Neuntes Kapitel

[341] Hieronymus, nach diesem Mißgeschicke,

Will nicht wieder ins Amt zurücke. –

Er hat seinen Wanderstab genommen

Und sucht sich sonstwo ein Unterkommen.


Neuntes Kapitel

Wie's nun so geht! – Einstmalen hat er

Sich hinbegeben ins Theater,

Und ist da eben auf der Szene

Eine Prinzessin wunderschöne.

Ach Gott! Wie wird ihm zumute da!

's ist seine geliebte Amalia!


Neuntes Kapitel

[341] Das Stück ist endlich zu Ende gegangen.

Die Liebenden halten sich fest umfangen. –


Hieronymus aber war es zur Stund,

Als riefe in seines Leibes Grund

Der innern Stimme ernster Baß:

Hieronymus, werde auch so was! –


Neuntes Kapitel

Es ging nicht lange Zeit herum,

So zeigt er sich schon dem Publikum

Als ein verliebter ländlicher Schäfer.

In andern Rollen ist er noch bräver,

Und überhaupt sehr löb- und preislich.


Neuntes Kapitel

[342] Aber Amalia benahm sich scheußlich. –


Drum entfernt sich mit Weh und Ach

Hieronymus aus dem Künstlerfach.

Und da man grad in der Vaterstadt

Einen Nachtwächter nötig hat,

So erwirbt er sich diesen schönen Posten

Und stößt ins Horn auf städtische Kosten.


Neuntes Kapitel

Das mütterliche Traumgebild

Vom großen Horn ist nun erfüllt. –


Neuntes Kapitel

[343] Hieronymus blus auch wirklich gut:

Kaum schlägt es zehn, so geht's tu-huth!


Neuntes Kapitel

Und ruft er dann das: Hört ihr Herrn!

Wacht jeder auf und hört es gern.


Einst, da er in einer heftig kalten

Nacht, sein schwieriges Amt zu verwalten,

Den Mund eröffnet, um zwölfe zu schrein,

Bläst ihm der nördliche Wind hinein. –[344]

Zwar um eins geht's noch: tuhuth!

Um zwei aber ist's ihm schon gar nicht gut,

Glock drei bereits legt er sich nieder

Mit Schmerzen des Leibes und der Glieder.


Neuntes Kapitel

Um acht Uhr kommt die Medizin,

Wonach es auch etwas besser schien.


Doch sah man etwa gegen zehn:

Hieronymus wird von dannen gehn!


Neuntes Kapitel

Punkt zwölf erscheint der Knochenmann

Und hält das Perpendikel an. –


Neuntes Kapitel

[345] Also geht alles zu Ende allhier:

Feder, Tinte, Tobak und auch wir.

Zum letztenmal wird eingetunkt,

Dann kommt der große

schwarze Neuntes Kapitel
[346]


Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 341-347.
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