CXLVII.

[190] 1. Ich rent mir aus kurtzweile

für einen grünen wald,

was begegnet mir in der awe,

eine wunderschöne jungfrawe,

nach rößlein wolt sie gahn.


2. Da begegnet jr ein herre,

zumal ein feiner man,

sag mir du guter geselle,

wie man die röslein sol fellen,

oder wie man sie brechen sol.[190]


3. Bricht man sie gegen dem abend,

so sein sie von farben bleich,

bricht man sie gegen dem morgen,

ein ander hat sie verborgen,

den schaden den mus ich han.


4. Die rößlin sol man brechen,

zu halber mitternacht,

denn seind sich alle bletter,

mit dem külen thaw beladen,

so ist es rößlein brechens zeit.


5. Ich schus nach einer tauben,

in einem grünen wald,

so hoch auff einem baume,

die sas und sang so schöne,

das war meins hertzen lust.


6. Ich meine nit die taube,

die mir entflogen ist,

ich meine meins bulen güte,

darnach steht mein gemüte,

zu jhr steht all mein sinn.


7. Was sahe ich in dem walde,

ich sahe hin und her,

die blümlein so wol gestalte,

bey einem brünlein kalte,

darnach stund mein beger.


8. Da brach ich derselben blümlein,

zu einem krantze schon,

und gabs der hertz allerliebsten mein,

ich kann und mag jr nicht feind gesein,

sie ist meins hertzen ein kron.


9. Es wolt ein megdlein frü auffstan

an einem abend tantze gan,

sie leuchtet also ferne,

gleich wie der morgensterne,

der vor dem tag auffgeht.[191]


10. Ach megdlein du viel junge,

las mich nicht sein schabab,

du bist meins hertzen wonne,

leuchst wie die helle sonne,

kein lieber ich auff erden hab.


11. Das bitt ich dich in trewen,

wölst michs geniessen lan,

sol dich nimmer nit rewen,

sonder also erfrewen,

als werstu ins himmels thron.


12. Es sol mir kein lieber nit werden

das sag ich dir fürwar,

dieweil ich hab das leben,

alhie auff dieser erden,

und lebt ich tausent jar.


13. Wer ist der uns dis liedlein sang,

von newem gesungen hat,

das hat gethan ein reuter,

schlefft gern bei schönen leuten

der narren find man mehr.


Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 190-192.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon