Todes-Gedancken

[216] Das, was der Erden weite Raum

Begreifft in seinen Schrancken,

Verfleucht als wie ein leichter Traum;

Ich selbst, dem die Gedancken

Der Nichtigkeit itzt in dem Sinn,

Vielleicht daß ich der nechste bin,

Von abgekürtztem Leben

Ein Beyspiel abzugeben.


Bin ich aus besserm Zeug gebaut

Als andre meiner Jahre,

Die man noch gestern frisch geschaut,

Und heut legt auf die Baare?

Zu was dient mir der Nahrungs-Safft,

Als daß er neuen Zunder schafft,

Der, wenn es Gott verhänget,

Leicht Gifft und Kranckheit fänget.
[216]

Alsdann giebts keine Panace,

Den Schaden zu ergäntzen.

Wir sehn der Haare Silber-Schnee,

Auf wenig Scheiteln gläntzen.

Der Tod ist es schon so gewohnt,

Daß er der Jugend wenig schont,

Und die noch harte Trauben,

Am liebsten pflegt zu rauben.


Was mehr ist, manchem wird das Hertz

Durch seinen Gifft gerühret,

Eh er noch Schwachheit oder Schmertz,

Als seine Boten spühret.

Es sind ja leyder! Schlag und Fluth,

Geschoß, Wurff, Stickfluß, Mord und Glut

Und Fälle vieler Arten,

Die stündlich auf uns warten.


Dieweil nun alles dis, mein Gott,

Mir vor den Augen schwebet,

Wie kommts, daß nicht in dieser Noth

Mein träger Cörper bebet,

Und daß die Seele ruhig ist,

Als hätte sie noch lange frist,

So, wie in fremden Sachen,

Den Uberschlag zu machen?


O kindischer und toller Wahn,

Der bey mir eingerissen!

Ich weiß gewiß, ich muß daran,

Nur will ich es nicht wissen.

Wie manch berühmtes Haupt geht ab!

Selbst Kron und Purpur fällt ins Grab!

Nur ich will unterdessen

Mein Wohl und Weh vergessen.
[217]

Die Zeit zerstöret überall

Die schönsten Seltenheiten,

Die Zeit, die Marmor und Metall

Kan fressen und bestreiten.

Sie reißt, was ewig scheinet, hin,

Nur ich, der mehr zerbrechlich bin,

Ich dencke: meinetwegen

Soll sich ihr Wüten legen.


Wenn ich die Gottes-Aecker seh,

Und alles könte lesen,

Was der, auf dessen Grufft ich geh,

In seinem Sinn gewesen,

Was eingescharrt für Hofnung hier,

So würd ich überzeugt bey mir,

Daß, was man da bedecket,

Auch mir im Busen stecket.


Ach Gott, vertreib den dicken Dunst

Der irdischen Beschwerden!

Das sey nur meine beste Kunst,

Bey Gräbern klug zu werden.

Der Reichthum sey von mir verflucht,

Den man nicht in den Särgen sucht,

Mir müsse bey den Leichen

Mit Lust die Zeit verstreichen!


Daß ich mich vor der kalten Hand

Des Todes nicht entfärbe,

So mache mich mit ihm bekannt

Vorher noch, eh ich sterbe.

Wenn schnöde Wollust mich erfüllt,

So werde durch ein Schrecken-Bild

Verdorrter Todten-Knochen,

Der Kitzel unterbrochen.
[218]

Will ich mich in das Gauckel-Spiel

Der rohen Welt vergaffen,

So zeige du mir selbst das Ziel,

Dazu du mich erschaffen.

Wenn auch mein ungewisser Schritt,

Nicht stets auf gleicher Bahne tritt,

So heile mein Gewissen

Durch innigliches Büssen.


Gib, daß ich dich, du höchstes Gut

In reiner Brunst betrachte,

Daß ich Glück, Ehre, Gut und Blut,

Nicht für mein eigen achte;

So wird, wann mich die Zeit wegnimmt,

Die du zum Abdruck mir bestimmt,

Das, was du mir verliehen,

Mich nicht zurücke ziehen.


Dir sey es gäntzlich heimgestellt,

Wie, wo, und wenn ich scheide,

Wer unter deinen Flügeln fällt,

Wird frey von allem Leide.

Doch wünsch' ich, daß ich wohlgeschickt

Von hinnen werde weggerückt,

Und allzuschweres Kämpffen

Nicht die Vernunfft mag dämpffen.


Laß mitten in dem finstern Thal

Mich dein Verdienst erquicken,

Und den bestirnten Freuden-Saal

Hier unten schon erblicken.

Dann, Herr, so ende meinen Lauff,

Und löse sanfft den Knoten auf,

Der in dem Reich der Deinen,

Soll neu-geknüpfft erscheinen.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 216-219.
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