553. An Margarethe Fehlow

[230] 553. An Margarethe Fehlow


Wiedensahl 10. Sept. 82.


Lieb's Gretchen!

Unser heimathlicher Sommer, wohl nie berühmt durch angenehme Länge, hat sich in diesem Jahr durch eine besonders peinliche Kürze hervorgethan.[230] Da hat man sich auf ihn gefreut den alten langen Winter durch, und dann saust er schließlich daher mit Wind und Regen Arm in Arm, prustet, hustet und spuckt in allen Ecken herum, schmeißt uns ein paar naße Rosen vor die Füße und weg ist er. Von Vergnügen (wenn überhaupt) kann da nicht viel zu singen sein. Aber, alles was recht ist! Die Wochen in Wolfenbüttel waren nicht bös gemeint. Wir fuhren in ein paar mildreizenden Dämmerungen vor den Wald hinaus mit Wurst und Wein, legten uns in's Gras und guckten in's Thal und besahen uns die goldgeränderten Wolken am westlichen Horizont; und ein wenig seitwärts hielt der Wagen; und Heinrich der Kutscher, der auf seinem Bock aus der hocherhobenen Pulle schlürfte, machte eine hübsche, dunkle Silhouette gegen den hellen Abendhimmel; und Tante Alwine sagte: »Gretchen müßte eigentlich auch hier sein!« Eine Meinung, der die umsitzenden Onkels natürlich ihre volle Zustimmung gaben. – Als ich von den lieben Wolfenbüttlern Abschied nahm, dacht ich sicher: »Na, nächste Woche sitzen sie bei Fehlo[w]s in Berlin!« – denn dahin lautete ihre Versicherung. Aber das Schicksal führt bekanntlich seine aparte Wirthschaft. Wenn der alte Lebenskarren erst mal über die Höhe gelangt, dann rumpelt er, beladen mit allerlei Gepäckstücken, im Zickzack den Berg hinunter, man weiß nicht wie. – Auch der Neffe Hermann hat gegenwärtig sein Sorgenbündel aufgehockt und arbeitet sich seinem österlichen Examen entgegen. Er und ich, wir beide werden wohl nicht leicht Diejenigen vergeßen, welche uns im vorigen Herbst so überaus freundlich bei sich aufgenommen. – Wir sagen all Euch lieben Berlinern und besonders Dir, mein liebes Gretchen, unsere herzlichsten Grüße.

Immer dein guter alter Onkel

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 230-231.
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