Fünfte Szene.

[81] Vroni und Franz.


VRONI halblaut. Wir sein alleinig, Franz, därf ich hitzt reden, wie d' Wahrheit is?

FRANZ läßt die Rechte vom Gesicht sinken. Wozu – wozu auch? – Wird's anders dadurch? Ich bin verunglückt, und damit ist alles ausgeglichen, und weder du bist schuld noch der andere.

VRONI. Es gibt mir kein' Ruh', daß du um mich hast leiden müssen, daß d' vielleicht sollt'st dein Leblang a Krüppel bleib'n, daß d' sollt'st ...[81]

FRANZ. Laß gut sein, Vroni, was sein soll, wird kommen. Mußt nit viel davon reden, das quält mich, und mein Kopf ist so wüst – ich brauche Ruhe.


Lehnt sich zurück und schließt die Augen.


VRONI tritt etwas von ihm zurück. Wie ihn 's Fieber beutelt und wie er die Zähn' übereinander beißt. Sie setzt sich auf die andere Seite und hält die Hand vors Licht, daß der Schatten auf Franz fällt.

FRANZ unruhig. Vroni, sag, was ist denn das für ein leises Schwirren in der Luft – ist vielleicht eine Stechfliege im Zimmer. Ich bin ängstlich und wehrlos wie ein Kind.

VRONI horcht auf. Es ist nix da herin in der Kammer – das klingt so von außen herein. Geht gegen das Fenster. Das kommt von Ottenschlag herauf! Öffnet das Fenster, man hört kaum merklich das Zügenglöckchen. Sie läuten unten für oans 's Zügenglöckel!

FRANZ. Wohl ihm! Ich wollte, sie läuteten's für mich!

VRONI hat das Fenster geschlossen und kommt wieder an ihren früheren Platz. Geh! Was tust denn jetzt auf einmal so verzagt und kaum vor a Stund warst noch mein kuraschierter Bub, der morgen mit mir in die Berg' und dann lustig in die weit' Welt geht!

FRANZ wehmütig lächelnd. In die Berge?! So zerschlagen an Leib und Seele, wie ich mich fühle, kann ich ihnen nur mit den Augen beikommen! In die Welt?! Oh, als ich das sagte, war ich gesund, jetzt bin ich krank, und da ist man ein ganz andrer, Vroni – das merke ich, die Schande, die hereinbricht über unser Haus, die richtet's nun mit einemmale zugrund, die überleb ich, so wie du mich jetzt siehst, nicht – es ist wohl besser so!

VRONI. Red nit so! Ich hätt wahrlich kein' Freud' an mein' Recht, wann du so übel dabei fahrest. Du bist der best', der liebst' Freund, den ich auf der Welt hab, ich wüßt kein' andern!

FRANZ. Ich dank dir, Vroni – es ist mir recht lieb, daß du zur Stunde um mich bist, daß ich dich bitten kann: Bewahr mein Angedenken! Horch, sie haben zu läuten aufgehört und unten in der Hütten beten[82] sie wohl noch für den, der den letzten Weg gegangen – wohin?! Ich gehe ihn gerne, wohin er auch führt. Ich denke, wie dort unten auf dem kleinen Friedhofe – wo auch deine Mutter ruht – das stille Herz doch in einem Stückchen Heimat gebettet schliefe und wie alle Not und Schande nicht mehr daran rühren könnte. – Du wirst wohl wilde Rosen für das Grab deines Freundes haben – ihr werdet doch zu meinem Hügel kommen? – Du und der Toni, wenn ihr versöhnt seid, wenn beide Höfe in eins sind – die reichsten Bauersleut' zum Grabe des ärmsten Bauernsohnes? Du magst es ja dem Toni sagen, er wird mir diese letzte Liebe nicht neiden!

VRONI einen Augenblick fein lächelnd. Was kümmert dich der Bub?! Ernst. Wenn er jetzt käm, von oben bis unten im goldigen G'wand wie a Prinz, und du stündst neben, wie d' da bist, in deiner verrissenen Lodenjopp', krank und schwach, ich saget ihm: »Das ist mein Freund, du nimmer!« – Siehst und so bleibet der Kreuzweghof und sein' Bäurin einschichtig! Nein, Franz, du mußt nit so traurig daherreden – leb fein fort, ich bitt dich recht schön, denk dir's aus, wie am Morgen die Berg' aufleuchten, wo du g'sagt hast, sie soll'n dir die Kinderjahr und die Heimat im Herz auffrischen mit ihrem goldigen Strahl, denk dir, wie die Morgenfrisch'n vom grünen Tann hereinweht wie a kalt' Weihrauchwolken, dieweil die Vögerln drauß 's groß' Hochamt singen, o g'wiß, Franz, nachert wirst schon wieder leb'n woll'n, es is so schön, so in die Welt neingucken, so alt und doch allmal neu bei jedem Morgenlicht und jeder Abendröten – nein, Franz, du därfst nit versterb'n!

FRANZ. Ach, wenn das alles Traum wäre, was auf mir liegt, wenn ich's abschütteln könnt am Morgen – am lichten, heiteren Morgen, wenn ich aufwachte, sei es elternlos und ohne Erbe, weder leidend unter fremder noch eigner Sünd' und Schande – ganz auf eigne Kraft gestellt, ja dann –

VRONI. Gelt, dann würdst doch leben woll'n?! Und schau, Franz, ich wußt nit, was ich treibet, wann d'[83] in der Heimat bleiben wolltst! Ich wollt dich recht pflegen, daß d' mir wieder g'sund wurdst, und hätt a narrische Freud' drüber und könntst ja bei mir auf 'n Kreuzweghof bleib'n als Pfleger – und was denkst auch nur, du hast dich doch nit versündigt, und ich möcht wissen, wer dir a Schand' nachredet', wann ich dich in Ehr' halt?! Geh, verbleib und red nix mehr vom Sterb'n!

FRANZ faßt mit den Händen nach dem Kopfe. Vroni, um Gottes willen hör auf! Du willst mir wohl und weißt nicht, wie weh du mir dabei tust! An dieser Stätte, wo jeder Fleck eine trübe Erinnerung wie einen giftigen Stachel gegen mich herauskehrt, an dieser Stätte bietest du mir ein Gnadenbrot; eine lebende Folie deines geraden, ehrlichen, erbarmenden Herzens würde ich dort scheu herumwandeln – bemitleidet, verhöhnt, gemieden, je nachdem deine Knechte mich bedauern, hassen oder verachten! – Nein, Vroni – lock mich nicht ins Leben – die Schande muß nun einmal ans Licht. –

VRONI. Sei gut, Franz, mußt nit so verwirrt reden! – Wenn ich nun träumet mit dir und aufwachet am Morgen, die arm', verfolgt' Dirn' von ehnder, dein' Vatern als mein' alt' Feind, so mächtig wie früher, und nur dich g'wonnen hätt als mein' neuen Freund – könnt'st da auch versterben und mich verlassen? G'wiß nit, und ich glaub, wir zwei nähmen's dann mit der ganz' Welt auf! Franz, ich hab noch kein' kennt so ehrlich, so treu und brav wie du, der in Tod neinrennet für fremd' Recht, für a feindlich' Sach' zu sein' eigenen Schaden und Verderb; und für nix wär mir dein Leben feil! Wann ich's ließ in der ewig' Nacht, die Schand', und vertrauet dir alleinig all mein Recht! Franz, ich kauf dir 'n Tod ab, wie teuer gibst 'n und lebst mir fort bis in die Jahr' hinnein, wo wir all' zwei grau' Haar' haben?

FRANZ lehnt sich zurück. Du red'st wild, Vroni – ich folg dir nicht – du meinst?

VRONI. Ich mein: besser, tot' Recht wird nie lebig, als du verstirbst mir! Nimmt den Brief aus ihrem Mieder,[84] betrachtet ihn gedankenvoll und hält ihn dann in die Flamme, währenddem für sich. Seliger Vater da drob'n! Mußt nit harb sein auf dein Dirndl, wann s' a dein und ihr Recht vergibt! Es g'hört ja jetzt doch mir allanig zu, und ich tu neam'd andern damit ein' Abbruch; ös lieb'n Selig'n aber dort im Himmel oben könnt's doch nix dagegen haben, wenn ich nach mein' Herzen tu und nach kein' Vorteil frag auf derer lieben Welt! Hält den brennenden Brief von sich, seufzt dann auf. So – aus is! Von morg'n an braucht mich die Ahnl weder bei Tag noch nachtig zur Arbeit erst aufz'wecken.

FRANZ öffnet die Augen. Licht! Wird's Morgen? Sieht das brennende Papier. Was hast du! –

VRONI. Is's recht? I verbrenn, was dich kränkt!

FRANZ erhebt sich, wie um es zu hindern. Vroni – den Brief! – Was tust du? – Dein Beweis! – Was soll nun werden?

VRONI. Wird, was da will, wenn nur du mir nit aus der Welt laufst!

FRANZ blickt sie überrascht an – seine Brust arbeitet heftig, er streckt den unverwundeten Arm nach ihr aus, ausbrechend. Vroni!!! – Du mußt mich zutiefst in die Seele hinein gern haben!

VRONI wie erschreckend. Franz! Franz! Innig, indem sie an seine Brust sinkt. Es kann schon sein Birgt schämig den Kopf. aber mußt's nit so in die Welt hinausschrein.


Franz faßt sie beim Kopfe, dreht sie gegen sich und blickt ihr ins Auge. Kleine Pause.

Außen Gemurmel verschiedener Stimmen.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Der Meineidbauer. Stuttgart 1959, S. 81-85.
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