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[139] Wohlbekannt im ganzen Orte,
Mit der Klingel an der Pforte,
Ist die Brave, Ehrenwerte,
Ofterprobte, Vielbegehrte,
[139]
Welche sich Frau Wehmut schrieb;
Und ein jeder hat sie lieb. –
Mag es regnen oder schneen,
Mag der Wind auch noch so wehen,
Oder wär sie selbst nicht munter,
Denn das kommt ja mal mitunter –
Kaum ertönt an ihrer Klingel
Das bekannte: Pingelpingel!
Gleich so ist Frau Wehmut wach
Und geht ihrer Nahrung nach.
Heute ist sie still erschienen,
Um bei Knoppens zu bedienen.
Auf dem Antlitz Seelenruhe,
An den Füßen milde Schuhe,
Wärmt sie sorglich ihre Hände,
Denn der Sommer ist zu Ende.
Also tritt sie sanft und rein
Leise in die Kammer ein.
[140]
Auch den Doktor Pelikan
Sieht man ernstbedächtig nahn,
Und es sagt sein Angesicht:
Wie es kommt, das weiß man nicht. –
[141]
Oh, was hat in diesen Stunden
Knopp für Sorgen durchempfunden!
Rauchen ist ihm ganz zuwider.
Seine Pfeife legt er nieder.
[142]
Ganz vergebens tief im Pult
Sucht er Tröstung und Geduld.
Oben auf dem hohen Söller,
[143]
Unten in dem tiefen Keller –
Wo er sich auch hinverfüge –
Angst verkläret seine Züge.
Ja, er greifet zum Gebet,
Was er sonst nur selten tät. –
[144]
Endlich öffnet sich die Türe,
Und es heißt: ich gratuliere! –
Friedlich lächelnd, voller Demut,
Wie gewöhnlich, ist Frau Wehmut. –
Stolz ist Doktor Pelikan,
Weil er seine Pflicht getan. –
Aber unser Vater Knopp
Ruft in einem fort: Gottlob! –
[145]
Na, jetzt hat er seine Ruh. –
Ratsch! Man zieht den Vorhang zu.
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