Morgengruß

[277] Tief getaucht in Sonnengluthen

Ragt des Berges Haupt empor,

Lichtgewirkte Schleier fluthen,

Niederwallt der Silberflor.


Hoch am Nacken seh' ich schwellen

Süßer Reben Perlenreihn,

Aus den Brüsten seh' ich quellen

Milden, kraftgezeugten Wein.


Bäume schatten früchteprangend,

Vollbelastet deinen Fuß,

Frohen Blickes dich umfangend

Biet' ich dir den Morgengruß.


Sei gegrüßt, vom Morgenstrahle

Glanzumwob'nes Vaterland!

Leuchtest auf mit einem Male,

Seit der Dämm'rung Schatten schwand.


Ha, wie strebt dein Haupt erhoben

Zu des Lichtes Wunderquell'!

Reicher Segen strömt von oben,

Und die Früchte reifen schnell.


Wie der Seele bitt'res Leiden

Deine Herrlichkeit versüßt!

Größ'res ahnend laßt mich scheiden –

Deutschland, Mutter, sei gegrüßt!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 277-278.
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