Nachtgruß

[241] Er.


O deinem Athemzuge

Horche ich feiernd leis',

Er hebet mich im Fluge

Über den Erdenkreis.


Sie.


Dein Athem sanft im Schlafe

Tönt in die Saiten ein,

Du sprichst aus mir im Schlafe

Worte, sie sind nicht mein.

O lieblich waches Schlafen

Einzige einige Ruh'

In der Gedanken Hafen

Singe, ich höre zu.


Er.


Der Alp, der mich gedrücket

Fliehet vor deinem Klang,

Sein Roß mich fern anblicket,

Hörst du den Hufschlag bang;

Du hörst mein Herz nun schlagen,

Bebt nicht die Erd' entzückt,

Sie soll dem Himmel sagen

Wie sie so hoch beglückt.


Sie.


Du hauchest kühles Feuer

Nieder in meine Ruh',

Viel tönt mein Busen freier,

Schlafe und träume du.[242]

Ich schweb' in deinen Träumen

Schon in dem Morgenroth,

Und säus'le in den Bäumen

Mitten im Feuertod.


Er.


Ja wie ein wilder Leue

Nächtlich im Walde brüllt,

Bewachet er die Treue,

Die ihm den Schmerz gestillt:

So ruf' ich an die Erde,

Die mir mein Haus verschlang,

Daß sie am heil'gen Heerde

Uns dann zugleich umfang.


Sie.


Nein stürz' mich in den Becher,

Glühend noch raucht der Berg,

Und trink, du schöner Zecher,

Alles, was ich verberg'.


Er.


Ach all, was birgt dein Auge,

Alles, was birgt dein Herz;

Ich würde Himmel saugen

Mitten im schönsten Schmerz.


Beide.


Nein dieser Stunde Feuer,

Nimmer o nimmer vergeht,

Nein dieser Töne Feier

Nimmer o nimmer verweht.

Wir leben ohn' Besinnen,

Sind wir wohl außer uns?

Die Tropfen Thau schon rinnen,

Auf uns und über uns.[243]

Wir ruhen auf Silbersaiten

Regend die Melodien;

Tanzend die Elfen schreiten

Über's erwachende Grün.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 241-244.
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