Frühmorgenlied vom Kirschblütenstrauß, schweren Stein und von des lieben Herzens Güte und Segen

[383] 22ten Mai 1817


Geschämig tritt die falbe

Aurora vor das Himmelhaus

Da legt die graue Schwalbe

Fromm plaudernd ihr die Träume aus.


Da sinken in das Blaue

Der Sterne Geisteraugen ein

Da wäscht sich in dem Taue

Das Licht den Sonnenschleier rein.


Mich weckend summt die Mücke

Am Fenster, möcht zum Licht hinaus

Da lenk' ich meine Blicke

Auf einen Kirschenblütenstrauß.


Der Strauß von dir gepflücket

Er hielt die Blüten fest bis heut

Doch hat sich heut gebücket

Und seinen Schmuck umhergestreut.


Die Blätter aber strecket

Er frisch noch zu dem Lichte aus,

Zum Licht, das mich erwecket

Und dich und deinen treuen Strauß.


Vergieb geliebtes Leben

Daß ich zuerst an dich gedacht

Kann ich zum Licht noch streben,

So ist's, weil mir's in dir erwacht.


Was wär' mir dann die Sonne

Schien' sie nicht in die Augen dein,[384]

In ihnen wird sie Wonne

In meinen wird sie Feuerpein.


Wohin ich in der Kammer

Die irren Blicke irren lass'

Schlägt mahnend mir ein Hammer

Ans schwere Herz ohn' Unterlaß.


Die Bücher, und die Bilder

Die geizig ich zusammentrug,

Sie schreien immer wilder

O stein'ger Acker, stumpfer Pflug.


Die Steine wollt' ich wälzen

Zu einer freien Aussicht Lust

Es wuchs daraus ein Felsen

Der fiel zurück auf meine Brust.


Zerschmettert, unbegraben

Lag ich in Wind und Wettersnot

Es fraßen mich die Raben,

Ich starb und starb doch nie zu Tod.


Es wollt' kein Vogel singen

Als wäre dieser Stein verflucht

Es wollt' kein Quell entspringen

Der meine heiße Kehle sucht.


Nur Kröten, Ottern, Schlangen

Umkrochen kalt mir meine Brust

Daß Kühlung ich empfangen

Selbst von dem grimmen Eckel mußt.


Und wenn ich glühend weinte,

Verzweiflung mich zu singen zwang

Da lobten mich die Freunde

Hohnlächelnd im Vorübergang.[385]


Heran wollt' keiner treten

Den Stein zu wälzen von der Brust,

Mit mir wollt' keiner beten,

Und ich hab' kein Gebet gewußt.


Da rang ich endlich blutig

Die rechte Hand mir los und frei,

Und schlug ein Kreuz gar mutig

Daß Jesu mir barmherzig sei.


O wundertätig Zeichen

Du trugst die Sünde aller Welt

Ich fühlt' die Last auch weichen

Du warst als Stütze aufgestellt.


Ein Vöglein kam gereiset

Baut mir ein Dornennest ins Herz

Das Vöglein Buße heißet

Und sein Gesang heißt: bittrer Schmerz.


Ein Gärtlein ich ihm baute

Von herbem Kraut, heißt Reu und Leid

Da fraß es von dem Kraute

Trank meine Tränen allezeit.


Und heißer ward sein Brüten,

Das Dornennest in meiner Brust

Fühlt' ich wie Feuer wüten

Das dürstend still ich tragen mußt'.


So lag ich da alleine

Und hört' den Vogel, sah das Kraut

Als plötzlich von dem Steine

Ein kühler Quell herniedertaut.


Da sah ich auf der Spitzen

Des Steines in dem Sonnenschein

Gar still mitleidig sitzen

Dich liebes frommes Jungfräulein.[386]


Dem Quell, der mich erquicket

Erschlossest du das Felsentor

Aus deinen Augen blicket

Die Gnade all, die ich verlor.


Du siehst mit frommen Sinnen

Dem Tanz der kleinen Fliegen zu

Und gönnst den goldnen Spinnen

Ihr schwebend Haus in Sonnenruh'.


Den Käfer auf den Rücken

Gefallen, richtest mild du auf,

Schlägst sichre Blätterbrücken

Der Ameise in ihrem Lauf.


Du räumest auf den Stegen

Die Steine aus des Wandrers Schritt

Und tiefst auf irren Wegen

Die Spur mit deiner Füße Tritt.


Du richtest längs dem Pfade

Die sturmgebeugte Ähre auf

Und wirfst das zum Gestade

Gehüpfte Fischlein in den Lauf.


Du wärmst mit deinem Hauche

Das nestentfallne Vögelein

Und sammelst von dem Strauche

Zum Bett ihm zarte Wolle ein.


Und seinen Eltern streuest

Du deines Brodes Krümlein aus

Weinst mit dem Leid und freuest

Dich mit der Lust in Gottes Haus.


Deckst selbst das Nest der Schlangen

Flehst selbst der Kröte um ein Schild

Siehst du die Spinne hangen

Feindselig überm Ekelbild.[387]


Mein Weh hast du gespüret

Und riefst den Sünder gern zu Gast

Den Stein hast du gerühret,

Er weichet schon ich atme fast.


Mein Durst hat dich gezogen

Und deine Tränen flossen mir

Die ersten Gnadenwogen

Entsprangen mir von dir, von dir.


Ich las aus deinen Blicken

Daß Gottes Lieb unendlich ist

Dein Mund konnt' mich erquicken

Er sprach und sang von Jesu Christ.


Du sprachst: »Wie einst auf Erden

Der Feind den lieben Herrn versucht

Daß Stein zu Brot sollt' werden

Hast du bei Jesu auch gesucht.


Du lebst nicht nur vom Brode

Nein auch vom Wort aus Gottes Mund

Dich macht vom innern Tode

Die Liebe Jesu nur gesund.


Der Stein, der dich erdrücket

Ist greulich vor der Seele mein

Doch hab' ich ihn gerücket

O glaub und Gott wird gnädig sein.«


Da glaubt' ich und den Riegel

Schobst du hinweg vom Himmelstor

Und gabst dem Felsen Flügel

Und trugst ihn über mir empor.


Doch lieg' ich noch zerschlagen

Und treu noch pflegst du mich lieb Kind

Bis auf Eliae Wagen

Ich endlich deinen Himmel find'.[388]


So Herz! mußt' ich heut morgen

Als ich zum Lichte aufgewacht

Die Liebe von dir borgen

Die ich dem Schöpfer zugedacht.


So hab' ich Gott gedanket

Daß er dich auch erwachen läßt

Wer schwer gefallen, wanket

Und hält den Stab mit Ängsten fest.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 383-389.
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