|
[107] Recht gern empfängt die Musenstadt
Den Fremdling, welcher etwas hat. –
Kuno ist da. – Gedankentief
Verfaßt derselbe diesen Brief:
»Geehrter Herr Vater! Bei Meister Quast
Hat es mir leider nicht recht gepaßt.
Seit vorigen Freitag bin ich allhie.
Um zu besuchen die Akademie.
Geld hab ich bereits schon gar nicht mehr.
Um solches, o Vater, ersuch ich Euch sehr.
Logieren tu ich auf hartem Gestrüppe.
Euer Sohn, das Hunger- und Angstgerippe.«[107]
Der Vater, kratzend hinterm Ohr,
Sucht hundert Gulden bang hervor.
Eindringlich warnend vor Verschwendung,
Macht er dem Sohn die schwere Sendung.
Jetzt hat der Kuno Geld in Masse.
Stolz geht er in die Zeichenklasse.
Von allen Schülern, die da sitzen,
Kann keiner so den Bleistift spitzen.
Auch sind nur wenige dazwischen,
Die so wie er mit Gummi wischen.
Und im Schraffieren, was das Schwerste,
Da wird er unbedingt der Erste.
Jedoch zunacht, wenn er sich setzte,
Beim Schimmelwirt, blieb er der Letzte.[108]
Mit Leichtigkeit genießt er hier
So seine ein, zwei, drei Glas Bier.
Natürlich, da er so vorzüglich,
Sitzt er zu Ostern schon vergnüglich
Im herrlichen Antikensaale,
Dem Sammelplatz der Ideale.
Der Alten ewig junge Götter –
Wenn mancher auch in Wind und Wetter
Und sonst durch allerlei Verdrieß
Kopf, Arm und Bein im Stiche ließ –
[109]
Ergötzen Kuno unbeschreiblich;
Besonders, wenn die Götter weiblich.
Er ahmt sie nach in schwarzer Kreide.
Doch kann er sich auch diese Freude
An schönen Sommernachmittagen,
Wenn's grade nötig, mal versagen
Und eilt mit brennender Havanna
Zum Schimmelwirt zu der Susanna.
[110]
Hier in des Gartens Lustrevier
Trinkt er so zwei, drei, vier Glas Bier.
Daher man denn auch bald erfuhr,
Der Klecksel malt nach der Natur.
Am linken Daumen die Palette,
Steht er schon da vor seinem Brette
Und malt die alte Runzeltante,
Daß sie fast jeder wiederkannte.
[111] Doch eh die Abendglocke klang,
Macht er den hergebrachten Gang
Zur Susel und vertilgt bei ihr
So seine vier, fünf, sechs Glas Bier.
Da eines Abends sagt ganz plötzlich,
Grad als der Kuno recht ergötzlich,
Dies sonst so nette Frauenzimmer:
»Jetzt zahlen, oder Bier gibt's nimmer!«
Ach! reines Glück genießt doch nie,
Wer zahlen soll und weiß nicht wie!
Nach diesem mit Wehmut gemachten Vermerke
Fahren wir fort im löblichen Werke.
[112]
Ausgewählte Ausgaben von
Maler Klecksel
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro