Zu gut gelebt

[338] Frau Grete hatt' ein braves Huhn,

Das wußte seine Pflicht zu tun.

Es kratzte hinten, pickte vorn,

Fand hier ein Würmchen, da ein Korn,

Erhaschte Käfer, schnappte Fliegen

Und eilte dann mit viel Vergnügen

Zum stillen Nest, um hier geduldig

Das zu entrichten, was es schuldig.

Fast täglich tönte sein Geschrei:

Viktoria, ein Ei, ein Ei!

Frau Grete denkt: O, welch ein Segen,

Doch könnt es wohl noch besser legen.

Drum reicht sie ihm, es zu verlocken,

Oft extra noch die schönsten Brocken.

Dem Hühnchen war das angenehm.

Es putzt sich, macht es sich bequem,

Wird wohlbeleibt, ist nicht mehr rührig

Und sein Geschäft erscheint ihm schwierig.

Kaum daß ihm noch mit Drang und Zwang

Mal hie und da ein Ei gelang.

Dies hat Frau Gretchen schwer bedrückt,

Besonders, wenn sie weiterblickt;

Denn wo kein Ei, da ist's vorbei

Mit Rührei und mit Kandisei.

Ein fettes Huhn legt wenig Eier.

Ganz ähnlich geht's dem Dichter Meier,

Der auch nicht viel mehr dichten kann,

Seit er das große Los gewann.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 338.
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