Ludwig Börne

Aphorismen und Miszellen

1.

Minister fallen wie Butterbrode: gewöhnlich auf die gute Seite.


2.

Eitelkeit ist Ökonomie; man sollte sie nicht tadeln, sie ist eine Tugend. Der Eitle legt täglich einige kleine Befriedigungen seiner Eigenliebe zurück und bringt so endlich einen kleinen Schatz zusammen. Auch hat man unrecht, zu behaupten, daß sich nie wahre Verdienste zur Eitelkeit gesellten; man kann sehr reich sein und geizig zugleich. Von zwei Menschen mit gleich großen Verdiensten, von welchen der eine eitel ist und der andere was man bescheiden nennt, ist im Grunde der eitle bescheidener als der bescheidene. Der letztere weiß, daß er reich ist, und denkt, es könne ihm an Ruhm nicht mangeln, sooft er ihn brauche; der andere ist vorsichtig, traut seinen Verdiensten nicht und spart. Wenn Ruhmbegierde eine Tugend ist, ist es Eitelkeit auch; denn sie ist die Scheidemünze der Ruhmbegierde. Daß wir mit eiteln Menschen ungern umgehen, beweist nichts für ihren Fehler, sondern für unsern. Wir meiden sie aus gleichem Grunde, als wir die Armen meiden; wir fürchten immer, sie möchten etwas von uns verlangen.


3.

Ich las von einem berühmten Philosophen, es sei einer der Hauptgrundsätze seiner Lehre: Alles was ist, ist gut. Ob es wahr ist – nicht der Satz, sondern daß er so aufgestellt worden – weiß ich nicht. Ich kenne die Schriften jenes Philosophen nicht, ich lese nie philosophische Bücher, mein Kopf ist zu schwach, er verträgt sie nicht.[193]

Ein deutsches philosophisches System kommt mir vor wie ein Getreidefeld, zu dem man uns hinführt und uns freundlich einladet, uns satt zu essen. Ganz gewiß ist in der deutschen Philosophie die beste, gesundeste und unentbehrlichste Nahrung des menschlichen Geistes; doch wäre es artiger von unsern Wirten, wenn sie uns gebackenes Brot vorsetzten. Wenn wir vor jeder Mahlzeit erst die Schnitter, die Drescher, die Müller, die Bäcker machen sollten, dann kämen wir gar zu spät an den Tisch. Doch das gehört nicht hierher. Ich hörte ferner erzählen, daß es Staatsmänner gebe, die jenen Philosophen wegen seiner Lehre und diese selbst sehr begünstigten, weil sie glaubten, sie sei für die Regierungen vorteilhaft, indem sie den Regierten Grund und Recht zu klagen nehme, sondern sie vielmehr anweise, mit allem Bestehenden zufrieden zu sein, weil alles was ist, gut ist. Ob es sich mit der philosophischen Praxis jener Staatsmänner, wie mir erzählt worden, wirklich so verhalte, weiß ich nicht. Eines aber weiß ich gewiß: daß, wenn jener Grundsatz wie bezeichnet ausgesprochen, und wenn er wie berichtet angewendet oder zum nötigen Gebrauche zurückgelegt worden – jene Staatsmänner nicht wissen, was sie wollen, da es keine Lehre gibt, die für die Ruhe der Staaten und für die Sicherheit der Regierungen gefährlicher, keine, die revolutionärer wäre, als die Lehre: Alles was ist, ist gut. Man denke sich, jener Philosoph würde Regierungspräsident oder gar Minister; seine Verwaltungsgehörigen hätten Klagen oder glaubten sie zu haben, wären gedrückt oder glaubten sich gedrückt; sie gingen zum Philosophenminister, machten ihm Vorstellungen und bäten um Abhülfe. Dieser, obzwar Minister, würde sich bei der überraschenden Veranlassung ohne seinen Willen erinnern, daß er früher Philosoph gewesen – die Katze läßt das Mausen nicht, auch wenn sie eine schöne Prinzessin geworden – und[194] würde den Abgeordneten der Bürgerschaft sagen: Ihr guten Leute wißt nicht, was ihr sprecht; geht eures Weges, alles was ist, ist gut. ... Schön, Minette, man muß seiner Natur treu bleiben! ... Wenn aber jetzt die Abgewiesenen zu murren anfingen, sich zusammenrotteten, dem Ministerphilosophen die Fenster einschlügen, die Kassen, die Magazine plünderten, raubten, mordeten und andere Verbrechen begingen, die eine Empörung zu begleiten pflegen – was täte dann der Ministerphilosoph? Er würde die Empörer zu besänftigen suchen, ihnen ihre Gesetzwidrigkeit, ihr Verbrechen, die unglücklichen Folgen ihrer Ausschweifungen vorhalten. Wenn diese aber sprächen: Herr Minister, Sie wissen nicht, was Sie reden, gehen Sie Ihres Weges, alles was ist, ist gut; ein Ist ist wie das andere Ist; ist eine Regierung, so ist ein Volk; ist Ordnung, so ist Anarchie; ist Gesetzmäßigkeit, so ist Revolution; ist die Macht, die ist, zu ehren, so ist unsere Macht auch eine, die ist – was würde der Philosoph darauf antworten? ...Der Philosoph gar nichts; aber der Minister ließe die Anführer der Empörung aufhängen und die minder Schuldigen einkerkern; und das ist auch das klügste, was er in einem solchen unphilosophischen Falle tun könnte. Aber, nach Hause gekommen, ließe er sich heimlich von seiner Frau seine alten Kollegienhefte holen, sie abstäuben, und dann – wenn er die Stelle noch finden kann – nähme er eine Schwanfeder und machte durch den Satz: Alles was ist, ist gut einen dicken Strich. Mich dauern nur die armen Gehängten; der Strich, einige Tage früher gezogen, hätte ihnen das Leben erhalten.


4.

Diplomaten sehen mit den Ohren; die Luft ist ihr Element, nicht das Licht. Darum lieben sie Stille und Dunkelheit.[195]


5.

Das Schicksal macht nie einen König matt, ehe es ihm Schach geboten.


6.

Sinnliche Ausschweifung ist viel öfter die Folge als die Ursache einer zerrütteten Gesundheit.


7.

Es gibt Menschen, die geizen mit ihrem Verstande wie andere mit ihrem Gelde.


8.

Es ist schwer zu entscheiden, welches ein verdrießlicheres Geschäft sei: die Lichter putzen oder Weiber durch Gründe belehren. Alle zwei Minuten muß die Arbeit wiederholt werden, und wird man ungeduldig, löscht man das kleine Licht gar aus.


9.

Der Eigensinn einer Frau ist auf eine ganz wunderliche Art befestigt. Der Graben ist hinter dem Walle, und hat man die steilsten Einwendungen erstiegen und glaubt, jetzt wäre alles geschehen, entdeckt man erst, daß das Schwerste noch zu tun sei.


10.

Das größte häusliche Unglück, das einem Manne begegnen kann, ist, wenn seine Frau einmal gegen ihn recht hat, nachdem er es ihr abgestritten. Dieses einzige kleine Recht dient ihr wie ein Fläschchen Rosenöl; damit macht sie zwanzig Jahre alle ihr Geräte und Gerede wohlriechend.


11.

Eine Geliebte ist Milch, eine Braut Butter, eine Frau Käse.[196]


12.

Reichtum macht das Herz schneller hart als kochendes Wasser ein Ei.


13.

Ein konstitutioneller Thron ist ein Armsessel, ein absoluter ein Stuhl ohne Lehne. Fürsten sind ihrer Natur und ihrem hohen Standpunkte nach dem Schwindel unterworfen, und eine Staatsverfassung sorgt nicht weniger für ihre eigene Sicherheit als für die der Regierten. Hätte Napoleon Frankreich die Verfassung bewilligt, die ihm Ludwig XVIII. gab, er wäre, als ihn der Schwindel befiel, nicht vom Throne gefallen, er wäre noch heute Kaiser der Franzosen.


14.

Hätte die Weltgeschichte ein Sachregister, wie sie ein Namenregister hat, könnte man sie besser benutzen.


15.

Die Freiheit kann reden, denn ihr ist das Wort zugleich Waffe und Beute; die Macht aber ist verloren, sobald sie anfängt, sich zu rechtfertigen.[197]


16.

Zu gewissen Handlungen reicht nicht hin, kein Herz, man muß auch keinen Kopf haben. Es ist nicht jeder dumm, der will. Gibt es eine Eigenschaft der menschlichen Natur, die man nicht erwerben kann, die angeboren sein muß: so ist es die Dummheit. Es gibt für jeden Minister nur ein Mittel, sich durch die Gefahren zu schlagen, welchen er begegnet, wenn er den Staat nach den Wünschen der Aristokratie beherrschen will – er darf diese Gefahren nicht sehen. Über enge felsige Wege, an tiefen Abgründen vorüber ohne Schwindel und Sturz zu schreiten, das vermag nur ein Packesel.


17.

Möchten sich die Herrn Minister doch endlich einmal des Diplomatisierens und Intrigierens entwöhnen! Aber der Markt ist ihnen nur ein größeres Antichambre, das Volk nur ein zahlreicherer Hof und die öffentliche Meinung das alte Violin-Solo, nur ohne Sordine gespielt. Sie zischeln hier wie dort, sind schlau jetzt wie damals und schlagen immerfort den herkömmlichen Takt. Sie meinen, wenn sie nur immerfort einheizten, damit könnten sie den Frühling abhalten.


18.

Unter Mäßigung wird verstanden: die einen wollen den Tag, die andern wollen Nacht, der Minister aber will Mondschein, um beide Parteien zu befriedigen. Er betrachtet sich als die Zunge der Waage, die nur so lange aufrecht steht, als gleiches Gewicht in beiden Schalen liegt.


19.

Die öffentliche Meinung ist eine See, und man behandelt sie wie eine Suppe. Verrückte Köche stehen vor ihr – der[198] eine wirft Salz hinein, der andere Zucker; ein dritter kommt mit dem Schaumlöffel, die Blasen abzuheben; ein vierter bläst, daß ihm die Backen schmerzen; ein fünfter will sie aufessen; ein sechster sie dem Haushunde vorsetzen; ein siebenter sie in das Spülfaß schütten. Wahrhaftig, die Kinder auf der Gasse werden euch noch auslachen!


20.

Im alten Frankreich machte der Witz auch Bürgerliche hoffähig und ward dadurch zur Nadel, durch die man den geistigen Faden zog, welcher den dritten Stand mit dem Adel verknüpfte. Auf diese Weise wurde die Revolution herbeigeführt. Die Regierungen unseres Landes können also ruhig bleiben; denn unsere grobe Packnadel zerrisse nur die feingewebte Seele der Weltleute – wir werden uns nie vereinigen und befreunden. Aber welch ein großer Mißverstand ist es, politischen Schriftstellern Grobheiten zu untersagen und Feinheiten zu verstatten! Man sollte gerade das Gegenteil tun.


21.

Feuerbach, in seinem Werke über die Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Rechtspflege, erklärt sich für beide, kann sich aber dennoch nicht enthalten, gegen diejenigen Schriftsteller zu eifern, die derselben Lehre anhängen. Er bezeichnet sie als solche, »die davon gewöhnlich nicht mehr wissen, als daß man den Mund und die Türen dabei aufzumachen habe«. Das ist zwar witzig, aber der Spott scheint gar nicht am gehörigen Orte zu sein. Von jeder Staatseinrichtung, welche das Wohl der Bürger zum Zwecke hat, ist derjenige Teil, der von der Menge begriffen wird, immer der wichtigste. Die echte Regierung hat keine Kunstgeheimnisse. Spitzfindige Gelehrsamkeit mag in der Untersuchung über das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren noch mancherlei Verborgenes aufzudecken[199] finden; Feuerbach mag das französische Verfahren hierbei mit Recht getadelt haben. Aber das Wichtigste bleibt allerdings, daß Mund und Türe dabei geöffnet werde. Feuerbach war empfindlich, weil ihm vorgeworfen worden, daß er seine Meinung, die früher gegen die Öffentlichkeit und Mündlichkeit gerichtet war, umgeändert habe. Aber das hätte ihn von seinen Landsleuten nicht überraschen sollen. Es ist ja auch eine von den unseligen Pedanterien, daß es für eine Unredlichkeit und für eine Schwäche erklärt wird, wenn man seine Meinung ändert. Als wäre der Mensch unfehlbar! Daß er es nicht ist, ist gerade schön; denn einen Wahn verlieren macht weiser, als eine Wahrheit finden.


22.

Aus einer Rede, die der Abgeordnete Girardin in der französischen Kammer gehalten, erfährt man, daß unter der alten königlichen Regierung die Briefe auf der Post eröffnet wurden, daß dieses unter Napoleon auch geschah und daß es jetzt noch immer geschehe. Sooft man mit manchen Staatsmännern von dergleichen Gegenständen spricht, lächeln sie, und das ist auch wirklich das beste, was sie tun können, denn wie ließe sich ein Lächeln widerlegen? Es ist ein Alphabet, worin die Bestandteile aller möglichen Meinungen enthalten sind. Was antworten sie aber darauf, wenn man sie fragt: haben jene Eingriffe in das Eigentum Ludwig XVI. gerettet, haben sie Napoleon vor dem Untergange bewahrt? Wenn man sie fragt: haben tausend abgeschmackte Polizeikünste, deren Anwendung man sich immer noch nicht schämt, haben sie die spanische, die portugiesische und andere Revolutionen, haben sie den Abfall der südamerikanischen Staaten verhindert? – Was werden sie darauf erwidern können? Werdet ihr nie begreifen, daß ihr es nicht mit Personen zu tun habt, sondern daß euch Sachen[200] feindlich gegenüberstehen, und daß eine Sache, wie die Luft, unverwundbar ist? Ihr jubelt, wenn es euch gelang, einen kleinen Raum luftleer zu machen, und ihr vergesset, daß es dann um so gefährlicher ist für euch, weil in luftleeren Räumen fallende Körper um so schneller fallen. Freilich sind solche Reden vergebens, und man wird damit ausgelacht; aber es ist besser, den Atem als den Verstand verlieren.


23.

Herr Wilhelm von Schütz, ein Kampfgenosse des Offenbacher Staatsmannes, hat »Blicke in die amerikanischen Reiche« geworfen. Wenn er nichts deutlich gesehen, so ist das durchaus nicht seine Schuld; denn Amerika ist eine dunkle Unterwelt geworden, seit es unsere superben Tarquinier zur Cloaca maxima gewölbt und es bestimmt haben, den europäischen Unrat abzuführen – die Liberalen nämlich. Auch ist Herr von Schütz so ehrlich, über das, was er dunkel gesehen, dunkel zu berichten. Wir mögen also nicht mit ihm streiten. Auch vermöchten wir es nicht. Denn hoch erhaben über den Wolken des Trugs thront Herr von Schütz in ewiger seliger Ruhe und lächelt des sterblichen Menschengeschlechts. Er redet die Sprache Goethes, der Diplomaten und der olympischen Götter. Läßt er die herrlichen Worte vernehmen: detachiert, Intentionen, supplieren, Independenz, Intervention, Perfektion, Revolten; sagt er, die Freigebung Südamerikas berührend: »kaum ist wegen des Reichtums an verborgenen Rücksichten hierüber ein durchgreifendes Wort zu sagen möglich« – hören und schweigen wir mit heiliger Scheu, so sehr uns auch die Finger jucken, hinabzugreifen, um den Schatz verborgener Rücksichten zu heben. Aber mit Herrn Pfeilschifter, der zu jener Abhandlung einen »Nachtrag« geschrieben, wollen wir ein Wort sprechen. Herr Pfeilschifter ist der Sterblichen[201] einer; er kennt den Haß, den Zorn, die Liebe; er kann grob sein, er fühlt menschlich – mit ihm wollen wir rechten. Er sagt in seinem Nachtrage: »Gegen eine Faktion, welche ihren Sieg nur auf Betrug und Täuschung, den Betrug auf den allgemeinen Mangel an gründlichen Kenntnissen und das Schweigen ihrer Gegner gründet, gibt es keine bessere Taktik, als ihren Lügen die Wahrheit, ihren Deklamationen die Tatsachen, ihren Verkündigungen die Wirkungen ihrer Siege entgegenzusetzen. Aus diesem Grunde haben wir nachstehende Notizen über den Zustand von Neuspanien, wie er durch die revolutionären Unternehmungen geworden ist, zusammengestellt, um zu beweisen, wie nachteilig und verderblich sogar in materieller Rücksicht die Versuche der sogenannten Emanzipation für Südamerika selbst geworden sind.« Und nun stellt Herr Pfeilschifter seine Berechnungen an. Wir wollen dem Manne von gründlichen Kenntnissen an seinem Fazit der ehemaligen Glückseligkeiten und gegenwärtigen Leiden der südamerikanischen Provinzen keinen Deut und kein Seelchen abziehen. Es soll sich alles so verhalten, wie er gesagt; jene Länder sollen durch den Versuch ihrer sogenannten Emanzipation den fünften Teil ihrer Bevölkerung verloren haben, und ihr Handel, Landbau und Gewerbtätigkeit sollen wirklich darüber zu Grunde gegangen sein. Was beweist dieses aber? Wenn die Gegner der Freiheit deren Verteidiger im offenen Kampfe bekriegen oder sie durch höllische Polizeikünste zu Bürgerkriegen betören – wer hat das vergossene Blut, wer die Verwüstungen zu verantworten? Wen hat Herr Pfeilschifter durch seine Gaukelrechnerei zu täuschen den Auftrag erhalten? Das ist das ewige Rätsel. Der Pöbel, der nicht denkt, liest auch nicht, und die, welche lesen, denken und lassen sich durch alte abgeschmackte Lügen nicht irreführen. Herr Pfeilschifter, der ja selbst gesagt, daß wir andern unsern Betrug[202] auf das Schweigen unserer Gegner gründen, wird, uns dieses Fundament zu entziehen, sich ohne Zweifel rütteln und auf die hier gemachte Bemerkung die gebührliche Antwort geben.


24.

In einer Sitzung, welche die Akademie der Wissenschaften in München zur Feier des Geburtstages des Königs hielt, las Professor Oken eine Rede über das Zahlengesetz in den Wirbeln des Menschen vor. Er suchte darin zu zeigen, daß fünf die herrschende Zahl in diesem Teile des menschlichen Leibes sei, und schließt dann mit den Worten: »Diese Gesetzmäßigkeit in unserm Leibe, ja in einem einzigen Systeme desselben, wen sollte sie nicht ergreifen, wen nicht begeistern zur Freude über jene Gesetzmäßigkeit, welche er auch in der Geschichte und im Leben, dem Ebenbilde der Natur und des menschlichen Lebens erkennt! Wen sollte sie nicht hinweisen auf das Land, in welchem Gesetz und Ordnung herrscht, in welchem Anstalten bestehen und werden, durch die es der Wissenschaft möglich wird, diese Gesetze zu erkennen, und der Kunst, diese Harmonie darzustellen: in welchem den Gelehrten und Künstlern Muße gegeben ist, in diesem fruchtbaren Felde zu arbeiten, und Lust, dem zu danken, durch den dieses alles hervorgebracht, erhalten und befördert wird, dem Könige der Gelehrten und Künstler!« So ein deutscher Professor hat den Teufel im Leibe! Er ist zugleich Osteolog und Hofmann, er kann alles! Fünf Knochen zu einem Geburtstage, welch ein Angebinde! In welchen schönen Pentametern wird das Lob des bayerschen Königs besungen! Das bayersche Recht, fest wie eine Wirbelsäule! Was werden mißhandelte und gedrückte Völker sagen, wenn sie erfahren, daß ihr Rücken, weit entfernt, die Bestimmung zu haben, schwere Lasten zu tragen und[203] geprügelt zu werden, vielmehr ihr Recht auf eine freie Verfassung beurkundet? Prinz Michel hat in Wien alles gelernt, aber leider die Osteologie nicht. Er weiß nichts von fünf Wirbeln, er weiß nichts von Konstitutionen. Selbst die Rücken reden von Freiheit, selbst die Wirbel werden revolutionär! Man muß die aufrührerischen Wirbel mit ihrem ganzen Anhange von verschworenen Gliedern einsperren. Geschwind die Anatomie zensiert, wenigstens auf fünf Jahre, mit Vorbehalt weiterer Verlängerung! Geschwind aus fünf drei gemacht, wie Villele. Geschwind die Zahl fünf ganz ausgestrichen aus der Reihe der Zahlen!


25.

Es hüte sich der junge Dichter, an seinen Werken jene steinerne Ruhe herauszuarbeiten, von welcher Goethe so verlockende Beispiele gab. Bei den Alten warf die Anbetung den warmen Pupurmantel um die kalten, nackten Marmorgötter. Aber wir mit unsern Winterherzen lassen nackt, was wir nackt gefunden. Ruhe, Friede und Klarheit muß im schöpferischen Geiste wohnen; dann wird sie den Schöpfungen nicht ermangeln. Die Ruhe der Gleichgültigkeit schafft nur Werke, die gleichgültig lassen. Shakespeare und Calderon wurzelten tief, der in der Natur, der im Glauben, und weil sie so fest gestanden, gaben sie ihre Zweige dem Sturme, ihre Blätter kosenden Lüftchen hin und zittern nicht vor der rohen Gewalt des Windes und fürchteten nicht, nahende Vertraulichkeit möchte der Ehrfurcht schaden. Der Bewegungslose wird nie bewogen, und nur der bewegte Dichter kann dem bewegten Herzen Ruhe geben.


26.

Mit Cicero begann jene bis auf unsere Tage herabgehende Zeit, wo sich das Licht von der Wärme, die Einsicht[204] von der Kraft, das Wollen von dem Können, der Geist vom Charakter trennte. Er führt die Reihe jener großen Männer an, die, weil sie nur den einen oder nur den andern besaßen, entweder ohnmächtig das Gute wollten oder einsichtslos die Kraft zum Bösen hatten und übten. Cicero – ein gelehrter, geistreicher Staatsmann, wenn er sprach oder schrieb – war unwissend und verblendet, wenn er handeln sollte. Er hatte den Mut des Geistes, aber nicht den Mut des Charakters, und er verstand nicht, daß zur Heilung einer schlechten Zeit, wo sie je möglich ist, man zu guten Zwecken sich schlechter Mittel bedienen müsse. Octavius war der Mann seiner Zeit. Unter ihm begann das moderne Regieren, begann die Polizeispitzbüberei, der Ministerialismus. Er zuerst übte die Kunst, die Freiheit des Volkes, statt, wie es früher wohl geschah, zu morden, zu rauben oder zu stehlen, zu übervorteilen und durch jüdische Schlauheit sich anzueignen. Als Octavius, lange nach dem Tode Ciceros, einst einen seiner Neffen besuchte, traf er ihn in einem Buche Ciceros lesend, das er beim Eintreten des Cäsars schnell zu verbergen suchte. Augustus merkte es, nahm das Buch, las einen großen Teil im Stehen und sagte zu seinem Neffen, indem er es zurückgab: »Das war ein gelehrter Mann, mein Sohn, ein gelehrter Mann und der sein Vaterland sehr liebte.« Das ist ganz der stolz-gutmütige Ton eines modernen Staatsmannes, der einem unbeholfenen Gelehrten, der ihm nicht schaden kann, nach seiner Art Gerechtigkeit widerfahren läßt.


27.

Im Kampfe zwischen Adel und Bürgerschaft hat der Adel, er mag angreifen oder sich verteidigen, den Vorteil, daß er von der Höhe herab gegen einen Feind streitet, der in der Ebene steht.[205]


28.

Was die Besten und nur die Besten unter den Zeitgenossen wünschen, das geschieht zwar auch, aber spät; denn da die Besten ihrer Zeit vorauseilen, so werden ihre Wünsche und Bedürfnisse erst die der Nachwelt. Doch was die Menge wünscht, das geschieht bald.


29.

Die Vorsehung ist auch weltklug und heult mit den Wölfen wie der schlaueste Mensch. Sobald aber ihr Wille reif geworden, wirft sie die Maske ab.


30.

Manche Menschen haben bloß männliche, andere bloß weibliche Gedanken. Daher gibt es so viele Köpfe, die unfähig sind, Ideen hervorzubringen, weil man die Gedanken beider Geschlechter vereint besitzen muß, wenn eine idealische Geburt zustande kommen soll.


31.

Die deutschen Blätter, die politischen sowohl als die nichtpolitischen, sind, wenige ausgenommen, ganz unbeschreiblich abgeschmackt. Die Armut hat doch sonst etwas Romantisches, die Bettelei hat etwas Rührendes; aber die deutschen Blätter haben von der Armut nur das Widrige und von der Bettelei nur das Unausstehliche. Alle Zeitungen sind alle Tage und allerorten mit Berichten[206] über Schauspieler und Sänger angefüllt, und die Ausländer, die unsere Blätter lesen, müssen denken, daß dreißig Millionen ehrwürdige Germanen nichts täten als spielen und singen und für nichts Sinn hätten als für Spiel und Gesang. Mag immerhin jedes Blatt das Schauspiel und die Oper seines Orts besprechen; geschieht es nur mit Kenntnis und Feinheit, hat das auch sein Gutes und Ergötzliches. Aber was kann einem Dresdener daran gelegen sein, wie Herr der in München den Franz gespielt, wie Frau die in Wien die Agathe gesungen? Was nützt es dem Frankfurter, am 4. Oktober zu erfahren, daß am 29. September Demoiselle Sontag in Berlin die Donna Anna singen werde? Kann er die fünf Tage, die beide Zeiten trennen, zurückleben, ungerechnet die drei, die er zu einer Reise nach Berlin brauchte, um der Vorstellung des Don Juan beizuwohnen? O! es ist eine Schmach! Man glaubt sich in die Zeiten des römischen Kaiserreichs zurückversetzt, wo entartete Fürsten und entartete Völker, vom Schlamme der Lüste über und über bedeckt, mit heißdurstigen Blicken einem Wagenführer in der Rennbahn nachsahen und überhörten, daß die Barbaren schon die Tore stürmten!


32.

Ehe eine Zeit aufbricht und weiterzieht, schickt sie immer fähige und vertraute Menschen voraus, ihr das neue Lager abzustechen. Ließe man diese Boten ihren Weg gehen, folgte man ihnen und beobachtete sie, erführe man bald, wo die Zeit hinaus will. Aber das tut man nicht. Man nennt jene Vorläufer Unruhestifter, Verführer, Schwärmer und hält sie mit Gewalt zurück. Aber die Zeit rückt doch weiter mit ihrem ganzen Trosse, und weil sie nichts bestellt und angeordnet findet, wohnt sie sich ein, wo es ihr beliebt, und nimmt und zerstört mehr, als sie gebraucht und verlangt.[207]


33.

Daß die Diplomatik sich verrechnet, ist etwas sehr Gewöhnliches, auch etwas sehr Natürliches; man verlernt leicht das Rechnen, wenn die Folgen der Rechnungsfehler auf andere fallen. Daß aber auch jene sich verrechnen, die, entfernt vom Gedränge der Taten, ungestört in ihrem einsamen Zimmer nachdenken können und Zeit genug haben, hundert Male die Probe zu machen – darüber muß man erstaunen. Wenn die deutschen wissenschaftlichen Männer den Verstand auch noch verlieren, was bleibt ihnen übrig? Tatkraft, Reichtum, Macht und Ansehen haben sie nie gehabt.


34.

Die deutsche Geschichte gleicht einem ungebundenen Buche; so beschwerlich und verdrießlich ist sie zu lesen. Man muß oft die Bogen umwenden, verliert den Zusammenhang darüber, und Titel und Register liegen nicht selten in der Mitte versteckt.


35.

Im Weinmonat 1828 enthielt der Hesperus einen Aufsatz: »Das Wichtigste der Resultate und Verhandlungen des großherzoglich hessischen Landtages von 1826 bis 1827.« Also ein Jahr, anderthalb Jahre nachher. Ein wenig spät, ein wenig spät – schadet aber nichts. In Deutschland kömmt nichts zu spät; die deutsche Zeit, ungleich den Postwagen, wartet auf jeden Passagier. Der Aufsatz erscheint in den acht Blättern des Hesperus, die vor mir liegen, nur als Fortsetzung und hat weder Anfang noch Ende. Ein wenig lang, ein wenig lang – schadet aber auch nichts. In Deutschland ist nichts zu lang; je länger, je lieber. Die Einsender langer Abhandlungen kommen unter die Mitarbeiter von der Garde, ihre Artikel bilden die Gardeliteratur der Zeitschriften, und sie[208] erhalten größern Lohn. Aber etwas anders schadet, und davon will ich sprechen. Der Titel des Aufsatzes ist nicht zweckmäßig gewählt. Ein eleganter Leser weist die schönste Abhandlung zurück, die sich ihm unter einem so übellautenden Namen meldet. Man muß ihn täuschen, man muß ihn locken. Wer das Wichtigste, also den Geist einer deutschen Ständeversammlung mitteilt, der ist ein Destillateur, er macht Branntwein; er sollte also seinen Berichten einen wohlschmeckenden Liqueurnamen geben. Der Darmstädter Destillateur im Hesperus hätte seinen Aufsatz nennen sollen: Extrait d'Ennui, doppelte Langeweile, Darmstädter Wasser, Eau de Hesse, double patience, Esprit de Mirabeau; oder mit sonst einem Namen, der die Zungennerven reizt.

In diesem Landtagsberichte ist unter andern von der Wohnungssteuer die Rede, und bei dieser Gelegenheit lesen wir folgendes: »Sei nun z.B. das reine Einkommen des X aus seinem Grundvermögen = A, und verdanke er seiner sogenannten rein persönlichen Tätigkeit ein weiteres Einkommen = a; sei ferner der rein persönliche Erwerb des Y – der kein Grundvermögen besitzet und kein steuerbares Gewerbe treibt – = 2 a, und werde angenommen, daß überhaupt 1/b des Gesamteinkommens auf die Wohnung verwendet werde: so verwendet X: (A+a)/b und Y: 2a/b. Nehme nun endlich der Staat 1/c des Aufwandes für die Wohnung als Steuer in Anspruch, so muß X bezahlen: (A+a)/bc, und Y: 2a/bc. X versteuert also hier das reine Einkommen aus seinem Grundvermögen noch einmal, und kein Mensch wird behaupten können, daß sich der rein persönliche Erwerb beider, oder a: 2a, wie ihre Wohnungssteuer oder wie: (A+a)/bc:2a/bc verhalten müsse.« – – Mein lieber Herr, ich glaube, Sie wollen uns zum besten haben. Spricht man so[209] mit den Lesern des Hesperus? Ist das die Art, politische Aufklärung in Deutschland zu verbreiten? Ist das die Art, die Odenwälder Bürger und Bauern mit den Angelegenheiten ihres Landes bekannt zu machen? Kann man denn ohne X und Y, plus und minus, dieses alles nicht eben so deutlich machen? Wie viele unter den Schoppengästen, die sich jeden Abend bei Herrn Wiener, in der Post und in der Traube in Darmstadt versammeln, gibt es denn, die das verstehen? Wie viele im deutschen Volke überhaupt? Ich habe den Versuch gemacht. Norddeutschland ist bekanntlich viel gebildeter als Süddeutschland, und Hannover besitzt ohne Widerspruch die größte politische Aufklärung unter allen deutschen Staaten. Nun, ich, der ich gegenwärtig in Hannover sitze und schreibe, habe vier Kopisten abwechselnd zu meinem Gebrauche. Es sind die gebildetsten Kopisten, die mir je vorgekommen sind, wie es auch nicht anders sein kann; denn der eine ist im Kriegsministerium angestellt, der zweite in der Ständeversammlung (die man hier Landschreiberei nennt), der dritte bei einem Justizrate und der vierte in einer Torstube. Es ist wahr, sie haben beim Abschreiben ihre Eigenheiten. Sie schreiben gewöhniglich statt gewöhnlich; setzen den Punkt nicht über das i, sondern fünf bis acht Buchstaben weiter rechts; geben jeder Königin ein doppeltes n; haben einen unbesiegbaren Eigensinn, y für i zu setzen, c für z und ck statt k. Übrigens aber sind sie musterhaft und so genau und treu, daß sie aus jedem Dintenkleckse, der sich im Manuskripte befindet, einen Gedankenstrich machen, wodurch mancher meiner Sätze ein tiefsinniges Ansehen bekam, das er ursprünglich gar nicht hatte. Diesen vier Kopisten gab ich, einem nach dem andern, gegenwärtigen algebraischen Artikel zum Abschreiben; aber keiner konnte damit fertig werden, keiner schrieb ihn so, daß er in der Druckerei verständlich gewesen wäre, und ich war darum genötigt,[210] ihn selbst zu kopieren. Wenn nun sogar vier hannövrische Kopisten keine Algebra verstehen, was läßt sich erst von süddeutschen Bürgern erwarten? Sprechen und schreiben denn die Franzosen in ihren Kammersitzungen, wenn vom Finanzwesen die Rede ist, auf solche algebraische Weise? Warum gehen wir bei ihnen nicht in die Schule, um reden und schreiben zu lernen? Wozu denn hielten wir zum zweiten Male Paris besetzt?


Es flog ein Gänschen über den Rhein,

Und kam als Gans wieder heim.


36.

Der Hofnarr des Kaisers Claudius sagte: man könne die Namen aller guten Fürsten auf einen einzigen Ring schreiben. Der lateinische Geschichtschreiber, der dieses erzählt, spricht dann weiter: »Fragst du, woher solche böse Fürsten kommen, so antworte ich, mein Bester, daß zuvörderst die Ungebundenheit, dann der Überfluß, außerdem ruchlose Minister, verabscheuungswürdige Gesellschafter, habsüchtige Verschnittene, dumme und nichtswürdige Höflinge und, was nicht zu leugnen ist, die völlige Unwissenheit in den Staatsgeschäften die Ursachen davon sind. Der Kaiser Diocletian, da er bereits in den Privatstand zurückgetreten war, sagte, wie mir mein Vater erzählt hat: es sei nichts schwerer, als löblich zu regieren. Vier oder fünf Personen vereinigen sich, machen einen Plan, den Regenten zu betrügen, und schreiben ihm sein Verhalten vor. Der in seinem Palaste verschlossene Kaiser ist von der Wahrheit nicht unterrichtet, erfährt nichts weiter, als was ihm diese Leute vorreden, besetzt alle Stellen mit Personen, die man entfernen sollte, und entfernt diejenigen, die man hätte beibehalten sollen. Kurz, der beste, vorsichtigste und vortrefflichste Regent wird, wie Diocletian sagt, verraten und verkauft.«[211]


37.

Es ist so etwas Kleines, groß zu sein in unsern Tagen, daß man daran erkennt, wie es mehr der Kampf als die Beute ist, woran sich der Ehrgeiz entzündet. Der Ruhm liegt auf allen Wegen, und keiner der Berechtigten greift darnach.


38.

Vor der Revolution war es am französischen Hofe Sitte, daß gemeinschaftlich mit den königlichen Prinzen ein bürgerliches Kind erzogen wurde, das, so oft der junge Prinz sich verging, statt seiner gezüchtigt wurde. Eine ähnliche bürgerliche Bestimmung hat das deutsche Volk. Wenn die Franzosen, wenn die Spanier und Portugiesen, wenn die Neapolitaner und Piemonteser, wenn die Russen sich unartig betragen, bekommen die armen deutschen Kinder Ohrfeigen. Es ist gar zu betrübt; wir müssen machen, daß wir groß werden.


39.

Ein redlicher Mann will zwar nur recht behalten, wenn er recht hat; doch das Rechthaben soll er mit seinem Gewissen und vor Gott ausmachen, aber mit Menschen soll er um das Rechtbehalten streiten. Diejenigen plebejischen Sachwalter erscheinen mir daher sehr abgeschmackt, die, statt von der Macht, von dem Rechte ihrer Klienten sprechen.


40.

Die Staatsbaumeister glauben, um dem Rauchen ein Ende zu machen, brauche man bloß die Schornsteine zu vermauern. Sie tun es, treiben den Rauch zurück, vermehren ihn, werden ärgerlich darüber und ahnen gar nicht, daß ihre Unwissenheit das Übel vergrößert.[212]


41.

Herr von Hornthal hat in der bayerischen Kammer der Abgeordneten den Antrag gemacht, daß man die bestehenden strengen Verordnungen über die pflichtmäßige Verschwiegenheit der Beamten, als unvereinbar mit einer konstitutionellen Regierung, aufheben oder lindern möchte. Das ist ein Wort zu seiner Zeit, aber freilich nur ein Wort, und zu einer langen Rede wäre Stoff genug vorhanden. Wenn irgend eine Regierung geheimnisvoll verfährt, so ist dies das Traurigste nicht – das Traurigste wäre, wenn sie das Bedürfnis fühlte, so zu verfahren. Wenn bestehende und bekannte Gesetze in gegebenen Fällen nach voraus bestimmten Regeln angewendet werden, wozu täte dann Verschwiegenheit der Beamten not? Sollte man nicht vielmehr jede Gelegenheit benutzen, den Bürgern, die sich selten auf den theoretischen Wert der Gesetze verstehen, bei deren Ausübung zu zeigen, wie nützlich sie sind? Wozu jener Hokuspokus und aller sonstiger Schnickschnack, dem man in dem Treiben der Beamten so oft begegnet? Ernst soll der Gesetzgeber, streng der Richter, aber der Verwaltungsbeamte kann nicht heiter, nicht freundlich, nicht zutraulich, nicht offen genug sein. Man muß denjenigen Teil der Regierung, der heilkünstlerisch verfährt und die Schärfe des wundärztlichen Messers wie die Bitterkeit der Arzneien nicht erlassen kann, von demjenigen unterscheiden, der die Lebensordnung der Bürger regelt und sich nur der Hausmittel bedient. Aber in einer deutschen Amtsstube riecht alles nach der Apotheke. Tritt man hinein, so geschieht von zweien Dingen eins. Entweder man ist unerfahren, und dann fühlt man sich das Herz wie zugeschnürt über diese ängstliche Stille, diese Grämlichkeit der Beamten und ihr geisterartig hohles und gefühlloses Reden. Oder man kennt die Welt, und dann lächelt man nur allzu viel, weil man nur allzu gut[213] weiß, daß diese finstern Götter so unerbittlich nicht sind. In dem einen Falle geht die Liebe, in dem andern die Achtung verloren.


42.

Man sollte denken, wer sich vor keiner Kanonenkugel fürchtet, fürchtet nichts auf der Welt; aber man gewahrt das Gegenteil. Vielen Menschen, vornehmen wie geringen, ist ein solcher Aberglauben anerzogen, daß sie zittern vor dem Rauschen eines Blattes, ob sie zwar mit freudigem Mute in die Schlacht gehen. In der politischen Welt hat diese Schwäche üble Folgen. Nicht an tapfern Feldherren fehlt es manchen Fürsten, aber an diplomatischen Helden, die – nicht zittern vor dem Rauschen eines Blattes.


43.

Es wird keineswegs behauptet, daß in Staaten mit repräsentativen Verfassungen ein ewiger Frühling herrsche. Aber sie haben den Vorzug, daß jedes Jahr der Schnee in ihnen schmilzt, während er sich in unbeschränkten Monarchien zu Gletschern und Lawinen anhäuft, die das unten wohnende Volk immer bedrohen, oft zermalmen.


44.

Leidenschaften der Regierungen zeugen von Schwäche, Leidenschaften des Volkes aber zeugen von Stärke.


45.

In der guten alten Zeit, da das ganze große Frankreich nur die Schleppe von Versailles war und bei der Toilette einer Buhlerin erst über die neue Form der Hauben, dann über das Schicksal von fünfundzwanzig Millionen Menschen entschieden wurde, erhielt der General von R. aus den Händen der Frau von Pompadour den Plan zum[214] bevorstehenden Feldzuge, der auf einer Landkarte mit Schönpflästerchen und Schminke bezeichnet war. Die gute alte Zeit!


46.

Regierungen sind Segel, das Volk ist Wind, der Staat ist Schiff, die Zeit ist See.


47.

Denkt euch: ein Arzt untersagte seinem Kranken jede anhaltende Bewegung; sie könnte ihm tödlich werden, erklärte er. Der Kranke wäre unfolgsam und ginge eine Meile weit. Was würdet ihr von jenem Arzte sagen, der, um den Fehler wieder gutzumachen, den Kranken seinen gegangenen Weg wieder zurücklegen ließe? Jetzt denkt euch: ein Volk sei krank, man verbiete ihm die Bewegung; aber es hat sich doch bewegt. Wenn nun, um den Schaden zu verbessern, die Staatsärzte dasselbe zu dem Punkte, von dem es ausgegangen, wieder zurückführten, was würdet ihr davon denken? ... Ist Bewegung schädlich, so ist es jede, sie richte sich vorwärts oder rückwärts, und es bleibt nichts übrig, als das Volk an dem Orte, wo man es eingeholt, ins Bett zu legen und die Krise abzuwarten.


48.

Die Macht, als sie selbst noch hausmütterlich, die Zeit aber wohlfeil war, lebte von den Zinsen ihres Vermögens und war glänzend genug. Jetzt aber, weil alle Bedürfnisse der Menschheit so kostspielig geworden, hat die Macht ihr Vermögen auf Leibrenten gestellt. Daher scheint es, als hätten ihre Mittel sich vermehrt. Das die erste Hälfte des Geheimnisses! Die andere Hälfte ist: früher wurde durch Hebel regiert, jetzt geschieht es durch Menschenkraft, und so weiter. Der Leser wird gebeten, den Spuren dieses Gedankens nachzugehen.[215]


49.

Was den Übergang der alten Zeit in die neue so blutig macht, ist die Enge des Weges, der von jener zu dieser führt. Zwischen Vergangenheit und Zukunft fließt ein breiter Strom, die Gegenwart ist die Brücke darüber. Die Angreifenden und die, welche sich verteidigen, die Vordringenden und die Fliehenden, treiben, drängen und hindern sich darauf. Tausend Schlachtopfer fallen fruchtlos, ohne den Sieg zu beschleunigen noch die Niederlage zu verzögern. Aber der Mensch muß auch gerecht gegen sich selbst sein, das ist nicht seine Schuld, das Schicksal hat es zu verantworten.


50.

Ein Schüler der Diplomatik hat bekanntlich drei Dinge zu lernen: erstens französisch sprechen, zweitens nichts sprechen und drittens die Unwahrheit sprechen. Diesen Künsten verdanken Monarchien ihre Haltung von außen. Man muß daher erstaunen, daß die hohe Pforte stets in gutem Vernehmen mit sämtlichen Mächten geblieben ist, ob sie zwar von jenen Künsten nichts versteht. Die türkischen Minister reden arabisch, lügen nie und sagen alles, was sie denken. Es ist so wenig Zartheit in ihrem Benehmen, daß man glauben sollte, sie wohnten tausend Meilen von Pera entfernt. Als einst ein europäischer Gesandter dem Großvezier bekannt machte, daß sein Fürst über einen andern einen entscheidenden Sieg erfochten hätte, antwortete dieser: »Was liegt daran, ob der Hund das Schwein oder das Schwein den Hund frißt, wenn nur die Angelegenheiten meines Herrn gut stehen.« Quelle horreur!


51.

Jede Gegenwart ist eine Noterbin der Vergangenheit. Sie kann die Erbschaft weder ausschlagen noch sub beneficio[216] inventarii antreten; sie muß sie, und zwar ganz, übernehmen, mit ihren Schulden und mit ihrer Schuld.


52.

Es wäre nichts leichter, als die alte Zeit wieder herzustellen, man brauchte nur die öffentliche Meinung zu unterdrücken – und Kindern sagt man: Schwalben wären leicht gefangen, man brauche ihnen nur Salz auf den Schwanz zu streuen.


53.

Wer glaubt, er könne die öffentliche Meinung benützen, ohne ihr wieder zu nützen, der betrügt nicht, der wird betrogen. Diese Wirtin läßt den reichen und lustigen Studenten auf Borg zehren und fortzechen – am Ende kommt die Rechnung.


54.

Die Geheimnisse der Politik und die Brabanter Spitzen werden unter der Erde geklöppelt; denn die freie Luft zerrisse das überfeine Gespinst. Und das Erzeugnis so vieler Tage, so vieler Hände, so vielen Geldes? – Ein Schleier. Und der Gebrauch? – Die Schönheit verliert, was die Häßlichkeit gewinnt. Und der Nutzen? – Ein Windstoß hebt den Schleier auf, und eine einzige Minute zerstört die Täuschung einer langen Woche. Und die Lehre? – Verwebt euren Flachs zu Leinwand für das Volk; die hält Wind und Wetter aus und kleidet den Bürger wie den König.


55.

Die Mauern Jerichos sind freilich von den Trompeten der Juden eingestürzt; aber es geschehen in unsern Tagen keine Wunder mehr, und ein vernünftiger Mensch sollte sich schämen zu glauben, das Geschrei der Zeitungen könne das gelobte Land der Freiheit eröffnen.[217]


56.

Welche Staatsverfassung ist die beste? »Diejenige, die am besten verwaltet wird.« Diese Antwort hat die Schlauheit erfunden, um über die Nutznießung der Freiheit deren Besitz und über deren zeitigen Besitz das ewige Recht daran vergessen zu machen. Man könnte ebenso gut, nämlich ebenso falsch, auf die Frage: Welches Geschöpf ist das vollkommenste in der Reihe der lebendigen Wesen? erwidern: das gesündeste – woraus folgen würde, daß ein gesunder Pudel höher stände als ein kranker Mensch. Dieses ist aber in dem Grade unwahr, daß sogar ein kranker Weise mehr als ein gesunder Narr ist; denn der Weise kann gesund, der Narr kann aber nie weise werden.


57.

Als Karl XII. in Bender war, legte ihm sein Günstling und Schatzmeister Gruithusen eine Rechnung von 50 000 Rthlr. vor, die in zwei Linien und folgenden Worten abgefaßt war, « 10 000 Rthlr. auf Befehl Sr. Majestät den Schweden und Janitscharen gegeben, und den Rest von mir durchgebracht«. Das ist aufrichtig, sagte der König, und so liebe ich, daß mir meine Freunde ihre Rechnungen ablegen ... Unsere heutigen Finanzminister, die ihre erschreckliche Not haben, bis sie das Budget durch die Kammern bringen, werden diese Anekdote nicht ohne Seufzen lesen können, und ohne mit nassen Augen auszurufen: ach, die schöne alte Zeit!


58.

Aufmerksamen Lesern der französischen politischen Blätter wird es nicht entgangen sein, daß die Aristokraten, sowohl auf der Rednerbühne als in ihren schriftstellerischen Mitteilungen, immer nur von Freiheiten sprechen, und nie das Wort Freiheit gebrauchen. Hier ist mehr weniger. Der Unterschied zwischen Freiheit und[218] Freiheiten ist so groß als zwischen Gott und Göttern. Wie die wahre kirchliche Religion besteht in der Erkennung eines einigen Gottes, so besteht die wahre politische Religion in der Erkennung einer einigen Freiheit. Ein Volk kann Freiheit haben ohne Freiheiten und Freiheiten ohne Freiheit. Das französische Volk ist in dem erstern Falle, es besitzt rechtlich den Boden, aus welchem die Freiheiten entsprießen – die Charte; aber es genießt deren Früchte nicht, wenn sie ihm durch Exzeptionsgesetze und andere Staatsstreiche entzogen werden. Beispiele von Freiheiten ohne Freiheit finden sich in solchen europäischen Ländern, die autokratisch regiert werden und keine Verfassung haben. Wenn zu wählen ist, ist Freiheit ohne Freiheiten besser als umgekehrt. Im Besitze des Bodens ist es leichter, sich gegen den Raub der Früchte zu verteidigen, als bei der Nutznießung der Früchte den Boden wieder zu erobern. Die Aristokraten möchten durch Bewilligung von Freiheiten das französische Volk einschläfern, und es würde ihnen auch gelingen, wenn nur ihr Opium auf fünfzig Jahre ausreichte. Es wäre hier dasselbe Verhältnis wie mit Staatsgläubigern, die, solange ihnen die Zinsen richtig ausbezahlt werden, nicht an ihr Recht auf das Kapital denken. Auf der andern Seite suchen die liberalen Redner und Schriftsteller das Wort Legitimität zu umgehen, und gebrauchen dafür Legalität. Auch zwischen diesen beiden Worten ist der Unterschied sehr groß. Legitimität bezeichnet die Herrschermacht, welche über die Gesetze erhaben ist, Legalität das Herrscherrecht, welches den Gesetzen unterliegt.


59.

Bei jeder Ministerialherrschaft (in der Kanzleisprache absolute Monarchie genannt) ist es Grundsatz und muß es Grundsatz sein, die Mißbräuche der Verwaltungsbeamten[219] mit weniger Strenge zu untersuchen und zu bestrafen. Eine Regierung solcher Art steht dem Volke stets kriegerisch gegenüber, und wie ein General im Feldlager den Ausschweifungen der Soldaten, wenn sie nicht den Dienst betreffen, nachsieht, um ihnen Liebe für ihr Handwerk einzuflößen, so finden die Beamten aus gleichem Grunde Gelindigkeit für ihr Vergehen. Nur die Insubordination der Beamten wird bestraft. Man nehme jeden beliebigen Staat, wo keine Volksrepräsentation stattfindet, und gehe einen Zeitraum durch, solange als man will, und dann berechne man, wie viele Staatsdiener wegen Mißbrauch der Gewalt bestraft worden sind, und ob sie nicht immer, wenn sie ja Absetzung oder eine Strafe betroffen, sich diese wegen Subordinationsvergehen zugezogen hatten.


60.

Lange Zeit haben sie sich für mächtige Zauberer gehalten, die Wind und Wetter machen können nach Belieben. Nun, da das finstere Ungewitter heraufgestiegen wider ihren Willen, haben sie zwar ihre Freudigkeit, aber nicht ihre Zuversicht verloren. Sie nehmen sich vor, den Sturm eine Rossinische Arie singen, die Blitze symmetrisch als chinesische Feuerwerke leuchten und den Donner im Takte rollen zu lassen. Auch der verschlagenste Dieb kann aus seiner Verborgenheit gezogen werden, er halte sich versteckt in dichten Wäldern, in unterirdischen Höhlen oder in dem finstern Winkel eines Hauses. Aber den Hochmut aus dem Schlupfwinkel eines menschlichen Herzens zu vertreiben, dazu ist selbst die himmlische Polizei nicht schlau genug.


61.

Die Menschen würden nach jeder neuen Erfahrung, die ihnen die Geschichte darbietet, weiser werden, wenn sie[220] sie unentgeltlich benutzen könnten. Weil sie aber dafür zahlen müssen, benutzen sie sie nicht; denn das Schicksal warnt wie die Buchhändler: »Beschmutzte und aufgeschnittene Exemplare werden nicht zurückgenommen.«


62.

Wenn, wie es in Deutschland oft geschieht, Gesetze in der Sprache von Befehlen abgefaßt werden, gewöhnt man die Bürger daran, Gesetze als bloße Befehle anzusehen, denen man folgt, nicht weil man sie ehrt, sondern weil man sie fürchtet.


63.

Nie wurde die Wissenschaft in Deutschland von den Großen so sehr verehrt, als jetzt. Ich rede ernst, wenn ich das sage; aber es ist ein Jammer mit den Deutschen, daß sie, weil keinen Spaß auch keinen Ernst verstehen. Es war eine Zeit, da hätte man jeden, selbst eines Majestätsverbrechens überwiesenen akademischen Lehrer (solange nur kriminalistische Förmlichkeiten nicht hinderten) ruhig fortlehren lassen bis zur Stunde der Hinrichtung. So sehr war das Leben getrennt von der Wissenschaft, daß man die öffentliche Rede auch eines Verbrechers nicht fürchtete. Fällt aber jetzt nur der leiseste Verdacht auf die polizeigemäße Denkungsart eines Professors, so werden gleich seine Vorlesungen eingestellt. Ist das nicht Ehrfurcht vor der Wissenschaft? Das ist Furcht vielleicht, aber sie führt zur Ehrfurcht. Die bessern unter den Großen liebten vormals die Wissenschaft, aber sie liebten sie, wie man ein Spiel, ein Kind, ein Mädchen liebt, sie achteten sie nicht. Jetzt ist es besser. Man soll zittern vor ihr; denn der Geist sei König der Welt und das Recht sein Schwert.[221]


64.

Konstitutionen, wenn sie dauerhaft sein sollen, müssen fresko gemalt werden. Andere sagen das Gegenteil. Wir wollen sehen, wer recht behält.


65.

Der echte Deutsche wird verlegen, wenn man ihn über einen witzigen Einfall ertappt; keuschen Geistes errötet er bei den buhlerischen Küssen der Phantasie.


66.

Frau von Staël sagt: »Es gibt Zeiten, wo das Schicksal der Menschheit von einem einzigen Manne abhängt, und das sind unglückliche Zeiten; denn nichts ist dauerhaft, als was durch die Mitwirkung aller geschieht.« Das mögen jene sich merken, die das Heil der Welt von einem politischen Messias erwarten. Völker sterben nicht, sie haben Zeit übrig, krank zu sein, und darum ist es besser, sie leiden etwas länger, als daß sie ihre Heilung einem Einzelnen verdanken. Das ist der gefährlichste Tyrann, der sich auch die Herzen unterwirft. Hätte August wie Tiber regiert, wäre die römische Freiheit nicht untergegangen. Fürsten, die größer waren als ihre Zeitgenossen, haben noch immer der Nachwelt Jammer vorbereitet; Friedrich der Große hat die Schlacht von Jena verloren. Auch haben in Demokratien die Völker immer eingesehen, daß sie eine Wohltat, die sie einem großen Mitbürger verdankten, sich nur durch Undank gegen den Wohltäter sichern konnten. Die Riegos aller Zeiten sind noch immer geopfert worden.


67.

Die Staatsmänner schreiben ihre Erfahrungen mit Bleistift auf Pergamenttafeln, und ist das Blatt voll, löschen sie die Bemerkungen wieder aus, um für neue Platz zu[222] gewinnen. Daher sind sie oft klüger als gestern, aber niemals klüger als vorgestern.


68.

Philidor konnte sechs Schachpartien zugleich spielen, und er gewann sie alle. Doch das waren hölzerne Figuren, die stille stehen, bis man sie bewegt. Wer aber mit Menschen spielt, verliert gewiß, wenn er mehrere Spiele gleichzeitig verfolgt.


69.

»Wann wird Ihre Frau entbunden?« fragte Ludwig XIV. einen Hofmann. »Quand il plaira à votre majesté,« antwortete dieser mit tiefer Verbeugung ... So schmeichelt man noch heute den Fürsten, sie könnten die Stunde bestimmen, in welcher die Zeit ins Kindbett kommen soll.


70.

Es könnte eine zweite Sündflut über die Erde kommen, was würde sie nützen? Die Toren und die Bösen würden untergehen, aber Torheit und Bosheit würden bleiben. Die Vorsehung ist barmherzig, sie sorgt für eine rettende Noahsarche und läßt keine Gattung auch des niedrigen Gewürms verderben.


71.

Der süße Brei ist aufgegessen ... jetzt balgen sie sich um die Schärre ... darüber zerbrechen sie den Topf ... dann gibt es keinen Brei und keine Schärre mehr ... dann schlagen sie sich auch nicht mehr.


72.

Die Fürsten hätten sich und ihren Völkern viel Unglück ersparen können, wenn sie die Hofnarren nicht abgeschafft hätten. Seit die Wahrheit nicht mehr sprechen darf, handelt sie.[223]


73.

Heringe oder Sardellen – das ist der ganze Unterschied zwischen sonst und jetzt. Gesalzen sind sie immer noch und werden es immer bleiben.


74.

Sie wollen keine Preßfreiheit, weil sie glauben, der Wind drehe sich nach der Wetterfahne.


75.

Man kann nie genug bewundern, mit welcher Schlauheit das Schicksal die Schwächen, Eitelkeiten und Leidenschaften der Menschen benutzt, um seine Zwecke zu erreichen. Dieses ist so klar geworden, daß man sich freuen muß, wenn der Unverstand oder der böse Wille einflußreicher Menschen hervortritt; denn das ist ein untrügliches Zeichen, daß das Wünschenswerte sich seiner Erfüllung naht.


76.

Auf der Weltbühne ist das Schicksal der Souffleur, der das Stück ruhig und leise abliest, ohne Gebärden, ohne Deklamation, und ganz unbekümmert, ob es ein Lustspiel oder ein Trauerspiel ist. Das Zappeln, das Schreien und übriges tun die Menschen hinzu.


77.

Wenn es wahr ist, daß der Bandwurm sich erneuert, solange der Kopf besteht, dann bleibt den Völkern nur die traurige Wahl zwischen Verbrechen und Krankheit. Darum bedenkt euren Vorteil, die Tugend des Volkes und die Ruhe der Welt – seid nicht länger der Kopf des Bandwurms.[224]


78.

Gewisse Leute leben, als wüßten sie, daß sie am andern Morgen gehängt werden. Auch sind sie wirklich verurteilt, nur daß die Tage des Schicksals keine Sonnentage sind. Darum wollen wir ihrer letzten Mahlzeit, so teuer sie uns auch zu stehen kommt, mit Vergnügen zusehen, ihr Appetit sei unser Trost.


79.

Die Schreiberregenten. – Es geht drunter und drüber in unsern Staaten her, weil die Beamten nicht verstehen, auf das Volk zu wirken. Sie schlagen darauf los, und das nennen sie verwalten. Verstimmen ist leicht, aber stimmen kann nicht jeder. Und wie sollte es anders sein? Schuster, Schneider, Schlosser müssen in Deutschland einen großen Teil ihres Lebens in der Lehre stehen und wandern, bis ihnen verstattet wird, ihr Handwerk auszuüben; Bierbrauer und Faßbinder lernen, der Himmel weiß wie viele Jahre, an einer einzigen Suppe kochen, an einem einzigen Gefäße schnitzen, und das Regieren, denkt man, sei eine angeborne Fähigkeit. Oder etwa das Studieren auf der Universität bilde den Beamten? Regieren ist eine Kunst, keine Wissenschaft, und ein Schneiderjunge, der lesen und schreiben gelernt hat, versteht darum noch keinen Rock zu machen. Das Regieren von ehemals steht von dem gegenwärtigen so weit ab, wie die Schiffahrt auf Strömen von der auf dem Meere. Unsere Beamten sind Ruderknechte, sie verstehen die Segel, den Kompaß, das Steuerruder nicht zu gebrauchen, und die Vornehmen in der Kajüte verstehen es auch nicht. Sie wissen nichts von Sandbänken und Klippen und Meeresstille. Sie haben ein paar Brezeln, die hinreichen nach Offenbach oder Niederrad, aber nicht Mundvorrat genug für große Seereisen. Der öffentlichen Meinung zu gefallen und sie zu leiten, das ist freilich[225] schwerer, als dem S.T. Herrn Vorgesetzten einen unerträglichen Bückling zu machen und ihn bei seinen Launen zu führen. Das lernt sich nur aus der Erfahrung, aus der großen Welt- und Völkergeschichte, nicht aus dem albernen Knigge und dem eiteln Chesterfield. Man besuche nur ein Kollegium oder ein Bureau; wie das höflich ist, wie das einander kennt, wie das pfiffig aussieht, wie sich das wechselseitig forthilft, wie das dekretiert, tabelliert, kontrolliert und kabaliert! Der Direktor ist ihnen Fürst, Staat, Volk, Himmel und Erde, Engel oder Teufel. Das geht in seidnen Strümpfen auf schön gebahntem Wege, von einem Protokolle zum andern, von einem Dekrete zum andern, von einer Weisung, von einer Rechnung zur andern. Steckbriefe schreiben, die Schatzung einnehmen, eine Schildgerechtigkeit erteilen oder abschlagen, einen bettelnden Handwerkspurschen ins Loch stecken, einen Wirt bestrafen, der abends nach zehn Uhr noch einem Bürger den Durst gelöscht, eine Hure auspeitschen, das sind freilich leichte Sachen. Aber jetzt sind Staatsverbrecher zu verfolgen, Schuldentilgungen von tausend Millionen anzuordnen, die Rechte der Völker zu bestimmen, Millionen Bettler zu befriedigen, berauschte Länder in Achtung zu erhalten, und zu diesem allen ist euer Konzept- und Stempelpapier viel zu klein. Geht nach Paris, das ist eure Universität; leset den alten Moniteur, das ist euer Corpus Juris; hört die Deputiertenkammer, das ist euer Praktikum; und dann laßt euch den Doktorhut geben, kehrt zurück, heiratet und regiert.


80.

Karamsins Geschichte des russischen Reichs. – Könnte man ein Buch, das ganz aus Titelblättern besteht, anders lesen als mit Unwillen oder Überdruß? Aber Könige sind nur die Titelblätter der Geschichtsbücher ihrer Völker. Darum durchwandert man gleichgültig[226] die dürren Heiden der neuen europäischen Geschichten, wo weder Schatten noch Obdach, noch labende Herberge den müden Forscher stärkt. Sie sind nichts als Flurbücher, worin die Staaten mit dem Maßstabe der Besteuerung nach Länge und Breite abgemessen und Völker wie Grundstücke nach jedem Kaufe, Tausche und Todesfalle neu ab- und zugeschrieben werden. Wer flüchtete nicht froh in eine andere Weltgegend, wo nicht ein schwacher Stab als schlauer Hebel der Stärke gebietet, sondern der schwächere Geist dem mächtigern gehorcht? Wer stiege nicht gern hinauf zu einer älteren Zeit, da noch die Menschengeschichte frisch aus der Quelle der Natur floß, da die Völkerströmungen sich ihr selbstgewähltes Bett gruben und unbekümmert um Herkommen und Federsatzungen ihren angetretenen Weg fortsetzten? ... Das alles finden wir in der russischen Geschichte.

Dieses und das weitere könnte in klaren verständlichen Worten dargetan werden; aber wir Sünder werden genötigt, uns die heilige Sprache der Propheten anzumaßen und wie Ezechiel in Bildern zu reden. Das russische Reich, ein Mann, wenn man es mit seinen Gespielen vergleicht, aber da die Dauer des Wachstums die Dauer der Kindheit bestimmt, noch ein Kind – hat, wie Herkules schon in der Wiege, die Europa umschnürende Riesenschlange zerdrückt. Was es auch noch werden möge, genug, es ist im Werden und in Europa das einzige aufsteigende Licht. Wie man auch gesinnt sei, geneigt oder abgewendet, hoffend oder fürchtend, nur gleichgültig sollte man nicht sein, man sollte stets, selbst mit Verluste des nötigen Schlafes, die Augen offen halten und sich nicht einlullen lassen von denen, die ungleich den Anwohnern des Vesuvs ruhig sind, weil der Berg nicht raucht. Wenn die Pest im Lande, freut man sich des rettenden Winters und bezahlt gern das Leben mit der Freundlichkeit des Lebens. Es hat der Menschheit nie an[227] einem kehrenden Herkules gefehlt, sooft ihre Augiasställe überfüllt waren.

Schon das ist ein Zeichen von der Größe eines Volkes, wenn es in seiner Mitte einen großen Geschichtschreiber findet; denn jeder Künstler, auch wenn er verschönt, kann doch nur an einer schönen Wirklichkeit sich begeistern. Karamsins Geschichte des russischen Reichs ist ein Meisterwerk, das seines Gegenstandes würdig ist. Die Anordnung ist zweckmäßig, klar und verständlich. Die verwickelten Massen von Gebieten und Völkern, aus denen sich das ungeheure Reich nach und nach zusammengebildet, sind mit vieler Kunst gesondert und je nach ihrer Bedeutung mehr oder weniger beleuchtet. Der Stil ist edel, kräftig und, wo es geschehen durfte, malerisch. An herrlichen Betrachtungen fehlt es nicht, aber sie folgen alle den Ereignissen wie freiwillig nach und werden nicht von dem Verfasser als pomphafte Begleitung mitgegeben. Ohne Religion und Vaterlandsliebe, wo es die Wahrheit gilt, hat Karamsin die Verbrechen und Niederlagen seines Volkes, zwar minder froh, aber nicht minder aufrichtig erzählt als dessen Siege und Tugenden. Angenehm überraschend ist die Offenheit, mit welcher er warm und beifällig gewisse Grundsätze aussprach – und also aussprechen durfte – von deren Aufnahme ins Leben Rußland noch so weit entfernt ist, weniger weil es der Regierung an Freisinnigkeit, als weil es dem Volke an Sinn für Freiheit mangelt. Es wird überall gezeigt, wie sich die Herrschaft der Sterblichen irdisch gebildet habe, und nicht, wie man zu glauben befiehlt, als Unsterbliche von dem Himmel herabgestiegen sei. »Der russischen Geschichte Beginn stellt uns ein bewunderungswürdiges, in den Annalen vielleicht beispielloses Ereignis dar. Die Sklaven vernichten freiwillig ihre alte Volksregierung und verlangen Herren von den Warägern, ihren Feinden. Überall führte das Schwert der[228] Starken, oder die Verschlagenheit der Ehrgeizigen die Herrschermacht ein (denn die Völker wollten Gesetze, fürchteten aber den Verlust der Freiheit); in Rußland wurde diese mit der allgemeinen Zusammenstimmung der Bürger gegründet ...«


81.

Deutsche Demut. – Als der König von Preußen in Paris war, hatte die Gazette de France von ihm erzählt, er habe die Ehre gehabt, mit dem Könige von Frankreich zu Mittag zu essen. Eine deutsche Zeitung keifte etwas über solche leichtfertige unumständliche Rede. »So spricht eine Zeitung der zivilisiertesten Nation in Europa von ihren Gästen!« rief sie aus. Daß das kleine Herz zum Zorne sich bewegte, war schön, nur verfehlte es das rechte Ziel. Mit den Deutschen laßt uns schmollen, daß sie nicht zu sein wagen wie jene. Wenn auch ja einmal das Maß der Ehrfurcht, das ein freies unabhängiges Volk einem fremden Fürsten schuldig ist, nicht gehörig beachtet worden, was ist tadelnswerter, die Verkürzung oder Überschreitung jenes Maßes? Liegt nicht etwas Großes darin, daß Frankreich einen König, dessen siegreiche Fahnen noch innerhalb des Landes wehen, zu liebkosen verschmäht? Hätte, als Napoleon zu den Zeiten seines Glanzes die Staaten seiner Bundesfreunde durchreiste, der Zeitungsschreiber irgend einer Residenz zu sagen gewagt: der Kaiser von Frankreich habe die Ehre gehabt, mit dem Könige zu speisen, beim Himmel! alle deutschen Höfe wären blaß geworden, und man hätte, um Gott zu versöhnen, einen allgemeinen Bet- und Bußtag im Lande ausgeschrieben. Also die Preußen, die wären eine »zivilisierte Nation«, weil sie 1806 am Abende des Einzugs Napoleons in Berlin die Stadt aufs Prächtigste beleuchtet hatten? (Die Nachwelt wird dieses als ein Ammenmärchen belächeln!) Also die Deutschen wären[229] »zivilisierter« als die Franzosen, weil sie, wenn es dem Könige von Frankreich gelüstete, von Paris nach Petersburg zu reisen, sie mit der Superlativität der Untertänigkeit von ihm sprechen und weil ihre Tagesblätter ein genaues Register darüber führen würden, wo Allerhöchstdieselben jede Nacht zu schlafen, um wieviel Uhr ins Bett zu steigen geruht haben und wieviel Pferde auf jeder Station von der Seine bis an die Newa zu Allerhöchstderen Dienste gebraucht worden wären? Ein Volk, das fremden Herrschern nicht geringere Ehrfurcht als seinen eigenen bezeigt, verrät hierdurch, daß es in seinem Fürsten nicht den Vater des Vaterlandes liebte, sondern nur die Fürstlichkeit in ihm abergläubisch fürchte. Es gibt deutsche Blätter, die nie von dem vielen, was in englischen Hochherziges und Herrliches enthalten ist, auch nur ein einziges Wort mitteilen, aber von den Schmerzen und Erleichterungen der jetzt verstorbenen Königin von England uns monatelang täglich die genauesten Berichte lieferten. Es gibt deutsche Blätter, die vierzehn hintereinander folgende Tage von einer toten Prinzessin und von den Lichtern sprechen, die bei ihrer Bahre gebrannt und wieviel Ellen schwarzes Tuch zum Trauerbehänge verbraucht worden; aber von den leuchtenden großen Gedanken, die durch die französische Deputiertenkammer blitzen und gewittergleich ganz Frankreich erfrischen, mäuschenstille schweigen. Es gibt deutsche Blätter, die von jeder Feuersbrunst in Konstantinopel so genaue Nachrichten haben, als hätten deren Herausgeber dabei die Spritzen geleitet, aber den Rauch in ihrem eignen Vaterlande niemals wahrnehmen. Das deutsche Volk schmieget und windet sich, als wäre es der Hofmarschall Kalb bei allen Fürsten Europens. Es ist ein gemeines Wesen unter uns, aber kein Gemeinwesen.[230]


82.

Der heilige Bund. – Der Fürst von Leyen hat zu Aachen eine Denkschrift eingereicht, in welcher er eine Entschädigung für seine verlornen landesherrlichen Einkünfte anspricht. Er ruft darin die Monarchen als Stifter und Beförderer des heiligen Bundes auf, welcher wolle, daß der Glaube an Recht und Gerechtigkeit die Herzen der ganzen Christenheit belebe, daß der rohen Gewalt Mißbrauch gegen Schwächere aufhöre und die Gerechtigkeit allein herrsche. Man kann vor der Tiefe des heiligen Bundes voller Ehrfurcht und Bewunderung sinnend stehen; aber ein menschenfreundliches besorgtes Herz läßt sich dennoch von der Furcht überschleichen, wie leicht ein einziger Fehltritt, eine schmale fußbreite Abweichung von der wahren Deutung der Übereinkunft, Staaten und Völker in einen jammervollen Abgrund stürzen könne. Bliebe die Auslegung des Vertrages immer den Fürsten, die ihn geschlossen, allein überlassen, dann wäre nichts zu fürchten als deren Sterblichkeit. Aber den ungetreuen Dolmetschern ihres Willens hat man endlich mißtrauen gelernt. Die Zukunft wird es lehren, welche Dinge nicht alle, im Namen des heiligen Bündnisses, gefordert, bewilligt oder versagt werden. Keiner, auch noch so voll des billigen Argwohns gegen die Versprechungen irdischer Machthaber, verkennt das schöne Feuer, das in dem Gemüte Alexanders lodert und das die Menschheit läutern würde, wäre dieser Fürst nicht einige Jahrhunderte zu früh geboren. Warum ließ er geschehen, daß die stille reine Quelle seines frommen Herzens zu einem Strome fortgerissen worden, der nun alle europäische Höfe durchfließt, wo auch das klarste Wasser getrübt werden muß, weil es dort nicht zur Stillung des Durstes gebraucht, sondern nur als eine schnellere Straße, die zu selbstsüchtigem Ziele führt, befahren wird? Warum wurden so viele Regierungen zum Beitritte[231] des heiligen Bundes zugelassen? Alexanders einsames Beispiel hätte der Welt mehr gefruchtet als der lärmende Troß seiner Glaubensheuchler.

Bedarf die Tugend eines Bundes? Sie verträgt ihn nicht einmal. Worin aber bestehen die Grundsätze, von welchen der Fürst von Leyen Ersatz für seine verlorne jährliche Rente erwartet? Welche Gerechtigkeit ist es, wozu die Teilnehmer des heiligen Bündnisses sich verpflichteten? Die himmlische kann es nicht sein, denn die Verwaltung dieser wird kein schwacher Mensch zu übernehmen sich erkühnen. Die göttliche Gerechtigkeit ist es nicht, denn diese, die ausgleichende, zerstört, um zu schaffen, nimmt, um zu geben, raubt, um zu bezahlen. Die menschliche, welche nichts vermag, als den Besitz zu heiligen und das Bestehende zu schonen, ist's, die man anzugeloben den Willen gehabt haben konnte. Aber diese Gerechtigkeit, wenn sie weiter als über die Verhältnisse der einzelnen, wenn sie über die der Völker und Staaten sich erstreckt, ist unheilbringender, als die schnödeste Willkür. Sie hält die Staaten in ihrer Entwickelung auf, sie zertritt die jungen Keime der bürgerlichen Freiheit und schmiedet das Schicksal unsterblicher Völker an vergängliche Fürstengeschlechter fest. – Der heilige Bund ist ein goldener Becher, der gemeinschaftliches Eigentum aller europäischen Regierungen ist und den jeder Berechtigte, sobald ihn durstet, mit dem Getränke, nach welchem ihm gelüstet, anfüllen wird. Es bedarf der vielen Worte nicht, das Urteil ist ihm längst gesprochen: Die zwei einzigen freien Staaten der Welt, England und Nordamerika, sind ihm nicht beigetreten.


83.

Ein ehrlicher Mann, der in sogenannten Welthändeln verwickelt ist, verfällt oft in Gewissenszweifel, ob er denn wirklich ehrlich verfahre oder nicht. Denn da man sein[232] Gesicht für eine Maske hält, wird er an sich selbst irre und weiß endlich nicht mehr, ob er die Leute oder ob die Leute sich nur in ihm betrogen.


84.

Die heutigen Menschen, in der kleinen wie in der großen Welt, sind über ihren eigenen und wechselseitigen Vorteil so aufgeklärt, daß sie sich einander nicht mehr täuschen können. Wenn es daher nicht aus alter Gewohnheit geschieht, ist es ganz unerklärlich, warum man noch lügt oder sich verstellt. Die einzige Art zu betrügen, die zuweilen noch Erfolg hat, ist – offenherzig zu sein.


85.

Es gibt immer noch wohltätige Menschen, und wer einmal so glücklich ist, unglücklich zu werden, dem wird geholfen. Früher freilich nicht!


86.

Vernunft verhält sich zum Verstande wie ein Kochbuch zu einer Pastete.


87.

»Alles für, nichts durch das Volk« – sagen die Schlauen. Das heißt ins Aufrichtige übersetzt: nicht am Gelde und Gute ist uns gelegen, sondern nur daran, daß wir herrschen. Wer aber ist der gefährlichste Feind der bürgerlichen Freiheit? Nicht der niedrige Mensch, der nur nach Reichtum und sinnlichen Genüssen strebt; denn dieser läßt sich abfinden, und hat die Macht sich zum Volke gewendet, bettelt er auf dem Markte, wie er früher in den Palästen gebettelt. Der gefährlichste Feind der Freiheit ist der Herrschsüchtige; denn selbst das Gute tut er nur mit Willkür. Nicht Mirabeau, ein Lüstling und ein bestechlicher Mensch, sondern Robespierre, der den[233] Reichtum verachtete, ward der Tyrann seines Vaterlandes.


88.

Schon manches dunkle Rätsel der Geschichte haben Zeit und Forschung gelöst; aber die Geduld, die Langmut der Völker wird ewig unbegreiflich bleiben. Unter Ludwig XV. ward ein Montmorency des Mordes überführt und zur Strafe durch ein Lettre de Cachet auf einige Zeit in die Bastille gesetzt. Sein Bedienter aber, als Mitschuldiger verdächtig, ward aufs Rad geflochten. Und zwischen dieser schrecklichen Willkür und der Revolution verflossen noch mehr als fünfzig Jahre!


89.

Vor der Revolution gab es in Frankreich nach der Berechnung eines der zuverlässigsten Schriftsteller, und um seine eigenen Ausdrücke zu gebrauchen: »sieben Millionen Menschen, die Almosen verlangten und zwölf Millionen Menschen, die nicht imstande waren, Almosen zu geben.« Jetzt ist der Wohlstand über das ganze Land verbreitet, durch alle Stände des Volks verteilt; es gibt keine Bettler mehr ... Man nenne uns den Staat, wo eine so glückliche Verwandlung oktroyiert worden ist.


90.

Wenn man das Treiben der französischen Ultras sieht, glaubt man an das Wunder: daß der heilige Dionysius, nachdem er enthauptet worden, seinen Kopf unter den Arm genommen und damit spazieren gegangen ist.


91.

Die Natur der Dinge und was schön sei oder mißgestaltet, malt Euch jeder Batzenspiegel nicht minder treu zurück als das hohe stolze Glas am Pfeiler eines fürstlichen Gemaches. Die Weltgeschichte pulsiert in Täglichkeiten.[234] Darum, wer emsig und frohen Mutes zu forschen und zu betrachten, der durchblättert das Buch der Menschheit in einer Taschenausgabe, die ihn überall begleitet, oft und gem.


92.

Bei dem Einmarsche der königlich spanischen Truppen in Valencia im Jahre 1812, unter General Wittingham, wurde allerorten angeheftet und ausgetrommelt: die von Suchet eingeführte Polizei höre gänzlich auf. Das Volk war außer sich vor Freude, wobei es immer rief: »Nun sind wir wieder, wie vor diesem, sicher auf der Straße und in unsern Häusern; es gibt keine Polizei mehr.«


93.

Seitdem das Wunderbare vor unsern Augen sich erfüllt hat, haben wir alle Berechnung für das Natürliche verloren.


94.

Man heilt Leidenschaften nicht durch Verstand, sondern nur durch andere Leidenschaften.


95.

Die Weiber haben Launen, weil sie zu gut sind, das Böse nach Grundsätzen, und zu schwach, das Gute mit Dauer zu üben.


96.

Eitelkeit ist die sicherste Wächterin der öffentlichen Ruhe. Sie ist die Omphale des Ehrgeizes und legt ihm Rosenketten an. Wer am Schimmer des Goldes seine Freude findet, wird das Eisen nicht achten, und im Tanzschritte ist noch keiner auf den Thron gestiegen.


97.

Die wahre feine Lebensart, welche mehr tut, als mit Blitzesschnelle eine gefallene Stricknadel aufheben, entspringt[235] entweder aus der Tiefe des Geistes oder aus der Fülle des Herzens, und weder der Tanzmeister lehrt sie noch Chesterfield.


98.

Beschränkten Menschen ist es eigen, daß sie die wenigen Ideen, die in dem engen Kreise ihrer Fassungskraft liegen, mit einer Klarheit ergreifen, die uns in der Schätzung ihres Geistes oft irre macht. Sie sind wie Bettler, die das Gepräge und die Jahreszahl jedes ihrer Kreuzer kennen.


99.

Die Fürsten sehen immer noch nicht ein, daß die Polizei ihre gefährlichste Feindin, ja die einzige revolutionäre Macht ist, die sie zu fürchten haben. Sind wirklich Übel vorhanden, so werden sie von der plumpen und abgeschmackten Quacksalberei jener Staatsgewalt nur verschlimmert. Ist das Volk krank, so gebt ihm frische Luft und freie Bewegung, vertraut es aber nicht den ungeschickten Händen eitler, törichter und pflichtvergessener Pfuscher an.


100.

Carneades hielt zu Rom öffentlich zwei Reden, die eine für, die andere wider die Gerechtigkeit, und – ward 90 Jahre alt. Hufeland hat es in seiner Makrobiotik zu bemerken vergessen, daß man, um alt zu werden, keine Grundsätze haben dürfe.


101.

Als Voltaire sagte: Der erste König war ein glücklicher Soldat, da wußte dieser Mann nicht, was er sprach. Der erste König war ein fieberkranker Bauer, der in seinem Irrsinne ausrief: »Ihr Leute seid meine Untertanen und mir Gehorsam schuldig,« und da er gesundete und von dem Schmerzenslager sich erhob, befremdet und ungläubig[236] das ganze Dorf zu den Stollen seines Bettes niedergesunken fand. Vergebens war alles gutmütige Zureden des unschuldigen Despoten; die Untertänigkeit war schon so rasch im Gange, daß man der Zeiten sich nicht mehr erinnerte, da man frei gewesen.


102.

Alle Aussprüche und Vollstreckungen einer geheimen Justiz, sind heimliche Hinrichtungen, mit welchen bürgerliche Freiheit gar nicht zu vereinen ist. Ob eine streitige Sache dem Hans oder dem Kunz verbleibe, ob ein einzelner Missetäter bestraft werde oder nicht, dieses ist dem Gemeinwesen sehr gleichgültig. Aber die Zuversicht, daß Recht geübt werde, ist Lebensbedürfnis in der bürgerlichen Gesellschaft, und diese Zuversicht versagt die heimliche Justiz. Kein Fürst, kein Richter, kein Verwalter darf Glauben fordern an seine Gerechtigkeit; nur an Gott glaubt man, die Menschen aber will man sehen, hören, betasten, ausrechnen.


103.

Juden in der freien Stadt Frankfurt. – Europa und Amerika müssen ganz den Verstand verloren haben, daß sie sich seit Jahren mit den spanischen Kolonien, den Cortes, der französischen Deputiertenkammer, den englischen Radikalen und anderen dergleichen elenden, gesetzter Männer unwürdigen Klatschereien beschäftigen und die wichtigste Sache der Menschheit, nämlich die Frankfurter Judenschaft, darüber aus dem Sinne verlieren. Die Schwachköpfe beider Weltteile bilden sich ein, der Brand von Moskau, die Leipziger Schlacht, der Sturz Napoleons und die Millionen Menschen, welche der Befreiungskrieg hingerafft – alle diese schrecklichen Dinge wären zu ihrer Unterhaltung geschehen, und den großen Zweck, welchen die Vorsehung dabei hatte, nämlich die[237] Vertreibung besagter Judenschaft von der Schnurgasse zu Frankfurt, davon ahnden sie nichts. Stein in seiner sehr genauen Geographie sagt, es wohnten 10000 Juden in Frankfurt, obzwar keine 4000 dort wohnen. Allein er sagt dieses metaphorisch, da sie soviel Lärm verursachen als 10000. Ehemals wohnten sie in einer eigenen Gasse, und dieser Fleck war bestimmt der bevölkertste auf der ganzen Erde, Malta nicht ausgenommen. Sie erfreuten sich der zärtlichsten Sorgfalt ihrer Regierung. Sonntags durften sie ihre Gasse nicht verlassen, damit sie von Betrunkenen keine Schläge bekämen. Vor dem 25. Jahre durften sie nicht heiraten, damit ihre Kinder stark und gesund würden. An Feiertagen durften sie erst um sechs Uhr abends zum Tore hinausgehen, daß die allzu große Sonnenhitze ihnen nicht schade. Die öffentlichen Spaziergänge außerhalb der Stadt waren ihnen untersagt, man nötigte sie, ins Feld zu wandern, um ihren Sinn für Landwirtschaft zu erwecken. Ging ein Jude über die Straße, und ein Christ rief ihm zu: Mach Mores Jud, so mußte er seinen Hut abziehen; durch diese höfliche Aufmerksamkeit sollte die Liebe zwischen beiden Religionsparteien befestigt werden. Mehrere Straßen der Stadt, die ein schlechtes unbequemes Pflaster hatten, durften sie niemals betreten. Der Handel mit Materialwaren war ihnen verboten. Bedienten durften sie nicht halten, denn dieses ist ein Verbrechen gegen die Grammatik, sondern nur Knechte, und als einst ein Aktuar im Taumel des Sonntags einem Juden das Wort Bedienter in den Reisepaß gesetzt hatte, und dieser bereits abgereist war, schickte ihm der regierende Bürgermeister einen Husaren nach, der ihn zurückholen mußte, worauf im Passe das Wort Bedienter ausgestrichen und dafür Knecht geschrieben wurde. Noch viele andere Vorrechte genossen die Frankfurter Juden und üben sie heute noch aus. Mehrere wichtige Plätze der Stadt, wie[238] die Post, die neuen Kräme, die Börse halten sie militärisch besetzt, und es darf kein Christ ohne ihre Erlaubnis durchgehen. Es ist ihnen verstattet, jeden Fremden oder Einheimischen, der an ihren Warenläden vorübergeht, solange an den Kleidern festzuhalten, bis er ihnen etwas Beträchtliches abkauft. Sie dürfen ihre Toten in den ersten 24 Stunden beerdigen, die Christen müssen drei Tage damit warten. Letztere werden in das wöchentlich erscheinende Geburts- und Sterberegister nur dann hineingesetzt, wenn sie wirklich geboren werden oder sterben, die Juden hingegen sogar auch dann, wenn dieses nicht geschieht; denn es wird im Intelligenzblatte ausdrücklich bemerkt, von der israelitischen Gemeinde sei in dieser Woche niemand gestorben, niemand geboren worden, damit sich jederman erfreue, nämlich an ersterem.

Mit allen diesen Auszeichnungen noch nicht zufrieden, hatten die Juden vor zehn Jahren den Revolutionsschwindel, der sich von Frankreich her nach Deutschland verbreitet hatte, benutzt und sich unter der großherzoglichen Regierung die sogenannten angebornen Rechte für ein Spottgeld, für eine halbe Million, gekauft. Darauf maßten sie sich an, Doktoren, Schuhmacher und Schneider zu werden; sie trieben Wissenschaften und die ganze Technologie, sprachen deutsch wie Adelung und aßen mehrere Sorten Wurst. Besonders in Spedition und Kommission haben sie der Menschheit ungeheuern Schaden zugefügt und hierdurch Europa in die Barbarei des Mittelalters zurückgeworfen. Aber der Tag der Erlösung nahte herbei; nach der Schlacht bei Hanau erwachte die freie Stadt Frankfurt aus ihrem Siebenschlafe, und mit der neuen Ordnung der Dinge kehrten die Juden in die alte zurück; diese wollten aber nicht von der Stelle und klagten beim hohen Bundestage. Hierauf sollten die Christen und Juden sich gütlich vergleichen. Der Senat[239] und der gesetzgebende Körper, beide von »übergroßer Freisinnigkeit« erfüllt, machten billige Vorschläge.


104.

Die Ermordung Kotzebues. – Man kömmt nie zu spät und zu weit her, sich diese Begebenheit zu beschauen; sie ist der Kristallisationspunkt, um den die neue Geschichte der Deutschen sich ansetzt. Nicht die nachgeborenen Folgen, erst die Enkel der furchtbaren Tat werden unter dem Fluche des Schicksals erliegen. Es gibt keine Betrachtung, die sich hier nicht anreihen ließe, und darum darf auch nichts, was in diesem Kreise liegt, unbetrachtet bleiben. Professor Lehmann hat eine »Beleuchtung einiger Urteile über Kotzebues Ermordung« herausgegeben. Das Werkchen ist zu Bartenstein in Ostpreußen (nahe bei der russischen Grenze) erschienen. Es ist nicht lang, aber breit und in einem stammelnden Stile geschrieben, so daß, der Natur dieses Sprachfehlers gemäß, bald ein Sinn fehlt, bald ein anderer sechsmal wiederholt wird. Der Verfasser nimmt sich die unnötige Mühe, zu beweisen, daß Kotzebue kein Spion gewesen sei, und gibt über diese Würde eine gelehrte Erläuterung, deren Gründlichkeit wir auf Glauben annehmen müssen, da wir von der Sache gar nichts verstehen. Dann wird eifrig der Vorwurf widerlegt, als habe Kotzebue gesucht, die deutsche Freiheit zu untergraben. Etwa, weil er gegen das Turnwesen und den heißen Verfassungstrieb geredet? Unsere gelehrten Vorfahren haben von allem diesem Zeuge nichts gewußt (sagt Herr Lehmann). »Wenn es wahr ist, daß der wissenschaftliche Geist unter Deutschen sehr lau und stille wird, weil der Geist unter ihnen sich mit seinem Wissen und Prüfen auf die bürgerliche Seite legt (der Verfasser scheint sich auf die adelige zu legen); auf Verfassungen, Abgaben, Maschinen, Reformen, Berechnungen (also selbst die Mechanik und die Arithmetik käme uns nicht[240] zu?); der in einem Mystizismus verfällt, dagegen unsere Eltern mit ihrem Denken rein wissenschaftlich werden konnten, indem ihre Bürgerlichkeit in Ruhe und Bestand lebte (d.h. schlief), ohne sie so anzuschlagen in lauter Veränderungen und Raffinerien, wie solche wir erfahren, so sind eben die Anstalten und das Treiben der Zeit, gegen welche K. sich empörte, von der Art, daß man sagen muß, sie allein führen uns mit der wahrhaft wissenschaftlichen Aufklärung in Finsternis und Barbarei, und K. hatte, indem er gegen ein solches bürgerliches Treiben sich verbreitete, wohl gar nicht das Verdienst (wohl gar noch!), eben der Barbarei, welche uns droht, entgegen zu wirken und die wahre Aufklärung unter uns zu fördern. Es ist also ein gar irriger Gedanke in dem Schlusse: wer das bürgerliche Licht in Deutschland auslöschen will, geht auf eine totale Finsternis aus, indem vielmehr das bürgerliche Licht den wissenschaftlichen Geist ganz ausbrennt und selbst erlöschen muß, wenn eine freie Wissenschaftlichkeit gedeihen soll. Indem unsere Philosophen sich in Kriegswissenschaften werfen, in Staatswissenschaften und auf der bürgerlichen Oberfläche der äußern Freiheit umtreiben, vernachlässigen sie die rein wissenschaftliche Tiefe des freien Geistes, und so sind eben sie es, die eine Barbarei des Geistes über uns bringen; wer sie nun in diesem bürgerlichen Felde angreift, um solche Freiheiten ihnen zu beschneiden, ist dagegen eben der, welcher die eigentliche Barbarei begraben und die wahre Freiheit des Geistes erhalten will.« Wenn Herr Lehmann durch die Lehre oder Heuchelei solcher Grundsätze sich auf die schwere Seite zu werfen gedachte, so kann man ihm das leicht verzeihen, da er sie durch sein Gewicht wahrlich nicht schwerer gemacht hat; aber die angeführten Reden führen zu Folgerungen, die er nicht beabsichtigt haben konnte. Denn wenn es wahr ist, daß das bürgerliche Licht den wissenschaftlichen Geist ganz[241] ausbrennt, so würde ja daraus folgen, daß alle diejenigen, welche mit bürgerlichen Dingen beschäftigt sind: sämtliche Minister und Staatsbeamten, unwissende Menschen und niedergebrannte Geister wären, die man auf ein Profitchen stecken müßte – eine Behauptung, die wenigstens Herr Lehmann nicht wagen wird. Die so häufig ausgesprochene Unverträglichkeit des wissenschaftlichen Forschens mit der Teilnahme an bürgerlichen Angelegenheiten ist eine so plumpe Lüge, daß sich auch der schwachsinnigste Mensch nicht dadurch täuschen läßt. Cicero war trotz seiner Gelehrsamkeit ein so großer Bürgermeister als irgend einer unserer Zeit, der diesen Fehler nicht hat. Cäsar schrieb trotz seiner Heldentaten so gut als ein Professor in Breslau, und man hört nicht klagen, daß so viele berühmte, gelehrte Mitglieder der deutschen Bundesversammlungen durch ihren wissenschaftlichen Geist in ihren Staatsgeschäften je wären aufgehalten worden. Über Kotzebues Ermordung sagt Herr Lehmann sehr naiv, er werde der Meinung sein, welche die Regierungen davon haben werden. Bei der Frage also, ob dieser Mord ein gemeiner sei oder nicht, muß in Beziehung auf K. die Antwort noch warten, bis man sieht, was die Regierungen aus ihm machen werden (das sind echte gehorsame Ansichten). Daß sich unsere Jugend so viel herausnehme, daran wären Umstände schuld, »wohin ich (sagt der Verfasser) außer dem Turnwesen, welches die Körper und Geister wählig macht, auch das noch rechne, daß unsere Schulen die Köpfe der Kinder so anfüllen, daß dieselben leicht die Köpfe der Eltern überwiegen, wodurch denn der Sohn über den Vater, der Jüngling über den Alten eine Bedeutung bekommt, als dürfe er sich nur immerhin zum Herrschen anschicken; zumal die Zeit mit ihrer wilden Not die Alten so mürbe geschlagen hat, daß sie überall an Kraftlosigkeit und Schwächen leiden.« Kostbare Geständnisse, die Herr Lehmann aus Unachtsamkeit[242] verloren hat! Wenn unsere Alten zu wenig gelernt haben und unsere Jugend zu viel lernt, so widerspricht ja das der frühern Behauptung, daß die Wissenschaftlichkeit der Vorfahren in dem bürgerlichen Treiben des jetzigen Geschlechts zu Grunde gegangen sei. Mürbe – ja, das ist das rechte Wort, aber nicht die Not der Zeit hat die Alten mürbe geschlagen, sie hat sie so gefunden; wären sie nicht mürbe gewesen, hätte die Not der Zeit nicht entstehen können ... Um dem herrschenden Mystizismus entgegen zu wirken, schlägt der Verfasser das Studium der Logik als einen sichern Damm vor. Wir haben die Logik immer höchst langweilig gefunden; aber wenn es ihr gelingt, die Mystik, diese schändliche Ge-legenheitsmacherin des Despotismus, zu vertreiben, so wollen wir ihre besten Freunde werden und täglich beim Frühstücke eine Viertelstunde in des Professors Maas Kompendium lesen.


105.

Biographie. – Die stille Zeit, da große Menschen und Schicksale uns nur im Abbilde erschienen und jeder in seinem Hause das Kunstwerk ruhig und bequem anstaunte, ist nicht mehr; unsere Väter waren die letzten, die sie gesehen. Gab es auch ungewöhnliche Menschen unter den Zeitgenossen, so berührten sie doch den Lebenskreis des Volkes nicht, denn nur mit der Höhe ragten sie über der Menge empor, aber ihre Grundfläche breitete sich nie über das eingeführte Maß aus. Waren es Bösewichter, so tobten sie wie wilde Tiere hinter eisernen Stäben und konnten nur die Hand verletzen, die sich ihnen entgegenstreckte. Waren sie hoch und gut begabt, so betrachtete man sie als Schauspieler, deren Wirken auf die enge Bühne beschränkt und in einigen Stunden eingeschlossen blieb, nach deren Verlaufe der fallende Vorhang sie auf immer von den Zuschauern und dem[243] Leben trennte. Aber die Begebenheiten unserer Zeit mit den Menschen, aus denen sie hervorgegangen oder in die sie zurückgekehrt, sind uns als willkommene oder schlimme Gäste selbst in das Haus gekommen, und nachdem uns so die großen Urbilder mit Schrecken oder Ehrfurcht erfüllt, können uns die schwachen Gemälde kleinerer Dinge nicht mehr genügen. Der Vorhang des Parrhasius täuscht uns nicht mehr, wir wissen, daß nichts dahinter ist. Die sogenannten denkwürdigen Personen der drei letzten Jahrhunderte (nur Luther nicht) dünken uns flach und deren Lebensbeschreibungen langweilig. Gestürzte Minister; Bauernsöhne, die es bis zum Geheimrate gebracht; geliebte Weiber, die das Land regiert; Günstlinge, die mit dem Herzen der Fürsten ihren eigenen Kopf verloren; Hofkriege, wo man sieben Jahre lang mit blutigem Schwerte an der Schreibfeder geschnitten, die beim Friedensschlusse einige Meilen Landes diplomatisch erobert; Helden, die das Vaterland gerettet und am Ende ihrer Tage tausend Taler Zulage erhielten – das sind die wichtigsten Kapitel der Geschichtsbücher jener Zeit. Sie haben den Reiz verloren, und schon darum allein könnten Samuel Baurs (Pfarrers im Württembergischen) interessante Lebensgemälde der denkwürdigsten Personen des achtzehnten Jahrhunderts, deren erster Band in einer neuen Auflage vor uns liegt, uns keinen Beifall abgewinnen, selbst wenn der Ausdruck »interessante Lebensgemälde« nur einen Sprachfehler und nicht einen falschen Sinn enthielte. Wir haben das Buch von 648 arabischen und zwölf römischen Seiten mit großer Geduld durchgelesen; doch sooft das Urteil streng werden wollte, mußte es am Ende wieder erweichen; denn es ist viel Rührendes darin, wie einem glücklichen Landgeistlichen die Menschen und die Dinge erscheinen. Die Wände der stillen Pfarrwohnung sind mit Kupferstichen behängt. Schlachtstücke und Schäfereien, untergehende[244] Schiffe und Häfen, Bildnisse von Bösewichtern, Gelehrten, Narren und Helden, sie zeigen alle, von einförmigen Rahmen aus Nußbaumholze eingesperrt, die ruhige und farbenlose Fläche einer Zeichnung. Der Einbildungskraft wird zwar eine Perspektive dargeboten, aber die Sinne können nichts ergreifen. So sind die Lebensgemälde. Sie gleichen dem Wachsfigurenkabinette, das sich vor einigen Jahren in Prag zusammengebildet, wo lebende Menschen die Bewegung zurückhielten und sich für Abbilder geltend machten. Der Stil geht wie ein reisender Handwerksgeselle ruhig und zufrieden seinen Weg, unbekümmert, ob er durch die Lüneburger Heide oder im südlichen Frankreich, auf dem Leinpfade der Spree oder an den reizenden Ufern des Rheins wandere; er ficht sich durch und sucht die Herberge. Nur wenn es dunkel wird und die Geschichte sich zu Ende neigt, verdoppeln beide ihre Schritte. Doch hat die Sprache zuweilen eine Naivetät, die wohlgefällt. Z.B. der 41 jährige Ziethen, der in diesem Alter nur erst einige Scharmützel glücklich bestanden, wird der junge Held genannt – von einer Schlacht im siebenjährigen Kriege wird erzählt, das Kanonenfeuer dabei sei unerträglich gewesen – einige geschmackvolle Männer in den Alpentälern hätten zur Zeit Geßners die deutsche Sprache vervollkommnet – von Maria, einem Romane der englischen Schriftstellerin Golwin, heißt es: »Die Gefühle, die darin herrschen, sind von der echtesten und feinsten Art; alles ist darin mit jener Phantasie geschmückt, die zur Fahne des Zartgefühls und echten Empfindsamkeit geschworen hat.« – Von Lessing wird gesagt: »Ein großer Mann im Felde der Wissenschaften.«

An Anekdoten, diesen Henkeln der großen Seelen, wodurch sie faßlich werden für den Hausgebrauch, hat das Buch Überfluß, so daß zwanzig Esser der verschiedensten Fähigkeit die Helden zugleich an den Mund führen[245] können. Doch haben die Klassen, worin der Inhalt die denkwürdigsten Menschen zerfällt, manches Sonderbare. Nach den Generalen kommen die berühmten Satiriker – nach diesen die herrschsüchtigen Weiber – Schwärmer und Narren wohnen unter einem Dache – Richardson und Geßner werden als gelehrte Buchhändler bezeichnet; aber wenn Buchhändler gelehrt sind, werden sie treffender als Gelehrte geschildert, die auch den Buchhandel betreiben. – Mordsüchtige Rebellen, worunter Pugatschew der Kosak und der Kopfabhacker Jourdan gerechnet werden, ist doppelt falsch. Mordsucht ist kein Charakter, sondern eine Krankheit der Seele oder des Blutes, und Jourdan war kein Rebell, denn er hat seine Unmenschlichkeit im Namen der damaligen Regierung ausgeübt.

Doch leset immer das Buch und wäre es auch nur, um die höllische Hinrichtung des wahnsinnigen Damiens zu erfahren und den gerechten Himmel lobpreisen zu lernen, der mit dem Blute der Revolution solche Flecken der Menschheit ausgewaschen hat. Und wen diese Geschichte nicht genug schaudern gemacht, der lese die des gelehrten Wunderkindes Heinrich Heineke aus Lübeck, der in seinem vierten Jahre von Sprachen, biblischer Weisheit, Historie, Jurisprudenz mehr wußte als alle deutsche Studenten zusammengerechnet, und dabei sanft und fromm war.


106.

Der abbrevierte Teufel. – In einem Aufsatz, der neulich im Morgenblatte erschienen, hatte sich der Teufel gemischt – was einem schwachen menschlichen Werke leicht nachzusehen ist, da sich selbst in Gottes Werke der Teufel gemischt. Das Morgenblatt aber hat den Teufel verkürzt, hat ihm nur das große T. gelassen und ihm für die übrigen fünf Buchstaben drei Sterne gegeben. Drei Sterne für fünf Buchstaben – das darf man wohl geprellt nennen![246] Nun habe ich mehrere Tage darüber nachgedacht, warum das Morgenblatt so verfahren, habe es aber nicht herausgebracht. Ich bitte daher die Leser dieses Blattes, die sich darauf verstehen, mich darüber zu belehren. Es ist zwar üblich, daß man die sogenannten unanständigen Wörter im Schreiben und Drucken abbreviert, aber der Teufel gehört nicht zu den unanständigen Wörtern; und was die wirklichen unanständigen Ausdrücke betrifft, so sollte man sie entweder gar nicht gebrauchen oder, wenn gebraucht, nicht vermummen. Was gewinnt man dabei? Nichts, als daß die Phantasie des Unreinen sich die häßliche Sache noch häßlicher ausmalt. Ich besaß eine Sammlung von solchen Wörtern, die in verschiedenen Zeitschriften bald die Verfasser, bald die Redaktoren, bald die Zensoren abbreviert haben. Es ist schade, daß ich sie verloren. Nichts ist bezeichnender als das. Wir Deutschen sind zimperlicher als vierzehnjährige Mädchen, und ich dächte, wir wären doch alt genug.


107.

Wie einzelne Menschen, so treten auch Staaten jede neue Lebens- und Bildungsstufe ohne Erfahrung an. Die Lehren der Vergangenheit sind auf die Gegenwart nicht mehr anwendbar, das konstitutionelle Frankreich wird weder in dem alten königlichen, noch in dem republikanischen, noch in dem kaiserlichen Frankreich unterrichtende Beispiele finden – es wird die Erfahrungen, die ihm nützen, erst kaufen und bezahlen müssen.


108.

Man sollte die Ministerstellen erblich machen, damit, diejenigen, welche sie verwalten, an dem Wohle des Staates ein Familieninteresse fänden und nicht bloß auf ihren leiblichen Vorteil sähen. Schlimme Fürsten haben, an die Zukunft denkend, manche böse Tat unterlassen; einen[247] eigensüchtigen Minister hält nichts zurück. Zu wissen aber ist, daß die politischen Trennungen und inneren Kämpfe, die jetzt stattfinden, nicht anderes sind als ein Streit zwischen Volksfreiheit und Ministerialgewalt.


109.

In der bürgerlichen Gesellschaft gibt das Volk seine natürliche Freiheit der Regierung als ein Darlehen gegen bedungene Zinsen hin. Werden ihm letztere vorenthalten oder geschmälert, dann zieht es sein Kapital mit Recht zurück und sucht sich einen sicherern Schuldner.


110.

Man kann verhindern, daß Völker lernen, aber verlernen machen kann man sie nichts.


111.

Gute Fürsten müssen wie fruchtbare Jahre angesehen werden. Man soll ihre Regierung dazu benutzen, Notmagazine von Volksfreiheiten und Gerechtsamen aufzuspeichern für die möglichen Hungerjahre eigenmächtiger Erbfolger. Vorsicht hierin ist nie überflüssig, Pharaos magere Kühe entbleiben nicht.


112.

Wenn der Fürst glaubt, das Volk sei ein Kutschpferd, das, mit Gebiß und Scheuleder versehen, der Staatskarosse, in welcher nur er sitzt, vorgespannt werden müsse – und wenn das Volk den Staat für einen Familienwagen hält, den der Regent allein fortzuziehen habe; dann irren beide. Aber was ist der Staat sonst? Es ist schwer, hierauf zu antworten. Der politische Zirkel kann nie vollkommen zur Quadratur einer Definition gebracht werden.[248]


113.

Freilich wäre der Staat berechtigt, die Herzen und Köpfe als Herde und Rauchfänge der menschlichen Seele bei seinen Bürgern von Zeit zu Zeit untersuchen zu lassen, um zu erfahren, ob alles brandfest gebaut, ob nicht viele feuerfängliche Materialien darin aufgehäuft sind und ob mit dem Lichte vorsichtig verfahren werde. Eine solche Seelenschau, verbunden mit den Löschanstalten der Zensur, würde eine vollständige Geniefeuerordnung bilden und das Gemeinwesen vor großen Unglücksfällen bewahren.


114.

Es gibt politische Karyatiden, die sich mit tragischen oder komischen Fratzen gebärden, als trügen sie die Last des ganzen Staatsgebäudes auf ihren Schultern, und welche nichts weiter sind, als die untern Teile des Hauses.


115.

Es ist wahr: die Weltgeschichte ist das Weltgericht; aber es kommt für uns gemeine Bürgersleute nicht viel Trost dabei heraus. Wird ja einmal ein großer Verbrecher gestraft oder ein Schuldner der Menschheit eingesteckt, dann werden zuvörderst die Prozeßkosten, Defensionsgebühren und Sporteln aus dem Vermögen des Delinquenten bezahlt, so daß zur Privatentschädigung gewöhnlich nichts mehr übrig bleibt.


116.

Bei epileptischen Menschen hat man zuweilen bemerkt, daß, wenn sie aus ihrer Ohnmacht wieder erwachten, sie da in ihrer Rede fortfuhren, wo sie stehen geblieben waren, als ihr Niederfall sie unterbrochen hatte, mochte auch immer unterdessen die Rede ihre Bedeutung verloren haben. Man will bei einigen fallsüchtigen Staaten diese nämliche Erscheinung wahrgenommen haben.[249]


117.

Jene schöne Zeit, da noch – wenn selten ein schadenfroher Geist über Völker und Länder zog – nichts bebte als die Erde und man Menschen weniger fürchtete als Gott, jene Friedenstage kehren in Europa nie zurück. Denn die Triebfeder seines Lebens ist gesprungen, und was man trüglich für erhöhte Kraft annimmt, ist nichts als das Schnarren und die Übereile der zerbrochenen Kette, die, in ungemessener Tätigkeit sich abhaspelnd, dem Stillstande und dem Tode zuläuft.


118.

Was ist die sogenannte Freiheit der Presse? – Die Erlaubnis, außerhalb der Festungsmauern spazieren zu gehen, einem Staatsgefangenen auf sein Ehrenwort erteilt.


119.

Die politischen Nachtwächter, welche die Zeit ausrufen und ihre Warnung, das Haus vor Feuer und Licht zu bewahren, stündlich wiederholen, wecken freilich Völker und Fürsten aus dem Schlafe; aber sie sollen auch nicht schlafen, es soll Tag sein, und dann hören die Schreier von selbst auf.


120.

Den Füchsen hat man die Freiheit in engen Flaschen, den Störchen in flachen Schüsseln vorgesetzt. Die schlauen Füchse werden sich zu helfen wissen, sie werden der Flasche den Hals brechen; aber welche Hoffnung bleibt den dummen Störchen? Sie ließen sich wohl gar weis machen, es käme nur darauf an, sich den Schnabel putzen zu lassen! ... Aufgabe zur Übung des Verstandes: Wo sind die Füchse, und wo sind die Störche?[250]


121.

Ihr möget immerhin in Hübners synchronistischen Tabellen der Weltgeschichte nach einem Volke blättern, das dämischer sei als das deutsche, unbeholfener, furchtsamer und trübsinniger – ihr werdet keines finden. Die Langeweile ist seine Ehehälfte, und hat die Fabellehre noch keinen Gott des Gähnens, so nenne man ihn Teut. So ehrliche, gute Häute als wir hat die Welt nicht mehr. Das wissen auch die Gerber überall, und seit Jahrhunderten haben wir Europa mit Pergament, Trommelfellen und Sohlleder versorgt, und seit Jahrhunderten hat unsere Haut zu allen Verträgen und zu allen Kriegen gedient.

Ist die Erde eine hohe Schule, dann sitzt der Deutsche auf dem Lehrstuhle der Logik; er schleicht von Satz zu Satz und kommt nicht zum Schlusse, und schließt er, so beschließt er nichts, und hat er beschlossen, und es wäre reif zum Handeln, so kehrt er um, denn das halbe Jahr ist vorüber, neue Füchse suchen ursprüngliche Belehrung, das Heft wird zurückgeblättert und das alte Lied wiederum abgeplärrt. Mit solchem fröhlichen Mute übernehmen sie die Mühe des Sisyphus, daß sie zu beneiden sind statt zu beweinen; man möchte sein wie sie. Als die französische Revolution ihre logische Kette zerriß, da wurden sie ganz verdutzt und breiteten sich, was damals noch zu entschuldigen war, mit tiefer Gründlichkeit über den großen Text aus. Sie räusperten sich und sprachen:

»Im Anfange erschuf Gott Himmel und Erde.« Noch waren Sonne, Mond und Sterne nicht geschaffen, da trat Spanien ein. Sie legten die Vergangenheit in Salz und griffen zur frischen Gegenwart. Abermals räusperten sie sich und sprachen: »Im Anfange erschuf Gott Himmel und Erde.« Portugal, Neapel, Piemont, Griechenland fielen ins Wort; immer von neuem angefangen, und so wird die Welt untergehen, ehe sie zum siebenten Tag[251] der Schöpfung kommen. Ich drücke mich zu mehrerer Undeutlichkeit deutsch aus, ich rede, was hoffentlich nicht jeder verstehen wird, von den Zusammenkünften. Wirft der Wind einen Ziegel vom Dache, so läuft alles erschrocken aufs Feld hinaus, denn sie meinen, die Erde bebte; da doch nichts gebebt, als ihr schwaches, schuldbewußtes Herz. Hatte aber wirklich ein Erdbeben das Haus erschüttert, daß die Fenster sprangen – schickten sie zum Glaser und ließen neue Scheiben fertigen.


122.

In Meinungskämpfen sei man dann am vorsichtigsten, wenn die Gegner sich uns nähern und uns beistimmen. Die Wahrheit dient oft nur als Leiter zur Lüge, der man verächtlich den Rücken wendet, sobald die Höhe erreicht ist.


123.

Im allgemeinen Anzeiger der Deutschen, diesem genauen Register des langweiligsten aller Bücher, streiten zwei Pfarrer über die Abschaffung der Feiertage. Der eine Gegner, welcher für deren Beibehaltung spricht, sagt: nur ein fauler Geistlicher, der lieber gar nicht predigte, könne für die Abschaffung der Feste reden. Er schreibt aber nicht fauler, sondern f ... – Nun komme noch einer und fordere Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens! Für wen? Für Menschen, die in allen ihren freiwilligen Handlungen, in ihrem ganzen außergerichtlichen Verfahren so heimlich tun, daß sie Küsse und Ohrfeigen nur hinter sieben Schlössern geben? Für Menschen, die ihre Empfindungen, ihre Bedrängnisse, die alles abbrevieren, nur nicht ihre Titel und niederträchtigen Schmeicheleien? Still davon – jedem Volke was ihm gebührt.


124.

Gesellschaften, die sogenannten moralischen Personen, sind gewöhnlich sehr unmoralisch.[252]


125.

Die alte Kunst verkörperte das Geistige, die neue vergeistigt das Körperliche. Sie ist hier und dort, was hier und dort die Religion. Die Kunst des Heidentums war versinnlichte Kraft, Gegenwart, Genuß, die des Christentums ist übersinnliche Entsagung, Zukunft, Hoffnung. Weil Kunst die Geburt des Könnens, das Geschöpf des schöpferischen Menschen ist, die christliche Kunst aber Duldung und Ohnmacht darstellt, so ist sie keine. Das Gebilde dem Stoffe, diesen dem Urstoffe, den Urstoff dem leeren Raume, die Farben dem Lichte, die Zeit der Ewigkeit, die Gedanken dem Denken aufopfernd, ist die christliche Kunst ein Rückwärtsgebären des menschlichen Daseins, wo der Sohn zum Erzeuger des Vaters wird – sie ist keine Kunst, denn sie bildet nicht, sie zersetzt. So wenig Calderons Poesie wahre dramatische Dichtkunst, so wenig ist christliche Malerei wahre bildende Kunst. Daher ist bei den Alten Skulptur, bei den Neueren Malerei vorherrschend. Dort Umrisse und Anschauung, hier Perspektive und Berechnung. Nicht in dem was ist, in dem was dahinter ist, spricht sich die Bedeutung eines Gemäldes aus. Daher Republiken, Freiheit des Glaubens (Götter der Wahl, Vielgötterei), Protestantismus, Männer, Verstand – die Skulptur; Monarchien, alleinherrschende Religion (Katholizismus), Weiber und Gefühl aber die Malerei mehr befördern und lieben. Das mehr Plastische in der altdeutschen Malerschule, nach ihr in der niederländischen, weniger vorhanden in der französischen, gänzlich mangelnd in der italienischen, zeigt in diesem sinkenden Grade die Stärke des protestantischen Prinzips jener Völker im Staate und Einzelnleben an. Ich erfahre: Dannecker arbeite jetzt an einem Christus, und nach Versicherung der Kunstkenner sei dies Gebild das höchste, was die neuere Kunst hervorgebracht habe. Ob dieser große deutsche Künstler die rätselhafte Aufgabe befriedigend[253] werde lösen können, mag jeder mit billigem Unglauben abwarten. Wie ein Christus plastisch dargestellt werden könne, begreift sich schwer. Entweder die Kunst des Bildes oder die Göttlichkeit des Urbildes muß untergehen. Die Götterbilder der Griechen waren vermenschlichte Götter, und das himmlische Licht ward von der irdischen Masse eingesogen; der Gottmensch der Christen aber ist ein göttlicher Mensch, das Licht muß über die Masse siegen – ein Sieg, den nur die Malerei erringen kann.


126.

Warum ist die Heimat des Herzens die Fremde des Kopfes, oder umgekehrt, und warum darf niemand ohne Abzug und Nachsteuer aus einem Lande in das andere ziehen? Die Bundesakte, welche eine solche Freizügigkeit bewilligte, wäre die gemeinschaftliche heilige Schrift für die gesamte Menschheit.


127.

Haben und Sein sind die Hülfszeitwörter in der Sprachlehre sowohl eines glücklichen als eines elenden Lebens; denn aus Habsucht und Selbstsucht, den Tränendrüsen der leidenden Menschheit, quellen die Tränen der Freude sowohl als die der Schmerzen.


128.

Der Leichtsinn ist ein Schwimmgürtel für den Strom des Lebens.


129.

Kanonen- und Flintenkugeln sind oft Fleckkugeln zum Reinigen der beschmutzten Welt.


130.

Der wahre Mut ist nicht bloß ein Luftball der Erhöhung, sondern auch ein Fallschirm des Herabsinkens.[254]


131.

Napoleon. – Ich werde etwas schauerlich sein in dieser Betrachtung, aber fürchtet euch nicht, es ist alles nur Spaß. Der Kanzleistil nennt ihn jetzt Bonaparte, aber warum wollen wir diesen ruchlosen, fluchbeladenen Mann nicht mit dem Namen, unter welchem er sich gegen die Menschheit vergangen, auf die Nachwelt bringen? Bonaparte war groß, edelmütig, hochherzig, er hatte für Freiheit und Recht gekämpft; aber Napoleon war herrschsüchtig, eigenmächtig, schlecht und trugvoll. Darum führe er seinen Fürstennamen fort, und alle Zwingherren sollen so genannt werden, damit die kommenden Geschlechter erfahren, daß wir nicht bloß den Tyrannen, sondern auch die Tyrannei verabscheut haben. Sie sagten neulich, der Gefangene auf Helena habe sich befreien wollen – dieser sein Wunsch ist natürlich. Sie haben ihn festgehalten – das war Pflicht. Sie werden ihn strenger bewachen – man tut recht daran. Aber sie fürchten seine Entweichung, und das ist lächerlich; aber sie zittern vor ihm, und das ist abgeschmackt. Ist diese Eiche Europa so ausgewurzelt, daß das bloße Lüftchen einer Sage sie schon wanken macht? Wer kann nur glauben, daß Napoleon nach Europa feindlich zurückkehren möchte, auch wenn es ihm frei stände! Was dürfte er hier zu gewinnen hoffen? Wäre er auch gewesen, was er nicht war, ein wahrhaft großer, freigesinnter, edelmütiger Mann, selbst dann hätte er zum Wohle der europäischen Menschheit nichts zu tun vermocht. Seine Schöpfungskraft war zu groß und zu feurig, als daß er auf unsern phlegmatischen, dickbäuchigen, alternden Weltteil anders als zerstörend hätte einwirken können. Was sollte ihn zur Rückkehr antreiben, wer würde ihm beitreten? Frankreich nicht; denn die Franzosen sind frei und glücklich bei ihrer jetzigen Verfassung, und dieses Volk findet in dem Bestreben nach Erweiterung und Befestigung[255] seiner Freiheit Nahrung für seine Regsamkeit auf Jahrhunderte, so daß es gewiß keinem eroberungssüchtigen Fürsten mehr gelingen würde, es durch Waffenglanz und Ruhm zu ködern. Wo aber sonst in Europa dürfte Napoleon auf Anhang zählen? Wie ist es also möglich, daß der bloße Schall eines Namens, der so weit übers Meer herübertönt, einen ganzen Weltteil wach halten kann? Der Gefangene auf Helena hat durch Las Cases und andere viele Klagen über die üble Behandlung, die er von Sir Hudson Lowe zu erdulden habe, in Europa verbreiten lassen. Weichherzige, auch edelmütige Menschen sind hierdurch gerührt worden. Allein, wären auch alle die Klagen gegründet, welche andere Sicherheit gegen die Entweichung dieses furchtbaren Mannes gäbe es, als die rohe Henkersseele seines Wächters? Ich möchte ihn nicht zu bewachen, ich möchte die Weltgeschichte nicht im Käfig haben. Der Mensch hat schwache Stunden, er hat Träume, in welchen das gnädige, belohnende Lächeln eines Bathurst und die Ehre des Hosenbandordens ihn minder lockt als die Stimme der Nachwelt, und es könnte ihn einmal gelüsten, seinen Ruf an einen unsterblichen Namen knüpfen zu wollen – dann ein leiser Ruck der Finger, und Europa bebte von Ost nach West. Denke ja keiner, es gehöre ein verruchtes Herz dazu, durch eine solche Tat die Welt in Aufruhr zu bringen. Man kann sich blenden lassen, man kann sich überreden, die Welt – außer Frankreich allein – habe bis jetzt durch den Sturz Napoleons nichts weiteres gewonnen, als daß die Zentnerlast der Not in die hundert Pfunde mannigfaltiger Nöten zerschlagen worden ist. Und Frankreich selbst, um durch den Sturz Napoleons zu gewinnen, mußte es nicht einen solchen zu stürzen haben? Er war der Blutigel dieses fiebernden, vollblütigen Körpers, und nachdem er sich angesogen, fühlte sich der Leib gesund und frei. Er war von vier französischen Königsdynastien und allen[256] Revolutionsherrschern der letzte Kopf, dem die zusammengehäufte Tyrannei als eine Tontine allein zugefallen. Mit ihm verlosch die Leibrente der Knechtschaft.

Es gibt große Gedanken, die in der Brust eines Höflings nicht Raum genug finden; die Freigebung Napoleons ist ein solcher. Wollt ihr Europa alles demokratischen Stoffes entleeren, wollt ihr los werden sämtliche Schreier nach Verfassung, Freiheit, Gleichheit, Volksrepräsentation und wie sonst noch die krankhaften Gelüste heißen mögen, und froh und friedlich im Familienkreise eurer Generalstäbe, Hofmarschälle, Kammerjunker und Zeremonienmeister leben: so – laßt Bonaparte nach Amerika ziehen. Alle tolle Köpfe fliegen dann diesem Pole zu; ihr umgebt Europa mit einer chinesischen Mauer und könnt ruhig schlafen. Wollt ihr nicht, daß sich das republikanische System auch in Südamerika ausdehne, und alsdann dieser ganze antimonarchische Weltteil mit der ungeheuern Kraft seines Beispiels auf die Eierschalen der europäischen Fürstentümer drücke, so sendet den Gefangenen von Helena nach Mexiko, daß er dort der Stifter von Königreichen und so euer Retter werde.


132.

So leicht es ist, Kindern eine Fabel als Wahrheit zu erzählen, so schwer ist es, Männern die Wahrheit als Fabel darzustellen. Man hat uns alle zu den Griechen und Römern in die Schule geschickt, und nun, da wir in das Leben treten und das Erlernte auszuüben gedenken, verspotten sie uns und sagen: Alles, was wir gehört, sei nur Märchen gewesen. Aber es ist zu spät. O glückliche Verblendung der Blendwerkmacher! Sie meinten es recht klug zu machen, indem sie, um sich in die Gegenwart allein zu teilen, uns in die entfernteste Vergangenheit schickten, und sie vergaßen, daß die Geschichte rund ist wie die Erde und daß man fort und fort schiffend wieder zur Heimat gelangt.[257]


133.

Es gibt Menschen, die wohnen auf dem Cimborasso der Gemeinheit. Es ist unmöglich, ihnen beizukommen – sie behalten immer recht. Der Witz, der sie aufsucht, sinkt schon am Fuße des Berges entatmet nieder und bekennt mit Scham, daß ein Prügel besser sei als eine Lanze.


134.

Aristokratie oder Demokratie? – Das ist der Rechtsstreit unserer Tage. Nur nehme man diese Worte nicht in der gellenden Bedeutung, wie sie die Leidenschaft und das Feldgeschrei der Kämpfenden ausdrückt, sondern in dem reinen und gemäßigten Sinne, den ihnen die Wissenschaft gibt. List und Bosheit haben auch die Fürstlichkeit in Beschlag genommen, sich anstellend, als werde ihr Recht streitig gemacht; aber die redlichen und verständigen Anhänger der Demokratie haben nie gefragt: soll es Fürsten geben? sondern: soll der Fürst der Fürst der Aristokratie oder der Fürst des Volkes sein? Nicht so leicht, als wohl viele glauben, ist es, diesen Zweifel zu lösen. Soll man die Erfahrung zu Rate ziehen? Die Erfahrung ist auch eine Schmeichlerin und spricht zu jedem, wie er es gern hört. Die Aristokraten können ihre Ansicht mit folgenden Gründen verteidigen. »Die edelsten, kräftigsten, geistreichsten und tugendhaftesten Menschen haben zu jeder Zeit eine Demokratie gewünscht; das ist der stärkste Grund – ihrer Verwerflichkeit. Die edlen Menschen sind nur immer in geringer Zahl, und was für sie gut ist, kann daher für die Menge nichts taugen. Daß begabte Menschen, welches auch der Vorzug sei, der sie über andere erhebt – Genie, Talent, Kunstfertigkeit, Mut, Seelenstärke, Rednergabe, Gewandtheit, Beharrlichkeit, wissenschaftliche Erkenntnis – die Demokratie wünschen, ist so verzeihlich als natürlich; denn nur bei einer solchen Ordnung der Dinge erlangt jeder den Platz, den ihm die[258] Natur angewiesen, wo er seine Kräfte nach innen und außen mit der größten Freiheit entwickeln und seinen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft bis zu seinem Werte steigern kann. Was soll aber alsdann mit den Mittelmäßigen und Schwachen geschehen, die zu jeder Zeit und in jedem Volke die Mehrzahl bilden? Soll man sie der Minderzahl aufopfern? Soll man die Unbemittelten an Geist und Kraft, wie es in den demokratischen Staaten des Altertums geschah, zu Heloten herabwürdigen oder als verächtlichen Kliententroß den Geistesaristokraten nachziehen lassen? Ist die Aristokratie des Adels verwerflich, so ist es die Aristokratie des Talentes noch mehr. Der Adelsstand ist nie so geschlossen, daß die Niedergebornen nicht hineinkommen könnten; Glück; Verdienste, die Gunst des Fürsten, können auch den Niedrigsten erheben. Aber die Geistesaristokratie ist durchaus unzugänglich, in ihr herrscht der blinde Zufall der Geburt, die Gunst der Natur kann weder verdient noch erbettelt werden. Bei aristokratischen Verfassungen, wie sie noch in den meisten Staaten Europens gefunden werden, wo die bürgerliche Gesellschaft in Stände zerfällt, werden die schwachen oder unbehülflichen Bürger jeder von dem Stande, dem er angehört, getragen, beschützt, befördert. Den verdienstlosen Hofmann schützt der Hof, den armen Edelmann der Adel, den geistlosen Gelehrten die Fakultät, den unfertigen Handwerker die Zunft, und so jede Körperschaft ihre Mitglieder. Auf diese Weise bestehen alle, keiner geht zu Grunde, und selbst die Geistesaristokraten bestehen; denn ist es ihnen auch nicht verstattet, die Vorrechte auszuüben, mit welchen sie die Natur belehnte, so haben sie doch mit den übrigen gleiche Rechte, und ist auch der Ruhmbegierde nicht jeder hohe Preis hingegeben, so steht es ihr doch frei, in den ihr angewiesenen Grenzen nach dem Höchsten zu streben. Jeder Edelmann kann die höchste Ehrenstelle, jeder[259] Beamte das wichtigste Amt erlangen; jeder Kaufmann kann sich zum reichsten, jeder Handwerker zum gesuchtesten, jeder Gelehrte zum geachtetsten, jeder Soldat zum Feldherrn, hinaufschwingen. Ist diese Ordnung der Dinge, wo nur Wenige wenig gehindert werden, um keinen ohne Wirkungskreis zu lassen, nicht jener andern vorzuziehen, wo die Mehrzahl von der Minderzahl verdrängt wird? In demokratischen Verfassungen, wo das Volk in Individuen zerfällt, hat jeder, wohin er auch seine Kräfte richte, mit dem ganzen Volke zu kämpfen; wenn aber die Staatsgesellschaft in Stände geschieden ist, hat man nur die Mitbewerbung der Standesgenossen zu ertragen. Soll man nun, um einiger Seiltänzer willen, die gewohnt sind, ohne Schwindel über schmale Höhen zu gehen, alle Brustlehnen abbrechen, welche den Taumelnden vor dem Abgrunde schützen? Soll man um einiger Schwimmer willen keine Brücken bauen? Soll man um einiger Starken und Mutigen willen, die sich bei Schlägereien durchzuprügeln, die sich gegen Räuber und Diebe zu schützen wissen, die Polizei abschaffen und Tore und Mauern der Städte, welche die Wehrlosen schützen, niederreißen? ... Und bis jetzt haben wir bloß von den Individuen gesprochen, welche einen Staatsverein bilden; betrachtet man aber den Staatsverein als ein Gesamtwesen, als einen selbständigen Körper, so ergeben sich die Vorzüge, welche eine aristokratische Verfassung über eine demokratische hat, noch viel deutlicher. Ruhe, Sicherheit und lange Dauer der Selbständigkeit genießen nur aristokratische Staaten; Ehrgeiz, Habsucht oder Zerstörungstrieb können sich da nie über einen gewissen Kreis erstrecken. Gewalttätigkeiten der Fürsten gegen Volk und Adel, Verschwörungen des Adels gegen Fürst oder Volk, Volksbewegungen, Meutereien der Soldaten, Aufstände unter Zunftgenossen, Aufruhr der Studenten, waren in der alten Zeit eigentlich häufiger als[260] jetzt; da aber solche Unruhen immer nur ein Standesinteresse zum Grunde hatten, mochten sie, und da sie die übrigen vereinigten Stände gegen sich hatten, konnten sie sich nie über den ganzen Staat verbreiten. Aber in unsern Tagen muß jede Soldatenmeuterei, jeder Studentenauflauf die Regierungen erschrecken. Nicht etwa, als sei anzunehmen, daß solche Empörungen häufiger als sonst in staatsverbrecherischen Absichten unternommen würden – deren Ursprung mag noch eben so örtlich und deren Zweck ebenso beschränkt sein als damals. Aber die gegenwärtige Lage der Dinge macht solche Unternehmungen verderblicher; weil nämlich die Stände nicht mehr isoliert genug sind, muß der elektrische Funke, der durch keine Nichtleiter aufgehalten wird, den ganzen Staat durchdringen und mehr oder minder erschüttern.« ... Die Demokraten können diese und alle übrigen Gründe, welche die Aristokraten noch im Hinterhalte haben, mit wenigen Worten widerlegen:

»Es ist gar nicht die Frage, ob es eine Aristokratie geben solle oder nicht; die Natur selbst hat bejahend entschieden. Die Frage aber ist, ob die Aristokratie eine unbewegliche oder eine bewegliche sein soll.«


135.

Der Verstand, als Blitzableiter des Unglücks, kann es an dem Herzen der Menschen unschädlich herabführen, vermag aber nicht, es abzuwenden.


136.

Es gibt Fußpfade, die zu dem Geiste und Herzen der Menschen schneller und anmutiger führen als jene staubigen Heerstraßen einer feindlichen und grämlichen Lehre, auf welchen die Hartnäckigkeit den Angriff erwartet, sich verteidigend in den Weg stellt oder uns mit ihren Ausfällen zuvorkommt.[261]


137.

Man fand im Altertum geld- und geistreichere Menschen als jetzt, aber der Wohlstand war weniger verbreitet; es gab keine Bemittelte.


138.

Was nützen uns oft die wärmsten Freunde? Sie lieben uns höchstens wie sich selbst – aber wie lieben sie sich selbst!


139.

Die Weiber verlangen das Größte und das Kleinste zugleich; sie fordern Liebe und auch, daß man artig gegen sie sei – eine Million in Scheidemünze.


140.

Das Volk hat nur da die Freiheit mißbraucht, wo es sie sich genommen, nicht da, wo man sie ihm gegeben: So wird der lange Zeit Gefangene, der durch eigene Kraft seinen finsteren Kerker erbricht, von dem plötzlich eindringenden Sonnenlichte geblendet, er taumelt und weiß nicht, was er tut; dem sich aber das Gefängnis freiwillig und gemach auftut, der verläßt es dankerfüllt und gehet froh und besonnen nach Hause.


141.

Welch einen trüben Anblick gewähren uns jene Menschenscharen, die, Europens Winter ahnend, wie Zugvögel in ein wärmeres Land überziehen, wo sie Nahrung im Freien finden und nicht angstvoll abzuwarten haben, daß ihnen übermütige Fürstendiener kümmerliche Brosamen darreichen. Wir wollen den Blick abwenden von den engen Fußpfaden, den Bächlein, den dürren Gebüschen unserer Heimat, und uns mit jenen Riesenströmen, jenen unermeßlichen Wäldern voll Blüten und Düften, die uns aus Amerika zulocken, befreunden. Lernt[262] genau das Land kennen, wo noch eurer viele nach langen Leiden das altergraue Haupt zum Ausruhen und Sterben hinlegen und wo eure Söhne ungeneckt eure Enkel wiegen werden. Wohl verläßt keiner fröhlichen Mutes das Land, das ihn geboren, und niemand vermag ohne Schmerzen sich von der mütterlichen Erde loszureißen, worin das Herz mit tausend Wurzeln fasert. Aber ermannet euch, fliehet, ehe der Sturm kommt und die Erde unter euren Füßen wankt. Europa verdient den Adel nicht mehr, den es von seinen Vorfahren ererbt, die ihn erworben. Es trete in die Gleichheit mit den übrigen Weltteilen zurück, und wenn es seine Herrschaft über Amerika nicht aufgeben will, wird es ihm noch dienen müssen. Vielleicht ist die Menschheit bestimmt, die vier Jahreszeiten ihres Daseins in den verschiedenen Weltteilen auszuleben. Asien war die Wiege des menschlichen Geschlechts; Europa sah die Lust, die Kraft, den Übermut seiner Jugend. In Amerika entwickelt sich die Fülle und Weisheit des männlichen Alters, und nach Jahrtausenden erwärmt die greise Menschheit ihre kalten, zitternden Glieder in Afrikas Sonne und sinkt endlich lebenssatt als Staub in Staub dahin.


142.

Man bauet selten seine Meinung auf festem Grunde, man baut sie in die Luft, gibt dem Zimmerwerke schwache Stützen, und erst wenn man mit dem Dache fertig ist, unterwölbt man das Gebäude. Auch vor dem gerechten Urteile geht oft ein Vorurteil her.


143.

Napoleon war der hohe Priester der Revolution, und als er so dumm war, die Göttin um ihre Anbetung zu bringen, brachte er sich um seine Priesterwürde, und seine Macht ging unter.[263]


144.

Ja, Luther hatte es verstanden, als er dem Teufel das Dintenfaß an den Kopf geworfen! Nur vor Dinte fürchtet sich der Teufel, damit allein verjagt man ihn.


145.

Gott hat seine Höflinge, die ihm schmeicheln, als wenn er ein Fürst wäre.


146.

Wie habe ich mich auf meinen Reisen bemüht, etwas zu finden, das lächerlicher wäre als die deutsche Zensur! Aber ich habe vergebens gesucht. Wenn wir durchaus nicht reden wollten, sollten uns die deutschen Staatsmänner auf die Folter spannen, uns zum Reden zu zwingen. Jede freie Zeitung würde Preußen ein Regiment ersparen. Auch wissen sie das sehr wohl, nur meinen sie, es hätte Zeit bis zum Kriege. Sie füllen den Geist in kleine Riechfläschchen und verstopfen diese gut, und wandelt sie eine Ohnmacht an, greifen sie nach dem Spiritus. Es ist gar nicht zu sagen, welchen Hochmut die deutschen Staatsmänner gegen die Schriftsteller zeigen, sobald diese von etwas Gegenwärtigem, Lebendigem, Barem reden. Die Wahrheit dürfen wir besitzen, aber das Münzrecht derselben behalten sie sich vor. Ich will nicht behaupten, daß sie uns so sehr verachten, uns nicht für hängenswert zu halten; aber sie verachten uns ziemlich, beschauen uns von hinten und vorn, lachen über unser düsteres, ledernes, fremdartiges Ansehen, wünschen spöttisch ihr Glück auf! und zählen heimlich die Taler, die wir aus dem dunkeln Schacht geholt. Das freie Wort belästigt sie wie eine Mücke. Die Unglückseligen! Darum zählen sie auch die Bajonette, nicht die Herzen, und zittern, wenn der Feind so viel Bajonette mehr zählt als die vaterländische Macht. Es wird ihnen so bange, wenn ein anderer[264] Staat fett und dick wird; sie wissen nicht, daß Fett keine Nerven hat, daß den Dicken der Schlag droht. Sie wissen nicht, daß es in unsern Tagen nur das Herz ist, welches siegt, welches erobert.


147.

Keine größere Tücke kann das Schicksal gegen große Menschen üben, als wenn es sie am Schlusse einer alten Zeit erscheinen läßt. Sie sind dann nur die Leichensteine begrabener Geschlechter, und ihr Ruhm wird mit Füßen getreten. Welche aber das Geschick begünstigt, die läßt es am Anfange einer neuen Zeit auftreten. Sie wachsen dann in das zarte Jahrhundert hinein, mit ihm gegen den Himmel, und werden unsterblich. Goethe und Napoleon gehören zu den einen; Voltaire, Rousseau, Washington, Lafayette zu den andern.


148.

Es ist mit der Herrschbegierde wie mit der Eßlust. Bei schwachen Gemütern ist jene oft am stärksten, wie diese oft am größten ist bei Menschen von schwacher Verdauung.


149.

Es ist nichts angenehmer, als aus einem Übel, das uns begegnet, Vorteil ziehen – und man kann das immer. Dieses ist in einem andern als dem gewöhnlichen, aber in einem schönern Sinne eine Schadenfreude. Man kann den Teufel nicht feiner prellen.


150.

Sooft ich in eine Universitätsbibliothek kam, fühlte ich Lust, den im Saale Herumgehenden zuzuflüstern: weckt die guten Bücher nicht, tretet leise auf, unterhaltet euch lieber mit den wachenden – mit den Professoren.[265]


151.

Vor allen Kindern, die uns begegnen, sollten wir uns tief und ehrfurchtsvoll verneigen; sie sind unsere Herren, für sie arbeiten wir. Ein Kind in der Hütte ist mehr als ein Greis auf dem Throne. Schon darum muß man suchen, Vater zu werden, um Kinder ohne Neid betrachten zu können.


152.

Ein Zuckerbäcker in Spanien hat neulich erfunden, warmes Eis zu bereiten. Der Erfinder hat wahrscheinlich an Höfen gedient.


153.

Die Haushaltungsbücher der Erfahrung sind darum so schwer zu benutzen, weil die Geschichte nur die einzelnen Posten bemerkt, aber nie Summe und Transport zieht.


154.

Liegt ein Vornehmer krank auf seinem Lager, dann eilt die bezahlte oder die bettelnde Sorgfalt, Stroh auszubreiten über das Pflaster der nah gelegenen Gassen, damit nicht der schwere Fuß des Lastträgers, noch der Trott der Pferde, noch die rasselnden Räder den Leidenden aus seinem Fieberschlummer stören. Dieser ist froh, daß die Welt so stille sei; aber die geschäftige Menge treibt sich umher wie immer, jeder wandelt seinen Weg der Lust oder Not, die Wagen rollen nicht minder schnell, keiner verliert, und nur der Dieb gewinnt, daß er, wenn die Nacht herannaht, zögernden Schleichens überhoben, seiner Beute rascher entgegenstürzen darf ... So auch gehen Gedanken und Reden wie früher ihren gewohnten Weg, nur leisern Trittes, über die weiche Decke hin, mit der man, empfindliche Köpfe zu schonen, die Straßen der öffentlichen Meinung belegt hat.[266]


155.

Würde einst das Menschengeschlecht so entartet, daß es den Teufel als göttliches Wesen verehrte, dann fände sich das Testament, welches die Offenbarungen dieser höllischen Religion enthielte, schon vorlängst fertig und gedruckt – in Llorentes Geschichte der spanischen Inquisition. Menschen morden ist etwas; sie foltern ist viel; aber ein ganzes Volk, ein hochherziges, geistreiches, tapferes und lebenskräftiges Volk, wie das spanische immer war, dreihundert Jahre auf der Folter zu halten – nicht nur auf jener Folter, die Glied von Glied abreißt, sondern auf jener schrecklichern, welche den ganzen Bau der menschlichen Natur auseinanderzieht, welche Sohn von Vater, Bruder von Bruder, Gattin von Gatten trennt, daß sie sich verraten; welche die Bande der allerstärksten Liebe, die der Selbstliebe sprengt, so daß der Geängstigte sein eigener Verräter wird – wie man das nenne? es gibt kein Wort, und will man das Entsetzliche der Inquisition beschreiben, hat man nur immer das Wort Inquisition dafür. Sollte es auch gelingen (und es wird gelingen), die Fackel der Zwietracht unter die Spanier zu werfen und sie zum Bürgerkriege aufzureizen, müßte dann Spanien wie Frankreich dreißig Jahre mit äußern und innern Feinden kämpfen, bis es zur Ruhe gelangt: auch dann noch wäre die Befreiung von der Inquisition wohlfeil erkauft. Was sind Septembertage gegen Autodafés, was Füsilladen gegen Scheiterhaufen, was ist die wandernde Guillotine gegen das schleichende Gift der geheimen Gefängnisse, der geheimen Zeugenaussagen, welcher sich das heilige Offizium bediente? Treten einst Robespierre und Marat vor den Richterstuhl des Herrn, dann werden sie freigesprochen, wenn ihnen ein Generalinquisitor nahe steht. Wer dieses Werk Llorentes kennt und ein Herz im Busen trägt, das der Liebe und des Erbarmens fähig ist, wird das Buch zu verbreiten[267] suchen, daß es bis in die niedere Hütte des Landmanns dringe. Wenn unter jeder Million Menschen es nur tausend lesen, wenn unter diesen Tausenden es nur hundert ergreift, dann ist die Freiheit der Völker gesichert, dann ist keine Tyrannei alt genug, sich zu erhalten, und keine neue listig genug, sich einzuschleichen.


156.

Revolution heißt eine Umgestaltung der öffentlichen Meinung, solange diese Umgestaltung noch im Werden, noch nicht vollendet ist. In diesem Sinne ist Deutschland auch im Revolutionszustande, und die von der Bundesakte zugesagten ständischen Verfassungen sind nicht minder Folgen der Revolution, als die Charte es ist, die Ludwig XVIII. bewilligte – sie wurden nicht gegeben, sondern nachgegeben.


157.

»Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.« Wer etwa eine Geschichte unserer Zeit im Werke hat, dem wird geraten, diese Worte des Mephistoteles in Goethes Faust als Motto zu gebrauchen.


158.

So gewaltige Dinge auch geschehen sind seit dreißig Jahren, so war der Schauplatz dieser Geschichten doch nur erst ein Fechtboden, nur Rapierstreiche sind bis jetzt gefallen; der Ernstkampf soll noch folgen.


159.

Ein mißverstandenes Christentum hat uns alle verwirrt, hat uns den Genuß gegen die Hoffnung abgelistet, es hat uns gelehrt: die Menschheit sei bloß eine Puppe, nur um des einstigen Schmetterlings willen geschaffen; der Mensch werde nie geboren, um zu leben, sondern um zu[268] sterben, und er lebe nicht, um sich zu freuen, sondern um zu leiden. Einen glücklichen Menschen beweinen wir, und wer seinen irdischen Vorteil sucht, den verdammen wir. Ferner wurde uns gelehrt die Freiheit des menschlichen Willens, und wir machten uns und andere verantwortlich für alles, was in der Welt geschah, und zu den Leiden, die uns achtzehn Jahrhunderte aufgebürdet, kamen noch die Vorwürfe unseres Gewissens und das peinigende Gefühl, diese Leiden verschuldet zu haben. Die feudalistischen Regierungsverfassungen, bestehend in einer Art, wovon die Alten nicht einmal eine Vorstellung hatten, vermehrten die Verwirrung. Gewohnt zu sehen, daß alles durch einzelne geschieht, glaubten wir auch, alles geschehe für einzelne, und in diesem Glauben wurden die Völker- und Staatengeschichten geschrieben. Die sogenannte »Geschichte der drei letzten Jahrhunderte«, wie sie uns in unserer Jugend von gläubigen Professoren gelehrt ward, ist die Chronik eines Tollhauses, von einem seiner Bewohner verfaßt. Die geistreichsten Gelehrten waren so gutmütig zu bekennen, daß viel besser als sie selbst jeder Kammerdiener, der so glücklich gewesen, Ludwig XIV. die Nachtmütze zu reichen, imstande gewesen wäre, die Geschichte Europas zu schreiben. Und jetzt lese man die Werke solcher Kammerdiener-Seelen! An dem Fuße jedes Weidenbaumes, der am Ufer stand, suchten sie die Quelle des Stromes, der an dem Ufer vorbeifloß, und fragte man sie, woher die Wellen kämen, dann zeigten sie mit wichtiger Miene in die Tiefe und sagten: das täten die Kieselsteinchen am Grunde. So haben sie die Geheimnisse des Menschenlebens zwischen den Falten eines Weiberrocks hervorgesucht, und gab es ja einmal Besserkundige, die das weise Beginnen der Vorsehung erkannten, spotteten sie und zeigten, wie bald eine fürstliche Liebschaft, bald eine Hartleibigkeit, bald ein schiefes Fenster, bald ein paar Handschuhe alle die[269] großen Veränderungen in Europa hervorgebracht hätten. Wäre das Hofleben der Tarquinier so geheim gewesen als das von Ludwig XV., und wäre Livius so albern gewesen als die neuern Geschichtsschreiber, dann hätte auch er mit dem Stolze eines historischen Kolumbus aufgefunden, daß nicht die hohe Bestimmung Roms, daß nicht Brutus und die ihm Gleichgesinnten dem Volke die Freiheit gegeben, sondern daß ohne die Entehrung der Lucretia Rom nie eine Republik geworden wäre. In unsern jetzigen Repräsentativstaaten sind zwar die Kabinette weniger verschlossen als sonst; aber die Köpfe der Geschichtslehrer sind es noch so sehr als jemals. Man durchwandele die Milchstraße der deutschen Zeitungen, man lese darin die Mitteilungen der Pariser Privatkorrespondenzen, welchen wie den Weisen aus dem Morgenlande Sterne vorausgehen, und man lache nicht! Eine große Nation wird als Marionette geschildert, welche Parteien und Parteimänner nach Laune lenken. Alles, was geschieht oder unterbleibt, wird diesen zugeschrieben. Von dem Genius der Menschheit, der auch über Frankreich wacht, von der innern Lebenskraft des Landes, die wie das tierische Leben der Triebe, so der Leidenschaften sich zu seiner Erhaltung bedient – davon wissen jene Sternseher nichts. Ein solcher Staatsmann in den Allgemeinen politischen Annalen sagt mit großer Ernsthaftigkeit da, wo er von Benjamin Constant und seinen Freunden spricht: »Es bleibt ein großer Mißgriff, und wofür Frankreich schwer gebüßt hat, daß das Ministerium diesen Männern eine Bedeutsamkeit zutraute und bestimmte Zwecke zuschrieb, wovon sie weit entfernt waren. ... Hätte man Benjamin Constant im Staatsrate gelassen, dem Marquis Chauvelin seinen Platz als Oberzeremonienmeister wieder gegeben, so sähe man sie jetzt als eifrige Anhänger der Bourbons.« Kann man so etwas schreiben und auf Beistimmung hoffen, kann man so etwas lesen[270] und gelassen bleiben? Ich will nicht mit dem Verfasser rechten, daß er Männer verlästert, die sich zu jeder Zeit als unerschütterliche Freunde der Freiheit gezeigt haben; aber das kann ihm nicht zugegeben werden, daß das Schicksal des französischen Volks von diesen oder andern Männern abhänge und daß der Zeremonienmeisterstab in Chauvelins Händen ein Zauberstab geworden wäre, der Frankreich umgeschaffen hätte. Wurden nicht gerechte Schlachten auch durch Söldlinge gewonnen? Jene Parteimänner mögen immer für ihren eigenen Vorteil streiten, es bleibt doch die gute Sache, deren Sieg sie erkämpfen helfen. Die Ananas wächst unter dem Miste hervor, ein langer schmutziger Weg führt aus dem Goldschacht bis zum Gewölbe der Kleinodienhändler; aber die Frucht schmeckt doch süß, das Geschmeide glänzt nicht minder – und Frankreich wird frei und glücklich werden, trotz der Selbstsucht seiner Führer, wie trotz den Gaukeleien seiner Irrlichter.


160.

Derselbe Politiker sagt am bezeichneten Orte: »Wenn wir mit unbefangenem Blicke den Zustand des heutigen Europas überschauen, so finden wir eine große Ähnlichkeit zwischen den heutigen europäischen Staaten und dem römischen Reiche vor dessen Untergange durch neue Lehrer und feindlichen Andrang. Wie damals das Christentum im Gegensatz zum Heidentum mehr negativ als positiv, mehr zerstörend als schaffend auftrat, so jetzt die sogenannten liberalen Ideen. Denn leider erkennen unsere heutigen Reformatoren keine andere Religion als die ihrer Chimärenpolitik ...!« Unser staatsweiser Mann hat zu scharf geladen, die Büchse ist ihm in der Hand geplatzt und hat ihn selbst verwundet! Ja freilich ist es so; gleich wie jetzt die Lehren des Liberalismus verspottet und deren Anhänger verfolgt werden, so wurde[271] damals die Christuslehre verspottet und verfolgt – aber auf welcher Seite ist der Sieg geblieben, bei den Unterdrückern oder Unterdrückten? Rom ist nicht mehr, und das Christentum besteht noch in seiner Kraft. Das römische Reich ist nicht durch feindlichen Andrang und durch die neue Lehre untergegangen. Solange Rom männlich und stark war, besiegte es seine Feinde, solange die römische Menschheit frei und glücklich war, blieb sie den Göttern des Lebens treu. Als aber Rom alterte und hinfällig ward, unterlag es dem Schwerte der Barbaren, und als die Römer in Sklaverei und Elend verfielen, da ward ihnen von der schützenden Vorsehung der Gott des Todes gesendet, als ein Tröster der Leidenden, als ein Krankenwärter der siechen Menschheit; da ward der Blick von einer Erde voll Nacht, Haß und Trauer zu einem Himmel voll Liebe, Licht und Seligkeit hinaufgeleitet. Die »sogenannten liberalen Ideen« unserer Zeit wirken freilich, wie das Christentum bei seiner Entstehung, negativ und zerstörend; aber wie kann das anders sein? Wandelt nicht jede Gegenwart über den Gräbern der Vergangenheit, und könnten die Lebenden Platz finden, wenn man nicht die Toten unter die Erde brächte? Kann man die Freiheit in die Luft bauen, oder soll man neue Gebäude auf die Dächer der alten setzen? Der Boden ist eingenommen von den Institutionen der Mittelwelt und dem Schutte der Feudalität. Diese müssen weggeräumt werden, um der neuen bürgerlichen Ordnung Platz zu machen; das heißt aber nicht zerstören, das heißt nur verweste Körper einscharren.


161.

Die Herrscher glauben, um zu regieren, müssen sie außer dem Volke stehen, weil dieses der Punkt des Archimedes sei. Dieses ist wahr, solange die Völker nur feste Körper bilden. Sind sie aber einmal flüssig geworden, dann nützt[272] der Hebel nicht mehr, da kann man nur chemisch auf sie einwirken, und man muß sich mit ihnen vermischen.


162.

Die französische Revolution wird nach und nach in alle europäischen Sprachen übersetzt werden, und es ist nicht ratsam, dieses zu verhindern. Man nötigte hierdurch alle Welt, französisch zu lernen, um das Original zu verstehen. Die Fehler des Originals aber könnten in der Übersetzung verbessert werden.


163.

Beim Beginnen einer Unternehmung und unweit des Zieles ist die Gefahr des Mißlingens am größten. Wenn Schiffe scheitern, so geschieht es nahe am Ufer.


164.

Schädliche Ideen werden oft nur durch Mitteilung unschädlich gemacht. Mancher Gedanke und manches Gefühl, in der Hirnschale und der engen dunkeln Brust eines Menschen sich entzündend, haben Zerstörung um sich her verbreitet und würden, hätten sie bei Tage und frei sich entladen dürfen, gefahrlos und lächerlich verpufft sein.


165.

Mündliche Verleumdung ist das Geschoß aus einer Windbüchse: man sieht das Schlachtopfer fallen, doch der Täter der geräuschlosen Tat bleibt unentdeckt. Gedruckte Übelrede ist die Kugel eines Pulvergewehres, wobei Knall und Licht den Mörder verraten und der Strafe überliefern.


166.

Ihr Lehrer der Wahrheit, laßt euch nicht abschrecken, wenn die Zensur nach den Grundsätzen einer pharaonischen Polizei die neugebornen Kinder eures ihr allzu[273] fruchtbar dünkenden Geistes umbringen läßt. Einst wird doch einmal irgend ein fürstliches Herz sich eines ausgesetzten Mosesgedanken erbarmen, ihn aufnehmen, erziehen, bilden – und dieser wird der Befreier seines Volkes.


167.

Die Freiheiten, die man zu Zeiten dem Volke gestattete, sollten nichts als eine Probe sein, obwohl die Ketten noch gut anliegen. So geschieht es, daß man eine schon verschlossene Tür wieder öffnet, um zu sehen, ob sie recht verschlossen war.


168.

Man betrachte die Geschichte der Vergangenheit nicht als ein düsteres memento mori, sondern als ein freundliches Vergißmeinnicht, dessen Lehre man sich mit Liebe erinnern soll.


169.

Die Zufälle, als sinnentstellende Druckfehler im Geschichtsbuche der Menschheit, werden zwar wie in den andern Büchern hinter dem Werke verzeichnet; aber sie können nicht wie in jenen auch verbessert werden.


170.

Bei der Versammlung der Notabeln, die zu Paris im Jahre 1613 während der Minderjährigkeit Ludwig XIII. und der Regentschaft der Maria von Medicis gehalten worden, hatten sich die Deputierten durch ein dreitägiges Fasten zu ihren Arbeiten vorbereitet. Herrliche Sitte, die wieder eingeführt zu werden verdiente! Ich mache alle Minister darauf achtsam, es wäre ein unfehlbares Mittel, die Murrköpfe von ihrer Ständesucht zu heilen.


171.

Es gibt politische Schriftsteller in Deutschland, denen es weder an Freimütigkeit, noch an Einsicht, noch an Kraft[274] der Rede gebricht, und dennoch bewirken sie nicht, was sie sich vorbedacht und was zu wünschen wäre. Sie erreichen es darum nicht, weil sie, ängstlich, mißverstanden zu werden, unverständlich sind. Denn sie ahnden es nicht, wie ausgebreitet unter dem deutschen Volke der klare Sinn der rechtlichen Freiheit sei. Jene Schriftsteller machen es wie gemeine Leute, wenn sie mit Franzosen sprechen, die ihre eigene Muttersprache ausländisch radebrechen, weil sie glauben, sich so deutlicher zu machen.


172.

Wenn eine Schrift ausgezeichnete neue Ideen enthält, deren Verbreitung aber bei den obwaltenden Verhältnissen bedenklich gefunden würde, so möge der Druck derselben zwar von der Zensur verboten werden, aber die Regierung sollte das Werk gegen eine Belohnung des Verfassers an sich bringen, um entweder die darin enthaltenen Lehren sogleich im stillen zu benutzen oder um die Schrift aufzubewahren bis die Zeit kommt, wo die Bekanntmachung derselben zum allgemeinen Besten ersprießlich wird. Hierdurch würde die gefährlichste Folge des Preßdruckes, nämlich die Beschränkung des menschlichen Geistes und der Kindermord der Ideen vermieden werden. Von solchen dem Umlaufe entzogenen Werken bilde sich der Staat ein Ideenmagazin, das in Zeiten einer geistigen Hungersnot Rettung bringe.


173.

Es ist eine lächerliche Unbesonnenheit, daß die Anwalte der Aristokratie es bei jeder Gelegenheit mit Geräusch bemerklich machen: der Friede in Europa würde der verbrecherischen Hoffnung der Liberalen zum Trotze erhalten werden; die verbündeten Mächte wüßten recht gut, daß nur ihre Einigkeit die Revolutionäre niederhalten könne. Also hätte doch die drohende Stellung der[275] Völker den großen Nutzen, der Welt den Frieden zu sichern. Aber sind solche Geständnisse nicht deutliche Winke, jene drohende Stellung ja nicht aufzugeben?


174.

Die Verteidiger der Aristokratie sagen: die Natur selbst begünstigte die Ungleichheit unter den Menschen. Das ist wahr; aber weil die Natur sie begünstigt, muß die Kunst ihr entgegenarbeiten. Weil das Glück, der Geist, der Mut, die Klugheit einen Menschen über den anderen erhebt, muß das Gesetz die Gleichheit wieder herzustellen suchen, muß es dafür sorgen, daß die Bewegung mit dem Stoße aufhöre, daß der Lohn mit dem Verdienste endige. Die Laune der Natur darf nicht zum Gesetze, ihre freie Wahl darf nicht zur Notwendigkeit werden; das Glück soll nicht erblich sein.


175.

Caligula hatte seine Gesetze hoch aufhängen lassen, damit sie die Bürger nicht lesen können, damit sie sie übertreten und so in Strafe verfallen. Hätte Caligula hier und dort in Deutschland regiert, wäre diese seine Tücke ganz unnötig gewesen. Denn manche Verordnungen, im üblichen Kanzleistile abgefaßt, sind nicht allein unverständlich, sondern oft auch unleserlich, weil auf dem langen holperigen Wege die Augen den Atem verlieren, ehe sie zu einem Punktum kommen, und nachdem sie sich etwas ausgeruhet, seufzend wieder umkehren. Ein lustiges Beispiel, das hierher gehört: ein gewisser Beamter eines gewissen Staats, in einem gewissen Lande, das in einem gewissen Weltteile liegt (so lernt man endlich Bescheidenheit!) hatte vor einigen Jahren eine Verfügung erlassen, mit dem schnackischen Anfange: Da die den das (nämlich: Da die den das sechzigste Lebensjahr erreicht habenden Rat N.N. betroffen habende Augenkrankheit sich[276] verschlimmert hat). Diese Sprachverschönerung erregte damals die Bewunderung des ganzen Landes. Es war vorauszusehen, daß mancher Geschäftsmann sich im stillen nach einem solchen Muster zu bilden versuchen würde, und die Erwartung ward nicht getäuscht. Vor wenigen Wochen kam wirklich ein Amtsbericht ein mit den Anfangsworten: Die des dem (nämlich: Die des dem Bärenwirt zugefügten Diebstahls verdächtigen Juden sind nunmehr in Polizeiarrest). Die Behörde aber, an die der Bericht eingesendet war, nahm das Ding übel auf und bedeutete dem Berichterstatter: es sei ebenso ungeeignet, dergleichen Muster nachzuahmen, als sie zu verspotten. Diesem blieb zu seiner Entschuldigung nichts anderes übrig, als der Wahrheit gemäß zu erklären: er habe gar nicht die Absicht gehabt, ironisch zu sein, sondern es sei ihm mit dem die des dem völliger Ernst gewesen.


176.

Unglücklicherweise hat die sittliche Blindheit viel Ähnlichkeit mit der körperlichen. Eine angehende wird schwer gehoben, man muß den Star erst reif werden lassen. Aber darüber vergehet ein großer Teil des Lebens, und der endlich Geheilte findet eine neue, ihm unverständliche Welt. Was er früher begriffen hätte, sah er nicht, und was er jetzt sieht, begreift er nicht.


177.

Ist es nicht möglich, zu tadeln, ohne zu spotten, und zu spotten, ohne zu verwunden? Müssen Aufklärer den Lichtscheren gleich sein, die nur helle machen, indem sie schneiden? Verdrießliche Notwendigkeit!


178.

Nicht allen Revolutionen gehen Zeichen und Warnungen vorher; es gibt auch eine politische Apoplexie.[277]


179.

Eingekerkerte in Strafgefängnissen haben oft die wunderlichsten Dinge verrichtet, nur um ihrem Geiste Nahrung zu verschaffen. Sie haben sich mit Ratten und Spinnen befreundet, sie haben die Ziegel der Dächer, die Buchstaben der Bibel gezählt. Und doch sind solche Beschäftigungen erhaben zu nennen gegen jene andern, welchen sich jahrhundertelang die wissenschaftlichen Männer aller Völker ergaben, um ihren gefangenen Geist nur etwas in Bewegung zu setzen. Sie haben ein ganzes Leben voll Lust und Kraft auf die Abfassung von Büchern gewendet, welcher der Menschheit keinen Trunk Wasser eingebracht. Ganze Bibliotheken geben Zeugnis, daß man sonst regieren nannte, wenn man den Geist des Volkes tötete, um den Körper zu beherrschen. Da liegt ein schwerer Buchkubus vor mir, angefüllt mit juristischen Schnörkeln, Arabesken und anderen feinen Zieraten, die man mit bloßen Augen kaum erkennen kann. Unter vielen Hunderten von Aufgaben, Rätseln und Untersuchungen ist folgende noch eine der wichtigsten für die Völker der Erde: »Questio: ob der, so in einem fürstlichen Rescripto oder andern Diplomate Doctor aut Licentiatus genannt wird, sofort für einen Doktor zu halten sei? Negatur, denn vielmals ex errore Secretarii das Wort Licentiatus oder Doctor eingerückt wird. E.g. Suplicant unterschreibet sich Johann Adam L. scilic. Lipsiens. Der Secretarius aber nimmt das L auf als Licentiat und meldet in Rescripto Licentiat Johann Adam, welches dem keinen Titul gibt. Denn obgleich vox Principis einige honorem dadurch mitteilt, dennoch rei veritatem bloße Denominatio nicht verändert ...« Um es im Vorübergehen zu bemerken, hat der feine Jurist diesmal unrecht. Vox Principis gibt nicht bloß einige honorem, sondern ändert auch oft rei veritatem. E. gr. als einst Napoleon auf der Parade sein scheues Pferd nicht bändigen[278] konnte, sprang ein Lieutenant hervor und war ihm behülflich: »Danke, Hauptmann!« sagte der Kaiser. »Bei welchem Regimente?« fragte der Lieutenant. »Bei der Garde,« antwortete der Schnelle dem Schnellen.


180.

Die Erfahrung bereitet uns vorsorglich harte und trockene Lehren, welche als Schiffszwieback für das menschliche Herz ausdauern zur langen Seefahrt des Lebens. Wir müssen uns daran sättigen oder verhungern. Frische Nahrung genießt der Mensch nur zweimal: auf der seligen Insel der Kindheit und einst wohl in dem Hafen der Ruhe.


181.

Göttingen, Leipzig, Halle und Heidelberg loben sich sehr und sagen: »bei ihnen wäre alles ruhig, und von geheimen Umtrieben und Verschwörungen wüßten sie kein Wort; man möge die Leute nur zu ihnen schicken.« Es gäbe ein Mittel, auch die übrigen deutschen Universitäten dieses Glücks teilhaftig zu machen; es ist ganz einfach. Alle unsere Minister, Staatsräte, Feldmarschälle, Finanzdirektoren, Justizbeamten, Kriminalrichter, geheimen Referendäre, Gendarmerieobersten, Polizeikommissäre, Aktuare und Pedelle sollten sich aus Patriotismus anstellen, als wüßten sie nichts, und noch einmal studieren gehen. Wenn sich alle diese gut gesinnten, ihrem Fürsten und Vaterlande treu ergebenen Männer über sämtliche deutsche Universitäten verbreiteten, dort die Vorlesungen fleißig besuchten, um den Geist der Zeit und Jugend kennenzulernen und dieser ihre Grundsätze einzuflößen, dann würde gewiß alles besser werden und der Friede wiederkehren. Wenigstens kann man wetten, daß, solange sie auf der Universität bleiben, weder dort noch anderswo Unruhen vorfallen werden. Während ihrer Abwesenheit könnten die Fürsten selbst[279] regieren und bei dieser Gelegenheit erfahren, wieviel sie ihren treuen Dienern zu verdanken haben.


182.

Lots Frau, weil sie stehenblieb und rückwärts sah, wurde in eine Salzsäule verwandelt. Das Salz, welches erhält, ist ein treffendes und warnendes Bild für die Konservatoren der alten Zeiten, die auch stehenbleiben und zurücksehen.


183.

Auf welcher niedrigen Stufe der sittlichen Bildung die Türken stehen, ersieht man aus der wenigen Kenntnis, die sie von den sittlichen Fortschritten anderer Völker haben; und diese ihre Unwissenheit verrät sich in den Spitznamen, die sie den Völkern geben, mit welchen sie in Berührung kommen, und die noch heute lauten wie vor Jahrhunderten, ob sie zwar gar nicht mehr passen. So nennen sie die Deutschen wüste Flucher (Deschurer Kiasir), ob uns zwar kein rauhes Wort mehr aus dem Munde kommt, wir so glatt sind wie geschorener Sammet, selbst Ohrfeigen nur in seidenen Handschuhen austeilen und die Stecknadeln zu unsern Sticheleien solange abbrevieren, bis nichts übrigbleibt, als das stumpfe Köpfchen, derart, daß selbst im grimmigsten Spotte über eine vornehm tuende Sängerin wir noch gelassen bleiben und nicht sagen: eine aufgeblasene Catalani, sondern (wie im Allgem. Anzeiger vom 9. Febr.) »eine aufgeblasene C. ...«, welches dreideutig genug ist, da das C auch Circe oder Calypso heißen kann. Die Engländer nennen sie Tuchkrämer, ob es zwar die Franzosen und Niederländer jetzt mehr sind. Die Griechen, welche jetzt kämpfen wie die Löwen, nenn sie immer noch Hasen. Für die Italiener haben sie den Spitznamen Tausendfärbige (Ressar, Renki), da sie sich doch in ihrem letzten Kriege alle blaß gezeigt. Die Juden schelten sie immer noch [280] Hunde, obzwar diese jetzt fast mehr sind als Menschen und zum Adel der Nation gehören. Die Ragusaner heißen sie Spione, denn es ist ihnen unbekannt geblieben, daß eine weise Nationalökonomie auch dieses Monopol schon längst abgeschafft hat. Die Spanier, die sich gegenwärtig mehr sputen als zu loben ist, nennen sie Faulenzer. Am meisten Furcht und Achtung scheinen die Türken vor den Russen zu haben, denn sie heißen sie verruchte Russen (Ruszi menkjus). Ob die Spitznamen, die sie den übrigen Nationen geben, angemessen sind, können wir nicht beurteilen. Sie nennen die Araber Unsinnige; die Armenier Dreckfresser (Boktschi); die Bosnier Landstreicher; die Bulgaren Straßenräuber; die Georgianer Läusefresser; die Indier Bettler; die Mainotten Tollköpfe; die Moldauer dumme Bauern (Bogdaninaden) und hornlose Böcke (Bojenssis Gtojne); die Polen ungläubige Prahler (Tussul Giaur); die Tartaren Aalfresser (Laxh Jejidschi); die Wallachen Fiedler. Von den Böhmen und Kurden sagen sie: Tschingene tschalar Kord vinar, ein Böhme geigt und ein Kurde tanzt ... Es würde der lieben deutschen Jugend gar nichts schaden, wenn sie einstweilen obige türkische Vokabeln auswendig lernte.


184.

Ein feiner Kopf hat den klugen Gedanken – nicht bloß gehabt, sondern auch niedergeschrieben, nicht bloß niedergeschrieben, sondern auch drucken lassen: man solle fürder alle politischen Werke in lateinischer Sprache schreiben, daß möglicher Schade verhütet werde. Aber das Übel hat zu tief gewurzelt, solche Hausmittel helfen nicht mehr, man muß sich wirksamerer Arzneien bedienen. Die Leute würden sich dazu bequemen, lateinisch zu lernen, und es bliebe alles beim alten. Würden aber alle politischen Werke in der Sprache des Herrn Görres[281] geschrieben, ließe man lieber fünf gerade sein, als daß man sie verstehen lernte. Denn dazu reichte nicht hin, lateinisch zu wissen, man dürfte auch im Griechischen, Hebräischen, in der Physik, Metaphysik, Chemie, Astronomie, Geographie, Nautik, Mineralogie, Mythologie, Geometrie, Statik, Medizin, Algebra, Chirurgie und in der Apothekerkunst nicht fremd sein. Im beliebten Konversationslexikon findet man bei weitem nicht alles, was man nötig hat, um sich nur folgende Ausdrücke zu erklären, die auf wenigen Seiten der Schrift »Europa und die Revolution« gesammelt worden sind. Nämlich: Hermesschlusses, Metastase, latent, Wurflinien, austrophische Furchen, Goldschlich, Oblonge, Differenzial, Integration, Heliozentrisch, Liberationen, Perturbationen, Aberrationen, Sekulargleichungen, epicyklisch, Othin, Mimer, Simurche, Mardichore, die bösen Dews, Maia, Miasmen, die Wendilsen, Iran und Turan, Museon, Systole und Dyastole, Alkahest, Lebermeer, floride Schwindsucht, Belustempel, Berserkerwut, ceraunischen Berge, Senkel, Tyofen, Rosrädbücher.


185.

Die Deutschen sind so angeborner knechtischer Natur, daß, wenn sie frei wären, sich ihrer eigenen Freiheit zu begeben, wenn die Regierungen nicht edler dächten als sie selbst, sie all ihr Tun und Lassen, ihr Denken und Reden, ihr Gehen und Stehen, ihr Essen und Trinken, ihr Lachen und Weinen, alles bis auf ihre Träume, dem Maße, Gewichte und Takte der Gesetze, Richter und Verwalter unterwerfen würden. Solche niederträchtige Menschen verdienen gar nicht, gute Fürsten zu haben, man sollte sie nach Marokko schicken. Und nicht bloß Männer von dieser oder jener Partei, sondern Männer aus allen Parteien haben solche niedrige Gesinnungen oft an den Tag gelegt. Zu diesen Freunden der Dienstbarkeit gehört[282] auch jener Ungenannte, der kürzlich im Allgemeinen Anzeiger eine Abhandlung über das anonyme Rezensentenwesen geschrieben hat. Er nennt dieses »einen das Zeitalter schändenden Unfug«. Dieses heißt nun freilich etwas zu hausbäckig gesprochen; die Ehre unsers Zeitalters ist so schwächlich nicht, daß sie an solchen Kleinigkeiten stürbe; aber allerdings, das anonyme Rezensieren ist sehr zu tadeln. Wer bei der Beurteilung eines Werkes nur die Wahrheit, wenigstens das, was er dafür hält, im Auge hat, und wer den Mut besitzt, die Wahrheit gegen alle Angriffe zu verteidigen – der nennt oder bezeichnet sich unter seinen Rezensionen. Aber das ist ein Werk der Freiheit, das hat jeder mit seinem Gewissen abzumachen, die Staatsgesetze haben sich nicht hineinzumischen. Unser edle Freund der Untertänigkeit will aber, daß »von Obrigkeits- und Rechtswegen« das anonyme Rezensieren abgeschafft werde. Er nennt anonyme Rezension einen literarischen Meuchelmord (das ist doch gar zu schauerlich!), die Literaturzeitungen geheime Gesellschaften, Femgerichte, und den Redakteur einer solchen Zeitung Oberhaupt des geheimen Bundes. Solche literarische Karbonari, meint er, müßten mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Nicht zu vergessen ... die anonymen Rezensenten nennt er auch Zigeuner, eine Banditen-, Strolch- und Gaunergesellschaft. Der edle Mann donnert so heftig gegen das anonyme Kritisieren, daß er in seinem Feuereifer vergaß – seinen Namen unter seine eigene Abhandlung zu setzen!


186.

In Republiken wird das Gefühl der Freiheit erst in ihrem Mißbrauche zum Genuß, ja, die gesetzliche Freiheit selbst kann sich oft nur durch ihre Ausschweifungen erhalten.[283]


187.

Karoline von Braunschweig, die verstorbene Königin von England, war schon als Kind sehr lebhaft, und ihre rechtwinkligen deutschen Lehrer hatten große Not mit ihr. In der Musik wurde sie von einem gewissen Fleischer unterrichtet. Einst hatte er die Fürstin wiederholt zurechtgewiesen, wie sie eine gewisse Klaviernote mit einem bestimmten Finger greifen müsse. Kaum hatte der Lehrer darauf aufmerksam gemacht, so veranlaßte der Gebrauch des unrechten Fingers Wiederholung derselben Erinnerung; da verlor der alte Mann die Geduld: »So bleiben Sie doch mit dem unrichtigen verfluchten – – durchlauchtigen Finger weg!« rief er im Ausbruche seines Zorns ... Man sieht, der Deutsche kann wohl straucheln in der hohen Personen schuldigen Ehrfurcht, aber fallen kann er nie.


188.

Eine unbeschränkte Herrschaft gleicht einem Garten ohne Zaun. Der Besitzer kann freilich überall hinaustreten, aber der Fremde kann von allen Seiten hereinkommen.


189.

Was für den Körper der Schwindel ist, das ist Verlegenheit für den Geist.


190.

Es gibt Dreiviertelsmenschen, die in der Welt mehr gelten, als sie wert sind. Das kommt daher, weil die unkundige Menge die Zähler und Nenner jener Bruchseelen für ganze Zahlen hält und sie addiert.


191.

Moral ist die Grammatik der Religion; es ist leichter, gerecht als schön zu handeln.[284]


192.

Es ist leicht den Haß, schwer die Liebe, am schwersten Gleichgültigkeit zu verbergen.


193.

Ein verrostet Schild flehte zur Sonne: Sonne, erleuchte mich! Da sprach die Sonne zum Schilde: Schild, reinige dich!


194.

Nicht lächeln soll das Bild des Todes; aber auch nicht fratzenhaft sein. Freund Hein hat mehr als man denkt dazu beigetragen, uns spießbürgerlich, gemein und kraftlos zu machen.


195.

Um Kindern Moral in Beispielen zu lehren, dazu gebraucht man die Geschichte. Das heißt, ihnen Schwert und Lanze als Messer und Gabel in die Hände geben.


196.

Der Mensch ist wie eine Spieluhr. Ein unmerklicher Ruck – und er gibt eine andere Melodie an.


197.

Warum Shakespeare auf deutschen Bühnen kein Glück macht? Weil man nicht gewohnt ist, mit Vorlegelöffeln zu essen.


198.

Jede Stunde, dem Hasse vergeudet, ist eine Ewigkeit, der Liebe entzogen.


199.

Einen Dieb zum Nachtwächter und einen Jesuiten zum Zeitungsschreiber bestellen, das ist einerlei.[285]


200.

Wenn sie eine kleine Zeitung unter ihre Faust gebracht, frohlocken sie, daß sie den Strom der Zeit aufgehalten! Sie gleichen jenem dummen Teufel, der die Quelle in Donaueschingen mit seiner Hand bedeckte und dabei lachend ausrief: wie werden sie sich in Wien wundern, wenn auf einmal die Donau ausbleibt.


201.

Eine schwache Regierung zu stärken, muß man ihre Macht vermindern. Die Staatspfuscher begreifen das nicht.


202.

Man kann die Gedanken wie die Naturkörper ordnen; sie stehen auf niederer oder höherer Stufe, gleich Steinen, Pflanzen, Tieren. Es gibt mineralische, vegetabilische und tierische Ideen. Den deutschen Ideen, so kostbar sie auch sind, fehlt es an Leben. Ein Demant ist mehr wert als ein Ochs; aber ein Ochs lebt.


203.

Die Deutschen lassen sich leicht unter eine Hut bringen; aber unter einen schwer. Sie sind nur einig, wo es etwas zu leiden gibt, wo zu tun, niemals.


204.

Frau von Sevigné hat in mehreren hundert Briefen immer mit einer andern Wendung ausgedrückt, wie sehr sie ihre Tochter liebe. Man sollte nicht glauben, daß das Herz so viel Geist hat.


205.

Die Geschichte lehrt uns Tugend, aber die Natur predigt unaufhörlich das Laster.[286]


206.

Das Unglück ist der Ballast, der uns auf dem Ozean des Lebens im Gleichgewichte erhält, wenn wir keine Glücksgüter mehr zu tragen haben.


207.

Ein Mann von Geist wird nicht allein nie etwas Dummes sagen, er wird auch nie etwas Dummes hören.


208.

Das Philosophieren ist eine angeerbte Krankheit des menschlichen Geistes, der Fluch des mit Schmerzen Gebärens.


209.

Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang.


210.

Schmerz ist der Vater und Liebe die Mutter der Weisheit.


211.

Frankreich ist das Zifferblatt Europens; hier sieht man, welche Zeit es ist, in andern Ländern muß man die Uhr erst schlagen hören, um die Stunde zu erfahren – man verhört sich aber leichter, als man sich versieht.


212.

Namen, nichts als Namen! Das ist die ewige Verblendung der Aristokratie. Sie verstehen sich nur auf Menschen, nicht auf die Menschheit und verwechseln die Uhr mit der Zeit. Alle Ereignisse, meinen sie, entsprängen aus kleinen Quellen, die man nur zu verstopfen brauchte, um den Geschichten ein Ende zu machen. Von den Schleusen des Himmels haben sie keine Ahndung, und käme zum zweiten Male eine Sündflut, würden sie sagen: Das ist eine Intrige, und hingehen, ihrer[287] Quelle nachzuspüren. Ich glaube, wenn das gelbe Fieber über Paris käme, und Benjamin Constant, Sebastiani, Lafitte und die übrigen Häupter der liberalen Partei stürben daran – die Aristokraten würden sich die Augen reiben und sagen: Gott sei Dank, es war alles nur ein Traum; heute ist Hirschjagd im Walde von St. Germain!


213.

Wenn es in Waffenkriegen oft bedenklich ist, auf dem Schlachtfelde zu kämpfen, das der Feind anbietet, ist es in Meinungsstreitigkeiten immer rätlich, sich auf den Standpunkt zu stellen, den sich der Gegner gewählt.


214.

Auf der ganzen großen Erde gibt es keine glücklichern Geschöpfe als die Altertümler. Die gütige Natur schenkte ihnen eine Einbildungskraft, so heiß, so rasch, so kühn, so erfinderisch, daß man diesen hochbegabten Menschen allein die Untersuchung aller demagonischen Umtriebe anvertrauen sollte. Da wurde bei Eitzum, unweit Scheppenstedt, am Elenwalde (gute Geographen wissen, wo diese Orte liegen) ein eiserner Radnagel gefunden. Er lag in einem Steinbruche, acht Fuß unter der Erde. Von diesem »merkwürdigen Funde« wird im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen, auf sieben Spalten, vorläufige Nachricht gegeben. Es wird nicht untersucht, wie der Radnagel unter die Erde, sondern wie die Erde über den Nagel gekommen, und Moses mit den Propheten, Sonne, Mond und Sterne und die uralte Nacht, die Mutter aller Dinge, die gewesen und sind, werden darüber zu Rate gezogen. Dieser Radnagel »aus der Vorwelt« zeichnet sich merklich von seinesgleichen »in der neuern Welt« aus. »Er ist im ganzen genommen kleiner als die jetzigen, aber weit zierlicher gearbeitet. Der Kopf ist nicht viereckig, sondern rund und dicker wie jetzt. Er gleicht einer[288] Blume mit vier Blättern, die nicht wie ein Kelch in die Höhe stehen, sondern herabhängen und etwas gekrümmt sind. Im übrigen gleicht er ganz den unsrigen, ist etwa drei Zoll lang und viereckig, auch nach Verhältnis breit; aber etwas schwach.« Wie und wann haben sich nun die Steine und Erdschichten über diesen Radnagel zusammengelegt? Da liegt der Hase im Pfeffer. Daß eine große Revolution der Erde oder eine Flut den blumigen Radnagel lebendig begraben, versteht sich von selbst; aber welche hat dieses getan? »Die sogenannte Sündflut kann dieses nicht bewirkt haben; denn sie war wahrscheinlich nur partial und dauerte zufolge der Nachrichten darüber nur 120 Tage, konnte also keine beträchtliche neue Oberfläche zu Erde verschaffen ... Vermutlich erstreckte sie sich auch gar nicht einmal bis hierher (nach Scheppenstedt und Eitzum), sondern betraf bloß Mittelasien. Eher könnte man auf die große cimbrische Flut, welche einige hundert Jahre vor Christi Geburt fällt und welche den Norden von Europa betraf, schließen. Allein diese war gleichfalls nur vorübergehend und konnte also keine neue Erdrinde bilden. Wir müssen also (um den Nagel unter die Erde zu bringen) auf frühere Zeiten und auf Fluten zurückgehen, die größer und allgemeiner waren, oder länger anhielten. Oder wir müssen annehmen, daß das Meer in der Urwelt mehr zerteilt war als jetzt u.s.w.« Das heißt, den Nagel auf den Kopf getroffen! Der Altertümler fährt fort: »Ich halte also die hier gefundenen eisernen Kunstsachen (es wurde nämlich außer dem blumigen Nagel mit hängenden Blättern auch noch eine eiserne Radfelge gefunden, ehrwürdiges Überbleibsel eines Urwagens, welche Radfelge aber ein dummer Bauer »so wenig geachtet hat«, daß er sie an einen Schmied gegen ein paar Nägel vertauschte) für Überreste einer frühern Welt, als die unsere ist ... Waren die Verfertiger dieser Kunstsachen, die Ureinwohner von Deutsch –[289] land, auch keine Zeitgenossen der Mammuts, so muß man ihnen doch wenigstens eine Zeit einräumen, die zwischen beiden, der jetzigen Welt und der Urwelt, mitten inne lag, und wo die Erde auch schon Menschen zu Bewohnern hatte ... Ist es nicht zu bedauern, daß eine so gebildete Welt untergegangen und in den Fluten ihr Grab finden mußte? Wie viele Kunstsachen und Kostbarkeiten mögen mit ihr zugleich zu Grunde gegangen sein. Aber wird es uns einmal besser ergehen? Werden nicht auch unsere Werke und Kunstschätze wieder zur Grundlage dienen, worauf eine neue Welt gegründet wird? stat sua cuique dies« – – Das ist das Lied vom eisernen Radnagel aus der Urwelt, der bei Eitzum in Deutschland, ohnweit Scheppenstedt, am Elenwalde, acht Fuß unter der Erde gefunden worden ist!


215.

Der Deutsche ist keusch und fordert von jedem, der sich mit einer Idee vermählt, eheliche Treue. Darum tadelt er auch so bitter jene Zeitungen, die als schlaue Kammerzofen der Zeit allen zärtlichen Launen ihrer Gebieterin schmeicheln und forthelfen. Aber das ist eine falsche Tugend. Seiner Handlungsweise muß man ergeben bleiben; dem Denker aber ist ein Harem erlaubt, damit er dem Zuge der Schönheit folge, nicht dem Zwange des Systems.


216.

Jede Revolution endet, wie sie angefangen; wer daher nur versteht, die wesentlichen Erscheinungen einer Revolution von den zufälligen zu unterscheiden, kann sicher vorhersagen, wie sich die Geschichte dieses oder jenes Staates entwickeln wird. Wo wird Frankreich stille stehen? An der Stelle, von der es 1789 ausgegangen. Damals wollten die Franzosen eine konstitutionelle Monarchie –[290] und sie wird ihnen werden. Weder die Republikaner, welche das Königtum umstürzen, noch die Ultras, welche die Konstitution vernichten wollen, erreichen ihren Zweck.


217.

Ein französischer Arzt hat kürzlich eine Abhandlung über das Schreien und Weinen kleiner Kinder geschrieben und dargetan, daß die Kinder davon dumm würden. Jetzt wissen wir auch, warum man das Schreien verbreitet.


218.

Gleich den Hunden auf der Straße, die hinter den Wagenrädern herlaufen und sie anbellen, rennt man schreiend und die Zähne fletschend hinter die Freigesinnten her, die doch nur die Räder sind der rollenden Zeit. Den lenkenden Geist aber, der sicher und bequem in der Kutsche sitzt, erreichen sie, ja, sie gewahren ihn nicht!


219.

»Das Vaterland und die Menschheit verlieren an ihm viel« – sagte die Trauerrede. An wem? An Voltaire, Friedrich dem Großen, Washington, Franklin, an Napoleon etwa? Keineswegs; es ist von irgend einem Polizeidirektor die Rede, der in irgend einer kleinen Stadt vor kurzem gestorben ist ... Der Verstorbene war gewiß ein guter Vater, ein guter Sohn, ein guter Gatte, ein treuer Untertan, ein redlicher Beamter – aber das Vaterland, aber die Menschheit! Solche aufgeblasene Redensarten finden sich in jedem Wochenblättchen. Von einem jungen Mädchen, das gestorben, heißt es: es sei im 18. Jahre seines tätigen Lebens aus der Welt geschieden! Des Kanzleistils eurer dumpfen Begeisterung, des Kommisstils eurer unschmackhaften Schmeichelei, könnt ihr euch seiner nie entwöhnen? Ist es nicht möglich, ist es gar nicht möglich, daß ihr besser und gesünder werdet?[291]


220.

Deutschlands Hemmschuh, man wisse ihn zu achten; Torheit, ihn zu schmähen, weil er aufhält! Die zahmsten Pferde, die besonnensten Wagenführer machen ihn nicht überflüssig. Die Zwingburgen lagen so hoch, der Weg ist gar zu steil.


221.

Wie wird es enden? ... Man hat eine Geschichte von einem jungen Offizier, der in seiner ersten Schlacht, bleich und zitternd, gedrängt zwischen der Liebe zum Leben und der Liebe zur Ehre, zu schwach, dem Triebe der Natur zu widerstehen, zu stark, ihm zu weichen, sich selbst tötete und starb aus Furcht zu sterben ... So wird es enden – nur war es dort nicht der Feldherr, welcher zitterte.


222.

Wir werden erzogen, als sollten wir Könige werden. Was wir nicht alles lernen! – als sei Gehorchen so eine schwere Wissenschaft!


223.

Einer jener Kreuzfahrer, die es dem Thronhimmel gelobt, das heilige Grab der Freiheit wieder zu erobern, tadelt den guten Willen Ludwigs XVIII., daß er den Franzosen die Charte gegeben. Er sagt: « ... Der Übergang von der Despotie, wo das Volk nichts, zu der repräsentativen Monarchie, wo es so viel ist ... war zu stark und zu schnell. Frankreich war noch nicht reif für eine Repräsentativverfassung; es ist ein Unsinn, dieselbe auf einer tabula rasa erbauen zu wollen, nur auf das Fundament freier Munizipalverfassungen kann dieselbe sich stützen.« Rührender ist doch wahrlich nichts, als die zärtliche Besorgnis, daß nicht das liebe Volk durch einen zu schnellen Übertritt aus der dumpfen Stube der Despotie[292] in die freie Luft der repräsentativen Verfassung sich einen Schnupfen hole! Haben Frankreichs letzte dreißig Jahre die Franzosen noch immer zur Freiheit nicht genug abgehärtet? War das Volk nichts seit dem Tode seines letzten Königs? Es war viel. Die Feudaldespotie hatte gedroht, die usurpierte der Revolution geschmeichelt; jene hatte Gewalt, diese List angewendet. Geschah wenig für, so geschah doch alles durch das Volk. Die sinnliche Freiheit wurde verletzt, aber die sittliche wurde hoch geachtet. Die Despoten der Revolution wechselten in ihrem Drucke, und es ist ein erträglicher Zustand, wenn ein Lastträger seine Bürde bald auf die rechte, bald auf die linke Schulter, bald auf diesen, bald auf jenen Arm nehmen und dem ermüdeten Gliede Erholung geben kann. Die Feudaldespoten aber saßen dem Volke immer auf dem Nacken. Die Despoten der Revolution wechselten in ihren Personen, und wer heute unterdrückt war, ward morgen Unterdrücker; bei der Feudaldespotie aber bleibt, wer einmal Herr oder Sklave ist, ewig Herr und ewig Sklave. War das französische Volk nichts mit seiner Gleichheit, dieser Kapsel der Freiheit, die, sei sie auch verschlossen, doch die Freiheit bewahrt, die früher oder später einmal herausgeholt wird? Nicht reif genug zur Freiheit! Wer soll diese Reife bestimmen, die Freiheitslese, wer verordnet sie? Haben je Vormünder der Völker sich gutwillig ihrer Vormundschaft begeben, und wer richtet die Übelwollenden? Ein Mündel ist immer reif zur Selbständigkeit, wenn er, sein Erbteil zurückzufordern, Verstand und Kraft genug hat. Wo Völker und Früchte abfallen, da sind sie überreif geworden und man hat zu lange gezögert. Zu behaupten, eine Repräsentativverfassung sei unhaltbar, solange sie nicht freie Munizipalverfassungen zur Stütze habe, ist ebenso unsinnig, als wenn man ein neugebornes Kind für lebensunfähig erklärt, weil es noch nicht auf den Beinen stehen kann.[293]

Die Beine werden stark werden, zugleich mit dem Kopfe und den anderen Gliedern. Hätte Frankreich, wie England, Munizipalfreiheiten gehabt, so hätte nie die Revolution Platz gefunden: die hatte es eben seiner tabula rasa zu verdanken. Die Hochstraße der Freiheit, die durch das ganze Land geht, muß gegründet sein, ehe man an die Feldwege denken darf, die zu den Gemeinden führen.


224.

Ein Geck hatte zwei Wintermonate in Paris zugebracht. Als er nun in die Heimat zurückgekehrt, zierte er sich immerfort französisch zu reden. Da fragte ihn ein Spötter: Lieber Freund, wissen Sie auch, wie Gewitter auf französisch heißt? ... Man könnte diese Frage den Diplomatikern machen. Sie haben das Land der Menschheit im Winter bereist und glauben es zu kennen. Wissen Ew. Exzellenz, was ein Gewitter ist?


225.

Es gibt zwei Arten, Früchte vor Fäulnis zu bewahren und sie eßbar zu erhalten: durch Essig und durch Zucker. Die Konservatoren der alten Zeit haben den Essig gewählt. Warum den Essig, da er vielen widersteht, warum nicht lieber den Zucker, womit man Weiber, Kinder, Fliegen und die Menge lockt? ... Aber desto besser; sauer oder süß, die alte Zeit ist eine ungesunde Lebensnahrung.


226.

»Der Mensch denkt's, Gott lenkt's« ... Das ist nun wieder nicht wahr. Wenn Gott lenken will, macht er, daß die Menschen nicht denken, er läßt sie den Kopf verlieren.


227.

Es wird noch dahin kommen, daß man in politischen Schriften sich nur der Vokale wird bedienen dürfen. A,[294] e, i, o, u – nichts Allgemeineres als das. Diphtonge haben schon viel Unbescheidenes, und man wird sie bloß in den seltenen Fällen verstatten, wo es nottut, das Volk zu begeistern – so etwa in Befreiungskriegen.


228.

Es ist eine schöne Erfindung unserer Zeit, den Gelddurst der Gegenwart mit den Weinlesen der Zukunft zu stillen und auf die bequemste Art von der Welt lustig in den Tag hineinzuzechen. Unsere Enkel werden auch so klug sein als wir und auf ihre Nachkommenschaft Wechsel ausstellen. Diese treibt es dann so fort. Endlich am jüngsten Tage wird es auf der ganzen Erde nur ein einziges Lumpenvolk geben, mit dem sich der Teufel selbst nicht wird befassen wollen. Dann kommen die Armen in den Himmel, und die Christenheit wird es mit Beschämung erfahren, daß sie der Judenschaft ihre ewige Seligkeit zu verdanken hat.


229.

Es ist erstaunlich, wie sehr die Journalisten an Feinheit, Gewandtheit, Zweideutigkeit, Unerforschlichkeit und an allen übrigen diplomatischen Tugenden täglich zunehmen und nach einigen Jahren, wenn die Zensur solange fortdauert, wird man die Gesandtschaftsstellen nur mit Zeitungsschreibern besetzen. Statt zu sagen Rußland, sagen sie: »eine große nordische Macht«; statt zu sagen Österreich, sagen sie: »eine große süddeutsche Macht«. Die Hälfte der Konjugationen der Zeitwörter gerät ganz in Vergessenheit, denn man gebraucht keine Indikative mehr, sondern nur noch Konjunktive. Man schreibt nicht: »Tunis ist ein Raubstaat«, sondern: »Wenn es einen Staat gäbe, der mitten im Frieden Handelsschiffe anderer Nationen wegnähme, so könnte ein solcher Staat allerdings ein Raubstaat genannt werden.« Welch ein Heimlichtun![295] Das ist wie auf Maskenbällen, wo man schon für maskiert gilt, wenn man die Maske an den Hut steckt.


230.

Wenn man jenen hausbackenen Philistern zuhört, jenen Menschen mit kurzem Gesichte und langen Ohren, wie sie sich herausnehmen, Fürsten zu hofmeistern, sie, die vom Morgen bis Abend sich von ihren Weibern, ihren Kindern, ihren Dienern, ihrer Pfeife, ihren Dampfnudeln, ihren Vettern und Basen beherrschen lassen und nicht so viel Kraft des Willens haben, einen halben Schoppen weniger zu trinken als den Abend vorher – dann muß man die Freiheit sehr treu und standhaft lieben, um für solche Thersiten und in ihrer Reihe ihre Sachen zu verfechten. Es gäbe ein sicheres Mittel, wie Fürsten mit Unrecht murrende Untertanen könnten zum Schweigen bringen; aber das Mittel ist zu romantisch für unsere abendländische Zeit. Sie brauchten nur einen Tag herabzusteigen von ihren Thronen und einen jener Philister hinaufsteigen zu lassen, damit er den andern Morgen seiner Sippschaft erzähle, wieviel angenehmer es sei, sogar schrankenlos zu gehorchen, als selbst unbeschränkt zu herrschen.


231.

Lord Londonderry, der sich auf dem Festlande seinen Doktorhut geholt, sagte neulich, da er dem Parlamente die Gewaltsbill gegen das aufrührerische Irland vorlegte (wie man nun immer bereit ist, Zahnschmerzen durch Ausreißen der Zähne zu stillen): »Übrigens kann ich die Kammer versichern, daß die Unruhen in Irland mit jenen theoretischen Grundsätzen der Empörung, welche gegenwärtig die Welt verpesten, in gar keiner Verbindung stehen. Man darf die Unzufriedenheit, die aus Leiden entspringt, wären diese auch eingebildet, mit jenen[296] schlechten Lehren nicht verwechseln, die zu allem führen, nur zur Freiheit nicht.« ... Das heißt: als Beklagter wegen einer Schuld und deren Zinsen die Schuld der Zinsen eingestehen und die des Kapitals ableugnen! Woher die Zinsen?


232.

Wenn Uhrmacher den Zeiger auf eine frühere Stunde setzen wollen, dann drehen sie ihn nicht zurück, sondern sie lassen ihn vorwärts den ganzen Kreis durchlaufen, bis er auf die gehörige Stunde kommt. Nun ist zwar die Menschheit keine Uhr; da es aber Leute gibt, die sie dafür ansehen, so sollten sie auch nach den Regeln der Mechanik verfahren.


233.

Wer sich nicht scheut, im Auskehricht der Literatur herumzustöbern, der findet da manchmal noch ganz gute und brauchbare Dinge. So entdeckte ich in einem Winkel des Freimütigen ein »afrikanisches Lustspielchen« von Julius von Voß, genannt: »Viele Köche verderben den Brei«. Viel Witz kann von diesem schwarzen Lustspielchen nicht gefordert werden, denn es füllt nur drei Seiten an, die, wie die Buchdrucker sagen, splendid gedruckt sind. Es ist aber doch von keiner geringen Bedeutung. Herr von Voß nämlich, der auch das Lustspiel: »Die beiden Gutsherren« geschrieben hat, schwimmt, wie ein Korkstöpsel an der Angel, zwischen Fischer und Fisch die Mitte haltend, auf der Oberfläche der Politik herum; oder, um mich deutlicher und kürzer im Französischen auszudrücken: Herr von Voß ist au niveau de la politique du jour. Jetzt vernehme man den Inhalt des afrikanischen Lustspielchens. »Der neue schwarze Sultan«, der den Titel führt »Büffel aller Büffel«, läßt nach seiner Thronbesteigung die verschiedenen Oberbeamten vor sich kriechen und sagt ihnen: sie könnten tun, was sie wollten – Abgaben[297] erheben oder erlassen, das Volk drücken, Krieg führen oder Frieden schließen, stehlen oder hängen lassen, Gerechtigkeit üben oder nicht; wenn sich aber einer von ihnen unterstände, je dem Büffel aller Büffel Bericht zu erstatten und ihn mit dem Selbstregieren zu belästigen, so würde er unfehlbar gehängt, gerädert, gespießt oder gebraten, nach beliebiger Auswahl seines Herrn. Die Oberbeamten kriechen ganz vergnügt zum Zimmer hinaus, und sagen: das sei ihnen schon recht, sie könnten es nicht besser wünschen. Darauf läßt sich der Büffel aller Büffel seinen Pilau bringen, das heißt in der Sprache der asiatischen Kochkunst einen Brei. Er findet ihn aber ganz ungenießbar und ist um so erboster darüber, da er zur Bereitung des Breis sechs Köche angestellt hatte. Jetzt naht sich der Narr der Oberdenker und sagt: Büffel aller Büffel, viele Köche verderben den Brei! Der Büffel aller Büffel wird nachdenkend, läßt die Oberbeamten zurückrufen und sagt ihnen, wenn sie ihn nicht von allem in Kenntnis setzten und sich unterständen, eigenmächtig zu regieren, ließ er sie hängen, rädern, spießen oder braten. Die Herren Oberbeamten kriechen ganz betrübt zum Zimmer hinaus und seufzen sehr. – Nun, sind das nicht liberale Gesinnungen? Das ist noch wenig; aber besser ein Sperling in der Hand als eine Taube auf dem Dache.


234.

Die Deutschen erreichen später als andere Völker ein Ziel, es sei in Kunst, Wissenschaft oder im bürgerlichen Leben. Nicht etwa, daß sie den kürzesten Weg nicht kennten oder zu träge fortwanderten – sie haben nur darum einen längern Weg zum Ziele, weil sie weiter herkommen. Sie gehen überall von Grundsätzen aus, und ist ein Fettflecken vom Rockärmel wegzubringen, studieren sie die Chemie vorher und studieren so lange und[298] so gründlich, bis der Rock darüber in Lumpen zerfällt. Aber das gerade ist ihnen recht, aus Lumpen machen sie Schreibpapier. Sie machen aus allem Papier.


235.

»Keine Gewalt auf Erden kann den Fluch lösen, der bis jetzt auf dem Ankauf der Emigrantengüter haftet: kein wohldenkender Sohn oder Enkel der ersten Käufer kann mit ruhigem Gewissen sterben, wenn er nicht durch Erstattung des ungerechten Besitztums die Seele des Erwerbers von der Strafe befreit, die sie in jener Welt leidet.« Über die erbärmlichen Menschen! Jetzt machen sie gar die Ewigkeit zu einer Deputiertenkammer und setzen den lieben Gott auf die rechte Seite. Aber wer hat jene Worte gesagt? Etwa Herr von Marcellus, oder ein Missionär im südlichen Frankreich? Mitnichten – ein deutsches Blatt hat diese Rede geführt, in einem Lande, wo sie sonst vor lauter Protestantismus froren, daß ihnen die Zähne klapperten. Jetzt kommt es noch dahin, daß sie dort den verstorbenen Nicolai, der in jedem Veilchen einen Jesuiten roch, ausgraben, um ihn als Ketzer zu verbrennen! Möchten sich doch gewisse Leute nicht mit gewissen Dingen abgeben! Das sieht aus wie ein wilder Schweinskopf, dem man Blumen in das Maul gesteckt.


236.

Am Hofe Franz I. glaubte man wahrzunehmen, daß das Ansehn des Kanzlers Duprat zu fallen beginne. Die Höflinge, stets auf die kleinsten Umstände lauernd, die den Sturz eines Günstlings zu verkündigen scheinen, bemerkten, daß der König zufriedene und wohlgefällige Blicke auf einen Mann stattlichen Ansehens, den besonders ein sehr schöner Bart auszeichnete, geworfen und dabei mit lauter Stimme gesagt hatte: Das ist ganz der Mann, wie ich ihn brauche. Gar nicht zu zweifeln, jener[299] Unbekannte muß der neue Kanzler sein. Schon drängen sich die Höflinge an ihn, schon schmeicheln sie ihm; sie haben es aber mit einem geistreichen Manne zu tun, der sich über sie lustig macht, ohne zu dulden, daß man ihn zum besten habe. Dieser Kanzler durch die schöpferische Einbildungskraft der Höflinge war der Historiograph Bouchet. Der König, angezogen durch seine herrliche Gestalt und die Fülle seines herabwallenden Bartes, hatte gedacht, daß er ein gutes Modell zu der Neptunsstatue vorstellen könnte, mit deren Verfertigung er gerade einen Künstler beauftragt hatte. Die Höflinge lachten etwas gezwungen über das Mißverständnis.

Dies ist der Inhalt eine neuen Lustspiels, das unter dem Namen »Die Höflinge oder der Bart des Neptun« in Paris aufgeführt wird. Von den darin spielenden geschichtlichen Personen sind nur erst Franz I., der Kanzler Duprat und der Historiograph Bouchet gestorben.


237.

Die Zeiten sind nicht mehr, wo die Philadelphias und Pinettis auch die aufgeklärtesten Menschen in Erstaunen setzten; zwar ergötzen wir uns noch bei ihren Taschenspielerstreichen, aber wir verwundern uns nicht mehr darüber. Nur die Männer der hohen Polizei, diese politischen Schwarzkünstler haben nichts von ihrer Zuversicht verloren, und sie behandeln uns noch immer wie dummes Volk. Sie beschwören Geister, verwandeln Könige in Buben, eskamotieren Brieftaschen – und damit glauben sie uns Furcht und Ehrfurcht einzuflößen. Wir andern haben das auch gelernt, wir wissen einen Hohlspiegel zu gebrauchen, können die Volte schlagen und haben unsere Gevattersleute so gut wie sie. In der dunklen Kammer der hohen Polizei wird jetzt manchmal lustige Wirtschaft getrieben. Einst hatten sich drei Schelme zusammengetan, einen Freund zu necken und zu[300] ängstigen. Sie umgaben sich mit weißen Tüchern, traten in sein Schlafzimmer und hielten da einen schauerlichen Gespenstertanz. Aber der Freund war noch schelmischer als sie. Er wickelte sich unbemerkt in sein Bettuch, sprang leise aus dem Bette und mischte sich in den Tanz der Geister, so daß diese mit entsetzlichem Geheule davonliefen. Die Herren Schwarzkünstler sind zwar sehr verschwiegen, man hat es aber doch erfahren, daß ihnen in verschiedenen Ländern auch solche Streiche begegnet sind.


238.

Eines jener somnambülen deutschen Blätter, die im Traume alles wissen und daher niemals unwissend sind, lobt die alte konstitutionelle Monarchie England und wirft der französischen konstitutionellen Monarchie ihre Jugend vor. Möchte es uns doch in seiner nächsten Ekstase darüber belehren, wie man alt werden könne, ohne durch die Jugend zu gehen! Es sagt: »Es müssen Generationen verschwinden (wenn anders die französische Verfassung so lange die Probe aushält, und die öffentliche Stimme nicht früher den Wunsch laut werden läßt, zur rein monarchischen Form zurückzukehren), bis die französischen Abgeordneten das Wesen einer Volksrepräsentation recht begreifen und durch ihre Stellung die Mängel einer solchen Regierungsweise weniger schädlich machen werden.« Es sagt ferner: das französische Volk sei ganz verwildert seit dreißig Jahren. Es sagt weiter: man wäre in Frankreich der Verhandlungen der Kammer herzlich müde, und der Tag, an welchem die Sitzung geschlossen werde, wäre jedesmal erwünscht ... Was soll durch solche Berichte bezweckt werden? Das ist das Geheimnis. Doch man muß nicht gleich das Schlimmste denken. Sterbenden zieht man das Kissen unter dem Kopfe weg, man tröpfelt ihnen Wein ein, man tut gar[301] manches menschenfreundliche, um eine Euthanasie zu befördern.


239.

Ja, keusch, kalt und blaß wie der Mond ist das deutsche Volk; keusch, weil kalt, kalt, weil blaß und blaß, weil blutleer. Doktor Howard in Amerika hat entdeckt, daß die Strahlen des Monds Wärme haben; doch nur durch ein Brennglas gelang es ihm, auf das Thermometer einzuwirken. Wo gibt es aber ein Brennglas, groß genug, sich über die Köpfe von dreißig Millionen Menschen auszubreiten? Der Befreiungskrieg war ein solches, Napoleon sagte damals, die Deutschen hätten das Fieber, und wir spotteten des Spötters; jetzt fällt der Spott auf uns zurück. Man fühle der öffentlichen Meinung den Puls, man lese die deutschen Zeitblätter! Wasser, Essig oder eine fade Tisane überall. Wer Geist hat, gibt ihn; doch kann man den ganzen Tag über den Zeitungen sitzen, man ist am Abend so dumm, als man am frühen Morgen war. Welche Leere oder welche wulstige Fülle, es müßte denn einmal das Schicksal selbst mitarbeiten und etwas Knallendes geschehen lassen, oder es müßte ein geistreiches Wort aus Frankreich herübergeschrieben werden. Die armen Zeitungsschreiber! Wird ihnen einmal ein offizieller Knochen vorgeworfen, wie sie darüber herfallen und ihn zernagen! Was in der offenen Staatskanzlei des Himmels geschieht, das sehen und hören sie nicht. Sie schiffen ohne Kompaß auf dem Weltmeere der Geschichte, und selbst die Besten unter ihnen, wie Görres, verstehen nur nach den Sternen ihren Lauf zu richten und wissen sich bei umwölktem Himmel nicht zurechtzufinden. Man weiß nicht, soll man mehr über die Engherzigkeit der Gedanken oder über die Weitschweifigkeit der Reden trauern. So las man in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 14. Dezember einen Artikel[302] aus Frankfurt, dessen Inhalt ich in folgenden wenigen Zeilen vollständig auszudrücken unternehme. »Dem Antrage, die auf den 2. November bestimmte Eröffnung des Bundestages bis zum 7. Dezember zu vertagen, wurde in der am 21. November gehaltenen Sitzung der Bundesversammlung durch Abstimmung beigetreten.« Dieser kurze Bericht wird am genannten Orte zu hundertdreiundfünfzig eng gedruckten Zeilen ausgedehnt! Ich habe aus stilistischem Forschungstriebe dreimal den Artikel gelesen und konnte das Geheimnis seiner Abfassung nicht entdecken ... O die armen Zeitungsschreiber: Was ihnen die Türken für Not machen; Krieg, Friede – sie können diese Wörtchen nicht ausschreiben, mitten in der Silbe kommt ein Widerruf, und sie werden wie die Bälle hin und her geworfen. Es ist das wahre griechische Feuer, das sie beseelt, denn es brennt im Wasser fort. Sagt ihr etwa: die Zensur hindert uns? Aber die Zensur hindert doch keinen, für die Fürstlichkeit zu sprechen, und geschieht das mit mehr Sinn und Geist? Man vergleiche gewisse Zeitungen mit dem Journal des Debats. Oder sagt ihr, die französischen Schriftsteller hat die Revolution zur Redekunst gebildet? Ist denn die Revolution für euch nicht dagewesen? Muß man in den Septembertagen einen Bruder verloren haben, muß man im Bicètre gesessen oder ausgewandert gewesen sein, um von der Revolution Bildung zu gewinnen? Das rechte Gemüt mangelt euch, das ist es; denn der Kopf ist nur der Arm des Herzens. Uns von der Politik abzuwenden – seht, mit welcher Begeisterung ganz Frankreich von jenen würdigen Männern spricht, die sich in Barcelona eingeschlossen und ihr Leben dem allgemeinen Wohle, vielleicht auch nur ihrer Wißbegierde, vielleicht auch nur ihrem Ehrgeize zum Opfer dargeboten haben. Doch was sie auch getrieben, sie haben der Menschheit genutzt und werden als Sieger in ihr Vaterland zurückkehren. Ganz Paris[303] streckt seine Arme nach ihnen aus, und festlicher Empfang wird ihnen bereitet. Noch ihre Söhne werden sich des Ruhmes und des Lohnes erfreuen, den sich die Väter durch ihre Tugend erwarben. Selbst die Akademie, diese ängstliche Schnürbrust des französischen Geistes, hat zu ihrem Dichterpreise die Hochherzigkeit jener Ärzte gewählt. Was wäre in einem solchen Falle in Deutschland geschehen? Man hätte im Lande herumgebettelt und so viel gesammelt, den hinterlassenen Waisen der Ärzte einige Brezeln zu kaufen. – In die stille Seele einiger Frankfurter war der Blitz eingeschlagen und zündete, und da beschlossen sie, ihrem Mitbürger Goethe ein Denkmal zu setzen. Sie bettelten um Geldbeiträge im ganzen deutschen Bunde, ja bis nach Moskau, bis an die Säulen des Herkules gedachten sie ihre Bettelbriefe zu schicken. Ich weiß nicht, ob es geschehen ist, aber das weiß ich: Goethe wird kein Denkmal erhalten, es müßte denn die Nachwelt sich der Jämmerlichkeit ihrer Väter schämen und errötend nachholen, was noch gut zu machen ist. Geht, ihr müßt anders werden. So taugt ihr nichts.


240.

Will der Spott nur Registrator sein im Archive der Lächerlichkeiten, um sie uns aufzubewahren, dann übernimmt er ein schädliches Amt, welchem der stärkste Tadel zukommt. Eine begangene Lächerlichkeit ist ein Verbrechen des Geistes, das zur Abschreckung anderer zwar bestraft werden muß, aber auch Mitleiden verdient und Belehrung erheischt. Beweinenswerter ist ja wohl niemand als der Mensch, dem das Los zugeteilt ward, lächerlich zu sein.


241.

Viele große Männer haben gewirkt durch ihre Tugenden, Voltaire auch durch seine Schwächen. Was er gesündigt,[304] hat er für euch gesündigt, ihr dürft seine schuldvollen Lehren schuldlos befolgen. Wie man Gewalt, Blödsinn, Aberwitz besiege, hat er gelehrt; denn man besiegt sie nur, indem man sie verlacht. Nicht die Sonne war er des neuen Tages, aber das Brennglas dieser Sonne, das die getrennten Strahlen verbündete und den Funken in jedes empfängliche Herz warf. Er war nicht das Saatkorn, welches verfault, noch die Ernte, die verzehrt wird, er war die eiserne Pflugschar der Wahrheit, die nicht verwittert und, altes Unkraut zerstörend, für jeden Samen empfänglich macht. Laßt euch von jenen schwerfälligen Predigern nicht verwirren, die keinen anderen Maßstab kennen für Menschenwert, als den die regierende Sittenlehre gereicht hat. Sie sagen, Voltaire sei gottlos gewesen, weil sie selbst nicht die Erhabenheit Gottes, sondern nur das Dämmerlicht in seinen Tempeln mit heiligem Schauer erfüllt; sie können nicht beten, wo es hell ist, nicht lieben, solange sie denken. Sie sagen, Voltaire sei nicht gründlich gewesen, und die Paragraphen seiner Wissenschaftslehre folgten in keiner logischen Ordnung. Der Amtsbote, der zwischen Dorf und Dorf hin und her hinkt, der freilich kennt jeden Baum am Wege. Aber ein Götterbote, der eine Kunde bringt von Pol zu Pol, der eilt mit flüchtiger Zehe und findet nicht Zeit, mit breiter Sohle aufzutreten. Das war Voltaires Oberflächlichkeit. Sie sagen, Voltaire sei herzlos gewesen; als könne, wer die Menschheit liebt und tröstet, bei jedem weinenden Kinde, dem der Finger schmerzt, verweilen. Erst nach vielen Jahrhunderten, wenn ein Menschenalter zur fernen unsichtbaren Minute geworden ist, wird Voltaire vergessen werden.


242.

Die meisten sogenannten edlen Menschen haben nur Krämertugenden; ihr Herz ist ein Gewürzladen und freilich[305] alles Lobes wert. Sie wiegen ihre Guttaten in Loten und Quentchen kleiner Gefälligkeiten zu, und indem sie die dringenden Bedürfnisse des Augenblicks befriedigen, werden sie der Armut und bettelhaften Eitelkeit ganz unentbehrlich. Die Tugend hoher Menschen aber ist ungemünztes Gold, das im Verkehre des alltäglichen Lebens nicht zu gebrauchen ist. Solche Menschen beglücken leichter Völker als einzelne Menschen; sie geben lieber Saatkorn als Brot. Ihre Seele ist keine Gießkanne, die eine geliebte Nelke erfrischt, sondern eine Gewitterflut, die weite Felder und hohe Eichbäume tränkt. Die zerknickte Blume im stillen Gärtchen mag den donnernden Jupiter schelten – sie hat doch geduftet und den Menschen erfreut. Darf aber Unkraut, das noch keinen erquickt, den Sturm lästern, der es geschüttelt? Soll die Luft stille stehen und faulen, damit es ewig fortwuchere? Nein, wahrlich, der Löwe, welcher starb und auch nur einen Esel schonend übrig ließ, der seine Leiche mit Füßen tritt – das war kein grausamer Löwe!


243.

Bei den Pferdewettrennen in England gewährt die Regierung demjenigen, dessen Pferd alle andern übertrifft, noch eine Prämie. Die Preise werden durch eine Jury zugesprochen, welche aus Pferdebesitzern gebildet und von der Regierung ganz unabhängig ist. Man sieht, daß es in England die Pferde besser haben als in Deutschland die Menschen.


244.

Löwen und Despoten sehen schärfer in der Dunkelheit als bei Tage.


245.

Das europäische Gleichgewicht wird von der Judenschaft erhalten. Sie gibt heute dieser Macht Geld, morgen der[306] andern, der Reihe nach allen, und so sorgt sie liebevoll für den allgemeinen Frieden. Don Quixote sah eine Windmühle für einen Riesen an und streckte ihr seine Lanze entgegen; aber die Juden sehen den Riesengeist der Zeit für eine Papierwindmühle an und fürchten sich gar nicht. Die Herrschaft der Welt wurde ihnen verheißen, der Himmel hat ihnen Wort gehalten. Doch sie sind schlau und lassen sich das nicht merken. Sie stellen sich wie die Feigen in der Schlacht tot an, daß man sie nicht töte. Sie wissen recht gut, daß sie, gleich dem Rasen, um so frischer grünen, je mehr sie getreten und geschlagen werden.


246.

Die einen wähnen, wenn sie nur Fenster hätten, dann ginge die Sonne nie unter und die andern wähnen, würden die Fenster nur zugemauert, dann ginge nie die Sonne auf.


247.

»Die wohltätige Beschränkung der höchsten Autorität, die ehedem stattfand, beruhete wesentlich auf dem Lehnwesen; die Könige selbst haben es allerwärts möglichst erschüttert, gestürzt hat es die neue Philosophie, sobald sie zur Regierung kam«; – und in diesem Trotte weiter bewegt sich ein Rezensent in den Ergänzungsblättern der Jenaischen Literaturzeitung. Wem war jene Beschränkung wohltätig? Doch nicht etwa dem Volke? Freilich hörte man damals weniger klagen gegen die höchste Autorität als später nach Zerstörung des Feudalwesens, aber eben das beweist die tiefe Erniedrigung, worin der Bürger lebte. Wer Stubenarrest hat, kann sich nicht beschweren, daß er auch Stadtarrest habe, denn er muß erst frei werden, um zu erfahren, daß er es nicht genug ist. Die häufigen Klagen über Regierungen, die[307] man jetzt vernimmt, gereichen diesen zum Ruhme, und sie würden es selbst dann noch, wenn die Klagen gegründet wären. Sie beweisen, daß die Bürger in Freiheit, Wohlstand und Sorgenlosigkeit leben. Wären sie nicht frei, dürften sie nicht klagen; wären sie nicht reich, würden sie nicht immerfort so ängstlich Bürgschaften für ihre Rechte und Besitzungen fordern; und wären sie nicht sorgenlos, würden sie über das wirkliche Heute nicht an das mögliche Übermorgen denken. Kinder fürchten sich, allein ohne Wärterin zu sein, Bettler fordern keine Polizei, Sklaven keine Konstitution ... Der Rezensent sagt: Die Philosophie habe jenes herrliche Feudalwesen gestürzt, sobald sie zur Regierung gekommen. Wo regiert die Philosophie? Der Rezensent nenne uns das Land. Wo hat die Philosophie einen Thron? Übt die Philosophie irgendein Majestätsrecht aus? Schickt und empfängt sie Gesandtschaften? Hat man auf den Kongressen zu Aachen, Karlsbad und Laibach Bevollmächtigte der Philosophie gesehen? Hat die Philosophie auf dem Bundestage Sitz und Stimme? Das kann gewiß kein vernünftiger Mensch behaupten.


248.

Der Teufel hat noch keinen seiner alten Anhänger verloren, obzwar seine Vermögensumstände nicht glänzend mehr sind. Das kommt daher, weil er für einen Schelm bekannt ist und jedermann glaubt, er stelle sich nur, als ginge es ihm schlecht, um seine Freunde zu prüfen.


249.

Ist es ihr Verbrechen, daß sie Durst haben? Hatten sie die gesalzenen Speisen verlangt, die ihr ihnen vorgesetzt? Ihr wolltet eine Schadenfreude genießen – das ist es; aber nur der Schaden wird euch werden, keine Freuden.[308]


250.

Nicht die Jahre, die Erfahrungen machen alt; darum wäre der Mensch das unglücklichste aller Geschöpfe, wenn er ein fleißiger Schüler der Erfahrung wäre. Daß jedes neue Geschlecht und jede neue Zeit von der Wiege ausgehe – das ist es, was die Menschheit in ewiger Jugend erhält.


251.

Die Deutschen können das Befehlen und das Gehorchen nicht lassen, und es ist schwer zu bestimmen, woran sie am meisten Vergnügen finden. Auch ist es ein höchst deutscher Dichter, welcher singt:


Du mußt herrschen oder dienen,

Amboß oder Hammer sein.


Treffender Spruch, ob er schon eine große Unwahrheit und eine abscheuliche Verleumdung der menschlichen Natur enthält. Herrschen oder dienen, das heißt Sklave sein auf diese oder jene Weise; dort umschließen goldne, hier eiserne Stäbe den Käfig. Die Kette, welche bindet, ist so gebunden als das, was sie bindet. Aber der Mensch ist zur Freiheit geboren, und nur soviel als die Lebensluft der Beimischung des Stickgases bedarf, um atembar zu sein, soviel muß die Freiheit beschränkt werden, um genießbar zu bleiben. Wer aber dieses Zuvielregieren den Regierungen als Schuld beimißt, der würde, wenigstens in Deutschland, eine große Ungerechtigkeit begehen. Es ist die Schuld und Schwäche der Untertanen. Man versuche es und hebe die hundert überflüssigen Gesetze auf, die verbieten, was nicht verboten werden sollte, oder erlauben, was keiner Erlaubnis bedurfte, und man wird sehen, wie sich die Bürger bei jedem Schritt gehindert fühlen und wieviel sie klagen würden, daß es ihnen an einer Vorschrift mangle. Das kommt daher,[309] weil es ihnen an Tugend fehlt, die ohne Zwang jedem sein Recht zuspricht; und an Tugend fehlt es ihnen, weil ihnen Kraft fehlt, die das eigene Recht zu verteidigen weiß; und an Kraft fehlt es ihnen, weil ihnen der Geist fehlt, welcher der Hebel des Willens ist; und an Geist fehlt es ihnen, weil sie Deutsche sind.


252.

In einer gewissen Beziehung kann man freilich mit Grund sagen, daß die Gelehrten und Philosophen die französische Revolution befördert haben, so betrachtet nämlich, daß jeder Revolution eine Umwandlung der öffentlichen Meinung vorhergegangen sein muß und daß die Schriftsteller allein es sind (wo nämlich keine Volksvertretung stattfindet), durch welche die öffentliche Meinung sich ausspricht. Doch den Philosophen darum einen verbrecherischen Teil an den Übeltaten der Staatsumwälzung in Frankreich zuschreiben zu wollen, ist ebenso ungerecht als lächerlich. Sie sind es nicht, welche die öffentliche Meinung leiten, sie sind ihr vielmehr selbst unterworfen und verhalten sich zu ihr wie die Sprache zum Gedanken; aber verdammlich kann nie der Ausdruck, sondern nur der Sinn sein. Die Philosophen, welche die Gesinnung des Volkes aussprachen und verrieten, noch ehe sich diese in Taten offenbarte, waren vielmehr heilsam und haben den Jammer der Zeit sehr gemildert. Wenn einmal die alten Dämme im Staate unhaltbar geworden und durchbrochen sind, breitet sich die öffentliche Meinung von selbst aus, die Schriftsteller und Redner aber führen sie durch Kanäle unschädlicher ab. Man irrt sich, wenn man den Rednern geschehenes Unheil vorwirft, indem man behauptet, sie hätten Leidenschaften aufgeregt; sie haben sie vielmehr unschädlich gemacht, indem sie ihnen einen Ausweg bahnten. Der Blitz, dessen begleitenden Donner wir vernehmen, ist schon unbeschädigend[310] an uns vorübergegangen. In Revolutionen sind die Schweigenden gefährlicher als die Redenden. Auch die Aufklärung hat in Frankreich die Übel nicht verschuldet, sondern nur die versteckten an den Tag gebracht. Die Sonne, welche über einem Schlachtfelde aufgeht, hat die Toten auf demselben nicht geschlagen, sondern nur gezeigt. Sie lehrt uns den Verlust berechnen – und das ist besser.


253.

Nadelstiche sind schwerer zu parieren als Schwerthiebe – das haben sie endlich gelernt, die Verfechter der alten Zeit.


254.

Die Freiheit der Presse hat für die Regierenden manche Unbequemlichkeit; aber wenn sie dieser ausweichen, stürzen sie sich in Verderben. So hat schon tausendmal der Blitz diejenigen erschlagen, die bei einem Gewitter, nur um nicht durchnäßt zu werden, Schutz unter Bäumen suchten.


255.

Der Redestrom eines Landgeistlichen im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen bildet einen merkwürdigen, logischen Wasserfall in mehreren kühnen Absätzen. Er sagt: Die Pfarrer würden schlecht bezahlt – daher verlören sie immer mehr an Achtung – daher würde der christliche Glaube immer schwächer – daher müsse »nach einer kurzen Reihe von Jahrhunderten« die Menschheit »merklich« rückwärts gehen – daher würde endlich das »so tief versunkene Volk einem Apis und anderen unvernünftigen Tieren wieder Tempel bauen«. Man sieht es, dieser gute Mann ist zu ehrlich, um klug zu sein, er kennt seine Pflicht besser als seine Zeit. Alle Menschen, vornehme wie geringe, leben gegenwärtig nur vom Tagelohne[311] des Schicksals. Wer sie warnen und schrecken will, darf nicht von einer Reihe von Jahrhunderten und von merklichen Gefahren sprechen. Er muß am Morgen sagen: »Wenn nicht die Besoldung der Pfarrer noch Vormittag erhöht wird, werden bis Abend sämtliche Christen den Götzen Apis anbeten.« Er muß um halb zwölf Uhr sagen: »Wenn nicht der grenzenlosen Frechheit der liberalen Schriftsteller sogleich Einhalt geschieht, wird bis Mittag die ganze Welt in Blut und Tränen schwimmen.« So wirkt man in unsern Tagen.


256.

Das Volk kann, einem Kinde gleich, nur weinen oder lachen. Daß es Schmerz hat oder Freude, erkennt man wohl; aber woran es leidet und wessen es froh sei, ist oft schwer zu erforschen.


257.

Die Natur führt uns auf dem Wege der Zuckerbäckerjungen zur Weisheit: sie übersättigt uns mit den Genüssen, die wir meiden sollen.


258.

Unsere Vornehmen haben den Kitzel verloren, und das Volk hat eine harte Haut: ihr verlangt aber dennoch, wir sollten bloß durch gute Gründe zu wirken suchen!


259.

Die gemeinen Türken glauben, daß auf allen Stückchen Papier, die sie zufällig finden, der Name Gottes unsichtbar geschrieben steht. Daher versäumen sie nie, solche aufzuheben und zu verschlucken, überzeugt, daß ihnen diese Frömmigkeit in jener Welt hoch werde angerechnet werden. Die vornehmen Christen haben eine andere Art von Aberglauben: sie wähnen, auf jedem Stückchen Papier[312] stünde der Name des Teufels unsichtbar gedruckt, und darum lassen sie, um sich bei ihm einzuschmeicheln, alle vermeintlichen Teufelspapiere von dazu bestellten Dienern verschlingen. Diese armen Menschen sind sehr zu bedauern, sie haben unaufhörlich den Teufel im Leibe.


260.

Erst vor wenigen Jahren hat die römische Kirche die galiläische Weltordnung anerkannt. Was mögen nun jene politischen Ptolemäer noch von ihren verrosteten Schwertern erwarten, da sie sehen, daß selbst der blankeste Mut sich endlich der Wahrheit unterwirft? Denn der Kampf unserer Tage über die bürgerliche Ordnung ist ganz der alte Streit zwischen dem ptolemäischen und kopernikanischen Planetensysteme. Es fragt sich, ob die Erde stehe und um ihre Kleinheit sich die Sonne bewege, oder ob die Sonne Gebieterin sei? List, Drohung, Gewalt, Bestechung, Schmeichelei – alles vergebens. Man kann hier und dort die eingeschüchterte Wahrheit zwingen, der Lüge kniend Abbitte zu tun; aber im Aufstehen wird sie sich ermutigen und wie Galiläi ausrufen: Und doch bewegt sie sich!


261.

Ehrfurcht ist die Leibwache der Könige gewesen, Furcht war es, Gewohnheit ist es, Liebe wird es sein.


262.

Man glaubt, daß der Offenbacher Staatsmann für Deutschland die ausschließliche Nutznießung der literarischen Angeberei habe, man irrt aber, so ist es nicht. Es gibt unter den periodischen Schriftstellern noch andere arme Waisenkinder, die, sooft sie ihr periodischer Hunger befällt, sich schreiend an ihre Pflegemutter Polizei wenden und um Brot betteln. Diese Herren, in ihren Beurteilungen[313] politischer, historischer, ethischer und religiöser Werke begnügen sich nicht, die Bücher zu tadeln und ihre eigene Ansichten auszusprechen, sondern sie erröten nicht, die Achtsamkeit der Polizei auf solche Bücher zu wenden und sie zum Gebrauche ihrer Macht aufzufordern. Solche Schelme dürfen sich nicht beklagen, wenn sie den Verdacht erregen, daß ihre gedruckten Angebereien schon als Handschrift ihre Bestimmung gefunden und daß sie sie nur haben drucken lassen, um ihre Aufsätze um einige Zeilen und ihr Honorar um einige Batzen zu vermehren. Der Pranger diesen Schändlichkeiten! Unsere Freiheit wird genug besteuert, es ist genug an den Zehnten, die man auf jedes Gefühl, auf jeden Gedanken legt; noch mit freiwilligen Gaben sich zuzudringen, ist eine lächerliche und verderbliche Großmut. Nur solche Schriftsteller können der Zensur, dieser türkischen Kopfsteuer, hold sein, welche diese Steuer nie treffen kann. So wird in der Jenaer Literaturzeitung (September 1824) das Werk Bignons »Les Cabinets et les peuples« in dessen deutscher Übersetzung beurteilt. Der Kritiker ist anderer Meinung als Herr Bignon – das muß ihm erlaubt sein. Er spricht seine Meinung mit dem anmaßenden Geschrei derjenigen aus, die darauf trotzen, daß ihr Glauben unter dem Schutze der Artillerie und der Gendarmerie steht – auch das mag ihm verziehen werden; es ist die Bestimmung der Hofhunde, zu bellen, dafür werden sie gefüttert. Aber am Schlusse seiner Kritik sagt er: »Der Band enthält übrigens manches, welches einer ängstlichen Bücherpolizei wohl so bedenklich scheinen könnte, daß sie ihn lieber ganz verbieten möchte.« – Das darf ihm nicht frei hingehen. Die Konjunktive könnte und möchte machen uns nicht irre; das ist diplomatischer Stil, und in die Sprache des gemeinen Lebens, nämlich der Aufrichtigkeit, übersetzt, sind solche Konjunktive reine Optative. Die Redaktion der Jenaer Literaturzeitung entehrt[314] sich, wenn sie solche kritische Angebereien nicht bloß aus Unachtsamkeit anstimmt.


263.

»Les corps (constitués) n'ont point d'âme« – sagt Lord Coke, und das Echo der Erfahrung ruft dieses Wort hundertfach zurück. Sooft die Feinde in das Land kamen, wer war es, der den Siegern am weitesten entgegenging, sie am ehrerbietigsten empfing, sie am freundlichsten begleitete, ihnen am niederträchtigsten schmeichelte, ihnen den blutigen Weg der Schlachten am sorgfältigsten säuberte, ihnen den warmen Ofen, das weiche Bett, den gedeckten Tisch, den vollen Becher vorbereitete und so dem Vaterlande und dem angestammten Fürsten zuerst und am offensten die schuldige Treue brach? Wer tat dieses? Das taten die Staatskörperschaften, die Regierungsbehörden, die fürstlichen Statthalter, die Bürgermeister, und wenn einer aus dem Volke ein Wort des Unmuts auch nur zwischen den Zähnen murmelte, donnerte man ihm zu: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Als Napoleon Italien, Holland, die Hansestädte nicht durch das Recht friedlicher Verträge, sondern gewalttätig mit Frankreich vereinigte, wer unterwarf sich ihm zuerst, wer pries am lautesten das Glück der neuen Herrschaft? Das taten die gesetzgebenden Körper, die Senate, die Landesstellen und alle jene einzelnen Gewalthaber, die im Glücke sich die Freunde der Fürsten und bei trockenem Wetter sich die Dämme nennen, welche den Thron gegen die Wogen der Demokratie schützen. Man klagt – und nicht ohne Grund – in unsern Tagen werde die Heiligkeit der Legitimität von manchen verkannt, das göttliche Recht der Fürsten in Zweifel gezogen, bestritten, verletzt. Aber, wenn dieses geschieht, wer anders hat das Übel verschuldet als die selbst, welche klagen? Die Notwendigkeit einer erblichen Herrschergewalt ist das[315] Erzeugnis einer tiefen Berechnung, die nur der denkende Mensch, nicht die gedankenlose Menge anzustellen fähig ist. Nur allein jener begreift es, daß es eine politische Religion, daß es ein höchstes, schaffendes, erhaltendes und richtendes Wesen im Staate geben müsse; aber das Volk hält sich am baren Vorteil des Augenblicks. Wer ihm sein Leben, sein Eigentum, seine Gewerbe, seine Vergnügungen schützt, der ist sein Fürst. Aber bei der heutigen Art, das Land gegen die Feinde zu verteidigen, werden auch die besiegten Bürger in ihren Vorteilen und Genüssen nicht gestört; wie kann da die Liebe zum angestammten Fürsten in ihrer Stärke bleiben? Soll die Ehrwürdigkeit der Legitimität ungeschwächt erhalten werden, müssen die Regierungen in ihren vom Feinde überzogenen Staaten alle Bande der bürgerlichen Gesellschaft auflösen, damit das Volk in seinem Fürsten alles verliere und nur durch seine Rückkehr wieder alles gewinne.


264.

Napoleon war ein Gewitter, welches die schwülen Südländer erfrischte; aber der herbstliche Teil der Welt bedarf eines Winters, um zu erstarken. Wir begriffen das wohl, wären wir nicht so hausbackne, wirtschaftliche und nutzsüchtige Menschen, daß wir um wenige Tage des Kelterns willen einen ewigen Herbst ertrügen mit seinem Nebel, seiner Naßkälte, seinen unfahrbaren Wegen, seinen unerquicklichen Winden, seinen Drohungen und aller seiner Zweideutigkeit. Um Wintertage flehet, das sind eure Messiaden. Denn nur nicht einen Messias! Sooft noch ein Erlöser die Welt befreite, war das Lösegeld zu hoch für den Dienst, weil die Zeit den freien Zins der Dankbarkeit immer in einen ewigen Tribut der Furcht verwandelt.[316]


265.

»Wohl kein Mensch, der dieses Namens würdig ist, wird den Lobredner der Sklaverei machen wollen; jeder wird wünschen, daß sie von der Erde verschwinde. Aber dieses ist das Werk der Zeit. Die Zeit vollbringt gelinde, was ein ungeduldiger und fanatischer Liberalismus mit Gewalt verrichtet.« Daß man nicht einmal so vorsichtig ist, dem altväterischen Adam ein modisches Kleid zu machen! Es ist wahr: sie haben nichts gelernt und nichts vergessen – sie reden noch immer mit uns, wie sie früher geredet, und verschweigen noch jetzt, was sie immer verschwiegen. Sie wollen uns zu horazischen Bauern machen, die geduldig am Ufer auf- und abgehen und darauf warten, daß der Strom ablaufen werde. Sie wollen der Freiheit den Gang eines Stundenzeigers geben, über welchem, ehe er sein Ziel erkriecht, der Sekundenzeiger des Despotismus viele tausend Male herfährt. Wir sollen die reifen Früchte nicht brechen, sondern warten, bis sie verfault von den Bäumen fallen. Die Zeit macht das Korn reif, aber sie pflügt nicht; die Zeit hat uns immer betrogen, wir borgen nichts mehr auf ihre Wechselbriefe; die Zeit ... Doch man wird es müde, für die lebendigen Meinungen, die nicht hervortreten dürfen, nur immer ihre leblosen Bilder zu zeigen.


266.

Die Regierungen, welche Verschwörungen anzetteln, um solche kund zu machen und ihren Argwohn zu rechtfertigen, ahmen hierin dem berühmten italienischen Arzte Cardano nach. Dieser hatte sich abergläubisch das Horoskop seines Lebens gestellt und starb in seinem 75. Jahre eines freiwilligen Hungertodes, um sein vorhergesagtes Sterbejahr nicht zu überleben.[317]


267.

Einst hatte Rom Schauspieler eingeführt, um die Götter zu versöhnen, daß sie der Pest Einhalt tun. Hätten wir keine Quarantäne, dann stände es schlimm um unser Leben; denn wir könnten mit allen unsern stehenden und wandernden Bühnen keinen Schnupfen heilen.


268.

Als Pythagoras seinen bekannten Lehrsatz entdeckte, brachte er den Göttern eine Hekatombe dar. Seitdem zittern die Ochsen, sooft eine neue Wahrheit an das Licht kommt.


269.

Unterwürfige Redensarten, alter Hausrat solcher Art, der wenn auch nicht gebraucht, doch dem neuen den Platz raubt; solche noch aufrechtstehende Mauern und Trümmer von niedergerissenen Kerkern aus Zeiten einer knechtischen Untertänigkeit, finden wir im deutschen Lande aller Orten und Wege. Trauriger Anblick! zu ernst, um darüber zu lächeln. So lange nicht ihre letzte Spur vertilgt wird, denke man an keine wahre Freiheit der Deutschen. Von alleruntertänigsten treugehorsamsten Ständen, von Sprechern die des Volkes Wünsche und Klagen Allerhöchst ihrer Huld und Gnade keuchend vorschleppen, erwarte man nicht viel. Es ist ein wunderbarer Zauber in den Worten, sie rufen Geister hervor, und leichter noch bannen sie den Geist. Welchem Manne mit einem freien und kühnen Herzen in der Brust, müßte das Kettengeklirre gefesselter Zungen nicht unerträglich sein, so daß er lieber alle seine Gefühle zurückdrängen, als sie den peinlichen Bücklingen und Verzerrungen einer veralteten Feudalsprache unterwerfen würde? Ich bin doch wohl der Einzige nicht, der hundermal in seinem Leben des Teufels hätte werden mögen, wenn er in eignen Angelegenheiten oder in amtlichen Berichten[318] geraden Weges auf das Herz und den Kopf des Regierenden zugehen wollte, und jeden Augenblick von einem Hochdieselben, Hochderen, Allerhöchstihrer wie von lästigen Bettlern angefallen und aufgehalten worden, so daß er nicht von der Stelle kam und die schönsten und notwendigsten Gedanken um sich zu erleichtern, zurücklassen mußte?

Da wo uns diese Sprachschlingen von Vorgesetzten und hohen Händen angelegt werden, müssen wir – es ist nun einmal so – bis zum Tage der Erlösung geduldig darin fortzappeln. Aber wir gemeinen Leute, warum werfen wir nicht wenigstens im Umgange mit unseresgleichen diese Hindernisse weg? Warum schreiben wir noch immer fort Ew. Wohlgeboren, Ew. Hochedelgeboren, Ew. Hochwohlgeboren? Warum verabreden wir uns nicht gemeinschaftlich, dieses zu unterlassen?

Ich habe neulich einen Brief von Goethe an einen Maler gelesen, worin über ein gewisses Kunstwerk, verständige und sinnige Worte gesagt waren. In dem Schreiben kam Ew. Wohlgeboren vor. Es war wunderlich zu lesen, an einem solchen Orte und von einem solchen Manne. Wir geringen Leute, wir müssen freilich alles folgsam mitmachen, und dürfen es nicht wagen, störend in die Gebräuche der Menschen einzugreifen. Aber wenn ich Goethe wäre, ich duldete es nicht und ließe mir ebenso angelegen sein, eine abgeschmackte Sitte außer Gang zu bringen, als es mir wäre, irgend eine Kunstansicht geltend zu machen.

Ihr lieben ehrsamen Herren, werdet mir nicht alle Recht geben. An Dich will ich mich wenden, Du taumelnder unverständiger und unverstandener Jüngling. Sind Dir nicht Jean Pauls Schriften Deine heiligen Bücher, in denen Du Trost, Hoffnung und das Ende aller Furcht, in denen Du Deine irdische Nahrung und Dein Himmelsbrot findest? Hat er Dir nicht Tausend Rätsel gelöst, die[319] Dich verwirrten, und Rätsel aufgegeben, die Dich ergötzten? War er nicht das treue Wörterbuch, das Dir alle Gefühle Deines Innern erklärte? Deckte er Dir nicht alle Geheimnisse auf, selbst jene verborgenen, selten gefundenen, die auf der Oberfläche der Dinge liegen? Du suchtest einen Leidensbruder, er gab Dir ihn, welcher litt, duldete wie Du und genas. Du suchtest einen Ausweg für Deine Wonnen und Deine Schmerzen, er öffnete Dir ihn: er entlockte Deine Tränen und trocknete sie. Es gibt eine Höhe der Empfindung, auf welcher der Mensch sich verzehrt, weil er allzu reinen Sauerstoff atmet; es gibt eine Tiefe des Gefühls, in der, von irdischen Dünsten umwallt, das Herz unter matten Schlägen sich hinschleppt. Dann Jüngling, wenn Du bald Stärkung suchtest, wenn Du von der Erhebung oder dem Falle des menschlichen Geistes Dich erholen wolltest, lasest Du die Bücher Jean Pauls. Denn an die Flügel hochherziger Menschen hängt er das erdwärts ziehende Gewicht des alles ausgleichenden, mit dem Verwandtschaftsstempel der Vergänglichkeit bezeichnenden Spottes, damit sie in ihrer Erhebung über Andere sich nicht einsam und unglücklich fühlen. Da aber, wo die Menschheit in ihren gemeinen Bedürfnissen Dich anekelt, erhebt er Dich Niedergebeugten durch jene Liebe, die Alles veredelt, alle Flecken reinigt und alles Dunkle erhellt. Dein Dichter, das fühlst Du heraus, Jüngling, trägt nicht einen geschlossenen Tempel in sich, den der Markt des gewöhnlichen Treibens umgibt, er ist im Leben wie in seinen Schriften und »die Gemeinheit, die uns alle bändigt,« berührt ihn nicht. Ach, wie oft sehntest Du dich, Dich an seine Brust zu lehnen, seine Hand mit Tränen des Dankes und der Liebe zu benetzen. Mit welchem freudigen Schrecken erfährst Du, daß ihn eine Reise in Deine Nähe geführt, daß er in Deinem Wohnorte angekommen. Du würdest empfindungsvoll zu ihm eilen, aber auch Dich[320] schüchtert die tückische Macht eines ungereimten Lebens zurück. Zu schreiben hättest Du wenigstens den Mut. Nun setze Dich hin, Kamerad, und beginn Deinen Brief:

»Hochgeschätzter Herr Doktor, insonders hochzuverehrender Herr Legationsrat! – Ew. Wohlgeboren wollen gütigst verzeihen, ....« Jetzt vergieße Dich, wenn Du kannst, oder fahre aus der Haut wie ich.


270.

Herr von Eckstein, einer der tapfersten Federcondottieri unserer Zeit, hat über »Lafayette und die Amerikomanie« eine Abhandlung geschrieben. Der Offenbacher Staatsmann teilt sie uns mit. Diese Abhandlung kann nicht anders als belehrend sein; denn wie bekannt, versteht sich Herr von Eckstein auf Tollheiten aller Art. Schade, daß ihm die Kenntnis noch einer einzigen Manie fehlt, derjenigen, woran er selbst leidet, der Biomanie – ein Übel, aus dem alle die anderen Übel entspringen, auf deren Heilung er so unermüdlich bedacht ist. Aber was versteht Herr von Eckstein unter Amerikomanie? Dieses zu erklären, müssen wir einen Umweg machen: der andere kürzere Weg ist steil und hat seine Schwierigkeiten. Wenn der Herr Dey von Algier, bei Met und Reiskuchen guter Dinge geworden, zum Nachtisch einige seiner getreuen Untertanen holen ließe und ihnen die Köpfe abschlüge, dann würde wohl schwerlich einer der Gäste es wagen, über dieses algierische Vergnügen die Achsel zu zucken. Wagte es aber dennoch einer und spräche: In Europa würde es anders gehalten, dort pflegte man bloß die Missetäter hinzurichten – dann würde der Herr Dey ohne Zweifel dem Unzufriedenen auch den Kopf abschlagen und zu den Umstehenden sagen: »Das mag euch zur Warnung dienen, ihr Hunde! der war von der Europomanie angesteckt. Aber, beim Propheten! ich werde sie nicht aufkommen lassen. Wem es in Algier[321] nicht gefällt, der mag nach Europa überschiffen; er soll gegen die Gebühr einen Paß erhalten. Wenn man in Europa unschuldige Leute nicht köpft, so mag das nach den dortigen Lokalitäten ganz gut sein; ländlich, sittlich. Sie mögen es in Europa halten, wie sie wollen; aber bei meinem Barte, Afrika soll Afrika bleiben!« Das ist die Amerikomanie des Herrn von Eckstein. ... Wer hat diese Pest über Frankreich gebracht? »Die gefütterte Pelzmütze des Doktor Franklin.« Also eine Pelzmütze ist schuld an der französischen Revolution? Nicht anders. Und Heil den Füchsen, daß Herr von Eckstein diese Entdeckung gemacht; man wird sie von nun an schonen. ... Und Lafayette? Wie! Herr von Eckstein zieht Lafayette vor seinen Richterstuhl? Es ist auch komisch genug. Ihr habt wohl schon einmal einer Katze zugesehen, wie sie eine Kugel zu fangen und festzuhalten sucht; aber vergebens; dem armen Tierchen rollt die Kugel immer wieder unter der Pfote weg. Ganz so gebärdet sich Herr von Eckstein, indem er von Lafayette spricht. Ein ehrlicher Mann! Das ist dem Herrn von Eckstein zu rund, das kann er nicht fassen. Er sucht also Ecken und Haken an Lafayettes Ehrlichkeit. Die letzten funfzig Jahre, die alles umgeworfen oder erschüttert, haben nur eins nicht erschüttert – Lafayettes Tugend. Aber Herr von Eckstein nennt das »den banalen Wunsch, Gutes zu tun«. Lafayettes beharrliche Gesinnung erklärt er aus dessen Hartnäckigkeit. Er spricht von der Zähigkeit seines Charakters, von der Frivolität, von der Seichtigkeit seines Geistes. Er beschuldigt ihn der gröbsten Unwissenheit. »Ein Mann, wahrhaftig würdig, Mann von Charakter genannt zu werden, muß viele Stufen durchwandert sein, ehe er zur Reife gediehen, den alten Adam zum öftern abgestreift haben, um sich durch seinen Ideengang zu verjüngen.« Goldene Lehren! Also nach Herrn von Eckstein wäre der ein Mann von Charakter, der den alten[322] Adam zum öftern auszieht, um einen neuen Adam anzuziehen, und der seinen Ideengang nach den Umständen verjüngt! Echt polizeikommissarische Weltansicht! Aber findet Herr von Eckstein an Lafayette gar nichts zu loben? Nein, so verblendet ist Herr von Eckstein nicht. Wer wäre auch schlecht genug, am Lafayette gar nichts Löbliches zu finden! Herr von Eckstein findet an Lafayette zu preisen, daß er einst, während der französischen Revolution, »den zusammengerotteten Pöbel von Paris durch Artillerie zur Vernunft bringen ließ«. Wie man sieht, ist der Beifall des Herrn von Eckstein schwer zu erobern: es gehören Kanonen dazu. Es ist brav von Herrn von Eckstein, daß er an Lafayette lobt, was gut an ihm ist. Nur sind wir begierig, wie er sich bei seinen Prinzipalen entschuldigen werde, daß er versäumt, Lafayette auch das letzte gute Haar auszureißen. Und wären sie ihm noch so huldvoll ergeben, sie werden ihm diese Versäumnis wenigstens als eine »hochverräterische Nachlässigkeit« anrechnen.


271.

Die Hoffnungen guter Menschen sind Prophezeihungen, die Besorgnisse schlechter sind es auch.


272.

Für die, welche an keine Unsterblichkeit glauben, gibt es auch keine.


273.

So not tut es den lebenssüchtigen Menschen, sich eine Ewigkeit zu denken, daß sie, wenn ihnen die Brücke der Hoffnung verwehrt ist, auf der Brücke der Furcht hinübergehen.


274.

Soll man die Menschheit beweinen oder über die Menschen lachen? Jeder, wie er will: es ist eines wie das andere.[323] Ob wir spotten oder ernst sind, kriechen oder hüpfen, zaudern oder fortstürmen, hoffen oder fürchten, glauben oder zweifeln – am Grabe begegnen wir uns alle. Doch eins ist, was nützt: die Klarheit. Eins ist, was besteht: das Recht. Eins ist, was besänftigt: die Liebe.


275.

Die Weiber sind am gefälligsten, wenn sie Furcht haben; darum fürchten sie sich auch so leicht.


276.

Höflichkeit ist Staatspapier des Herzens, das oft um so größere Zinsen trägt, je unsicherer das Kapital ist.


277.

Ein Deutscher kann seines Lebens nur froh werden, solange er reist. Jeder Deutsche ist in seinem Vaterländchen, hier oder dort, wie in einem warmen Bade, das keinen Gesunden erquickt und worin man nicht ein wenig mit dem Finger plätschern kann, ohne alles naß und verdrießlich zu machen. Der Wandernde aber badet sich im freien Strome; Luft, Wasser, Feld und Himmel genießt er zugleich, die frische Welle stärkt ihn, und der Strom tritt nicht über das Ufer, wenn er ihn mit seinen Armen schlägt. Die saubersten Philister lassen ihn gewähren.


278.

Auch Herz und Geist haben eine kubische Größe, eine Fleisch- und Knochenfülle, die das Wesen weder der Schönheit, noch der Stärke ausmacht.


279.

Eis oder Wasser – dieses allein unterscheidet den bösen von dem guten Menschen. Darum kann ich den einen nicht hassen und den andern nicht lieben. Die zackigste,[324] härteste Selbstsucht ist nichts als gefrorenes Mitleid und die zärtlichste Teilnahme nur aufgelöste Eigenliebe. Daß in einem Herzen der Sommer oder der Winter wohne, daß es am Nordpole oder unter einem warmen Himmel geboren, ist weder Schuld noch Verdienst. Nur große Herzen, dem Weltmeere gleich, gefrieren nie; dafür stürmen sie, und ihre Liebe ist gefahrvoller als der Haß der Kleinen.


280.

Leichter ist eine Zeit zu schaffen als umzuschaffen, leichter sie umzuschaffen, als eine alternde zu verjüngen. Ist es etwas Erfreuliches, durch mühsame Heilkunst und lästige Lebensordnung ein hinfälliges Dasein zu fristen? Der denkende Baumeister hilft einem baufälligen Gebäude zu schneller Zerstörung, nur daß er es während dem Niederreißen stützt, damit herabfallende Balken nicht beschädigen.


281.

Nur die Glücklichen kommen ins Paradies. Die Unglücklichen sind verdammt, in jenem wie in diesem Leben.


282.

Das Licht, das sogenannte offizielle Mitteilungen verbreitet, ist oft nichts als ein Irrwisch, der uns in Sümpfe führt.


283.

Der Geist des Mannes ist sonnenlichter Tag, der Geist des Weibes gleicht mondheller Nacht – und der trübste Tag ist heller als die hellste Nacht. Aber der Tag verdunkelt die Sterne und macht alles Leben irdisch, und die Nacht ruft alle Welten hervor und macht das Leben himmlisch. Der Tag bringt Glut und Dürre und Haß; alles uns trocknend, beleuchtend, entzweit er die verwandtsten[325] Dinge, bis selbst auf ihre Schatten; die Nacht bringt Milde und Tau und Liebe, und alle Grenzen verwischend, verschwistert sie, was sich feind oder fremd war. Der Geist des Mannes steht überall im Mittelpunkte der Betrachtung, von welchem er die ganze Welt übersieht. Er denkt hinaus und fühlt herein; sein Wissen ist ganz, seine Empfindungen sind Brüche. Frauen stehen mit ihrem Geiste nur auf diesem oder jenem Punkte der Kreislinie. Nicht überschauen und umschauen können sie die Welt, sie umschiffend, und sind sie am Ziele, so stehen sie doch wieder am Anfange der Reise; sie fühlen hinaus und denken herein; ihre Empfindung ist vollständig, ihr Wissen ein Bruchstück. So wäre Verlust und Ersatz dem Manne und dem Weibe in gleichem Maße zugeteilt.


284.

Menschen, die mit Leichtigkeit fremde Sprachen erlernen, haben gewöhnlich einen starken Charakter.


285.

Um zu gefallen, muß man eitel sein; man lernt der Eitelkeit anderer nur an sich selbst schmeicheln.


286.

Alle Narrheit erschöpfen – so gelangt man zum Boden der Weisheit.


287.

Klugheit ist oft lästig wie ein Nachtlicht im Schlafzimmer.


288.

Glücklich zu sein ist auch eine Tugend.


289.

Nach Steinen und Kräutern soll man forschen, die stille halten, wenn man sie berührt, nicht nach lebendigen[326] Dingen, die auf den untersuchenden Finger zuschnappen. Dort gibt die Befriedigung der Wißbegierde Ruhe und Lust, hier nur Furcht und Schmerz. Die tote Natur zerstört, um zu schaffen, die lebende gebärt, um zu töten. Wie beneidenswert sind jene Glücklichen, die friedlich leben in der wildbewegten Zeit, am Rande des stürmenden Meeres sich der Muscheln erfreuen, die nur Käfer murren hören und auf Schlachtfeldern nach Schmetterlingen jagen!


290.

Rousseau hatte ein deutsches Herz und einen britischen Geist; französisch war nichts an ihm als die Sprache.


291.

Der Hund heult, wenn er geschlagen wird, und der Mensch soll es nicht dürfen? Aber es gibt Menschen, die hündischer sind als Hunde – und nicht heulen, wenn sie geschlagen werden.


292.

Die Regierungen tun öfter Böses aus Feigheit als aus Übermut.


293.

Wer Tyrannei stürzen will, muß ihr dienen.


294.

Soll die bürgerliche Gesellschaft eine Maschine sein, nun wohl, so behandle man sie wenigstens mit der Schonung, mit der man eine Maschine zu behandeln pflegt. Ist die Uhr einmal aufgezogen, zeigt sie richtig die Stunde, läßt man sie gehen, bis sie abgelaufen ist oder ganz regellos geworden. Die Regierungen aber legen den Schlüssel nie aus der Hand, sie rücken immerfort am Zeiger, sie regieren unaufhörlich.[327]


295.

Man muß den Staat als eine Assekuranzgesellschaft betrachten, worin jeder Teilnehmer einen gewissen Teil seiner Freiheit als Assekuranzprämie entrichtet, um das Kapital zu sichern. Aber die Prämie muß im Verhältnisse zum Kapital, sie muß auch im Verhältnisse zu den Gefahren stehen, welchen das Kapital ausgesetzt ist. Verschlingt die Prämie fast das ganze Kapital, dann bleibt ja dem Bürger nichts übrig, das ihm versichert wird. Ist die Prämie zu groß für die Unwahrscheinlichkeit der Gefahr, dann wagte es der Bürger besser, ohne Versicherung zu leben, er gewönne dabei, in den Zustand der Natur zurückzutreten. Diese beiden Mißverhältnisse finden aber in den europäischen Staaten statt. Die Freiheit des Bürgers ist so sehr beschränkt, daß ihm wenige mehr übrig bleibt, zu deren Sicherung jene Beschränkung eigentlich eingeführt worden. Als die bürgerlichen Gesellschaften sich bildeten, waren ihre Gefahren groß. Die wilden natürlichen Triebe der Menschen herrschten noch vor, die Leidenschaften ruhten nicht; die Freiheit mußte sehr beschränkt werden. Aber die Zeiten der Gefahr sind vorüber, die Bürger sind zur Gesetzlichkeit erzogen, und der Versicherungszins ist durch die Gewinnsucht der Regierungen so groß geblieben, als er ursprünglich gewesen.


296.

Eine Staatsverfassung darf nichts enthalten als die Beschränkung der Freiheit, denn die Freiheit selbst ist ein angeborenes Recht und braucht nicht bewilligt zu werden, da sie nicht versagt werden kann. Daher ist eine freie Konstitution ein törichtes Wort, das einen törichten Gedanken ausdrückt.[328]


297.

Manche Regierung des Festlandes, die nicht zu den vorherrschenden gehört, ist in der bedauernswürdigen Lage, daß sie das Böse willig, das Gute gezwungen zu tun scheint, ob es zwar umgekehrt ist.


298.

Der Adel sieht sich als einen Obelisken an, dessen Spitze der Fürst und dessen Postament das Volk bildet.


299.

Man spricht von den Rechten der Regierungen, der Fürsten, der Krone; ja, die Liberalen selbst sprechen davon, nur sagen sie, das Volk habe auch Rechte. Aber wie kann eine Regierung Rechte haben? Was heißt ein Recht? Recht heißt die ausschließliche Befugnis, die einem auf eine Sache oder Handlung zu seinem Vorteile zustehet. Aber die ausschließlichen Befugnisse, die einer Regierung zustehen, hat sie sie denn zu ihrem Vorteile? Übt sie sie nicht vielmehr zum Vorteile des Volkes aus? Die Macht aber, die eine Regierung zum Vorteile des Volkes übt, ist eine Pflicht, kein Recht. Sie kann sich dieses sogenannten Rechtes nicht entäußern, also ist es kein Recht. Die schlimmsten Schmeichler der Fürsten, die wärmsten Verteidiger der Legitimität, die strengsten, absolutesten, können doch immer nur behaupten, zum Glücke eines Volkes sei es nötig, daß es monarchisch regiert werde, daß der Fürst unbeschränkte Gewalt habe; ist dieses aber, dann hat der Fürst nur Pflichten, er hat keine Rechte. Weil die Herrschsucht der Kleinen in der Herrschaft der Großen etwas Wünschenswertes fand, haben sie den Besitz der Herrschaft ein Recht genannt. Den besten edelsten Fürsten war das Regieren nur immer als eine schwere Pflicht erschienen.[329]


300.

Die bürgerliche Gesellschaft ist in Gärung, sie strebt, sich in ihre Elemente aufzulösen. Derer sind zwei: Herrschaft und Freiheit. Alle Massen, alle Stoffe ziehen sich nach dieser oder jener Seite. Der Kampf wäre bald entschieden, könnten nur die Kämpfer im freien Felde aufeinandertreffen. Aber der Ministerialismus sucht die Mischungen zu erhalten.


301.

Gesammelte Schriften

von
Ludwig Börne

Von den unwichtigsten oder den scherzhaftesten Dingen wollte ich mit Ernst und breiter Würde sprechen; aber von meinen Schriften ernsthaft reden – nein, das kann ich nicht. Herr Campe, der sie sich angeeignet, sprach sogar von einer Gesamtausgabe meiner Werke. Wie würde ich mich schämen, wenn er je so etwas drucken ließe! Ich habe keine Werke geschrieben, ich habe nur meine Feder versucht, auf diesem, auf jenem Papiere; jetzt sollen die Blätter gesammelt, aufeinander gelegt werden, und der Buchbinder soll sie zu Büchern machen – das ist alles. Zu dem Alten wird einiges Neue kommen; doch wer, nach so vielen Jahren, das Alte nicht vergessen, für den behielt es einen Wert, und wer es vergessen, dem ist alles neu. Ich habe hundertundzwanzig Bogen zu liefern versprochen. Hundertundzwanzig Bogen! Guter Gott, hat denn Voltaire so viel Geist? Aber zum Glücke ist in dem Druckvertrage von dem Geiste meiner[330] Schriften gar nicht die Rede, und ich war sehr froh, als er unterschrieben war und unwideruflich geworden.

Es ist so schwer, Bescheidenheit zu erkünsteln, und mir zumal, dem Kunstfertigkeit ganz mangelt, würde es nie gelingen. Und doch brauchte ich sie oder ihren Schein, die Leser zu begütigen. Möchten sie meiner Aufrichtigkeit nur eines glauben. Es ist nicht meine Schuld, wenn alte Reden sich zum zweiten Male hören lassen, es ist die meiner Freunde, ich habe ihnen lange widerstanden. Vielleicht verdiene ich keine Achtung für das, was ich geschrieben, aber für das, was ich nicht geschrieben, verdiene ich sie gewiß. Ich war älter als dreißig Jahre, als ich mich an die Wortdrechselbank gesetzt, seitdem sind zehn Jahre vorübergegangen; ich hätte früher anfangen, fleißiger fortfahren können, ich tat es nicht, ich kam spät und kehrte selten wieder. Hätte ich es anders gemacht, wie die Andern, dann wäre meine Sammlung voller geworden, und sie wäre jetzt, gleich einem Wolkenbruche, auf Dich, armen Leser, herabgefallen. Meine Freunde haben mich oft träge gescholten, sie haben mir Unrecht getan. Ich habe nicht vermeiden können manches zu lernen, und über das, was ich wußte, mochte ich nicht reden. Wo ich unwissend war, nur da hatte ich Trieb, mich auszusprechen, da war ich frei. Ich suchte immer meinen eignen Weg, wenn auch vorhersehend, daß ich nur zu bekanntem Ziele würde kommen. Traf ich aber dort mit den Besseren zusammen, machte es mir Freude; es hätte mich nicht gefreut, mit ihnen zu wandern oder mich führen zu lassen. So habe ich mühsam erfunden, was ich leichter hätte finden können, so verlor ich Zeit, und der Leser gewann sie. Doch das war es nicht allein, warum ich so schweigsam lebte. Ich hatte eine Richtung des Geistes, eine, und diese zu verfolgen, ward mir oft verwehrt. Was jeder Morgen brachte, was jeder Tag beschien, was jede Nacht bedeckte, dieses zu besprechen[331] hatte ich Lust und Mut, vielleicht auch die Gabe; aber ich durfte nicht. Wie, durfte ich nicht? Ich bin ein Deutscher, lebe im Vaterlande, in einer Zeit, die Alles darf, und ich durfte nicht? Ich habe es erfahren, ich habe es gelebt, und doch ist es so unglaublich, daß ich oft an meinen Sinnen zweifle. Käme ein treuherziger Mann und spräche: Du durftest, ermuntere Dich, Freund, Du hast geträumt – ich striche mit der Hand über die Stirne und sagte: wahrhaftig, ich habe geträumt, ich durfte!

Was ich immer gesagt, ich glaubte es. Was ich geschrieben, wurde mir von meinem Herzen vorgesagt, ich mußte. Darum, wer meine Schriften liebt, liebt mich selbst. Man würde lachen, wenn man wüßte, wie bewegt ich bin, wenn ich die Feder bewege. Das ist recht schlimm, ich weiß es, denn ich begreife, daß ich darum kein Schriftsteller bin. Der wahre Schriftsteller soll tun wie ein Künstler. Seine Gedanken, seine Empfindungen, hat er sie dargestellt, muß er sie frei geben, er darf nicht in ihnen bleiben, er muß sie sachlich machen. Ach, die böse Sachdenklichkeit, es wollte mir nie damit glücken! Ich weiß nicht, ob ich mich darüber betrüben soll. Es muß wohl etwas Schönes sein um die Kunst. Die Fürsten, die Vornehmen, die Reichen, die Glücklichen, die Ruhigen im Gemüte lieben sie. Aber sie sind so gerecht, die Kunstkenner, daß mich oft schaudert. Nicht was die Kunst darstelle, es kümmert sie nur, wie sie es darstelle. Ein Frosch, eine Gurke, eine Hammelskeule, ein Wilhelm Meister, ein Christus – das gilt ihnen alle gleich; ja sie verzeihen einer Mutter Gottes ihre Heiligkeit, wenn sie nur gut gemalt. So bin ich nicht, so war ich nie. Ich habe nur immer Gott gesucht in der Natur, die göttliche Natur in der Kunst, und wo ich Gott nicht fand, da fand ich Unnatur, und wo ich die göttliche Natur nicht fand, da fand ich elende Stümperei, und so habe ich über Geschichten, Menschen und Bücher geurteilt und so mag[332] es wohl geschehen sein, daß ich manches gute und schöne Werk getadelt, nur weil ich den Werkmeister schlecht und häßlich fand.

Ich suchte zu bewegen; der Beweislehrer gab es schon genug. Wer zu den Köpfen redet, muß viele Sprachen verstehen, und man versteht nur eine gut; wer mit dem Herzen spricht, ist Allen verständlich, spricht Musik, in der sich jeder vernimmt, sich, und eine leise Antwort hört auf jede leise Frage.

Freunde haben es mit Verdruß, Gleichgültige als einen Tadel, auch einige Übelwollende es mit Schadenfreude ausgesprochen: ich könnte kein Buch schreiben. Aber, habe ich denn eines geschrieben? Und was ist's! Ein Buch ist Wein im Fasse, ein Blatt Wein in der Flasche – wenn Wein ist hier und dort; wer trinken will, muß das Faß doch anzapfen, wer lesen will, muß das Buch in Kapitel füllen. Auch habe ich gedacht, für Bücher sei jetzt die Zeit zu eilig und beschäftigt – die Welt ist auf Reisen.

Gehet nun hin, ihr guten einfältigen Blätter, ich wünsche euch Glück, ihr braucht es. Als ihr noch still und bescheiden auf der Schwelle des Musentempels saßet, zufrieden mit dem kleinsten Almosen des Beifalls, da waren euch viele hold, da waret ihr froh und sorgenlos. Jetzt schreitet ihr mit Stolz und Geräusch durch die Säulenhalle, und man wird euch nach eurer Würde fragen, ehe man euch aufnimmt, und euch empfangen nach eurer Würde. Ich sage nicht, wie üblich: daß ich jedes Lob mit Dank annehmen, dem Tadel aber mit Verachtung begegnen werde – ich sage es nicht, denn ich denke es nicht. Wahrlich, mir ist sehr bange – nicht vor dem Urteile, aber mir ist bange, ich möchte empfindlich dagegen werden. Bis heute war ich es nicht. Guter Gott! Wenn mich noch in meinen alten Tagen die Lobsucht der Schriftsteller befiele und der Krampf der Ehre meine gute breite Brust zusammenzöge – es wäre schrecklich![333]

Habe ich gesagt, ich wollte nicht mit breiter Würde von meinen Schriften reden? Ach, was sind die Vorsätze des Menschen! Ich glaube, daß ich es doch getan.

Hannover, im November 1828.

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 2, Düsseldorf 1964, S. 193-334.
Die wiedergegebene Sammlung von Aphorismen und Miszellen stellte Börne für die erste Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften«, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1828/32 zusammen.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon