Epilog

[127] Ein Gärtner schreit' ich durchs Land,

Die Blumen pflegend,

Das Unkraut jätend,

Den Acker bereitend

Zur guten Empfängnis

Des Saatkorns der Weisheit.


Befruchtende Wasser

Durchrieseln die Felder

Gemessenen Laufes,

Nutzbringend, bescheiden –

Derweilen der Springquell

Aus marmornem Becken

Hochaufspringt und plätschert

In sprudelndem Übermut.


Das keuchende Zugtier,

Gepeitscht von dem Führer,

Durchlockert den Boden,

Kann nimmer genug tun –

Derweilen die Nachtigall

Süß flötend im Baum sitzt

Und neckisch herablugt

Zur schmachtenden Rose.


Das Gras wird zertreten,

Das saftig die Herde nährt,[128]

Und niemand beachtet

Die heilenden Kräuter,

Die wundertätigen,

Verborgen im Grase –

Derweilen der Efeu

Sich stolz um den Baum rankt

Und die Blumen prangen

In lieblichem Dufte

Und blendendem Farbenspiel.


So ist es im Leben,

So ist es im Liede.

Denn der Sänger vermag nicht

Die Ordnung zu stören,

Die ewige Ordnung,

Der alles sich fügen muß.


Laß die Nachtigall singen

Sie kann nicht den Pflug ziehn

Und es hat kein Zugtier

Die Stimme der Nachtigall.


Laß prangen die Blumen

In üppiger Schöne;

Ihr Duft, ihre Wohlgestalt

Sind uns zur Freude da.


Die Blumen zu pflegen,

Das Unkraut zu tilgen,

Ist Sache des Gärtners.[129]

Die Sorgen zu bannen

(Das Unkraut des Geistes),

Den Kummer zu scheuchen,

Die Schmerzen zu lindern,

Ist Sache des Sängers.


Der Garten liegt vor euch

Mit saftigen Reben

Und rankendem Efeu.

Mit klingenden Zweigen

Und plätscherndem Springquell.

Mit heilenden Kräutern

Im schwellenden Grase,

Schwarzäugigen Mädchen

In blühenden Lauben,

Mit Blumen und Früchten.


Erquickt euch daran

Nach den Mühen des Tages;

Genießet das eine

Und freut euch des andern.[130]

Quelle:
Friedrich von Bodenstedt: Die Lieder des Mirza-Schaffy von Friedrich von Bodenstedt, Leipzig [1924], S. 125-131.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Lieder des Mirza-Schaffy
Die Lieder Des Mirza-Schaffy
Die Lieder des Mirza-Schaffy
Die Lieder Des Mirza-Schaffy Pseud. (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon