XIX

[214] Die Schere war der jungen Kleebinderin unversehens entfallen und blieb mit der Spitze in dem Boden stecken; sie bückte sich darnach. »Glaubet ich drauf«, sagte sie, »so bekämen wir bald ein seltsamen Besuch.« Als sie sich wieder aufrichtete, zeigte sie ein stark gerötetes Gesicht und vermied es, ihren Mann, dem die Rede galt, anzublicken.

Der Herrgottlmacher, wenn anders er »drauf glaubte«, war nun vorbereitet, aber gewiß nicht auf den Besuch, der sich selben Abend noch einstellte.

Der junge Sternsteinhofbauer trat in die Stube. »Gutn Abend, Leuteln«, sagte er. »Grüß dich Gott, Kleebinder.« Er bot ihm die Hand, drückte die zögernd dargereichte Rechte und fuhr fort: »Laß alls Vergangene vergangen und vergessen sein, darum bitt ich dich. Hab's zeither rechtschaffen bereut, das kann ich dich versichern; tu mir d' eine Freundschaft und laß's ruhn. Was mich herführt, is a Bestellung, a Arbeit für dich. 's selbe möcht ich mit dir bereden.«

Helene wischte mit der Schürze über einen Stuhl und rückte ihn dem Gaste hin. »Tu dich setzen – setzt euch allzwei. Werdts es doch nit alser stehender ausmachen wolln?«

Sie ging aus der Stube, und die beiden Männer saßen einander[214] gegenüber. Das Kind schlich sich an den ihm Fremden heran. Die Schwarzwälderuhr tickte eine Weile über ganz laut und vernehmlich, dann fragte der Holzschnitzer leise, wie aus zugeschnürter Kehle: »Was brauchst?«

»Laß dir also sagen –«

»Voda«, schrie der kleine Muckerl und wies dem großen etliche Leckereien, welche ihm der Bauer zugesteckt hatte.

Kleebinder wandte jäh den Kopf nach Toni und starrte ihn mit befremdeten Augen an.

Dieser senkte den Blick. »Ich hab 'm nur was mitgebracht, 'm Kleinm – weil – weil ich mir a Bildl bei dir einlegen wollt, damit d' dich der Arbeit auch recht annehmen möchtst. Sonst wüßt ich mir weit und breit kein'n, der machen könnt, was ich gern hätt, es is nix Kleins, du kannst dabei a Ehr aufhebn und a schön Stuck Geld verdienen.«

»Das war gleichwohl a unnötige Auslag«, murrte Muckerl, nach dem Kinde deutend. »Sag, was d' gern hättst.«

»Wirst ja ghört habn, wie übel 's mit meiner Bäurin bstellt is. Sie siecht dahin, und 's will ihr kein Doktor helfen können. Da fallt mer dö Tag bei, wendt mer sich halt an Gott und dö liebn Heiligen, wann schon kein Menschenhilf mehr is.« Er verzog dabei lächelnd den Mund, ohne daß er selbst darum wußte, ebensowenig begriff der Holzschnitzer, was für ein Anlaß dazu wäre. »Ein Bild will ich schnitzen lassen«, fuhr der Bauer fort, »und 's drüben in Schwenkdorf, im Geburtsort der Mein'n, in der Kirchen, wo sie gtauft und kopuliert wordn is, aufstelln. Verstehst mich?«

Muckerl nickte.

»Das Ganze soll gleichsam a Säuln sein, oben mit der heilign Dreifaltigkeit drauf und unt z' Füßen links der heilige Antoni, rechts die heilig Rosalia, unsere zwei himmlischen Namenspatronen, so gwisserweis, als möchten s' just für uns fürbitten. Verstehst mich wohl schon?«

»Ja, ja.«

»Unterhalb käm in einer schön verzierten, breiten Rahm a Taferl, wo mer anschreiben könnt, wem und für was d'[215] Fürsprach gelten soll. So – so hab ich mir's halt ausdenkt. Ich weiß nit, bin ich deutlich gnug gwest?«

Der Herrgottlmacher schüttelte den Kopf. Er fühlte sich gedrückt, von dem Manne gegenüber kam ihm vor, als sei derselbe verlegen und täte sich beim Reden Gewalt an, nur Helene ging so unbefangen ab und zu, als sähe sie den jungen Bauer heute zum ersten Male in ihrem Leben. Das machte den Muckerl, er wußte nicht warum, so nachdenklich, daß er die Bestellung überhörte und Toni sie wiederholen mußte.

Fürs erste erklärte der Herrgottlmacher, daß er sich aufs Schnitzen von Zierat nicht verstünde; der Bauer möge also zusehen, woher er den breiten Rahmen nehme; dagegen brauche er sich um die Figuren nicht zu sorgen, die würden schon recht ausfallen, aber die Säule müsse ganz wegbleiben, da käm die heilige Dreifaltigkeit 'n Leuten völlig aus den Augen, und derwegen schnitze man doch keine Bilder, daß sie keiner zu sehen vermöge.

Der Bauer befürchtete, es könne wider 'n Respekt verstoßen, wenn man die Heiligen so auf gleichem Fuße mit der Dreifaltigkeit verkehren ließe, auch möchte es sich nicht schön machen, wenn letztere den ersteren fast auf die Köpfe treten würde.

Muckerl schalt das ein einfältig Reden. Im ganzen lieben, weiten Himmel oben gebe es keine Säule, des sei er gewiß, die wäre ja schon längst durch die Wolken auf die Erde herabgefallen, und die Heiligen genössen doch ihre Seligkeit in der Anschauung der Dreifaltigkeit und verkehrten als Nothelfer der Menschen mit ihr; werden sie doch nit beim Anschauen sich die Hälse verrenken und beim Fürbitten die Lunge herausschreien sollen? Ein ganz unschicksams, lächerlichs Vorstellen, das! Die drei göttlichen Personen würden auf einen Wolkenthron zu sitzen kommen und die beiden Heiligen davor, etwas darunter, knien, und das werde sich ganz gut machen und rechtschaffen schön aussehen, darauf könne sich der Bauer verlassen![216]

Je, ja – je, ja! Der Bauer erklärte, er sehe das schier schon selber ein und merke wohl, daß er zum rechten Manne gekommen sei; nur möge der nun auch machen und trachten, das Ganze in Bälde fertigzubringen.

Muckerl kraute sich hinter dem Ohr. »Ich kann's nit gleich angehn, es fehlt mer an einm tauglichn Holz dazu, muß mir erst eins beschaffen, wann ich wieder nach der Stadt fahr.«

»Ich hab morgen dort z' tun«, sagte der Bauer, »wär mir lieb, du fahretst mit mir, so hätt's dann weiter kein Anstehn.«

»Ich bin dabei.«

»Abgmacht. Ich hol dich morgen. D' Stund weiß ich noch nit. Hitzt will ich nit länger afhalten. Gute Nacht, Leuteln!«

Neben dem Sessel an der Stubentüre, auf welchem das Kind saß, kniete Helene. »Na, sag: Dank schön und bhüt Gott! Babah!« sprach sie ihm vor und ergriff, ohne aufzusehen, das runde Ärmchen des Kleinen und bewegte es wie grüßend.

Der Holzschnitzer gab seiner neuen Kundschaft bis zur Haustürschwelle das Geleit, dort nickte er mit dem Kopfe, und der Bauer griff an den Hut.


Am andern Vormittag kam der junge Sternsteinhofer angefahren. Er sprang vom Wägelchen und trat grüßend in die Hütte. »No, sein wir's?« fragte er.

»Gleich«, antwortete der Herrgottlmacher und lief in die Stube, um sich »sonntäglich« anzukleiden.

Die Kleebinderin lehnte an dem Herde, zu ihren Füßen spielte der kleine Muckerl.

Toni rückte die Küchentüre, die nach der Straße offenstand, halb zu, dann faßte er Helene an der Hand. »Vergelt dir's Gott«, flüsterte er, »daß d' doch 'm Kind lernst freundlich gegn mich sein.«

»'m Kind kann's Freundlichkeitbezeign nur nutzen und kein Schaden bringen.«

»Dir auch nit, Leni, dir auch nit. Wie ich mir hab sagen lassen, so is ja gwiß –« Er deutete hinter sich nach der Stube,[217] aus welcher man Schranktüren und Schubladen kreischen hörte.

Helene zuckte mit den Schultern.

»Es is a Schickung, sag ich dir«, fuhr er, mit halblauter Stimme eifrig auf sie einredend, fort, »vom Anfang war mein Denken, es müßt a solche dabeisein. Daß's selb Zeit um allzwei andere gleicherweis bstellt is, was wär das sonst, wenn kein Schickung?«

»Und wann – so wär Vorgreifen nur sündhaft und ruhig Zuwarten am Platz. Was sich schicken soll, das schickt sich dann schon.«

»Ja, weißt, Leni«, stotterte er, »mitm Zuwarten is's so a eigene Sach!«

Das junge Weib stieß ein paar helle Lachlaute heraus, dann hielt es sich erschreckt den Mund zu und sah plötzlich ernst. »Das laß dir vergehn. Verlang dir zlieb weiter kein Dummheit mehr, es war an der ersten übergnug.«

»Leni, ich wär gwiß nit af dich verfallen, und 's Ganze hätt nimmer kein Sinn, wenn wir uns nit schon gern ghabt hätten –«

Helene runzelte die Brauen; mit einer kurzen Wendung des Kopfes und einem Winke der Augen nach der Türe lispelte sie: »Pst! Es ist alls still drin«, und auf das Kind weisend: »Auch der hört und weiß schon z' schwätzen.«

»Geh, sag ihm, er soll mir a Bußl gebn.«

»Bewahr! Er möcht schrein! Er is's nit gwohnt. Er küßt neamd.« Sie schob den Bauer, der sich niederbeugte, zurück und trat selbst einen Schritt zur Seite. »Bleib uns vom Leib.«

»Leni, 'n Bubn bedenk, der wird noch mal –«

Da trat der Herrgottlmacher aus der Stube, und der Sternsteinhofer rief ihm entgegen: »Grad wollt ich sagn, noch mal so lang wie ich brauchst du zun Angwanden! Ich bin viel flinker. Na, komm!«

Die beiden Männer fuhren hinweg.

Bald wußten die Zwischenbüheler den Grund der plötzlichen Eintracht zwischen dem jungen Sternsteinhofer und[218] dem Herrgottlmacher. Sie fanden es ganz verständlich und verständig, daß der arme Handwerker dem reichen Bauern nichts nachtrage; was denn auch, jetzt, Jahre hinterher? Sie legten sich zurecht und reimten zusammen, was sie eben davon wußten und nicht wußten. Wohl hat der Bauer einmal d' Helen 'm Kleebinder abwendig gemacht, aber nun ist sie dem sein Weib, und es wär nicht klug von ihm, sich den Kopf schwer zu machen über so ein Geschehnes, das lang vorbei sei und wovon sich viel bereden, aber nichts erweisen lasse! Oder sollte er einen Groll aufbehalten, weil sich der Sternsteinhofer damal an ihm vergriffen? Je, du mein, was wär das für eine unfruchtbare Feindschaft! Was könnte der arme Hascher tun? Finster schauen, den Rücken kehren, die Faust im Sack machen und in einer Ecke maulen; da ist es doch klüger, er spielt den Vergeber und Vergesser, sonderlich wenn sich noch obendrein die christliche Gesinnung durch einen handgreiflichen, baren Nutzen vergalt. Er wird nicht dumm sein und wohl zur Verrechnung mit dem Bauern doppelte und dreifache Kreide nehmen!

Man fand es ganz rechtschaffen und brav von dem jungen Sternsteinhofer, daß er für seines Weibes Genesung so ein »Heiligs« in die Kirche opfert; um so mehr, da das Gesinde aussagte, wie er neuzeit gar nimmer wild tue gegen die Bäuerin und recht freundschaftlich mit ihr verkehre. Nun vermochte man sich auch zu erklären, was ihn zu der Zinshofer geführt. Gewiß war er um die Kleebinderische Hütte wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen und suchte durch die Alte zu erfahren, in welcher Weis wohl dort seine Bestellung anzubringen, und nachdem ihm dies gelungen und ihm die Sache einmal im Kopf und am Herzen lag, nahm es nicht wunder, daß die Alte sich das zu Nutzen machte und ihm bis auf den Hof nachlief und Posten zutrug, für die er sie jedesmal entlohnte, und es war ganz natürlich, daß er nun selbst öfter bei den Kleebinderleuten einsprach, um nachzusehen, wie die Arbeit »fördere«, und wenn er dort nur kurz verweilte und lieber bei der Alten abrastete, so war[219] das nach dem, was einst zwischen ihm und der Jungen vorgefallen, nur ehrbar und klug und wich jedem argen Schein und jedem Anlaß zu unbeschaffenem Gered aus.

Woche um Woche, Monat um Monat verstrich, da hörten plötzlich die Zwischenträgereien der alten Zinshofer auf, sie ließ sich auf dem Hofe nicht mehr blicken, desto häufiger wurden die Besuche des jungen Sternsteinhofers in den beiden letzten Hütten am unteren Ende des Dorfes.

»Nun wird's wohl Ernst«, sagten die Leute, »nun laßt's ihm keine Ruh mehr, der Herrgottlmacher legt wohl die letzte Hand an das Votivbild.«

Niemand ahnte, daß es da wieder einmal ein schwacher Charakter über einen stärkeren davontrug, indem er, haltlos in sich zusammenbrechend, durch Erbärmlichkeit Erbarmen erweckte.

Niemand wußte um den Tag, keiner sah es mit an, wie die Frau mit dem Buben auf dem Arme an dem Zaune des Vorgärtchens lehnte und, als der Bauer hart an ihr vorüberschritt, die andere stützende Hand von dem Kinde wegzog, daß dieses, vorneüber sinkend, sich an die Joppenklappe des Mannes klammerte und ihn daran zurückhielt.

Er schmunzelte, und während sie den lächelnden Mund zusammenzog und die Lippen spitzte, als wolle sie spucken, sah sie ihn mit einem Blicke an, wie er nur dem Auge des Weibes eigen, der Unsagbares aussagt und zugleich belächelt.

Keiner sah es, auch der Holzschnitzer nicht, da er hinter ihrem Rücken unter die Haustüre trat. Sie erschrak, als die beiden Männer sich unversehens grüßend anriefen, dann schäkerte und tollte sie erst noch eine Weile mit dem Kinde, ehe sie ihr flammend rotes Gesicht der Hütte zukehrte.


Für die Sternsteinhofbäuerin kamen nach den bösen Tagen keine guten; wohl war sie wieder auf die Füße gekommen, aber diese erwiesen sich als gar schwach, und bei recht üblem Wetter versagten sie fast ganz den Dienst und erlaubten ihr nur, sich morgens vom Lager zum Sorgenstuhle zu schleppen;[220] für sie, die dann den langen Tag über, in denselben gebannt, saß und grübelte und sich trüben Gedanken hingab, benamte er sich mit Recht so und nicht in dem freundlichen Sinne, der auf das müde Alter anspielt, das in ihm, die Sorge anderen überlassend, ausruht.

Sie hatte vollauf Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen, und diese führten immer hartnäckiger zu quälenden Vermutungen. – Ob ihr nicht lieber gewesen sein sollte, der Bauer hätte in seiner Ungeduld und Ungebühr gegen sie beharrt? Es war das doch erklärlich; worin aber hatte seine plötzliche Freundlichkeit ihren Grund? – Der Mann sah und fragte ihr nach, aber er sah sie dabei kaum an und wartete auf manche Frage die Antwort gar nicht ab. Er sprach mit ihr wie mit jemandem, mit dem man sich öfter zwischen denselben Wänden zusammenfindet, Verträglichkeit halber, gleichgültig. – War denn dann das Stiften des Votivbildes ein Liebeswerk? Und wem zuliebe wohl? – Bringt er nun nicht seine meiste Zeit bei den Leuten da unten zu. Oh, und die soll schön sein, die da unten! Was führte die alte Hexe – man hatte ihr wohl gesagt, wer die wäre – so häufig herauf, was läßt sie mit einmal wegbleiben? – Erreicht war's! Eingedrängt hatte sich eins an ihre Stelle.

Sie erwehrte sich aus aller Macht dieses Denkens, sie klagte es vor sich selbst als eine leere Einbildung an, die nur durch die von ihrer Krankheit herbeigeführte Verlassenheit und Verdrossenheit entschuldigt werden könne; aber es kam eine Nacht, wo die argen Vermutungen zur Gewißheit wurden und diese den Glauben, den das arme Weib bisher aufrechtzuerhalten versuchte und sich mit ihm, den Glauben an die Neigung des Mannes, erbarmungslos hinwegtilgte.

Sie hatte stundenlange schlaflos gelegen, da begann plötzlich der Bauer drüben in seinem Bette zu murmeln und halblaut im Traume zu reden. Sie reckte erst den Hals und horchte, hierauf erhob sie sich leise und schlich mit schwanken Schritten ganz nahe hinzu; sie beugte sich zu dem Schläfer herab, um kein Wort zu verlieren. Eine Weile stand sie[221] lauschend, dann rang sie die Hände krampfhaft ineinander und brach in die Knie.

So lag sie noch, als es schon lange in der Stube wieder stille geworden. Mit einmal kam Leben in sie, sie erhob sich rasch von der Diele, begann sich hastig vom Kopf bis zum Fuß anzukleiden und verließ die Stube. Erst als sie an der Treppe anlangte, stieß sie den bis jetzt mit übermenschlicher Anstrengung zurückgepreßten Schrei aus. Es klang gar eigentümlich heiser und schrill durch das nächtlich ruhende Haus.

Dann tastete sie sich Stufe für Stufe die Stiege hin unter. Im Hofraume angelangt, stand sie einen Augenblick und sog tief Atem in sich, dann bog sie hurtig um die Ecke und strebte, beinahe laufend, dem Ausgedingehäuschen des Alten zu.

Es war unverschlossen; sie stieg nach dem Stockwerk empor und pochte dort an der Türe.

Der alte Sternsteinhofer schlief einen gesunden Schlaf, eine geraume Frist verstrich, bis sie ihn innen murren hörte: »Eh, was gibt's?« Auf erneuertes Pochen erst fragte er völlig ermuntert: »Wer is denn da?«

»Ich bin's, die Sali.«

»Die Sali, ei, du mein.« Ein Schüttern der Bettstelle, dann ein hastiges Umherfegen, und der Alte, der Beinkleider und Joppe übergetan, erschien unter der sich öffnenden Türe. »Herr du mein Gott! 's wird doch kein Unglück auskommen sein?! Sali, was is's? Was hast denn?«

Das Weib war in lauthalses Schluchzen ausgebrochen.

»Komm hrein, komm hrein!« Er faßte sie an der Hand und zog sie in die Kammer und nötigte sie auf einen Stuhl. »Fein gscheit, Sali, fein gscheit! So verstehn wir sich nit. Nimm dich zsamm. Soll ich was erfahren, mußt auch reden. Nimm dich zsamm. Ich mach derweil Licht.«

Wenige Augenblicke hernach saßen beim Scheine der flackernden Öllampe der alte Mann und das bleiche Weib sich gegenüber. Der Bauer starrte die Klagende mit emporgezogenen Brauen an, sie sprach in abgerissenen Sätzen und mit[222] schüttelnden Gebärden, und sooft sie die Rede unterbrach, mit der Rechten die Schürze aufgreifend und darunter schluchzend, während die Linke über dem Tische zuckte, faßte der Alte mit seinen breiten Tatzen nach dieser kurzfingerigen Hand und drückte und streichelte sie. – –

Es war gegen Morgen, als der alte Sternsteinhofer die Bäuerin nach dem Hause zurückgeleitete. Er blieb unten an der Treppe lauschend stehen, als sie dieselbe hinangestiegen war. Oben rührte und regte sich nichts. Er lugte scharf um sich; auch vom Gesinde ließ sich keines verspüren. Er kehrte nach seinem Ausgeding, kopfnickend und die geballten Fäuste vor sich schüttelnd.


Als nach des nächsten Tages Arbeit Toni wieder seinen gewohnten Weg gegangen war, berief die Bäuerin die alte Kathel zu sich, daß diese ihr beim Ankleiden behilflich wäre, es gelte einen Besuch.

»Je, wo willst denn gar hin?« fragte die Schaffnerin neugierig.

»Nit weit«, antwortete kurz die Bäuerin. »Schau mal, ob der Schwieher schon hat einspannen lassen.«

Die Alte guckte zum Fenster hinaus und erklärte, weder einen Schwieher noch einen Wagen zu sehen, die besten Augen von der Welt würden ihr nicht dazu verholfen haben, es müßte denn der Schupfen, in welchem der Wagen untergebracht war, von Glas gewesen sein, dann hätte sie an dessen Rückwand auch den alten Sternsteinhofer wahrgenommen, der dort lehnte, seine Pfeife schmauchte und die Zwischenbüheler Straße im Auge behielt.

Oben in der Stube saß die Bäuerin in vollem Staat, lange vor der Zelt fertig; sie wollte sich nicht rühren, aber doch spielte sie unablässig das Taschentuch von der einen in die andere Hand, und dann hatten immer die Finger derjenigen, die gerade frei war, an einem Kleiderfältchen, an Krause oder Bändern der Haube zu zupfen oder an dem Scheitel zu glätten.[223]

Über eine geraume Weil kam der alte Sternsteinhofer um die Ecke in den Hof geschritten und betrieb die Instandsetzung des Wägelchens; er schob selbst von rückwärts nach, als dasselbe aus dem Schupfen gerollt wurde, er klopfte dem Braunen auf den Rücken und gab ihm paar gute, aufmunternde Worte, dann ging er hinauf nach der Stube und sagte zur Bäuerin: »Mo, fertig wärn wir, laß uns gehn!« Er leitete sie ein paar Schritte. »Je, du mein, dir zittern ja d' Knie, kaum vermagst dich afn Füßen z' halten. Komm her, wird gscheiter sein. Nimm mich um 'n Hals.« Er hob sie wie ein Kind auf seine Arme und schritt mit ihr grätschbeinig über den Gang, die Stiege hinunter, durch den Flur und hob sie auf den Wagen. Er nahm an ihrer Seite Platz, ergriff den Leitriemen, und sachte und bedächtig setzte sich das Gefährt in Bewegung.

Das Gesinde blieb nur so lange in Ungewißheit, wohin die Fahrt ginge, bis man den Wagen jenseits der Brücke dem unteren Ende des Dorfes zulenken sah, dann galt es für ausgemacht, daß die Bäuerin zum Kleebinder führe, um sich auch mal das Votivbild anzusehen.

Schon von weitem nahm der alte Bauer die Zinshofer wahr, welche mit dem Kinde auf dem Arme die Strecke zwischen der vorletzten und der letzten Hütte, gleich einem Wachposten, auf und nieder schritt. Als die Alte den Wagen herankommen hörte, blieb sie stehen, einen Augenblick lugte sie unter der vorgehaltenen, flachen Hand scharf nach den Herankommenden aus, dann ließ sie das Kind zu Boden gleiten, schob es in das Vorgärtel des Holzschnitzers und lief eilig ihrer Behausung zu.

Der Bauer lächelte hämisch.

Vor dem Häuschen des Herrgottlmachers zog er die Zügel an, noch einen Schritt ließ er das Pferd tun, damit er vom Kutschbocke in die Stube zu blicken vermochte, und als er dort den Mann am Arbeitstische stehen sah, rief er ihn an: »He, Kleebinder, kimm a weng hraus! D' Bäuerin hätt mit dir z' reden. Sie er weiset dir wohl gern selbn d' Ehr, aber sie is so schwach afn Füßen. Sei also so gut.« Damit stieg er[224] ab, warf der jungen Frau das Leitseil zu und ging nach der letzten Hütte; als er dort eintrat, stand inmitten der Stube der junge Bauer, die Hände in den Hosentaschen, und murrte: »No, was soll's?«

»Nix nit«, sagte mit höhnischer Freundlichkeit der Alte. »Gar nix nit, Tonerl. Nur a End machn mer dein unsaubern Gängen. Dein Weib redt just drent mitm Herrgottlmacher.« Ein Griff, schmerzend und unabschüttelbar wie der Druck einer eisernen Klammer, hielt Toni, der aus der Türe stürzen wollte, zurück. »Kein Aufsehn! Aufsehn wolln wir keins dabei. Is ja auch für dich 's gscheiteste, Lump!«

»Welcher Schuft«, knirschte der Vergewaltigte, »hat mich verraten?«

»Nit allmal is einer, was d' Leut vor Unheil warnt, damit's ihnen nit gar übern Kopf wachst, a Schuft! Dösmal aber trifft's zu; du selber hast, mehr als dir und andern lieb, im Schlaf ausgsagt.«

Der junge Bauer sah den alten erschreckt an, dann schlug er ein kurzes, verbittertes Gelächter auf und murmelte: »Wahr is's, ich hätt mich auch solln ein Stubn weiter ziehen.«

Indes war der Kleebinder vor das Haus und an den Wagen getreten.

»Bist du a Mon«, empfing ihn die Bäuerin, »so hüt auch, wie sich ghört, dein Weib. Weißt du, wo die hitzt is?«

Der Holzschnitzer starrte sie an.

Sie neigte sich von ihrem Sitze gegen ihn und begann ihm zuzuflüstern, und je länger sie sprach, je bleicher wurde der Mann, je krampfhafter umschlossen seine Finger den Eisenstab, der am Kutschbocke angebracht war, bis das Weib, immer häufiger vom Schluchzen unterbrochen, nichts mehr zu sagen wußte und, das Gesicht mit dem Tuche verhüllend, zurücksank; da zog der Mann die bebenden Hände von der Stütze, kehrte sich ab und taumelte in das Haus.

Der alte Sternsteinhofer führte den jungen am Arme aus der Zinshoferschen Hütte. »Hitzt komm«, sagte er, und beim Wagen angelangt: »Setz dich ins Grät.«[225]

»Wer is der Herr?« knurrte Toni. »Setz du dich hnein.«

»Ich weiß«, höhnte der Alte, »dir is nit unlieb, mich drein z' sehn, dösmal aber schickt sich's wohl besser für dich da rückwärts.«

Toni erwiderte nichts, er schwang sich hinten auf den Wagen und saß mit herabbaumelnden Beinen, den Rücken dem Vater und dem Weibe zugekehrt, und fort ging es.

Helene war, als der alte Sternsteinhofer der Hütte ihrer Mutter zuschritt, herausgeflüchtet nach ihrem Garten und hatte lauschend in der Laube gestanden, ohne daß sie aus den einzelnen Lauten, die von dem kurzen Wortwechsel herüberdrangen, oder aus den zeitweise vor dem Hause hörbaren Schluchztönen klug zu werden vermochte; die Deutung des Vorganges blieb somit ganz ihrem bösen Gewissen überlassen, und ein solches schließt meist überraschend schnell und richtig. Sie hörte den Wagen fortrasseln; noch blieb sie, wie gebannt, gleich reglos an der nämlichen Stelle, plötzlich machte ein klägliches Kindergeschrei im Hause sie zusammenschrecken, sie huschte nach der Küche und lugte scheu um den Türpfosten in die Stube, da sah sie den kleinen Hans Nepomuk heulend neben dem großen stehen, der wie tot am Boden lag.

Sie stürzte hinzu, hob den Mann auf, brachte ihn zu Bette und begann ihm Stirne und Schläfen mit Essig zu waschen; während sie noch um ihn beschäftigt war, ließen sich leise Tritte und ein ächzendes Atemholen in der Küche vernehmen, nach einer Weile zeigte sich hinter dem Türspalt das verstörte Gesicht der alten Zinshofer. »Jesus, Maria«, stöhnte sie, »was für ein Unglück!«

»Sei still«, flüsterte Helene. »Geh fort, geh in Gottsnam tort! Ich will allein mit ihm sein, wann er wieder zu sich kommt.«

»Dürft nit graten sein.«

Helene zuckte ungeduldig mit dem Fuße, besann sich aber, damit aufzustampfen. »Wann ich dir aber sag, geh«, rief sie weinerlich, »so geh.«[226]

»Ich geh dir schon. Du weißt, bei der Hand bin ich, wenn d' mich brauchst.«

Helene rief nach der Türe: »'s Kind nimm zu dir!« Sie schob den kleinen Muckerl der Alten zu, und als sie an das Bett zurückkehrte, da erwachte der Mann, und als er ihrer ansichtig wurde, da streckte er abwehrend die Arme aus. »Weg, weg«, keuchte er, »weg du von mir.«

Es kostete dem Weibe einige Anstrengung, mit beiden Händen seine sträubende Rechte zu erfassen und festzuhalten. »Muckerl, sei kein Narr, weil andere närrisch tun! Der alte Sternsteinhofer is mir zeither feind, und die Bäuerin eifert wohl und bildt sich, Gott weiß was, ein –«

Der Holzschnitzer kehrte sich der Wand zu.

»Muckerl«, kreischte Helene, »das leid ich nit. Anhörn mußt mich!« Sie rüttelte heftig an seinem Arme. »Schau mich an!«

Da wandte er langsam sein fahles Gesicht nach ihr. Jeder Tropfe Blutes war aus selbem gewichen, durch die Starre und Schlaffheit der Züge erschien es eingesunken, verzerrt, entstellt, nur die Mundwinkel zuckten kaum merklich, aber aus den im feuchten Glanze schimmernden Augen schoß ein stechender, durchdringender Blick: Was gilt noch die Red?

Und in diese Augen starrten nun mit leerem, nichtssagendem Blicke die des Weibes, dem es nur galt, die Lider nicht sinken zu lassen, wenn sie auch in leisem Krampte zuckten, und mit einer Stimme, so seelenlos im Ausdrucke und so rauh im Tone, als löse sich die klebende Zunge vom Gaumen, sagte es: »Weißt, ich war dir treu!«

Schmerz und Zorn, in einer Grimasse, verzogen dem Manne das Gesicht; sein zornmütiges Lächeln nahm sich wie blöde aus, und er lallte, als er sprach: »Wann d' dein Weiberehr auch gwahrt hättst – frag ich nit darnach! Derweis treu is bald eine, auch was kein Herz hat, wie du keins für mich; weiß nit, ob für ein andern! – Gdacht hast, ich würd nimmer lang im Weg sein – wie's der von der Sein denkt! – und daß d' dadrauf wartst, darein liegt d' Untreu, ob du's etwa[227] nit mehr hast erwarten können – das vermag nit ärger weh z' tun – weiß mer mal, daß unter einm Dach 's eigene Weib ein 'n baldigen Tod wünscht!«

Helene brach in Tränen aus.

»Was weinst?« fragte er, sich emporrichtend. »Dazu, denk ich, wär wohl an mir die Reih; aber den Gefallen erweis ich dir nit und die Freud mach ich dir nit!« Er warf sich hinüber, den Kopf in die Pölster vergrabend, und schluchzte auf.

Das junge Weib faßte mit beiden Händen ihn an den Schultern an.

»Rühr mich nit an!« schrie er emporschnellend. »Ausweinen will ich mich! Fort! Hinaus! Schließ die Türen, draußen afm Torstaffel is dein Platz. Hab acht, daß niemand nah kommt und merkt, was da herum und herin vorgeht. Ich will kein Gefrag und kein Gespött.« Er winkte ihr heftig zu gehen.

Sie kehrte sich ab und schritt hinaus, sie schloß die Türen hinter sich und setzte sich auf die Steinstufe vor dem Hause.

Unbeweglich, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf zwischen den Händen, kauerte sie dort. Immer vortretender ward ihr Mund, immer breiter warfen sich ihre Lippen auf, hinter denen ihr das Wasser zusammenfloß.

Pfui! Sie spuckte aus.

Grausliche Narrischkeit! –

Wie übel es bekommt, ein Weib zu sein – und daß sie ein Mann wäre, mochte sie sich auch nimmer wünschen.

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 214-228.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sternsteinhof
Anzengrubers Werke: Teil 13. Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof.
Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon