135.

Ich steh' nicht ab von dem Verlangen.

Bis dass ich meinen Wunsch erreiche,

Der Leib dem Seelenfreund sich eine,

Wo nicht, dem Leib die Seel' entweiche.

Nicht kann nach Art der Ungetreuen

Stets einen ander'n Freund man lieben:

Mich fesselt Seines Gaues Erde,

Bis seelenlos der Leib geblieben;

Und auf der Lippe schwebt die Seele,

Indess die Furcht das Herz verzehret,

Dass sich vom Leib die Seele trenne,

Eh' ihr Sein Mund den Wunsch gewähret.

Es fühlt beengt sich meine Seele

Aus Lust nach Seines Mundes Spenden:

Nie fügt sich ja Sein Mund dem Wunsche

Der Eigner von so engen Händen.

Erschliesse meines Grabes Pforte,

Werd' ich dem Tode einst zu eigen,

Und sieh durch meines Busens Feuer

Dem Leichentuche Rauch entsteigen!

Erhebe dich, dass auf der Wiese

Durch deines Wuchses hohes Streben

Zipressenbäume Früchte tragen

Und nied're Sträuche stolz sich heben.

In Hoffnung auf der Flur zu finden

Sie, deiner Wange Bild, die Rose,

Erscheint der West und schwärmt beständig

Im Kreis herum auf grünem Moose.

Entschlei're dich, auf dass die Leute

Verblüfft und staunend auf dich schauen;

Erschliess' den Mund, auf dass um Hilfe

Die Männer rufen und die Frauen![651]

An jedem Bruche deines Haares

Sind fünfzig Angelchen zu sehen:

Wie soll dies Herz, bereits gebrochen,

Noch jenem Bruche widerstehen?

Man hört im Heer der Liebeshelden

Beständig loben nur und preisen

Hafisens Namen, wo er immer

Ertönet in gesell'gen Kreisen.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 649-653.
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