[67] Dem hohen lyrischen Poeten
Ist tiefer Schmerz gewiß vonnöten;
Doch schwerlich, ach, befördert je
Das ganz gewöhnliche Wehweh,
Wie Bählamm seines zum Exempel,
Den Dichter in den Ruhmestempel.
Die Backe schwillt. – Die Träne quillt.
Ein Tuch umrahmt das Jammerbild.
Verhaßt ist ihm die Ländlichkeit
Mit Rieken ihrer Schändlichkeit,
Mit Doktor Schmurzels Chirurgie,
Mit Bäumen, Kräutern, Mensch und Vieh,
Und schmerzlich dringend mahnt die Backe:
Oh, kehre heim! Doch vorher packe! –
[67] Gern möcht er still von dannen scheiden,
Gern jede Ovation vermeiden,
Allein ihm bleibt bei seiner Fahrt
Ein Lebewohl nicht ganz erspart.
Meckmeck! so schallt's aus jener Ecke;
Meckmeck! ruft einer durch die Hecke,[68]
Meckmeck! so schmettert's in der Näh,
Und Riekens Ziege macht mähhäh! –
Da wundert sich wohl mancher sehr,
Wie's möglich sei, daß ein Malör
So schleunige Verbreitung finde.
Der Weise schweigt. Er kennt die Gründe. –
Als Bählamm sein Coupé erreicht,
Wird ihm verhältnismäßig leicht.
'ne Frau, 'n Kind und eine Tasche,
Worin die Gummistöpselflasche,
Sind unsers Reisenden Begleiter.
Der Säugling zeigt sich äußerst heiter.
Er strebt und webt mit Händ und Füßen,
Er läßt sein Mäulchen überfließen;
Er ist so süß, daß fast mit Recht
Ein Junggesell ihn küssen möcht.[69]
O weh! Die Fröhlichkeit entweicht.
Wohlmeinend wird ihm dargereicht
Das Glas, woraus er sich ernährt;
Er lehnt es ab; er ist empört;
Und penetrant, gleich der Trompete,
Klagt er in Tönen seine Nöte. –
Die Mutter seufzt. Der Trank ist kalt.
Wohl uns! Hier hat man Aufenthalt.
»Ach!« – bat sie – »halten S' ihn mal eben,
Ich muß ihm etwas Warmes geben!«[70]
Sie eilt hinaus ins Restaurant.
Der Zug hält drei Minuten lang.
Einsteigen! Fertig! Pfüt! – Und los,
Mit seinem Säugling auf dem Schoß,
Mit dicker Backe, wehem Zahn,
Rollt er dahin per Eisenbahn
Der Heimat zu und trifft um neun
Präzise auf dem Bahnhof ein. –
Der Säugling, des Gesanges müde,
Ruht aus von seinem Klageliede,
Umhüllt mit einer warmen Windel,
Auf Bählamms Arm als stilles Bündel.
Trotzdem hat Bählamm das Bestreben,
Ihn möglichst baldig abzugeben.
[71]
Der Schaffner, ohne Mitgefühl,
Bedankt sich höflich, aber kühl.
Desgleichen auch der Bahnverwalter;
[72]
Desgleichen auch der Mann am Schalter.
So muß er sich denn wohl bequemen,
Sein Bündel mit nach Haus zu nehmen.
»Der Papa kommt!« so rufen hier
Die frohen Kinder alle vier.[73]
»Und« – sprach die Mutter – »gebt mal acht!
Er hat was Schönes mitgebracht!«
Jedoch bei näherer Belehrung
Wie wenig schätzt sie die Bescherung.
»Oh!« – ruft sie – »Aber Balduin!«
Dann wird's ihr vor den Augen grün.
[74]
Zum Glück in diesem Ungemach
Kommt bald des Knaben Mutter nach.
Zwar ist die Flasche kalt wie nie,
Doch weil's pressiert, so nimmt er sie. –
Der Abschied war nicht sehr beschwerlich,
Was auch bei Bählamm sehr erklärlich;
Denn gerne gibt man aus der Hand
Den Säugling, der nicht stammverwandt.[75]
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