[52] Die Blumen, die Christine pflückte,
Womit sie Knörrje hochbeglückte,
Sie hängen auf dem Fensterbord
Und sind verdorrt.
Herr Knörrje nimmt und legt sie nieder
Und preßt sie in sein Buch der Lieder,
Wo diese treuen Seelen nun
Auf ewig beieinander ruhn.
[52] Vom Kirchenturme tönt es zehn,
Für Knörrje ist es Zeit zum Gehn.
Er eilt aus seiner stillen Klause
Zum Rendezvous beim Bienenhause,
Wo schon Christine harrend weilt
Und ihrem Freund entgegeneilt. –
Doch horch! was hör' ich dort sich regen?!
Es ist ein Dieb auf bösen Wegen. –
[53] Der Bienenraub ist sein Gewerbe;
Nur schnell hier in die großen Körbe!!
»Ja«, spricht der Dieb, »da ist's am besten,
Ich nehme gleich den allergrößten!«
[54] Er packt sich richtig Knörrjen auf
Und eilt davon im Dauerlauf.
»Hoho!« – schreit Knörrje – »wart, du Tropf!«
Und stülpt den Korb ihm übern Kopf.
[55] Vergebens sucht er sich zu sträuben,
Er muß im Korbe sitzen bleiben. –
Doch ach! was muß Christine schaun?!
Der Zottelbär steigt übern Zaun,
Riecht in den Korb, und mit Geblase
Steckt er durchs Spundloch seine Nase.
[56] Hier diesen Pflock, nur flink, nur flink!
Quer durch des Bären Nasenring!
Ja, brülle nur!
Die Nase geht nicht mehr retour!
– So wär' nun alles wohlgelungen;
Die Liebenden stehn fest umschlungen.
[57] Da naht Hans Dralle. – Die Geschichte
Sieht er mit staunendem Gesichte.
Er steht und staunt und wundert sich:
»Ne Kinders, düt verstah eck nich!«
[58] Doch Knörrje, der das Wort genommen,
Erzählt, wie alles so gekommen.
»No ja!« – spricht Dralle – »Minetwegen!«
Und gibt dem Paare seinen Segen. –
Schon stehn umher voll Schreckensfreude
Des Dorfes wackre Biederleute.
[59]
Der Förster will den Bären schießen,
Wenn sie ihn nur zufrieden ließen.
Die Wache naht. – Sie trägt sofort
Den Dieb an einen stillen Ort.
Und auch der Bärenführer kommt
Und nimmt den Bären, welcher brommt.
[60] Der Anton stößt in die Trompete,
Und »Vivat!« schreit die alte Grete;
Und »Vivat!« schreien sie nun alle,
»Vivat, es lebe unser Dralle!!« –
[61]
Buchempfehlung
Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro