Bereitung zum Tode

[220] Mein Morgen ist vorbey, der Frühling meiner Tage,

Wie ich den hingebracht, das weiß ich selber nicht;

Mein Mittag ist dahin, der ohngefehr die Wage

Des kurtzen Lebens hielt. Herr, geh nicht ins Gericht:


Ich kenne dein Gesetz, und kenne meine Schuld!

Mein Abend kommt heran, itzt solten Thränen rinnen;

Doch nimmt mein böser Trieb, mein sündliches Beginnen,

Mit jedem Alter zu. Ach trage noch Gedult!


Laß mich nicht auf die letzt in solche Nacht verfallen,

Die mich auf ewiglich von deinen Augen stößt.

Nein, sondern laß dein Hertz für einen Sünder wallen,

Den deines eignen Sohns hochtheures Blut erlößt.


Mir hängt, ich weiß es wol, zu grosse Schwachheit an:

Heut schreib' ich etwas guts; doch dir ist unverborgen,

Du Hertzenskündiger, ob zwischen heut und morgen,

Der Satan meinen Wunsch nicht anders lencken kan.


Indessen fühl ich wol, daß meine Kräffte schwinden;

Daß allbereit ein Tod in Sinn und Gliedern wühlt;

Ich seh die höchste Noht, mit dir mich zu verbinden,

Da deine Sanfftmuht noch auf meine Rettung zielt.


Mich schreckt der schwere Fluch, den deine Rache dräut,

Wenn sich mein Fleisch empört und deiner Liebe Stuffen

So gar verächtlich hält; Herr, hast du mich geruffen,

So reiß auch mit Gewalt mich aus der Eitelkeit!


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 220-221.
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