Vierunddreißigstes Abenteuer.

[305] Wie sie die Toten aus dem Saale warfen.


Da setzten sich aus Müdigkeit / die Herrn und ruhten aus.

Volker und Hagen, / die gingen vor das Haus

Über den Schild sich lehnend / in ihrem Übermut:

Da pflagen launger Reden / diese beiden Helden gut.


Da sprach von Burgunden / Geiselher der Degen:

»Noch dürft ihr, lieben Freunde, / nicht der Ruhe pflegen:

Ihr sollt erst die Toten / aus dem Hause tragen.

Wir werden noch bestanden, / das will ich wahrlich euch sagen.


Sie sollen untern Füßen / uns hier nicht länger liegen;

Bevor im Sturm die Heunen / mögen uns besiegen,

Wir haun noch manche Wunde, / die gar sanft mir tut.

Des hab ich,« sprach da Geiselher, / »einen willigen Mut.«[305]


»O wohl mir solches Herren!« / sprach Hagen entgegen.

»Der Rat geziemte niemand / als einem solchen Degen,

Wie unsern jungen Herren / wir heute hier gesehn:

Ihr Burgunden möget / all darob in Freuden stehn.«


Da folgten sie dem Rat / und trugen vor die Tür

Siebentausend Tote, / die warfen sie dafür.

Vor des Saales Stiege / fielen sie zutal:

Da erhoben ihre Freunde / mit Jammern kläglichen Schall.


Auch war darunter mancher / nur so mäßig wund,

Käm ihm sanftre Pflege, / er würde noch gesund;

Doch von dem hohen Falle / fand er nun den Tod,

Das klagten ihre Freunde; / es zwang sie wahrhafte Not.


Da sprach der Fiedelspieler, / der Degen unverzagt:

»Nun seh ich wohl, sie haben / mir Wahrheit gesagt:

Die Heunen sind feige, / sie klagen wie ein Weib,

Da sie nun pflegen sollten / der Schwerverwundeten Leib.«


Da mocht ein Markgraf wähnen, / er meint es ernst und gut:

Ihm war der Vettern einer / gefallen in das Blut;

Den dacht' er wegzutragen / und wollt ihn schon umfahn;

Da schoß ob ihm zu Tode / den der kühne Spielmann.


Als das die andern sahen, / sie flohen von dem Saal.

Dem Spielmann zu fluchen / begannen sie zumal.

Einen Speer hob Volker / vom Boden, scharf und hart,

Der von einem Heunen / zu ihm hinaufgeschossen ward.


Den schoß er durch den Burghof / zurück kräftiglich

Über ihre Häupter. / Das Volk Etzels wich

Erschreckt von dem Wurfe / weiter von dem Haus.

Vor seinen Kräften hatten / alle Leute Schreck und Graus.[306]


Da stand vor dem Hause / Etzel mit manchem Mann.

Volker und Hagen / huben zu reden an

Mit dem Heunenkönig / nach ihrem Übermut.

Das schuf bald große Sorge / diesen Helden kühn und gut.


»Wohl wär es,« sprach da Hagen, / »des Volkes Trost im Leid,

Wenn die Herren föchten / allen voran im Streit,

Wie von meinen Herren / hier jeglicher tut:

Die hauen durch die Helme, / daß von den Schwertern fließt das Blut.«


So kühn war König Etzel, / er faßte seinen Schild.

»Nun hütet eures Lebens,« / sprach da Kriemhild,

»Und bietet Gold den Recken / auf dem Schildesrand;

Denn erreicht euch Hagen, / ihr habt den Tod an der Hand.«


So kühn war der König, / er ließ nicht vom Streit,

Wozu so mächtge Fürsten / nun selten sind bereit.

Man mußt ihn bei den Riemen / des Schildes ziehn hindann.

Hagen der grimme / ihn mehr zu höhnen begann.


»Eine nahe Sippe war es,« / sprach Hagen gleich zur Hand,

»Die Etzeln zusammen / und Siegfried verband:

Er minnte Kriemhilden, / eh sie gesehen dich:

Feiger König Etzel, / warum rätst du wider mich?«


Diese Rede hörte / die edle Königin.

Darüber ward unmutig / Kriemhild in ihrem Sinn,

Daß er so schelten durfte / vor manchem Etzelsmann.

Wider die Gäste / hub sie aufs neu zu werben an.


Sie sprach: »Wer von Tronje / den Hagen mir schlüge,

Und sein Haupt als Gabe / her vor mich trüge,

Mit rotem Golde füllt ich ihm / Etzels Schildesrand;

Auch gäb ich ihm zum Lohne / viel gute Burgen und Land.«[307]


»Ich weiß nicht, was sie zaudern,« / sprach der Fiedelmann.

»Nie sah ich, daß Helden / so verzagt getan,

Wo man bieten hörte / also reichen Sold.

Wohl sollt ihnen Etzel / nimmer wieder werden hold.


Die hier mit Schimpf und Schanden / essen des Königs Brot

Und jetzt im Stich ihn lassen / in der größten Not,

Deren seh ich manchen / so recht verzagt da stehn,

Und tun doch so verwegen: / sie können nie der Schmach entgehn.«


Der mächtige Etzel hatte / Jammer und Not:

Er beklagte seiner Mannen / und Freunde bittern Tod.

Von manchen Landen standen / ihm Recken viel zur Seit'

Und weinten mit dem König / sein gewaltiges Leid.


Darob begann zu spotten / der kühne Volker:

»Ich seh hier übel weinen / gar manchen Recken hehr.

Sie helfen schlecht dem König / in seiner großen Not:

Wohl essen sie mit Schanden / nun schon lange hier sein Brot.«


Da gedachten wohl die Besten: / »Wahr ist's, was Volker sagt.«

Von niemand doch von allen / ward es so schwer beklagt

Als von Markgraf Iring, / dem Herrn von Dänenland,

Was sich nach kurzer Weile / wohl nach der Wahrheit befand.

Quelle:
Das Nibelungenlied. Stuttgart 1954, S. 305-308.
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