[127] Ein Gärtner schreit' ich durchs Land,
Die Blumen pflegend,
Das Unkraut jätend,
Den Acker bereitend
Zur guten Empfängnis
Des Saatkorns der Weisheit.
Befruchtende Wasser
Durchrieseln die Felder
Gemessenen Laufes,
Nutzbringend, bescheiden –
Derweilen der Springquell
Aus marmornem Becken
Hochaufspringt und plätschert
In sprudelndem Übermut.
Das keuchende Zugtier,
Gepeitscht von dem Führer,
Durchlockert den Boden,
Kann nimmer genug tun –
Derweilen die Nachtigall
Süß flötend im Baum sitzt
Und neckisch herablugt
Zur schmachtenden Rose.
Das Gras wird zertreten,
Das saftig die Herde nährt,[128]
Und niemand beachtet
Die heilenden Kräuter,
Die wundertätigen,
Verborgen im Grase –
Derweilen der Efeu
Sich stolz um den Baum rankt
Und die Blumen prangen
In lieblichem Dufte
Und blendendem Farbenspiel.
So ist es im Leben,
So ist es im Liede.
Denn der Sänger vermag nicht
Die Ordnung zu stören,
Die ewige Ordnung,
Der alles sich fügen muß.
Laß die Nachtigall singen
Sie kann nicht den Pflug ziehn
Und es hat kein Zugtier
Die Stimme der Nachtigall.
Laß prangen die Blumen
In üppiger Schöne;
Ihr Duft, ihre Wohlgestalt
Sind uns zur Freude da.
Die Blumen zu pflegen,
Das Unkraut zu tilgen,
Ist Sache des Gärtners.[129]
Die Sorgen zu bannen
(Das Unkraut des Geistes),
Den Kummer zu scheuchen,
Die Schmerzen zu lindern,
Ist Sache des Sängers.
Der Garten liegt vor euch
Mit saftigen Reben
Und rankendem Efeu.
Mit klingenden Zweigen
Und plätscherndem Springquell.
Mit heilenden Kräutern
Im schwellenden Grase,
Schwarzäugigen Mädchen
In blühenden Lauben,
Mit Blumen und Früchten.
Erquickt euch daran
Nach den Mühen des Tages;
Genießet das eine
Und freut euch des andern.[130]
Ausgewählte Ausgaben von
Die Lieder des Mirza-Schaffy
|
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro