Die heiligen Zeichen

[181] Romanze


Wunder! schreit's durch alle Gassen,

Auch die Priester Wunder! schreien:

»Ihr sollt neuen Glauben fassen,

Euch durch diese Zeichen weihen.


Seht die Brust der kranken Nonne

Ist bezeichnet mit dem Kreutze,

Mit des Dornenkranzes Sonne

Glüht die Stirn vom Schmerzensreitze.[181]


Und die heilgen Nägelmahle

Schimmern roth an Händ' und Füßen,

So will Gott im Erdenthale

Lange Leiden ihr versüßen.


Wie der Herr des Walds erst stellet

Zeichen zu den schönsten Eichen,

Eh er sie zur Kirche fället

Die den Himmel soll erreichen;


So ist Gott der Sohn gekommen

Oeffnet mit den heilgen Wunden

Kopf und Herz, die noch beklommen

Von den letzten Erdenstunden.


Seht sie sterben, seht sie scheiden

Sie ist unser, bleibt uns eigen,

Solcher Tod ist zu beneiden

Und sie wird einst für uns zeugen.


Auf dem Altar unsrer Kirche

Wird der Leichnam bald verehret,

Daß sie segnend Wunder wirke

In dem Glauben, den sie lehret.«


Tausend stehen an dem Bette,

Einer ruft: »was soll ich denken,

Gnädger Gott, die Heilge rette

Statt dies Zeichen ihr zu schenken.


Daß sie hier mit ihrer Lehre

Aus dem nahen selgen Anschaun

Unsern irdschen Wahn zerstöre

Und des Herzens Eis mag aufthaun.


Dieses Wunder mich nicht wärmet,

Dieses Zeichen mir nicht strahlet,

Wo ein Volk im Glauben schwärmet

Ist ein Trugbild leicht gemahlet.«[182]


Zornig drohet ihm die Menge,

Doch die Nonne winket Frieden,

Wieder kniet nun das Gedränge,

Ruft nach Segen bey der Müden.


Und mit ihrem letzten Athem

Hebt die Fromme ihre Stimme:

»Segne Gott, der mich berathen,

Der mich führt, wohin ich klimme.


Achtet höher nicht die Zeichen

Als den Geist, der ist das Wesen,

Diese Zeichen müssen weichen

Dem Genesen, dem Verwesen.


In dem ausgezehrten Leibe

Wurden frey der Seele Flügel,

Und im heilgen Zeitvertreibe

Drückte sie mir auf das Siegel.


Wo ich innen Gott gefühlet,

Aeusserlich das Kreutz geschlagen,

Wo die Hände mich gekühlet,

Wenn der Geist zu Gott getragen.


Wo die Händ' im Schlaf gefalten,

Und die Füße sich geschlossen,

Mußte Krankheit mir gestalten,

Was mich innerlich durchflossen.


Kron und Kreutz auf Stirn und Herzen

Sind der Leiden blutge Kunde,

Linderten der Krankheit Schmerzen,

Floß das Blut aus jeder Wunde.


Wenn mein Herz zu Gott beweget

An dem Tag, wo er gelitten,

Floß das Blut, vom Geist erreget,

Wohlseyn lohnte meine Bitten.[183]


Fühlt den Schmerz, den ich gelitten,

Betet stets bey diesen Zeichen,

Und natürlich wird erstritten,

Was dem Wunder wohl mag gleichen.


Eine Wahrheit glaubt den Zeichen,

Daß ich nie vom Herrn gewichen,

Nur der Geist kann ihn erreichen

Nie hat er den Leib bestrichen.


Wenn die Zeichen hier erblassen

Ehret ihn in seinen Worten,

Die er sterbend uns gelassen,

Sie eröffnen Himmelspforten.


Betet nicht zu todten Leichen,

Lebend Wort ist Fleisch geworden,

Wohnet unter uns als Zeichen,

Weihte mich zum keuschen Orden.«


Bey dem Worte sinkt sie nieder,

Und der Eine, der gesprochen,

Ruft: »Ich seh dich Seele wieder,

Wenn die Augen mir gebrochen.


Fromme Lüge nahm mir Glauben

Trieb aus Kirchen mich ins Freye,

Wenn das Blatt fällt reifen Trauben,

Wahrheit führt zurück zum Glauben.


Wahrheit, die dem Volk gebeichtet

Ist der echte Glaubens Zunder,

Wahrheit wärmet und erleuchtet

Nie erlischt ihr ewges Wunder.«


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 23: Gedichte, Teil 2, Tübingen und Berlin 1976, S. 181-184.
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