XXXVI.

[67] Wer auf den eignen Sinn ausfleugt

Und gern zu Vogelnestern steigt,

Der fällt zur Erde oft und leicht.


Ein Narr stürzt mit dem Vogelnest, das er ausnehmen wollte, vom Baum. Die jungen Vögel fliegen und liegen auf dem Boden umher.


Von Selbstzufriedenheit.

Der kratzt sich mit den Dornen scharf,

Wen dünkt, daß Niemands er bedarf,

Und meint, er sei allein so klug,

Für alle Dinge weis genug;

Der irrt gar oft auf ebnem Wege

Und führt sich leicht auf wilde Stege,

Auf denen Heimkehr nicht wird sein.

Weh dem, der fällt und ist allein!

Zu Ketzern wurden oft verkehrt,

Die rechter Tadel nicht belehrt,

Verlassend sich auf eigne Kunst,

Daß sie erlangten Ruhm und Gunst.[67]

Viel Narren fielen schnell und jach,

Die stiegen Vogelnestern nach

Und suchten Weg, wo keiner was;

Ohn' Leiter mancher niedersaß;

Verachtung oft den Boden rührt;

Vermessenheit viel Schiff' verführt,

Und dem folgt Nutzen nie noch Ehre,

Wer nicht will, daß man ihn belehre.

Die Welt wollt' Noah hören nie

Bis untergingen Leut' und Vieh;

Korah wollt' thun, was Schand' erwarb,

Drum er mit seinem Volke starb.

Das sondre Thier, das frißt gar viel.

Wer eignen Kopf gebrauchen will,

Sich zu zertrennen untersteht

Den Rock, der doch nicht ist genäht.

Wer hofft, vom Narrenschiff zu weichen,

Der muß vom Wachs ins Ohr sich streichen,

Das that Ulysses auf dem Meer,

Als er sah der Sirenen Heer

Und ihm durch weisen Sinn entkam,

Womit ihr Stolz ein Ende nahm.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 67-68.
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Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
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