Freundesbrief an einen Melancholischen

[231] Du klagst, mein Freund, und jammerst sehr,

Wie elend dieses Leben wär;

Es sei nicht auszuhalten. –[231]

Was klagst du denn? Es ist dein Recht,

Bist du ein müd und fauler Knecht,

Dich gänzlich auszuschalten.

Kauf dir, o Freund, ein Pistolet

Und schieß dich tot, – hurra, juchhe!

Dann bist du gleich gestorben.


Doch macht des Pulvers Knallgetös

Dich, weil nervös du bist, nervös,

Brauchst du nicht zu verzagen.

Ich weiß ein Mittel ohne Knall,

Geräuschlos, prompt; für jeden Fall

Will ich dirs hiermit sagen:

O speise, Freundchen, Strychenin!

Das wird dich in den Himmel ziehn.

Dort geigst du mit den Engeln.


Falls aber, weil du heikel bist,

Strychnin dir unsympathisch ist

(Es schmeckt ein bißchen fade),

So brauchst du nicht gleich bös zu sein;

Mir fällt schon etwas andres ein:

Geh auf die Promenade

Und hänge dich an einen Ast.

Sobald du ausgezappelt hast,

Hängst du für ewig stille.


Wie? Kitzlig bist du an dem Hals?

Wohl, mein Geliebter! Diesesfalls

Gilts anderes Gebaren:

Spring in den Fluß, stürz dich vom Turm,[232]

Laß dich gleich einem Regenwurm

Elektrisch überfahren.

Auch ist ein ziemlich sichrer Tod

Der durch komplette Atemnot

Infolge Ofengasen.


Du schüttelst immer noch den Kopf?

Ei, du verruchter Sauertopf,

Geh hin, dich zu purgieren!

Mach dir Bewegung, fauler Bauch,

So wird die liebe Seele auch

Vergnügt im Sein spazieren.

Ein wackres Wort heißt: resolut!

Hast du zum Sterben nicht den Mut,

So lebe mit Courage!

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 231-233.
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