24. August 1834

[564] Bienen, die ich ausgesendet

Nach dem süßen Blumenstrauß,[564]

Der allein noch Honig spendet,

Bringet Labung mir nach Haus

Gute Ruh'! gute Ruh'!

O süße Turtel! wie marterst du?


Küsse, die ich heiß gesäet,

Wo die Lindenblüte ruht,

Bringt den Duft, der sie umwehet,

Her zu meines Herzens Glut.

Gute Ruh'! gute Ruh'!

O süße Turtel! wie marterst du?


Seufzer, meines Leidens Boten,

Die der Lieben Schlaf belauscht,

Kehrt zu mir von ihres roten

Süßen Mundes Hauch berauscht

Gute Ruh'! gute Ruh'!

O süße Turtel! wie marterst du?


Bienen, Küsse, Seufzer, trunken

Fühl' ich euch; o bange Lust

Tragt in glühen Feuerfunken

Ihr in meine kranke Brust.

Gute Ruh'! gute Ruh'!

O süße Turtel! wie marterst du?


Und wie sich die Funken sammeln

Um des kranken Herzens Traum,

Höre ich es schlummernd stammeln

An des Paradieses Saum:


Sag! lichtes flücht'ges Reh!

Dess' freier, milder Geist

Jetzt in dem Paradiese selig kreist,

Wie ist dir, wenn die wundervolle Fee

Auf jener Hülle, die im Leben dich bedeckt,

Die reinen, feinen, flinken Glieder

Traumselig hin und wieder

Gleich einem süßen Wiegenkinde streckt?[565]

Strebt dir ein tief Entzücken,

Da sie auf deinem Mantel sich erkühlt

Nicht gleich dem ersten Lüftchen übern Rücken,

Das an dem Schöpfungstag mit dir gespielt?

Es pocht ihr Herz und wallet,

Die Lippe sehnend lallet,

Des Blutes Wellen hüpfen,

Wie durch die blühnden Büsche Quellen schlüpfen,

Des schlanken Leibes Zierde,

Ein Spiegelbild der spielenden Begierde,

Wähnt einen Engel sich mit kranken Flügeln,

Und träumt, nicht mächtig, Fluges Trieb zu zügeln,

Auf schlanken Rehes Rücken sich zu schwingen,

Und flüchtig selig durch den Wald zu dringen.

– O zieht die Dornen ein, ihr trunknen Rosen,

Und streut mit lindem Kosen

Die duft'gen Blätter und des Taues Tränen,

Die Perlen, die nach ihrem Kuß sich sehnen,

Dem süßen Wunderbilde,

Das wie der Pfeil der ersten Liebeslust

So flüchtig mild und wilde

Vorüberzückt, entzückt zur reinen Brust!

Ihr Blumen stehet still, ihr nachzusehen.

Ihr braucht euch nicht zu bücken,

Sie wird mit Sehnsuchtsblicken

An euch wie Maies Wehen

So süß vorüberzücken,

Und dort du schlanke Lilie

In reinen Kelchen Lichtes Engel tragend,

O bebe nicht so zagend

Es naht dein süß Gespiel,

Die liebliche Emilie,

Die vor berauschten Bienen auf der Flucht

Sich deiner Kelche heiliges Asyl

Als ein vertrautes liebes Bettchen sucht.


Komm Friede, süßer Friede!

Komm Tau so lau und lind[566]

Emilie ist so müde,

Es schwebt das flücht'ge Kind

Bei dir o Lilie nieder

Und lauscht der Schlummerlieder,

Die ihm die Engel singen;

Das Reh will nicht mehr springen,

Leis um die schlanken Glieder

Schleicht ihm der Schlaf herauf

Es legt sein feines Köpfchen

Dem lieblichen Geschöpfchen

Ans Herz und über Hügel

Bewegt von stiller Wonne

Geht eine innre Sonne

Ihm selig träumend auf.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 564-567.
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