Sehnsucht

[127] Mich faßte der Sehnsucht Fieber,

Ich hebe mein Haupt vom Pfühl –

Es geht durch die stille Kammer

Der Sommernacht Odem schwül –

Mir ist, als müßtest du kommen,

Du, die mir die Seele genommen

Und die mir das Herz berauscht,

Mich faßte der Sehnsucht Fieber,

Ich hebe mein Haupt vom Pfühl.


Ich starre in's tiefe Dunkel

Mit Augen, gluthentfacht,

Mir ist es, als müßte mir wallen

Deiner Locken braundunkele Nacht

Um meine brennenden Wangen,

Als müßte mich weich umfangen

Dein lilienweißer Arm;

Mich faßte der Sehnsucht Fieber,

Ich starre hinaus in die Nacht.


Ich breite nach Dir die Arme,

Als wollt' ich Dich an mich zieh'n,

Mir ist es, als ob ich müßte

Zu deinen Füßen knie'n,

Als müßtest im Arm du mir liegen,

Und wonnig sich an mich schmiegen

Dein liebes Mädchengesicht.

Mich faßte der Sehnsucht Fieber,

Die Arme breit ich nach dir.


Da plötzlich erbebt meine Seele,

Mein Schrei durchzittert die Luft:

Und Weinende seh' ich wallen,

Und öffnen sich eine Gruft,[128]

Seh senken ich darin nieder ...

Wild press' ich die Stirn auf's Pfühl!

Mich schüttelt der Sehnsucht Fieber

Nach dir, o Todte, nach dir.

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 127-129.
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