Segen der Arbeit

[11] Arbeit für Alle.


Der Talisman, welcher bestimmt ist, die Frauenwelt aus ihrer Schlaffheit und Weichlichkeit, ihrer Oberflächlichkeit und Genußsucht zu erlösen, heißt Arbeit und Thätigkeit. O, daß sie euch Allen auferlegt wäre, bis in die höchsten Spitzen der Gesellschaft und der Verfeinerung, daß Alle das Bewußtsein begeisterte: Wir sind Glieder einer großen Kette, müssen Alle wirken und streben, und keine darf mit leerer Hand aus diesem Leben treten!

Reiz, Schönheit, Reichthum dürften nimmermehr entbinden von einem Leben, das den Interessen der Bildung, der praktischen Thätigkeit und der Menschenliebe geweiht ist. Es frage doch Keine: Was soll ich thun, wo liegt mein Wirkungskreis? Ich bin ja kein Mann! O, überall findet die weibliche Hand, das weibliche Herz, der weibliche Geist die rechte Stelle, wo sie thätig sein können, sobald sie sich nur selbst dazu befähigt haben, aber die Hand ist leider oft schwach und lahm, der Geist beirrt, das Herz arm und klein!

Seitdem diese Blätter zum Erstenmal erschienen und ein Echo in der Brust denkender Frauen zu wecken versuchten, ist in der That, um mit dem Dichter zu reden,[11] »ein ander Denken und ein ander Fühlen in die Welt gekommen!« Indem man anfing sich nach passenden Beschäftigungen für die Frauen umzusehen, that sich wie mit Einemmale ein Schatz von Arbeit auf, wurde man sich klar über die größten Mängel innerhalb unserer socialen Einrichtungen, und mehr und mehr bricht die Ueberzeugung sich Bahn, daß diese Mängel nur durch Frauenhand verbessert werden können, und daß weibliche Intelligenz und Befähigung vorzugsweise dazu berufen sind jenen Schatz feinerer, brach liegender Arbeit zu heben und der Menschheit nutzbar zu machen. – Der Mann arbeitet die Welt im Groben und Großen heraus, aber um die Wunden wieder zu heilen, die seine Politik geschlagen, die Ergebnisse der Wissenschaften, die er angehäuft, für das praktische und tägliche Leben zu verwerthen, um die socialen Fragen zu entwirren, welche heute das Ergebniß einer mehrhundertjährigen Entwicklung sind – dazu wird er des feinen Fingers der Frau nicht mehr entbehren können; wir meinen aber natürlich nur jener Frau, die zu ernster Arbeit, auch den ernsten Willen und Fleiß mitbringt. –

Die Thätigkeit des Mannes wird ihm, in einer oder der andern Weise von Außen entgegengebracht, die Thätigkeit der Frau muß aus eignem, innerem Drang sich entwickeln, ihre Befähigung wird gewöhnlich über ihre Beschäftigung entscheiden. An dem Drang nun fehlt es selten, doch wohl an der Hand, die ihn richtig leitet, oder ihn auf alle Weise zu wecken sucht, wo er vielleicht nicht vorhanden wäre. Aber weil es eine Masse von Frauen gibt, für die die Sonne auf- und niedergeht, ohne daß der Schweiß eines Tagwerks auf ihrer Stirn zu perlen brauchte, muß es ihnen zur ersten moralischen Pflicht gegen sich selbst gemacht werden, zu arbeiten[12] und thätig zu sein. Könnte doch meine Stimme bis dorthin dringen, wo Müßiggang und Genußsucht sich auf seidenen Polstern wiegen, könnte sie diesen übersättigten und übermüthigen Frauen gebieten: Arbeit für Alle und Arbeit vor Allen für euch, damit Frauenwürde und Frauenstolz unter euch neu erwache, daß ihr gesundet an Geist und Seele, daß der ganze hohle Apparat eurer Seelenschmerzen und eingebildeten Leiden, die nur dem Müßiggang entspringen, zertrümmert würde.

Aber an jene Pforten anzupochen war lange vergebens, heute wäre es eine Verletzung der Wahrheit, wollten wir nicht anerkennen, wie Frauen selbst der höchsten Stände sich mit wärmstem Eifer rühren, im Interesse der gesammten Menschheit thätig zu sein, und namentlich Antheil zu nehmen an einer Befreiung des eigenen Geschlechts, von solchen Beschränkungen, die sich noch ihrer höheren Ausbildung und ihrer Freiheit des Erwerbs, entgegensetzen. Trotz dem preisen wir euch glücklich vor Allen, ihr Frauen des Mittelstandes, die ihr durch die Geburt schon an jenen Platz gestellt seid, welcher zur Entwickelung aller eurer Kräfte der zweckmäßigste ist – aus euren Reihen zunächst muß eine bessere Frauenwelt hervorgehen, wenn ihr eure Aufgabe begreift und gründlich jener Nachäfferei der vornehmen Stände entsagt, die euch zu oft gefangen nimmt.

Genügende Glücksgüter oder vornehmer Stand, sie überheben euch nicht der Pflicht praktisch zu wirken, und eben so wenig zwingt euch das bittere Loos der Armuth, den geistigen Gütern zu entsagen. So bleibt es euch vorbehalten, das wahre Menschthum in euch zu entwickeln und zu verkörpern; denn nur aus dem Verein praktischer und geistiger Thätigkeit erwächst der echte, harmonische Mensch. Stellt euch auf diese Stufe, und dann[13] ist die Frau in Wahrheit ein höheres Wesen, nicht mit Unrecht eine Krone der Schöpfung genannt. Mißmuth, Verstimmung, eingebildete Krankheit, Leichtsinn, Vernachlässigung der heiligsten Pflichten, alle diese Uebel existiren nicht mehr den weiblichen Wesen gegenüber, welchen Arbeit das heiligste Opfer ihrer Gottesverehrung geworden, und die freundlichen Genien, die sie begleiten: Wohlwollen, Nächstenliebe, Freundlichkeit und Heiterkeit, sie geben Schönheit, Reiz und Anmuth bis in's höchste Alter, der verheiratheten Frau und dem ehelosen Mädchen in gleichem Maße.

Welch ein trauriges Bild bietet sich uns dar, wenn wir einen Blick in jene Familie werfen, wo die Frau ihre Pflicht nicht kennt, und wo Vergnügungssucht und Geistesarmuth das Scepter führen, oder einen Blick auf das alternde Mädchen, die am Ausgang der Jugendjahre steht, und die nichts zu beginnen weiß, keine Anhaltspunkte kennt, außer in jener äußerlichen Gesellschaftswelt, die ihrer nicht mehr bedarf, ihr weder Schmeicheleien noch Huldigungen mehr spendet! Die eine begeht die gröbste Versündigung gegen die ihr anvertraute Familie, die Andere gegen die menschliche Genossenschaft, außer der noch Größeren gegen sich selbst. Wenn aber ein thätiges Leben die höchste Pflicht einer verheiratheten Frau ist, so ist ein solches in noch höherem Grade Pflicht für das ehelose Mädchen, ja der Selbsterhaltungstrieb fordert es mit gebieterischer Nothwendigkeit.

Lasset ihr Frauen den Segen der Arbeit auf euch niedersinken, geht ihm entgegen mit frohem und willigem Sinn! In ihrer schönsten Gestalt tritt sie euch entgegen, die physischen Kräfte entwickelnd, den Geist befruchtend und so euch gegeben zur Erlösung von allen Thorheiten und Schwächen der weiblichen Natur![14]

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. XI11-XV15.
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