bei Schirmer verklagte, daß ich nachlässig am Kopfmodell arbeite und nebenbei an einem Bildchen male. Schirmer führte ein ziemlich strenges Regiment, er kam in die Malklasse und hielt mir die Ungehörigkeit meines Tuns vor. Was konnte ich anders sagen als, ich will's nimmer[36] tun! Unter der Tür kehrte er aber nochmals um und fragte: »Was haben Sie denn nebenher gemalt?« Und als ich ihm das Bildchen zeigte, es war ein Winterbildchen, da sah er es sehr lange an und sagte: »Ei, das ist ja ganz gut. Machen Sie das Bild fertig, Sie können ja noch genug Köpfe malen.« Das Bild wurde auch vom Kunstverein angekauft und kam später in den Besitz des Großherzogs. Lessing korrigierte nun, und ich bewunderte besonders seine Landschaften sehr.
Canon hatte großen Einfluß fast auf alle Kunstschüler. Er erweckte die Absicht derselben, eine vernünftige Art des handwerklichen Vorganges für die Malerei kennenzulernen. Die Lasurtechnik auf Grauuntermalung wurde allgemein probiert. Mich wollte Canon zu einer Art von Mitarbeiter ganz in Beschlag nehmen, ich wollte auch gerne darauf eingehen, aber Canons Freund Schick verhinderte dies, indem er mich auf allerlei Gefahren aufmerksam machte, wenn ich mich Canon so ganz hingäbe. Es wäre jedenfalls nicht so gefährlich geworden und ich hätte viel Positives gelernt. Mit Canon kam ich durch das Wiederabsagen dann so ziemlich auseinander, aber ich hatte das Gefühl, von ihm vieles gelernt zu haben. Doch meine ich, daß die Jahre 1863–1864 voll innerer und äußerer Verworrenheit für mich waren.
Im Winter 1863–1864 war ich in Maler- und Musikergesellschaft leichtsinnig und gleichgültig. Da lernte ich aber auch einen Freund fürs Leben kennen, den Maschinenbauer Hermann Schumm. Er war eine fröhliche Natur und machte gern allerlei Tollheiten und Schalkstreiche mit, aber im Grunde war er eine ernste, ja fromme Seele, und wie wir uns näher kennenlernten, gelang es uns gemeinschaftlich, uns aus dem ärgsten Schlendrian zu retten.
Verwilderung und Sentimentalität zeigen manche Aufzeichnungen aus dieser Zeit. Fast immer war ich ohne Geld, aber wir leichtlebigen Gesellen halfen einander getreulich aus mit Verleihen im Betrag von 30 Kreuzer bis 1 Gulden. Der gute Osteroht wußte meist in ärgster Not etwas aufzutreiben. Stipendium erhielt ich 1864 keines. Der Sommer dieses Jahres war eine unglückliche Zeit für mich; ich sehnte mich nach Bernau und konnte nicht hin. Ein Bild, das ich gemalt, auf[37] das ich Hoffnung setzte, daß der Kunstverein es ankaufen würde, hatte nicht diesen Erfolg. Durch Verkauf einiger kleinen Zeichnungen brachte ich doch so viel zusammen, daß ich am 1. August wieder in Bernau war. Langsam atmete ich wieder auf. Der Aufenthalt in der Natur stärkte mich an Leib und Seele. Ich war öfters in Schönau, wo Amtmann Hepting einige Bildchen von mir malen ließ. Im November war ich wieder in Karlsruhe, dort gab ich Kindern in ein paar Familien Zeichenunterricht. Ich erinnere mich an ein etwa 13jähriges Mädchen, die zeichnete unter meiner Anleitung die Portäts ihrer zwei jüngern Brüder, und ich war höchst überrascht, daß sie die Zeichnungen ganz genau so machte, als ob ich sie gemacht hätte. Das Kind hatte vorher nicht gezeichnet. Ich hatte an der Zeichnung nichts gemacht, nur etwa die Größe angegeben. Ich stand hinter der Zeichnerin, und wie ich dachte, so sah und machte sie das Bild, es war mir, als ob ich unsichtbar die fremde Hand führte, als ob sie ein Werkzeug meines Willens wäre. Man hätte dann die fertigen Bilder ganz gut für Zeichnungen von mir ausgeben können. Das, was das Kind sonst für sich zeichnete, war nichts anderes als das, was Mädchen in ihrem Alter zeichnen können. Ich zweifle nicht daran, daß hier ein Fall der geheimnisvollen direkten Beeinflussung vorlag.
In diesem Winter verkaufte ich den Gräflichen »Sommermorgen« an einen Kunsthändler für 150 Gulden.
Gude war als Professor an Schirmers Stelle getreten. Er war liebenswürdig und korrigierte mit Eifer, aber so recht verstanden wir uns von Anfang an nicht. Gude zog mich in die Karlsruher »Gesellschaft«.
Der Frühling 1865 brachte mich in muntre Tätigkeit. Ich arbeitete mit Emil Lugo im Atelier. Schick interessiert sich sehr für meine Arbeiten. Es war eine Zeit des Aufschwungs für mich und großer Tätigkeit. Ein Bild aus dieser Zeit, »Auf Bergeshöhen«, kaufte der Großherzog für 200 Gulden. Doch war große Unsicherheit. Bald korrigierte Schick Canon, bald Gude des Coudres. Anfangs Juni besuchten mich meine Mutter und Schwester und Onkel Ludwig. Sie besuchten Tante Marie, die im Hardthaus ein Altersasyl gefunden hatte. Ende Juli war ich wieder in Bernau. Gude schrieb mir, und da er wußte, daß[38] ich kein Geld habe, schickte er mir 100 Gulden Vorschuß auf die Aussicht hin, daß ich eine Wiederholung »Auf Bergeshöhen« in Wien verkaufen würde, was auch durch seine Vermittlung richtig eintraf.
Am 16. September 1865 finde ich folgenden Eintrag in mein Buch, der auf eine richtig beschauliche Stimmung schließen läßt:
»Ich habe die stillen Herbsttage so lieb; ich sitze oben auf dem Berghang zwischen grauen Felsblöcken, über dem Tal liegt schon blauendes Dämmerdunkel, in dem der silberne Bach glänzt. Ich sitze in verworrenen Träumen, in seelischem Dämmerzustand. Da schleicht ein Fuchs aus dem Walde, ganz nahe bei mir spielt er und tummelt sich in wunderlichen Sprüngen. Er nimmt mich nicht wahr, da ich einen grauen Anzug von der Farbe der Felsblöcke habe. Er kommt mir unheimlich nahe, so daß ich mich rege, worauf er dem Wald zueilt. Dunkler wird die Erde, über dem Tal glänzen die Sterne. Aus einem Hause ertönt sanfter Gesang – ich bin still und glücklich!«
Im Oktober machte ich so eine Art von Studienreise nach Säckingen, wo Verwandte wohnten. Dann über Herrischried, wo ich ein altes Hozenkostüm kaufte. Ich übernachtete in Herrischried. Der neue 65er Wein war gar herrlich geraten, und ich habe viel getrunken. Der Suser hat seine Tücken. In Bernau malte ich noch einen Geometer Rosenmaier bei seinem Meßapparat, er gab mir 25 Gulden dafür.
Ich verkehrte diesen Winter viel in den Sonntagsnachmittags-Kaffeegesellschaften Lessing, Schrödter, Gude – Canon war arg verpönt.
In einem Mädchenpensionat gab ich wöchentlich zwei Zeichenstunden. Nicht der Unterricht, aber der Umgang mit den Kindern machte mir viel Freude.
Ein Architekt, von Strahlendorf aus Frankfurt, hatte mir Dürers Holzschnitte vom Marienleben geliehen. Die erste Nacht, da ich sie ansah, schlief ich vor freudiger Erregung gar nicht ein. Lange Zeit sah ich nachher die Natur in Dürerscher Form. Lebhaften Anteil nahm ich an den Frühlingsausflügen der Gesellschaft und an den frohen Spielen, die sie im Wildpark, in Rintheim, Grötzingen, Wolfahrtsweier aufführte, und ich freute mich meiner Jugend und meines Lebens. Mit Ernst Sattler befreundete ich mich, der zu der Zeit auch in der Gesellschaft[39] verkehrte. Der Sechsundsechziger Krieg hat nicht viel Eindruck auf mich gemacht, ich war zweigeteilt zwischen Österreich und Preußen, aber Bismarcks Kraftnatur hat mir Eindruck gemacht. Aber was geht eigentlich die Politik einen armen Künstler an, der so wenig Aussicht auf eine sichere Zukunft hat; der so gar keine »Stellung« zu erreichen vermag. Es war mir unbehaglich in der Karlsruher Gesellschaft. Wo sollte das hinaus? Ein Klügerer wäre wohl andre Wege gegangen. Mir genügte der Zufall, daß mein Freund Schumm in Basel an einer Gewerbeschule Lehrer war und mir schrieb, es würde wohl auch für mich in Basel eine ähnliche Stellung geben. Das erfüllte mich mit Hoffnung.
Ende Juli in Bernau angekommen, war ich sehr fleißig, malte ein Doppelporträt von Mutter und Schwester in der Bibel lesend. Malte auch ziemlich groß den Eingang in unser Haus, ins Uhrenmachers Haus. Mit Schumm machte ich aus, daß ich zu ihm nach Basel ziehe, freilich ein planloses Unternehmen. Am 13. Oktober 1866 zog ich bei dem treuen Freund und seiner Schwester ein. Die Basler Galerie wurde mir wieder sehr lieb, zum Arbeiten kam ich nicht so recht. Es lastete ein drückendes Gefühl auf mir, große Sorgenlast. Ich sah ein, daß ich nicht in Basel bleiben konnte. Es war mir unheimlich, da Mutter und Schwester, durch meinen Basler Aufenthalt verlockt, sich verleiten ließen, nach Lörrach zu ziehen, wo eine Schwester von der Mutter wohnte. Es war mir entsetzlich, dort waren sie doppelt arm. Am 6. November kamen sie nach Lörrach, und wenn ich sie von Basel aus besuchte, konnte ich ihnen so gar nichts Tröstliches sagen. Das war ein starker Gegensatz zu den Karlsruher Gesellschaftsglacéhandschuhen!
Bei meinem zurückhaltenden Wesen konnten mir ein paar Empfehlungen, die ich von Karlsruhe an Basler Familien hatte, gar nichts nutzen. Die Aussicht auf eine Zeichenlehrerstelle verlor sich. Auch die Versuche, Privatunterricht zu geben, zerschlugen sich. Eine kleine Hilfe war, daß der Stuttgarter Kunstverein ein Bildchen für 60 Gulden von mir kaufte.
Am Sylvesterabend war ich in Lörrach mit Mutter und Schwester und den Verwandten in einer Versammlung gläubiger Altlutheraner, deren Pfarrer Eichhorn eine Rede hielt: »Christus ist das einzige der[40] Welt gegebene Heil!« Der Ernst dieser gläubig vertrauenden Menschen tat mir wohl. Mein Herz war weich, recht weich, und darum fühlte ich mich stark.
Im Januar 1867 baute ich die Basler Hoffnungen unwiderruflich ab, und mit Schumms Geldhilfe machte ich mich auf, nach Düsseldorf zu gehen. Mutter und Schwester waren verlassener als je. Aber ich mußte wagen und hoffen. Ich ging nach Karlsruhe, wurde von der Gesellschaft gut aufgenommen und ging am 16., mit Empfehlungen von Schrödters und Gude ausgerüstet, nach Düsseldorf. Dort war Philipp Röth, der gute Freund. Ich besuchte mit meinen Empfehlungen einige Professoren; es blieb bei dem einen Besuch. Einer der Professoren war recht freundlich und schien sich meiner annehmen zu wollen, er kam in mein kleines Atelier, lobte meine Sachen, lieh auch einige Studien von mir, die er gebrauchen könne. Sonntags war ich ein paarmal bei ihm zu Tisch und nachmittags mit seinen freundlichen Töchtern gar gerne zusammen. Eines Sonntags veranlaßte er mich, eine Mappe mit Zeichnungen und Studien von mir mitzubringen, die er einer Tischgesellschaft zeigen wollte, das war mir immerhin schon peinlich. Die Gesellschaft sah die Arbeiten, und ich fühlte lebhaft, wie fremd dieselben den Düsseldorfer Anschauungen seien. Da richtete der Professor sehr ernst das Wort an mich, fragte wie lange ich denn schon Maler sei, und dann, daß ich für diese lange Zeit noch gar wenig, ja eigentlich gar nichts könne, daß ich jetzt erst anfangen müsse, und daß ich mich mal auf den Düsseldorfer Ausstellungen umsehen sollte, was junge Leute schon machten, daß er aber, wenn ich seiner Leitung folge, mich bald zu etwas bringen wolle. Das sagte er mir vor der ganzen eingeladenen Gesellschaft. Das war aber ein Punkt, wo ich, der Schüchterne, ins Gegenteil umschlug und nun auch vor der ganzen Gesellschaft sagte, ich wisse wohl, daß ich noch viel lernen müsse, aber das wolle ich nicht lernen, was ich bis jetzt in Düsseldorf an Malerei gesehen habe. Ich müsse meine eignen Wege gehen, die vorerst nur ich selber kenne.
Unser Verhältnis war damit vorbei. Das hat mir um seiner freundlichen Töchter wegen leid getan.
Nun kam aber eine Zeit der Schulden für Wohnung und Kost, und die Zeit der zerrissenen Stiefel. Ich meinte, daß jeder, der vorüberging,[41] nichts andres zu tun habe, als mir auf die Füße zu sehen, so daß ich hätte rufen mögen: »Sie naseweiser Mann, was gehen Sie meine Stiefeln an!«
Im Mai aber kaufte jemand beim Kunsthändler ein Bild von mir, »Herbststurm«, für 15 Friedrichsdor. Das half der gröbsten Not ab.
Dann lernte ich Otto Scholderer kennen, von dem mir Röth mitteilte, daß er entzückt sei von meinen Bildern, die ich ausgestellt habe, daß er sich beim Mittagstisch dem geringschätzenden Urteil einiger Genremaler gegenüber sehr in hervorragender Weise meiner Arbeiten angenommen habe. Scholderer war aus Frankfurt, ein hochgebildeter Maler, der fähig war, die Kunst als Ganzes zu erfassen. Er hatte lange in Paris gelebt. Wir wurden Freunde fürs Leben. Sein freies Denken und sein sicheres Können haben mich in der Düsseldorfer Zeit sehr gefördert. Er lehrte mich einfach arbeiten in naturgemäßer Technik.
Am 17. Juni 1867 fuhr ich den Rhein hinauf, besuchte in Darmstadt Röth und Fritz und kam nach Lörrach. Dort waren die Meinigen recht vereinsamt und verlassen; inzwischen waren auch die Verwandten dort fortgezogen. Sie wohnten in einem dumpfen kellerartigen Zimmer. Agathe nähte für die Leute. Es konnte so nicht weitergehen, und so zogen wir nun zu den Verwandten nach Säckingen. Bei meinem Vetter Constantin, Uhrenmacher und Waldseewirt, fanden Mutter und Agathe Wohnung. Ich wohnte beim Kronenwirt. Mein Vetter Fidel Schmid war Buchbinder, und ich saß oft in seinem Laden. Es kamen auch bald gute Nachrichten. Paul Weber in Darmstadt kaufte ein Bildchen für 100 Gulden, und der Rheinisch-Westfälische Kunstverein kaufte eine Landschaft für 150 Taler. Mit Schumm, der von Basel kam, machte ich Ausflüge, einmal auf den Hozenwald, ein andermal an den Bodensee, wir waren voll Übermut und Mutwillen und neckten uns. In einem Wirtshaus, wo wir übernachteten, tanzten wir auf einer Hochzeit herzhaft mit. Aber ich merkte, daß die Bauernburschen recht unfreundliche Gesichter machten, so daß wir uns aus dem Staube machten und zu Bett gingen.
Mit Mutter und Agathe besuchte ich auch Bernau. Im Herbst verkaufte ich ein »Mädchen mit Hühnern« an den Karlsruher Kunstverein für 300 Gulden. Es ging also gut, und so konnte ich wohlgemut nach[42] Düsseldorf zurück, zumal ich auch noch ein Stipendium zu hoffen hatte. In Düsseldorf bezog ich ein kleines Atelier neben dem Scholdererschen. Weihnachten erhielt ich 400 Gulden Stipendium. Freilich fanden meine neueren Bilder keinen Beifall bei den Düsseldorfern, und Aussicht auf Verkauf war sehr klein. Ich war aber recht vergnügt und machte im Malkasten alles mit.
Buchempfehlung
Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro