Die Handarbeit

[34] Sie sitzet am Herde im Glanze des Feuers Drehend der Wolle Gespinnst, meerpurpurnes, Wunder dem Anblick.

Homer.


Wir dürfen nicht von den praktischen Pflichten der Frau zu den geistigen übergehen, ohne auch jenes Theils weiblicher Beschäftigung zu erwähnen, der schon zu Homer's Zeiten in hohen Ehren stand – wir meinen die Kunstfertigkeit mit der Spindel und Nadel. Die Fortschritte der Industrie kommen auch der heutigen Frauenwelt auf diesem Gebiete zu Gute, und wir brauchen nicht mehr, gleich jenen Griechinnen und den Frauen der alten Germanen, selbst das Webeschiff zu regieren und die Gewänder für die Genossen des Hauses zu bereiten. Unsere Handarbeit hat längst die Bedeutung und die Heiligkeit verloren, welche jene Frauengemächer umgab, in denen selbst die Königin, umringt von ihren dienenden Mägden, sich einer Beschäftigung hingab, welche die Befriedigung eines der ersten menschlichen[34] Bedürfnisse erheischte. Aber die Kunstfertigkeit, welche Pallas gelehrt und beschützte, können wir darum auch heute noch nicht entbehren, und sie muß unbedingt in den Kreis der Dinge aufgenommen werden, welche jedes Mädchen erlernen soll; denn sie bildet einen höchst wichtigen Theil der praktischen Ausbildung. Die Hausfrau, welche nicht zu nähen versteht, ist eben so übel daran mit Erfüllung ihrer Pflichten, als Diejenige, welche vom Kochen und sonstigen häuslichen Geschäften nichts weiß. Die Möglichkeit einer Entfaltung des echten Schönheitssinnes duldet nirgends einen Mangel, und selbst diejenige Hand, welche unter günstigen Verhältnissen vielleicht später nur noch die Nadel berührt, um eine künstliche Stickerei zu fertigen, hat für uns durchaus keinen Werth, wenn sie nicht eben so erfahren ist in jenen Handarbeiten, welche zur Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse erforderlich sind. Aber auch abgesehen davon, ist die Ungeübtheit einer weiblichen Hand in diesen Dingen für jede Einzelne selbst höchst beklagenswerth. Nichts macht abhängiger von andern, als wenn wir nicht im Stande sind, den kleinen Bedürfnissen zu genügen, welche die weibliche Kleidung und der ihr entsprechende Sinn für das Schöne und Zierliche erzeugt. Die Zahl der Frauen und Mädchen, welche dafür auf ihre eigenen Hände angewiesen ist, überwiegt gewiß in großer Zahl diejenige, für welche fremde Arbeit in Anspruch genommen wird, und es macht immer den peinlichsten Eindruck, wenn man sieht, wie ein weibliches Wesen nur ungeschickt oder gar nicht mit der Nadel umzugehen weiß. Eben weil den Frauen für die Handarbeit ein nicht zu bestreitendes Talent angeboren ist, eben weil diese, wenn auch auf der untersten Stufe der Künste stehend, doch in ihrer Art sich bis zum Kunstwerk erheben kann, darf sie[35] von einer nach wirklicher Durchbildung strebenden Frau gewiß nie vernachlässigt werden. Aber auch sie muß auf einer soliden Grundlage beruhen.

Den feinen Arbeiten muß ein tüchtiger Unterweis im Nähen und Stricken vorausgehen, und Hände, welche diese Beschäftigung ordentlich geübt haben, sind in den meisten Fällen auch zu jeder andern Arbeit geschickt. Gewiß kann ein gut geleitetes, fleißiges Kind bis zu dem Zeitpunkt, wo seine hinreichende Körperkraft dessen Einführung in die strengeren häuslichen Arbeiten erlaubt, alle Schwierigkeiten der Nadel überwunden haben. Es ist freilich heute noch ein höchst beklagenswerther Mangel der weiblichen Volksschule einerseits, daß innerhalb derselben der Unterricht in den unerläßlichen weiblichen Handarbeiten Stricken, Nähen, Flicken und Stopfen ganz fehlt. Andererseits wird in den Instituten und höheren Töchterschulen die Handarbeit wohl gelehrt, aber häufig in der nachlässigsten Weise, und es verlassen gegenwärtig Tausende von jungen Mädchen der besseren Stände die Schule, ohne daß sie im Stande wären einen Strumpf zu stricken oder einen Saum zu machen. Sie können ein wenig häkeln, ein wenig festonniren, Frivolité oder Point-lace machen, vielleicht auch ein bischen Tapisserie – dies ist Alles, und diese Mädchen sollen dann als junge Frau die Kinderwäsche zuschneiden, die Kleider und das Weißzeug ihres Gatten, sowie die eigene Kleidung im Stande halten, mit einem Worte, diesen ganzen wichtigen Theil des Hausstandes besorgen, ohne daß sie das Mindeste davon verstehen.

Das Bild, welches wir hier bezüglich des wohlhabenden Hauswesens entworfen haben, gestaltet sich nun noch ungleich trauriger, je tiefer wir in das Volk hinab steigen. Dort kann wenigstens ein bezahltes Nähmädchen,[36] können Schneider und Schneiderin nachhelfen, aber wie steht es da, wo Alles und Alles allein auf die Tüchtigkeit der Frau, der Töchter ankommt?

Man kann sich mit vollem Recht nicht genug darüber wundern, wie lange man in Deutschland – andre Länder, wie Holland, die Schweiz, Frankreich, auch England zum Theil – sind uns darin weit voraus, diese wichtige Seite des weiblichen Berufes in pädagogischer Hinsicht vollständig übersehen und vernachlässigt hat. Es ist eines der erfreulichsten Resultate der Bestrebungen zur Verbesserung des weiblichen Loses, wie man gegenwärtig allerorten den Finger auf diesen wunden Fleck unseres Kulturlebens legt und sich bestrebt, einstweilen wenigstens lokale Aenderungen hervorzurufen, in der Hoffnung, daß diese als ein allgemeines Princip angenommen und in allen weiblichen Schulen, vornehm oder gering, in nicht zu ferner Zeit durchgeführt werden.

Das Princip läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Der Handarbeitunterricht muß innerhalb der Schule eben so obligatorisch gemacht werden, wie jeder andere Unterrichtszweig auch, es darf keine weibliche Schule mehr existiren, in der er nicht systematisch gelehrt wird. – Wir sagen, systematisch, denn auch in der Art des Unterrichts herrschte bis vor Kurzem und herrscht vielfach noch eine Zerfahrenheit und Willkür, wie sie größer nicht gedacht werden kann. Leider gehört ganz vornehmlich die Geschicklichkeit in der Handarbeit zu den Dingen, welche Schulmänner, wie Laien auch häufig als eine der »angeborenen Ideen« des weiblichen Geschlechts zu betrachten pflegen.

So gut aber wird es uns nicht; auch dieses müssen wir gründlich und methodisch lernen, und wie der Mensch nackt und bloß zur Erde kommt, um von Frauenhand[37] bekleidet zu werden, so muß diese Hand dazu erzogen und angeleitet werden. Im grauen Alterthum stiegen die Göttinnen zur Erde nieder, Pallas Athene vom Olymp, Frau Hulda aus Walhall – um die Erdentöchter ihre Kunstfertigkeit zu lehren; heute haben denkende Frauen, und auch Männer, Methoden für den Handunterricht festgestellt, nach denen er in jeder Schule gelehrt werden sollte. Auch über die dringende Nothwendigkeit dieser Forderung besteht kaum noch ein Zweifel, aber noch fehlen die himmlischen Kräfte, um sie zur Wahrheit und Wirklichkeit zu machen.2

Es kann allen denkenden Frauen nicht genug an das Herz gelegt werden, sich im Interesse ihrer eigenen Töchter sowohl, als der Töchter des Volkes, um diese wichtige Frage recht eingehend zu kümmern. Was nützen uns alle noch so schönen Redensarten über den »eigentlichen« Beruf der Frauen, wenn die Fähigkeit für diesen Beruf nicht in allen Schichten des weiblichen Lebens herangebildet wird, und namentlich eine solch wesentliche Seite desselben, ein Punkt, vor dem wir Alle gleich sind, unberücksichtigt bleibt.

Um aber die Frage ganz zu erschöpfen, müssen wir noch hinzufügen, wie bei einer besseren Durchführung und Einführung des Handarbeitunterrichts, daneben auch der Zeichnenunterricht ganz anders berücksichtigt werden müßte als bisher. Auch er bildet einen unentbehrlichen Unterrichtszweig der weiblichen Volksschule der Zukunft. Wir möchten wetten, daß auch in dieser Kunst Pallas[38] Athene einst ihre Töchter unterwies, wenn wir von den zierlichen Stickereien lesen, und deren kunstreich verschlungene Striche heute noch bewundern und nachahmen, mit denen die Griechinnen die Ränder der künstlerisch zugeschnittenen Gewänder verzierten.

Ein Haupterwerbszweig der arbeitenden weiblichen Klasse besteht nun doch bekanntlich im Anfertigen von Wäsche und Kleidungsstücken; eben so bekannt aber ist es auch, wie verhältnißmäßig Wenige unter ihnen es verstehen, die Bekleidungsstücke richtig zuzuschneiden und der Person anzupassen, für welche sie bestimmt sind. Ebenso häufig fehlt es diesen Arbeiten an der rechten Genauigkeit und Pünktlichkeit. Wie manchesmal man nun auch in dem Fall ist, sich über solche gedankenlose Arbeit zu ärgern – sollte es uns doch nicht Wunder nehmen, wenn wir überlegen, wie selten das Auge der Frauen, selbst in den höheren Klassen, an richtiges Maß und an ein Verständniß der Formen gewöhnt wird. Wie sehr der Knabe für seinen technischen Beruf dieser Ausbildung bedarf, ist allgemein anerkannt; in jeder Stadt, selbst auf dem Lande befinden sich Handwerkerschulen, jeder Maurer- oder Zimmermannslehrling lernt so viel zeichnen, als für seine Aufgabe nothwendig ist; das Mädchen aber, welches heute für eine große, morgen für eine kleine, für eine magere oder eine dicke Person Wäsche oder Kleider anzufertigen hat, sieht sich zur Ausbildung dafür wiederum auf die allgemeine und grundlose Vorstellung von der ihr »angebornen Idee« verwiesen, und anstatt der Sache auf den Grund zu gehen, ertönen laute Klagen über die fahrlässige, gedankenlose Art der Weiberarbeit. – Es giebt Männer, welche sich ihre Hemden vom Schneider zuschneiden lassen, weil sie behaupten, die Frauen verständen dies durchaus[39] nicht, und sie haben auch Recht; aber warum verstehen sie es nicht? Man sollte endlich einmal so ehrlich und objectiv sein, die wahren Ursachen einzusehen und dem Mißstand durch eine zweckentsprechende Ausbildung des Augenmaßes und Formensinnes abzuhelfen, wozu der Grund sehr leicht schon in Volkskindergärten nach der Fröbel'schen Methode gelegt werden könnte, und auch bereits, wo solche bestehen, gelegt wird, ohne daß wir diese Basis durch die Volksschule weiter benutzt sehen. Kehren wir von diesen speciellen Andeutungen zu der allgemeinen Frage zurück, so finden wir, wie die Beschäftigung mit der Handarbeit in dem deutschen Frauenleben stets eine hervorragende Rolle spielte, wie wir auf diesem Felde immer noch dem größten Fleiß und der größten Thätigkeit begegnen und wie fast Muth dazu gehört, den ehrlichen Strickstrumpf der Männerwelt gegenüber noch in Schutz zu nehmen. Es ist auch ohne Zweifel die wenigst anstrengende Arbeit und begünstigt am meisten den Hang so vieler Frauen zur Träumerei und einer gewissen Gleichgültigkeit ernsteren Beschäftigungen gegenüber; aber darum möchten wir auch nirgends mehr der Frau ein gebieterisches Halt zurufen, als bei einer Beschäftigung, die, in den Grenzen der Nothwendigkeit herrlich und achtenswerth, darüber hinaus zu einer wahren Plage und Calamität wird. Der Himmel behüte uns vor jenen Frauen, die nur noch Sinn für ihre Näh- oder Stickarbeit haben und über dem Strickzeug alles Uebrige vergessen. Er behüte uns vor jenem weiblichen Fleiß, der, unbekümmert um die Webstühle unserer Industriellen, sich abmüht, ellenlange Stoffe zu erfinden, welche die Maschine viel billiger und schöner liefert. Was dagegen eine Maschine nicht bieten kann: gut genähtes Weißzeug, eine weiße oder bunte Stickerei,[40] ein passendes Kleid, darauf sollte in dieser Richtung die weibliche Wirksamkeit sich beschränken und die gehäkelten Vorhänge und gestrickten Decken u.s.w. unsern Müttern und Großmüttern überlassen, deren geschwächtes Auge und mattere Hand mit mehr Recht diesen Spielereien sich zuwenden darf.

Wenn alle die Zeit, welche für völlig nutzlose Handarbeiten verschwendet wird, zu nützlichen Dingen, zur Ausbildung des Geistes, zur Fertigkeit in den wirklich schönen Künsten, zur Thätigkeit im Hauswesen verwendet würde, wir könnten erstaunliche Resultate erleben. Man raube doch nicht dem Geistigen die Zeit, welche das Praktische ungestraft frei läßt, man strebe immerfort nach dem Höhern, ohne das Kleine zu verachten; dann werden unsere Mädchen gewiß nie diesen geisttödtenden, langweiligen Arbeiten verfallen, welche der Gesundheit schaden und dem Geist mehr als jede andere mechanische Beschäftigung den Stempel tödtlichster Langeweile aufdrücken.

Wir können jedoch diese Betrachtungen über die praktischen Pflichten der Frau nicht abschließen, ohne zuvor deren wichtige, moralische Seiten in's Auge gefaßt zu haben. Es ist gar nicht zu läugnen, daß eine geregelte, mechanische Beschäftigung auch den größten Einfluß auf die geistigen Eigenschaften der Frau gewinnt. Es entwickelt sich daraus Klarheit, Einsicht, ein richtiges Denken, wo wir sonst wohl oft nur das Gegentheil gefunden hätten. Kein Geschäft ist mehr dazu geeignet, die Eigenthümlichkeit der Frau, die es betreibt, widerzuspiegeln als das Kochen. Es ist dies keineswegs eine so geistlose Arbeit, wie man sich gerne vorstellt; es gehört dazu mehr Gewandtheit, Geschick, Geduld und Ueberlegung als zu jedem andern häuslichen Geschäft und vor[41] allen Dingen ein vernünftiges Maßhalten, ohne welches nie eine gute Speise gedeiht. Was dem Manne das Studium der Logik, ersetzt uns Frauen fast eben so gut die praktische Wissenschaft der edlen Kochkunst, und wir behaupten alles Ernstes, daß die Zerfahrenheit und Unsicherheit so mancher unserer talentvollen Frauen nur daraus entspringt, daß sie nie daran gewöhnt waren, eine Sache mit Ruhe anzufassen, mit Geduld fortzuführen und ihr mit weiser Mäßigung die Zeit zu ihrer Entwickelung zu lassen. Die kluge Hausfrau, welche ihren Pudding oder Kuchen nach allen Regeln der Kunst sich entfalten und gestalten läßt, dürfte mancher geistreichen Mitschwester, die ihr Geistesprodukt nicht schnell und nicht unreif genug auf die öffentliche Tafel bringen kann, ein nachahmenswerthes Vorbild sein.

Aber es ist auch noch besonders im Interesse der Humanität, daß wir von der Frau praktische Ausbildung verlangen. Die neueste Zeit hat das Loos der dienenden und arbeitenden Klasse, gegenüber den weiblichen Arbeitgeberinnen oft in Betracht gezogen und mit Recht wird die Härte und Ungerechtigkeit, der wir hier so häufig begegnen, bloßgestellt und gegeißelt.

Aber wir fragen uns, wie kommt es denn, daß die zartesten weiblichen Geschöpfe so häufig in diesem Punkt den entstellendsten Fehlern verfallen? Sie, die über eine rührende Musik Thränen vergießen, die für alles Hohe und Schöne schwärmen, warum erblicken wir sie plötzlich hart, anspruchsvoll im Verkehr mit den Untergebenen und Dienstleidenden? Entspringt diese Disharmonie lediglich aus einer kalten, egoistischen und verbildeten Seele, ist die Gutmüthigkeit, die sich Freunden und Kindern gegenüber zu erkennen gibt, bloße Heuchelei und Schönthuerei? Was sind das für wechselnde Geschöpfe,[42] die uns in ihrem Empfangzimmer durch ihre Freundlichkeit bezaubern und uns in der Küche, im Bügelzimmer, der armen Magd oder Näherin gegenüber, das Blut vor Entrüstung kochen machen? Die wahre, echte Herzensbildung besitzen sie freilich nicht, denn diese bewährt sich allenthalben, aber sie sind doch nicht so schlimm wie sie scheinen. Es ist gewiß häufiger Unkenntniß der Sache als innere Härte, die sie zu solchen häßlichen Ausbrüchen verleitet. Wie soll die Frau, wie soll das junge Mädchen gerecht sein, Dienstleistungen gegenüber, von deren Ausübung sie kaum eine Ahnung hat? Die Hand, welche es empfunden, wie viel Mühe es kostet, ein Hemd zu nähen, wird selten widerstrebend der armen Näherin den Lohn dafür hinzählen, sie wird im Gegentheil die Arbeit nach ihrem wahren Werth belohnen, denen gegenüber, welche den Preis der Arbeit herabzudrücken suchen und dadurch eine der größten Grausamkeiten an der arbeitenden Klasse begehen. In diesem Verhältniß könnte die Frau unendlich viel zu einer vernünftigen socialen Entwickelung beitragen, wenn sie auch ihrerseits den Werth der mechanischen Arbeit durch den ihr entsprechenden Lohn wieder auf das richtige und ihr gebührende Maß zurückzuführen suchte. So gedrückt und im Werth gesunken wie die weibliche Handarbeit, ist im Augenblick wohl kaum noch eine andere; damit zugleich wird die Moralität der arbeitenden weiblichen Klasse am meisten untergraben.

Wir werden uns in einem besondern Kapitel über die Versuche vernehmen lassen, durch welche man in den letzten Jahren sich bemühte und fortwährend bemüht, die weibliche Handarbeit wieder einigermaßen entsprechend zu belohnen. Es ist gewiß nicht mehr als recht und billig, daß diejenigen, welche den wohlhabenden Frauen[43] einen so großen Theil ihrer Verpflichtungen abnehmen, durch ihre Arbeit auch des Lebens Nothdurft gewinnen; wer finanziell nicht im Stande ist, diese Arbeit annähernd nach ihrem Werth zu bezahlen, wir sagen nur annähernd, der sollte eben sein Bedürfniß durch eigne Thätigkeit befriedigen.

Nicht allein die Menschlichkeit, auch die Selbstachtung des Geschlechtes erheischt es, daß die weibliche Arbeit von den Frauen zunächst richtiger gewürdigt und belohnt werde. Die Sparsamkeit, welche sich hierin offenbart, ist schlecht am Platze und dürfte bei der Toilette und anderen äußeren Dingen besser angewendet sein. Dies Mißverständniß wiederholt sich in allen Fällen, wo die praktisch unwissende Frau fremde Hülfe in Anspruch nimmt. Wer nicht selbst zu kochen versteht, kann seiner Köchin nicht vorschreiben, wie viel sie verbrauchen darf; wer keine Idee von einer geregelten Haushaltung hat, kann nie den Umfang der häuslichen Bedürfnisse übersehen und wird immer hier oder dort ungerecht sein, wo seine ungeschickte Hand einzugreifen versucht.

Diese Unkenntniß hat schon mancher Hausfrau, die nur nach Sparsamkeit trachtete, den Ruf einer Geizigen verschafft oder sie auch wirklich dazu gemacht; diese Unkenntniß führt tausend Andere zu einer Verschwendung, vor der sie sich entsetzen würden, wenn sie plötzlich mit allen ihren Folgen vor ihnen stünde. Auf dieser Unkenntniß beruht, hoffen wir es zum Besten des weiblichen Geschlechts, gewiß die Hälfte, ja das meiste von jener Reihe kleiner Bedrückungen, welche das Leben der arbeitenden Klasse oft zur Hölle machen. Die Leistungen Anderer kann man dann nur schätzen, wenn man deren Werth zu beurtheilen versteht. Aber was weiß das junge Mädchen, das fast nie eine Nadel berührt, das nur in[44] den Tag hinein lebt, wie viel Stunden sauern Fleißes an seiner Balltoilette kleben? Was weiß es als junge Frau, wie schwer es oft dem einzigen Dienstmädchen wird, das seine Verhältnisse ihm vielleicht zu halten erlauben, allen Anforderungen zu genügen, die eine aus Unkenntniß himmelhohe Prätension an dasselbe stellt? Von diesem Standpunkt aus betrachtet, sollte schon allein im Hinblick auf die Menschlichkeit, selbst das hochgeborenste Fräulein nicht freigesprochen werden von einem Erziehungscurs, wie wir ihn hier für die Mittelklassen im Sinne haben.

Es würde manche unserer anspruchsvollen Damen vor sich selbst erschrecken, wenn sie's wüßte, wie hartherzig, wie karg sie sich denen gegenüber zeigt, welche ihr den Blumenteppich bereiten, auf dem sie lässig durch's Leben wandelt. Die Zeiten sind vorüber und werden nicht wiederkehren, in denen die Hausfrau im Kreise ihrer Mägde webte und spann, aber die schlichte Einfalt, die Humanität, welche in jener Sitte lag, sie sollten zurückkommen. Und sie würden es, sobald das Dienstmädchen, die Büglerin, die Näherin nicht Sclavinnen, sondern Gehülfinnen in dem Hause wären, wo die Hausfrau, die Töchter sich nicht scheuen und im Stande sind, überall selbst mit Hand anzulegen, wo sie fördernd eingreifen, ein Beispiel gebend, imponirend durch ihre bloße Gegenwart und Kenntniß der Sache, und milden Sinnes sind, weil »die Mühsal des Erwerbens« ihrem Geiste stets gegenwärtig bleibt.[45]

2

In Deutschland ist in jüngster Zeit durch die Bemühungen von Privatpersonen und Stadtvorständen bereits an verschiedenen Orten die ganz vortreffliche Handarbeitmethode der beiden Schwestern Rosalie und Agnese Schallenfeld eingeführt, welche als Lehrerinnen in Berlin gewirkt haben.

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. XXXIV34-XLVI46.
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