Vor dem ersten Aderlaß, am Tage vor dem Abendmahl

[406] Was ich tue, was ich denke,

Alles, was mit mir geschieht,

Herr nach deinem Auge lenke

Das auf meine Wege sieht.


Herr, o wolle auf mein Flehen,

Wenn mein Blut zu Tage springt,

Heut mich wie ein Kind ansehen

Das sein erstes Opfer bringt.


Unter scharfen Marterruten,

Unter eines Richters Schwert,

Möcht' ich dir mein Heiland bluten,

Wär' ich deiner Kronen wert.


Aber, da mir nicht vergönnet

Solch ein heilender Erguß,

Geb' ich, weil die Fülle brennet,

Ach! nichts, als den Überfluß.


Alles doch hast du gegeben,

Gott der zu den Schmerzen kam,

Und im Blut hingab das Leben,

Daß den Tod er von uns nahm.


Meines fließt zu meinem Heile,

Fließt zu deinem Ruhme nicht

Herr mir deinen Schmerz mitteile,

Wenn der Stahl die Quelle bricht.


Gieb, daß deines Bluts ich denke,

Wenn das meine niederrinnt,

Und in deine Wunden senke

Dein ohnmächt'ges schwaches Kind!


Laß, was bös in meinen Sinnen,

Alle heiße Erdenglut,[407]

Heut aus meinen Adern rinnen,

Morgen dann gieb mir dein Blut.


O wie hast du's gut bestellet,

Meine Seele faßt es kaum,

Daß dein Blut sich mir gesellet,

Macht das meine heut ihm Raum.


All dein Blut hast du vergossen

Mir zu tilgen das Gericht,

Und es ist für mich geflossen,

Aber ich, ich nahm es nicht.


Hast auch deinen Leib gegeben,

Für mich in des Richters Zorn,

Und ich zage für das Leben,

Trag' um dich auch keinen Dorn.


Und ich weiß doch, es giebt Seelen

Brennend so in reiner Glut,

Daß sie deine Wunden zählen

An sich selbst in Wunderflut.


Ach weil ich nicht diesen gleiche

Ist wohl böses Blut in mir,

Gieb daß alles es entweiche,

Jesus dann gefall' ich dir.


Und ersetz' es geistlich wieder

Morgen mir mit deinem Blut

Vor dir sink' ich rein dann nieder,

Wo die Büßerin geruht.


Herr, du weißt ich wollt' bekennen,

Was die Seele niederdrückt

Felsen von dem Quell mich trennen

Wo die Buße Gnade pflückt.[408]


Ich hab' nicht den Zaun durchbrochen,

Herr vergieb uns unsre Schuld,

Wär' durch Dornen gern gekrochen

Heim in deiner Kirche Huld.


Und ließ ich denn meine Sünden,

Alle heut in meinem Blut,

Wolle mich in ihm entbinden,

Wie die Erd' in Sündenflut.


Mit dem Blute wird verschuldet,

Mit dem Blute wird versühnt,

Du Herr hast die Pein erduldet,

Ich, ich habe sie verdient.


Und so komm' ich dann im Glauben

Deines Blutes Gast zu sein,

Keiner soll mir dieses rauben,

Du warst mein, ach, mach mich dein.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 406-409.
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