[1192] Vitis.
Vitis vinifera.
frantzösisch, Vigne.
teutsch, Weinstock.
Ist ein Strauch, dessen Stamm gewunden und gedrehet, mit einer hin und wieder aufgerissenen, röthlichten Schale überzogen ist, treibt einen Hauffen lange Rancken, an welchen Gäblein zu befinden, welche fortkriechen und sich um die dabey stehenden Gewächse und Gelender schlingen. Die Blätter sind schön, groß und breit, bey nahe rund, zerschnitten, grün und gleissend, etwas rauhe anzufühlen. Die Blüten sind klein, jedwede besteht gemeiniglich aus fünff[1192] in einen Kreis gestellten gelblichten Blätterlein, und riechen wol. Die Früchte sind gantz oder ovalrunde Beeren, welche dichte und getrungen, als dicke Trauben bey einander sitzen, sind anfangs grün und sauer, bekommen aber, wann sie zeitig werden, eine weisse, rothe oder schwartze Farbe, werden fleischig, und voller süssen, angenehmen Saft: sie beschliessen einige spitzige Kerne. Der Weinstock wird in warmen und temperirten Landen gebauet: es giebet seiner allerhand Arten, und er führet in allen seinen Theilen viel Saltz und Oel.
Wann im Frühjahre der Saft in den Weinstock getreten und ihm werden die Spitzen verschnitten, so tröpfelt von Natur ein Wasser oder Saft heraus (im teutschen Weinrebenwasser, lateinisch, Lacryma vitis genannt,) das eröffnet und reiniget, dient zu dem Stein und Gries, wanns innerlich gebrauchet wird: man wäschet auch die Augen damit, den Eyter wegzubringen und das Gesichte hell zu machen.
Die Augen am Weinstock, die zarten Blätter und die Gäbelein, lateinisch, Pampini seu Capreoli, frantzösisch, Pampres genannt, halten an, kühlen, dienen zu dem Durchlauff und zum Bluten, wann sie abgesotten gebrauchet werden: man bähet sich auch die Schenckel damit: sie bringen Schlaf zu wege.
Die Weinrancken oder das Holtz vom Weinstock eröffnet trefflich starck, wann es abgesotten gebrauchet wird.
Die annoch grünen Beeren, lateinisch, Agrestæ, frantzösisch, Verjus, genannt, halten an, kühlen und machen Appetit.
Die reiffen Trauben machen Appetit und öffnen den Leib, daraus wird der Most bereitet, davon der Wein kommt: wie allbereit unter dem Titel Mustum ist erinnert worden.
Die Weinbeer werden an der Sonne oder in dem Ofen getreuget, damit sie ihre Wäßrigkeit verliehren und sich wol halten mögen. Diese werden auf lateinisch, Uvæ passæ seu Passulæ, frantzösisch, Raisins secs, auf teutsch, Rosinen, genennet, und unterschiedene Arten auf eben diese Weise bereitet, z.E. grosse, Uvæ Damascenæ, Raisins de Damas, grosse oder blaue Rosinen, und kleine, Uvæ Corinthiacæ, Raisins de Corinthe, kleine Rosinen, Corinthen, genennet.
Alle dienen die Schärffe auf der Brust und vom Husten zu mildern, den Leib zu erweichen und gelinde zu machen: die Kerne aber werden heraus gethan, weil sie anhalten.
Die Dröster, welche nach der Presse, wann der Most bereitet ist, zurücke bleiben, heissen auf lateinisch Vinacea, frantzösisch, Marc. Die werden auf einen Hauffen zusammengeschüttet, damit sie sich erhitzen und fermentiren mögen: darein werden die Beine oder der gantze Leib von solchen Patienten gestecket, die mit Flüssen beladen, oder mit dem Hüfftwehe, oder mit Lähmung der Glieder; damit sie schwitzen und die Nerven gestärcket werden. Alleine, es entstehet nicht gar selten Schwindel daher, wegen des schwefelichten Geistes, der in die Köpfe steiget.
Vitis kommt von vieo, ich binde, weil sich der Weinstock beugt und krümmet, sich auch um die dabey[1193] stehenden Gewächse, Latten und Pfeile zu schlingen pfleget.
Lemery-1721: Vitis Idæa