[60] Es tut nicht gut, wenn man im Bad
Und nur die Füße draußen hat. –
Auch Bählamm hat's nicht wohlgetan.
Es zog ihm in den Backenzahn. –
Das Zahnweh, subjektiv genommen,
Ist ohne Zweifel unwillkommen;
Doch hat's die gute Eigenschaft,
Daß sich dabei die Lebenskraft,
Die man nach außen oft verschwendet,
Auf einen Punkt nach innen wendet
Und hier energisch konzentriert.
Kaum wird der erste Stich verspürt,
Kaum fühlt man das bekannte Bohren,
Das Rucken, Zucken und Rumoren –
Und aus ist's mit der Weltgeschichte,[60]
Vergessen sind die Kursberichte,
Die Steuern und das Einmaleins.
Kurz, jede Form gewohnten Seins,
Die sonst real erscheint und wichtig,
Wird plötzlich wesenlos und nichtig.
Ja, selbst die alte Liebe rostet –
Man weiß nicht, was die Butter kostet –
Denn einzig in der engen Höhle
Des Backenzahnes weilt die Seele,
Und unter Toben und Gesaus
Reift der Entschluß: Er muß heraus!! –
Noch eh' der neue Tag erschien,
War Bählamm auch so weit gediehn.
Er steht und läutet äußerst schnelle
An Doktor Schmurzel seiner Schelle.
[61]
Der Doktor wird von diesem Lärme
Emporgeschreckt aus seiner Wärme.
Indessen kränkt ihn das nicht weiter;
Ein Unglück stimmt ihn immer heiter.
Er ruft: »Seid mir gegrüßt, mein Lieber!
Lehnt Euch gefälligst hintenüber!
Gleich kennen wir den Fall genauer!«
[62]
(Der Finger schmeckt ein wenig sauer.)
»Nun stützt das Haupt auf diese Lehne
Und denkt derweil an alles Schöne!
[63]
Holupp!!
Wie ist es? Habt Ihr nichts gespürt?
Ich glaub, es hat sich was gerührt!
Da dies der Fall, so gratulier ich!
Die Sache ist nicht weiter schwierig!
[64]
Hol – – – upp!!!«
Vergebens ist die Kraftentfaltung;
Der Zahn verharrt in seiner Haltung.
[65]
»Hab's mir gedacht!« sprach Doktor Schmurzel,
»Das Hindernis liegt in der Wurzel.
Ich bitte bloß um drei Mark zehn!
Recht gute Nacht! Auf Wiedersehn!«
[66]
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro