Abend-Lied

[219] In des Verfassers letzter Kranckheit.


Wenn Blut und Lüste schäumen,

So stärcke meinen Geist,

Daß er sich auch im träumen

Aus Satans Netze reißt.

Hilff für mein Bestes sorgen,

Verändre meinen Sinn,

Und mache, daß ich morgen

Ein neu Geschöpffe bin.


Ich seh' das Licht verschwinden,

Die trübe Nacht bricht ein,

Ach Herr, laß meine Sünden

Auch mit verschwunden seyn;

Streich sie aus deinem Buche,

Das mich zum Schuldner macht,

Und rette mich vom Fluche,

Der mir schon zugedacht.


Wenn heut mein Ziel der Jahre

Mein letzter Abend ist,

Wohlan! wann ich nur fahre

Wo du, mein Vater, bist.

Doch, soll ich länger leben,

So laß den festen Schluß

Mir stets für Augen schweben,

Daß ich einst scheiden muß.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 219-220.
Lizenz:
Kategorien: