Ludwig Thuille

[265] Ein Nachruf


Eine Hand,

Vogelfittichleicht,

Ward schwer und sank

Von den Tasten.[265]

Ein Mund,

Weich und üppig, wie die Frucht des Südens,

Und würziger Süße voll,

Wie die Muskatbeere an den Hängen um Bozen,

Ward starr und herb

Und lächelt nun nicht mehr.

Und zwei Augen sind erloschen, die leuchten konnten,

Wie das Ja der Braut leuchtet durch Kirchendämmerung,

Und der Ruf des Knaben leuchtet in der Frühe,

Wenn die Gassen noch dunkel sind,

Und wie das Wort des Mannes, der einen Freund tröstet.


So, Ludwig Thuille, warst Du, daß wir nicht wissen, Dich abzuschildern.

Wir rufen die leichten, gelenken Vögel an,

Denken an süße Früchte, Sonne und Rebenland,

Und alles schön und innig, frisch und tapfer gütig Tönende

Klingt in uns wieder, ein Echo gnädiger Augenblicke,

Denken wir an Dich, Ludwig, der du ein Mensch warst, dessen Gegenwart

Heiter den Geist der Schwere vertrieb und die Herzen erwärmte.


Daß Du von uns gegangen bist,

Allzuschnell,

Allzufrüh,

Heute noch scheints uns ein häßlicher Traum, unglaubhaft.

Denn so voll Leben warst Du, daß Du von Deiner Kraft

Täglich verschenktest, wie nur die Reichsten tun,

Die Unerschöpflichen, denen es Wollust ist,

Herzugeben aus ihrer Fülle, und die lächeln,

Während sie schenken.[266]

Denn sie fühlen:

Wundervoll schwillts nach, wenn sie den Überfluß

Wonniger Kräfte

Liebevoll

Ringsum strömen lassen.


Du warst

Reich und gütig,

Warst der geborene

Künstler.


Ohne den Faltenwurf

Billiger Feierlichkeit,

Schlicht,

Allem Erzwungenen feind,

Bist Du natürlichen Gangs,

Leicht und zuweilen mit spöttischem Lächeln

Über berechnetes Gebärdenspiel und den Krampf

Allzu heftigen Applausverlangens,

Ruhig voran- und emporgeschritten,

Sicher des Ziels, weil eine Treue

Unverrückbar Halt Dir gab und Richtung:

Treue zu Dir und Deiner eingeborenen

Art und Kunst.


Nicht nur gab Dir ein Gott

Auszutönen, was Du empfandest. Er gab Dir auch

Aller Künstlergaben die schönste:

Sinn für Grenze und Maß Deiner Kraft,

Sinn für Grenze und Maß Deiner Kunst.


Nie, ein Weiser und Erkennender,

Hast Du über Dich hinaus begehrt, und nie[267]

Hast Du der Selbstzucht vergessen.

Aber Du warst auch nie

Allzuschnell zufrieden;

Kein leichter

Richter warst Du Dir,

Kein Tändler.

Was Deinen Namen trägt, ist vollgewichtig

Ausgeprägt und bis ins Letzte

Zeugnis ernstesten Meistergewissens.


Aber Dein Ernst, er war

Nie schwer.

Auch in den Tiefen der Innigkeit,

Wenn Deine seelenvolle Kunst

Schmerz aufklagen ließ und Sehnsucht

Weit, weit her und weit hinauf,

Hoch ins Unausdeutbare der Töne,

Aufschwung ganz, Anrufung des Göttlichen:

Immer auch dann

Schwangen mit,

Sangen mit

Die Psychefittiche der Grazien.

Was red ich viel:

Dein ganzes Wesen war

Musik.

Dir klang die Welt.

Und, was sie klang, war Schönheit.

Die Lust, der Schmerz, das Leben und der Tod,

Haß, Liebe, Dunkel, Helle, Nacht und Tag,

Das sanfte Grünen, wenn der Frühling kommt,

Die letzte Sonnennachglut auf den Bergen,[268]

Der Elemente Aufruhr und der Frieden

Im eignen Hause und der eignen Brust:

Du wußtest, Künstler, Dichter, Fühlender

Und tief Begreifender, des Lebens Sinn:

Bewegte Kraft, Rhythmus und Harmonie,

In allem Widerstreite immer Gott,

Gesetz und Schönheit.


Nun ist Dein Geist im All,

Das Unerforschliche,

Die Heimat, hat Dich wieder.


Wir wissen wohl:

Das sind nur Worte, und Musik allein,

Die große Ahnerin und Trösterin,

Vermag es, mit geheimnisvollster Kraft,

Uns mehr davon zu künden.

Gläubig ist,

Wie keine Kunst, Musik.

Sie offenbart

In Ahnungen das Göttliche.

Ohn alles Wissen,

Unkörperlich, ein Hauch, ganz nur Gefühl,

Jedoch aus innerstem Gesetz entströmt,

In Dissonanzen auch, dem Leben gleich,

Harmonisch stets: des Unbewußten Botin,

Tönt ahnungsvoll sie die Gewißheit aus

Von dem All-Einen, in dem wir leben,

In dem wir weben,

Von dem ein Teil wir

Untrennbar sind.[269]

Du auch, Freund, hast uns

Diese Botschaft verkündet;

In Deinen Werken

Lebt diese Wahrheit.

Dank schulden wir Dir,

Treue und Freundschaft über das Grab hinaus,

Aber nicht träge Trauer.


Wir wollen Dir Treue halten, Ludwig,

Treue einem treuen Diener der Schönheit,

In der sich dem Menschen Gott offenbart hat,

Und also Treue der heiligen Kunst.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 265-270.
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